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Barclay, John (Übers. Martin Opitz): Johann Barclaÿens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Breslau, 1626.

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Das Dritte Buch.

Nach Vberlesung deß Schreibens/ fragte ich/
was sie mir von wegen jhrer Mutter anzumelden
hette. Ich bin/ sagte sie/ der Geburt nach auß Gal-
lia/ wo der Fluß Rhodan auß einem grossen See
herfür kömpt. Mein Nahmen ist Theocrine. Mein
Vatter ist nicht allein der Fürnemeste vnter den
Seinigen gewesen/ sondern auch/ wie es kleine Kö-
nigreiche hat/ ein Fürst seines Landes. Er hiesse
Treutacommilcondorus. Als er starb verließ er
mich/ zwar schon erwachsen/ neben einem Bruder
so kaum auß der Wiegen kommen. Wie er sahe sein
Ende herbey kommen/ bate er seinen Bruder/ Ic-
ciobates geheissen/ bey den Göttern der Welt die er
verliesse/ vnd bey denen vnter der Welt zu denen er
gienge/ bey der Pflicht der Natur/ vnd bey dem Ge-
dechtnüs jhres einigen Vatters/ daß er vnserer pfle-
gen/ vnd weder meines Brudern Kindtheit/ noch
meine Schwachheit/ noch sonderlich den Witwen-
standt meiner Mutter verlassen wolte. In dem der
andere mit erdichteten Threnen den Schwur be-
stetigte/ gab mein Vatter seinen Geist auff. Es
hatte das Ansehen/ als ob wir vnter der Pflegung
deß Vettern glückselig weren/ so angelegen ließ er
jhm vnser Gut sein/ so sehr wuste er vns vnd vnsere
Mutter zutrösten. Aber die Vrsache seines verflu-
chten Fleisses war/ daß jhm nichts von der Erb-
schafft entgienge/ welche jhm nach meines Bru-
dern vnd meinem Tode ohn allen Zweiffel heimge-
fallen were. Er versuchte vns derentwegen mit

Giffte
G g v
Das Dritte Buch.

Nach Vberleſung deß Schreibens/ fragte ich/
was ſie mir von wegen jhrer Mutter anzumelden
hette. Ich bin/ ſagte ſie/ der Geburt nach auß Gal-
lia/ wo der Fluß Rhodan auß einem groſſen See
herfuͤr koͤmpt. Mein Nahmen iſt Theocrine. Mein
Vatter iſt nicht allein der Fuͤrnemeſte vnter den
Seinigen geweſen/ ſondern auch/ wie es kleine Koͤ-
nigreiche hat/ ein Fuͤrſt ſeines Landes. Er hieſſe
Treutacommilcondorus. Als er ſtarb verließ er
mich/ zwar ſchon erwachſen/ neben einem Bruder
ſo kaum auß der Wiegen kommen. Wie er ſahe ſein
Ende herbey kommen/ bate er ſeinen Bruder/ Ic-
ciobates geheiſſen/ bey den Goͤttern der Welt die er
verlieſſe/ vnd bey denen vnter der Welt zu denen er
gienge/ bey der Pflicht der Natur/ vnd bey dem Ge-
dechtnuͤs jhres einigen Vatters/ daß er vnſerer pfle-
gen/ vnd weder meines Brudern Kindtheit/ noch
meine Schwachheit/ noch ſonderlich den Witwen-
ſtandt meiner Mutter verlaſſen wolte. In dem der
andere mit erdichteten Threnen den Schwur be-
ſtetigte/ gab mein Vatter ſeinen Geiſt auff. Es
hatte das Anſehen/ als ob wir vnter der Pflegung
deß Vettern gluͤckſelig weren/ ſo angelegen ließ er
jhm vnſer Gut ſein/ ſo ſehr wuſte er vns vnd vnſere
Mutter zutroͤſten. Aber die Vrſache ſeines verflu-
chten Fleiſſes war/ daß jhm nichts von der Erb-
ſchafft entgienge/ welche jhm nach meines Bru-
dern vnd meinem Tode ohn allen Zweiffel heimge-
fallen were. Er verſuchte vns derentwegen mit

Giffte
G g v
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[473/0517] Das Dritte Buch. Nach Vberleſung deß Schreibens/ fragte ich/ was ſie mir von wegen jhrer Mutter anzumelden hette. Ich bin/ ſagte ſie/ der Geburt nach auß Gal- lia/ wo der Fluß Rhodan auß einem groſſen See herfuͤr koͤmpt. Mein Nahmen iſt Theocrine. Mein Vatter iſt nicht allein der Fuͤrnemeſte vnter den Seinigen geweſen/ ſondern auch/ wie es kleine Koͤ- nigreiche hat/ ein Fuͤrſt ſeines Landes. Er hieſſe Treutacommilcondorus. Als er ſtarb verließ er mich/ zwar ſchon erwachſen/ neben einem Bruder ſo kaum auß der Wiegen kommen. Wie er ſahe ſein Ende herbey kommen/ bate er ſeinen Bruder/ Ic- ciobates geheiſſen/ bey den Goͤttern der Welt die er verlieſſe/ vnd bey denen vnter der Welt zu denen er gienge/ bey der Pflicht der Natur/ vnd bey dem Ge- dechtnuͤs jhres einigen Vatters/ daß er vnſerer pfle- gen/ vnd weder meines Brudern Kindtheit/ noch meine Schwachheit/ noch ſonderlich den Witwen- ſtandt meiner Mutter verlaſſen wolte. In dem der andere mit erdichteten Threnen den Schwur be- ſtetigte/ gab mein Vatter ſeinen Geiſt auff. Es hatte das Anſehen/ als ob wir vnter der Pflegung deß Vettern gluͤckſelig weren/ ſo angelegen ließ er jhm vnſer Gut ſein/ ſo ſehr wuſte er vns vnd vnſere Mutter zutroͤſten. Aber die Vrſache ſeines verflu- chten Fleiſſes war/ daß jhm nichts von der Erb- ſchafft entgienge/ welche jhm nach meines Bru- dern vnd meinem Tode ohn allen Zweiffel heimge- fallen were. Er verſuchte vns derentwegen mit Giffte G g v

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Zitationshilfe: Barclay, John (Übers. Martin Opitz): Johann Barclaÿens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Breslau, 1626, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/barclay_argenis_1626/517>, abgerufen am 28.04.2024.