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Barclay, John (Übers. Martin Opitz): Johann Barclaÿens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Breslau, 1626.

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Joh. Barclayens Argenis/
es ist eine grosse Sünde Eltern nicht lieben. Durch
dieses Mittel werde ich die Zuneygungen gegen
dem Poliarchus vnd dem Vatter eyntheilen kön-
nen/ daß ich/ nach Ablegung deß Lebens/ welches ich
allen beyden zu dancken habe/ keinen von jhnen zu
lieben oder zu hassen weiter fug werde haben.

Selenisse hergegen fuhrte jhr zu Gemühte die
Schmach deß Todes welchen die Liebe vervrsach-
te/ vnd zu letzte/ gleichsam als hette sie es auß himli-
scher Eyngebung/ Aber/ fieng sie an/ warumb be-
weynen wir den Tod deß Poliarchus/ als ob es aus-
ser allem Zweiffel sey? tragen wir so gewisse Schmer-
tzen wegen deß vngewissen Gerüchts? Wisset jhr nit
was die Fabeln von deß Pyramus Irrung melden/
vns zu lehren/ daß man nit bald vber dem ersten Ge-
schrey verzweiffeln sol? Was könnet jhr wissen/ ob
jhr nicht eben durch ewren deß Poliarchus Todt
vervrsachet/ wie jener durch seine Vnvorsichtigkeit
Thisben zum Sterben gebracht hat? Man sagt
Poliarchus sey todt. Aber was kan das gemeine
Volck nicht erdencken? Wer hat die Leiche/ wer hat
den Degen gesehen der mit seinem Blute genetzt ist
worden? Es kan wol seyn/ daß er sicher vnd frey sei-
ner Feinde lachet/ der durch eben die Wunde welche
jhr euch machet den Geist auffgeben würde. Schi-
cket auß/ gewisseren Berichteyn zu nehmen/ vnd le-
bet zum minsten nur darumb/ daß jhr jhn nicht
vmbbringet wo er noch am Leben ist. Hierauff rich-
tete Argenis mit einem trawrigen Lachen sich etwas

auff/

Joh. Barclayens Argenis/
es iſt eine groſſe Suͤnde Eltern nicht lieben. Durch
dieſes Mittel werde ich die Zuneygungen gegen
dem Poliarchus vnd dem Vatter eyntheilen koͤn-
nen/ daß ich/ nach Ablegung deß Lebens/ welches ich
allen beyden zu dancken habe/ keinen von jhnen zu
lieben oder zu haſſen weiter fug werde haben.

Seleniſſe hergegen fuhrte jhr zu Gemuͤhte die
Schmach deß Todes welchen die Liebe vervrſach-
te/ vnd zu letzte/ gleichſam als hette ſie es auß himli-
ſcher Eyngebung/ Aber/ fieng ſie an/ warumb be-
weynen wir den Tod deß Poliarchus/ als ob es auſ-
ſer allem Zweiffel ſey? tragẽ wir ſo gewiſſe Schmer-
tzen wegen deß vngewiſſen Geruͤchts? Wiſſet jhr nit
was die Fabeln von deß Pyramus Irꝛung melden/
vns zu lehren/ daß man nit bald vber dem erſten Ge-
ſchrey verzweiffeln ſol? Was koͤnnet jhr wiſſen/ ob
jhr nicht eben durch ewren deß Poliarchus Todt
vervrſachet/ wie jener durch ſeine Vnvorſichtigkeit
Thisben zum Sterben gebracht hat? Man ſagt
Poliarchus ſey todt. Aber was kan das gemeine
Volck nicht erdencken? Wer hat die Leiche/ wer hat
den Degen geſehen der mit ſeinem Blute genetzt iſt
worden? Es kan wol ſeyn/ daß er ſicher vnd frey ſei-
ner Feinde lachet/ der durch eben die Wunde welche
jhr euch machet den Geiſt auffgeben wuͤrde. Schi-
cket auß/ gewiſſeren Berichteyn zu nehmen/ vnd le-
bet zum minſten nur darumb/ daß jhr jhn nicht
vmbbringet wo er noch am Leben iſt. Hierauff rich-
tete Argenis mit einem trawrigen Lachen ſich etwas

auff/
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[66/0110] Joh. Barclayens Argenis/ es iſt eine groſſe Suͤnde Eltern nicht lieben. Durch dieſes Mittel werde ich die Zuneygungen gegen dem Poliarchus vnd dem Vatter eyntheilen koͤn- nen/ daß ich/ nach Ablegung deß Lebens/ welches ich allen beyden zu dancken habe/ keinen von jhnen zu lieben oder zu haſſen weiter fug werde haben. Seleniſſe hergegen fuhrte jhr zu Gemuͤhte die Schmach deß Todes welchen die Liebe vervrſach- te/ vnd zu letzte/ gleichſam als hette ſie es auß himli- ſcher Eyngebung/ Aber/ fieng ſie an/ warumb be- weynen wir den Tod deß Poliarchus/ als ob es auſ- ſer allem Zweiffel ſey? tragẽ wir ſo gewiſſe Schmer- tzen wegen deß vngewiſſen Geruͤchts? Wiſſet jhr nit was die Fabeln von deß Pyramus Irꝛung melden/ vns zu lehren/ daß man nit bald vber dem erſten Ge- ſchrey verzweiffeln ſol? Was koͤnnet jhr wiſſen/ ob jhr nicht eben durch ewren deß Poliarchus Todt vervrſachet/ wie jener durch ſeine Vnvorſichtigkeit Thisben zum Sterben gebracht hat? Man ſagt Poliarchus ſey todt. Aber was kan das gemeine Volck nicht erdencken? Wer hat die Leiche/ wer hat den Degen geſehen der mit ſeinem Blute genetzt iſt worden? Es kan wol ſeyn/ daß er ſicher vnd frey ſei- ner Feinde lachet/ der durch eben die Wunde welche jhr euch machet den Geiſt auffgeben wuͤrde. Schi- cket auß/ gewiſſeren Berichteyn zu nehmen/ vnd le- bet zum minſten nur darumb/ daß jhr jhn nicht vmbbringet wo er noch am Leben iſt. Hierauff rich- tete Argenis mit einem trawrigen Lachen ſich etwas auff/

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Zitationshilfe: Barclay, John (Übers. Martin Opitz): Johann Barclaÿens Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Breslau, 1626, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/barclay_argenis_1626/110>, abgerufen am 24.11.2024.