Barclay, John (Übers. Martin Opitz): Johann Barclaÿens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Breslau, 1626.Joh. Barclayens Argenis/ Theocrinen nicht erkennen mochte; daß es kein Wun-der gewesen/ wann Meleander ist betrogen worden: so sehr hatte er mit dem Kleyde alles was zuvor wei- bisch vnd forchtsam war/ hinweg gelegt. Die Stir- ne war ernsthaffter/ das Gesichte auffgerichtet/ vnd die Augen lieffen zwar mit sittsamer/ aber doch auch mannlicher Freyheit hin vnd wider. Vber diesem führte ich mir Theocrinen zu Gemüthe. Ist sie die- ses? (sagte ich) ja sie ists. Ihr Götter vnd Göttin- nen? Ists möglich daß solche Höffligkeit/ daß ein Gemüte welches sich in alle Sachen so wol schickt/ daß so edle Hände haben mit der Nadel vmbgehen können? Diese Verwunderung bezwang mich der Argenis zu verzeihen; damit ich sie aber gleichwol jhres Ampts bey dem Heiligthumb erinnerte (weil sie fast verstarret war) stellte ich mich/ als ob jhr der Mantel zuweit herab hienge/ vnd in dem ich jhn gleichsamb zu rechte macht: Gedencket Princessin/ sprach ich/ Poliarchus selber werde es nicht billich- en/ daß jhr ewerer nicht Achtung habt. Ihr hettet gesagt/ sie were erwacht auff diese Wort. Derhal- ben fieng sie das Gebett als Obriste Priesterin an/ vnd erzeigte dem Poliarchus/ der vnter der Göttin Namen gefeyret wardt/ diese Ehre gerne. Er aber (O wie viel besser ists nach seinem eigenen/ als nach eines andern Vrtheil glückselig seyn?) begehrte die jenigen zu bitten/ welche jhm selbst opfferten/ vnd sa- he mit vnruhigem Gemüte baldt die Argenis/ baldt mich an. Wir
Joh. Barclayens Argenis/ Theocrinen nicht erkennẽ mochte; daß es kein Wun-der geweſen/ wann Meleander iſt betrogen worden: ſo ſehr hatte er mit dem Kleyde alles was zuvor wei- biſch vnd forchtſam war/ hinweg gelegt. Die Stir- ne war ernſthaffter/ das Geſichte auffgerichtet/ vnd die Augen lieffen zwar mit ſittſamer/ aber doch auch mannlicher Freyheit hin vnd wider. Vber dieſem fuͤhrte ich mir Theocrinen zu Gemuͤthe. Iſt ſie die- ſes? (ſagte ich) ja ſie iſts. Ihr Goͤtter vnd Goͤttin- nen? Iſts moͤglich daß ſolche Hoͤffligkeit/ daß ein Gemuͤte welches ſich in alle Sachen ſo wol ſchickt/ daß ſo edle Haͤnde haben mit der Nadel vmbgehen koͤnnen? Dieſe Verwunderung bezwang mich der Argenis zu verzeihen; damit ich ſie aber gleichwol jhres Ampts bey dem Heiligthumb erinnerte (weil ſie faſt verſtarꝛet war) ſtellte ich mich/ als ob jhr der Mantel zuweit herab hienge/ vnd in dem ich jhn gleichſamb zu rechte macht: Gedencket Princeſſin/ ſprach ich/ Poliarchus ſelber werde es nicht billich- en/ daß jhr ewerer nicht Achtung habt. Ihr hettet geſagt/ ſie were erwacht auff dieſe Wort. Derhal- ben fieng ſie das Gebett als Obriſte Prieſterin an/ vnd erzeigte dem Poliarchus/ der vnter der Goͤttin Namen gefeyret wardt/ dieſe Ehre gerne. Er aber (O wie viel beſſer iſts nach ſeinem eigenen/ als nach eines andern Vrtheil gluͤckſelig ſeyn?) begehrte die jenigen zu bitten/ welche jhm ſelbſt opfferten/ vnd ſa- he mit vnruhigem Gemuͤte baldt die Argenis/ baldt mich an. Wir
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Joh. Barclayens Argenis/
Theocrinen nicht erkennẽ mochte; daß es kein Wun-
der geweſen/ wann Meleander iſt betrogen worden:
ſo ſehr hatte er mit dem Kleyde alles was zuvor wei-
biſch vnd forchtſam war/ hinweg gelegt. Die Stir-
ne war ernſthaffter/ das Geſichte auffgerichtet/ vnd
die Augen lieffen zwar mit ſittſamer/ aber doch auch
mannlicher Freyheit hin vnd wider. Vber dieſem
fuͤhrte ich mir Theocrinen zu Gemuͤthe. Iſt ſie die-
ſes? (ſagte ich) ja ſie iſts. Ihr Goͤtter vnd Goͤttin-
nen? Iſts moͤglich daß ſolche Hoͤffligkeit/ daß ein
Gemuͤte welches ſich in alle Sachen ſo wol ſchickt/
daß ſo edle Haͤnde haben mit der Nadel vmbgehen
koͤnnen? Dieſe Verwunderung bezwang mich der
Argenis zu verzeihen; damit ich ſie aber gleichwol
jhres Ampts bey dem Heiligthumb erinnerte (weil
ſie faſt verſtarꝛet war) ſtellte ich mich/ als ob jhr der
Mantel zuweit herab hienge/ vnd in dem ich jhn
gleichſamb zu rechte macht: Gedencket Princeſſin/
ſprach ich/ Poliarchus ſelber werde es nicht billich-
en/ daß jhr ewerer nicht Achtung habt. Ihr hettet
geſagt/ ſie were erwacht auff dieſe Wort. Derhal-
ben fieng ſie das Gebett als Obriſte Prieſterin an/
vnd erzeigte dem Poliarchus/ der vnter der Goͤttin
Namen gefeyret wardt/ dieſe Ehre gerne. Er aber
(O wie viel beſſer iſts nach ſeinem eigenen/ als nach
eines andern Vrtheil gluͤckſelig ſeyn?) begehrte die
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he mit vnruhigem Gemuͤte baldt die Argenis/ baldt
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