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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Am Ende seiner Laufbahn bedauerte er, nicht französisch
geschrieben zu haben und wollte als Pole gestorben sein.
Man lese jene erschütternde, kurz vor seinem Zusammen-
bruch geschriebene Abrechnung mit der deutschen Mentali-
tät, "Ecce homo", um zu ermessen, wie hier ein deliziöser
und hochgespannter Wille an der historischen Mesquinerie,
der platten Denkwirtschaft und faulen Gemütlichkeit seiner
Nation sich gescheitert fühlte. Man vernehme auch Schopen-
hauers
Testament, das also lautet: "Sollte ich unvermutet
sterben und man in Verlegenheit kommen, was mein po-
litisches Testament sei, so sage ich, dass ich mich schäme,
ein Deutscher zu sein und mich darin auch mit all den
wahrhaft Grossen, die unter dies Volk verschlagen wurden,
eins weiss".

Ich habe die besten Namen der Nation genannt, und
man kann nahezu an der Heftigkeit ihrer Verzweiflung die
Höhe ihrer ursprünglichen Intention ermessen. Sie fühlten
sich auf verlorenem Posten, und je später sie es einsahen,
desto blutiger lehnten sie die Gemeinschaft ab. Man könnte
versucht sein, Heinrich Mann zuzustimmen, der als Motto
über seinen durch den Krieg abgebrochenen Roman "Der
Untertan" die tristen Worte schrieb: "Dies Volk ist hoff-
nungslos". Wenn sich die stärksten und menschlichsten
Geister gegen ihr Volk erklärten: Was bleibt zu tun? In Böotien
baut man Kartoffeln, Tragödien schreibt man in Athen.

Wo fand sich in Deutschland jene vergötternde Begeiste-
rung, jene Zärtlichkeit, mit der französische Geister Frankreich
Notre Dame und La douce France nannten 12)? Charles
Maurras schlug vor, Frankreich als Göttin zu verehren und
Leon Bloy, einer der heftigsten Pamphletisten, die Frank-
reich erlebte, noch er fühlte das Recht zu schreiben: "La
France est tellement le premier des peuples que tous les
autres, quels qu'ils soient, doivent s'estimer honorablement
partages quand ils sont admis a manger le pain de ses
chiens 13)". In keinem andern Volk hat der esprit religieux

Am Ende seiner Laufbahn bedauerte er, nicht französisch
geschrieben zu haben und wollte als Pole gestorben sein.
Man lese jene erschütternde, kurz vor seinem Zusammen-
bruch geschriebene Abrechnung mit der deutschen Mentali-
tät, „Ecce homo“, um zu ermessen, wie hier ein deliziöser
und hochgespannter Wille an der historischen Mesquinerie,
der platten Denkwirtschaft und faulen Gemütlichkeit seiner
Nation sich gescheitert fühlte. Man vernehme auch Schopen-
hauers
Testament, das also lautet: „Sollte ich unvermutet
sterben und man in Verlegenheit kommen, was mein po-
litisches Testament sei, so sage ich, dass ich mich schäme,
ein Deutscher zu sein und mich darin auch mit all den
wahrhaft Grossen, die unter dies Volk verschlagen wurden,
eins weiss“.

Ich habe die besten Namen der Nation genannt, und
man kann nahezu an der Heftigkeit ihrer Verzweiflung die
Höhe ihrer ursprünglichen Intention ermessen. Sie fühlten
sich auf verlorenem Posten, und je später sie es einsahen,
desto blutiger lehnten sie die Gemeinschaft ab. Man könnte
versucht sein, Heinrich Mann zuzustimmen, der als Motto
über seinen durch den Krieg abgebrochenen Roman „Der
Untertan“ die tristen Worte schrieb: „Dies Volk ist hoff-
nungslos“. Wenn sich die stärksten und menschlichsten
Geister gegen ihr Volk erklärten: Was bleibt zu tun? In Böotien
baut man Kartoffeln, Tragödien schreibt man in Athen.

Wo fand sich in Deutschland jene vergötternde Begeiste-
rung, jene Zärtlichkeit, mit der französische Geister Frankreich
Notre Dame und La douce France nannten 12)? Charles
Maurras schlug vor, Frankreich als Göttin zu verehren und
Léon Bloy, einer der heftigsten Pamphletisten, die Frank-
reich erlebte, noch er fühlte das Recht zu schreiben: „La
France est tellement le premier des peuples que tous les
autres, quels qu'ils soient, doivent s'estimer honorablement
partagés quand ils sont admis à manger le pain de ses
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[10/0018] Am Ende seiner Laufbahn bedauerte er, nicht französisch geschrieben zu haben und wollte als Pole gestorben sein. Man lese jene erschütternde, kurz vor seinem Zusammen- bruch geschriebene Abrechnung mit der deutschen Mentali- tät, „Ecce homo“, um zu ermessen, wie hier ein deliziöser und hochgespannter Wille an der historischen Mesquinerie, der platten Denkwirtschaft und faulen Gemütlichkeit seiner Nation sich gescheitert fühlte. Man vernehme auch Schopen- hauers Testament, das also lautet: „Sollte ich unvermutet sterben und man in Verlegenheit kommen, was mein po- litisches Testament sei, so sage ich, dass ich mich schäme, ein Deutscher zu sein und mich darin auch mit all den wahrhaft Grossen, die unter dies Volk verschlagen wurden, eins weiss“. Ich habe die besten Namen der Nation genannt, und man kann nahezu an der Heftigkeit ihrer Verzweiflung die Höhe ihrer ursprünglichen Intention ermessen. Sie fühlten sich auf verlorenem Posten, und je später sie es einsahen, desto blutiger lehnten sie die Gemeinschaft ab. Man könnte versucht sein, Heinrich Mann zuzustimmen, der als Motto über seinen durch den Krieg abgebrochenen Roman „Der Untertan“ die tristen Worte schrieb: „Dies Volk ist hoff- nungslos“. Wenn sich die stärksten und menschlichsten Geister gegen ihr Volk erklärten: Was bleibt zu tun? In Böotien baut man Kartoffeln, Tragödien schreibt man in Athen. Wo fand sich in Deutschland jene vergötternde Begeiste- rung, jene Zärtlichkeit, mit der französische Geister Frankreich Notre Dame und La douce France nannten ¹²⁾ ? Charles Maurras schlug vor, Frankreich als Göttin zu verehren und Léon Bloy, einer der heftigsten Pamphletisten, die Frank- reich erlebte, noch er fühlte das Recht zu schreiben: „La France est tellement le premier des peuples que tous les autres, quels qu'ils soient, doivent s'estimer honorablement partagés quand ils sont admis à manger le pain de ses chiens ¹³⁾ “. In keinem andern Volk hat der esprit religieux

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/18>, abgerufen am 18.04.2024.