Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

Landsleuten soviel Geist und höhere Kultur eindringe und
allgemein werde, dass man von ihnen wird sagen können,
es sei lange her, dass sie Barbaren gewesen" 7). Von Goethe
jener verzweifelte Spruch, das sauve qui peut, das er achsel-
zuckend der geistigen Partei seiner Zeit zurief:

"Eines schickt sich nicht für alle,
Jeder sehe, wie er's treibe,
Jeder sehe, wo er bleibe,
Und wer steht, dass er nicht falle."

Behauptet hat er sich, versteift in diesem Volk. Magister
sezierten ihn, Philologen wie Blutegel setzen sich an. Po-
pularität aber erlangte er noch heute nicht. In seinen
wichtigsten und sublimsten Entscheidungen stiess er auf
Harthörigkeit, blieb er ein Missverständnis und Wunder 8).
Heinrich Heine floh entsetzt nach Paris. Die Goncourts
behaupteten, dass er mit zwei anderen Nichtparisern die
Quintessenz des Pariser Geistes darstellte; in Deutschland
aber wird er noch heute malträtiert 9). Friedrich Nietzsche
hat den Deutschen die schlimmsten Dinge nachgesagt,
die man einer Nation nachsagen kann; er fand: "Die Deut-
schen sind in die Geschichte der Erkenntnis mit lauter
zweideutigen Namen eingeschrieben, sie haben immer nur
unbewusste Falschmünzer hervorgebracht 10)". "Psychologie",
fährt er fort, "ist beinahe der Masstab der Reinlichkeit
oder Unreinlichkeit einer Rasse. Und wenn man nicht ein-
mal reinlich ist, wie sollte man Tiefe haben? Man kommt
beim Deutschen, beinahe wie beim Weibe, niemals auf den
Grund, er hat keinen; das ist alles. Aber damit ist man
noch nicht einmal flach. Das, was in Deutschland "tief" heisst,
ist genau die Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich
eben rede: man will über sich nicht im klaren sein". Und
doch hatte auch er begonnen voller Hoffnung auf eine
geistige Einheit, auf ein heroisch deutsches Ideal, das der
Hort alles höheren Europäertums werden könne 11). Die
Nation zwang ihn zum Ressentiment, zur Germanophobie.

Landsleuten soviel Geist und höhere Kultur eindringe und
allgemein werde, dass man von ihnen wird sagen können,
es sei lange her, dass sie Barbaren gewesen“ 7). Von Goethe
jener verzweifelte Spruch, das sauve qui peut, das er achsel-
zuckend der geistigen Partei seiner Zeit zurief:

„Eines schickt sich nicht für alle,
Jeder sehe, wie er's treibe,
Jeder sehe, wo er bleibe,
Und wer steht, dass er nicht falle.“

Behauptet hat er sich, versteift in diesem Volk. Magister
sezierten ihn, Philologen wie Blutegel setzen sich an. Po-
pularität aber erlangte er noch heute nicht. In seinen
wichtigsten und sublimsten Entscheidungen stiess er auf
Harthörigkeit, blieb er ein Missverständnis und Wunder 8).
Heinrich Heine floh entsetzt nach Paris. Die Goncourts
behaupteten, dass er mit zwei anderen Nichtparisern die
Quintessenz des Pariser Geistes darstellte; in Deutschland
aber wird er noch heute malträtiert 9). Friedrich Nietzsche
hat den Deutschen die schlimmsten Dinge nachgesagt,
die man einer Nation nachsagen kann; er fand: „Die Deut-
schen sind in die Geschichte der Erkenntnis mit lauter
zweideutigen Namen eingeschrieben, sie haben immer nur
unbewusste Falschmünzer hervorgebracht 10)“. „Psychologie“,
fährt er fort, „ist beinahe der Masstab der Reinlichkeit
oder Unreinlichkeit einer Rasse. Und wenn man nicht ein-
mal reinlich ist, wie sollte man Tiefe haben? Man kommt
beim Deutschen, beinahe wie beim Weibe, niemals auf den
Grund, er hat keinen; das ist alles. Aber damit ist man
noch nicht einmal flach. Das, was in Deutschland „tief“ heisst,
ist genau die Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich
eben rede: man will über sich nicht im klaren sein“. Und
doch hatte auch er begonnen voller Hoffnung auf eine
geistige Einheit, auf ein heroisch deutsches Ideal, das der
Hort alles höheren Europäertums werden könne 11). Die
Nation zwang ihn zum Ressentiment, zur Germanophobie.

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0017" n="9"/>
Landsleuten soviel Geist und höhere Kultur eindringe und<lb/>
allgemein werde, dass man von ihnen wird sagen können,<lb/>
es sei lange her, dass sie Barbaren gewesen&#x201C; <note xml:id="id7e" next="id7e7e" place="end" n="7)"/>. Von Goethe<lb/>
jener verzweifelte Spruch, das sauve qui peut, das er achsel-<lb/>
zuckend der geistigen Partei seiner Zeit zurief:</p><lb/>
        </div>
        <div type="poem">
          <lg type="poem">
            <l>&#x201E;Eines schickt sich nicht für alle,</l><lb/>
            <l>Jeder sehe, wie er's treibe,</l><lb/>
            <l>Jeder sehe, wo er bleibe,</l><lb/>
            <l>Und wer steht, dass er nicht falle.&#x201C;</l>
          </lg><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <p>Behauptet hat er sich, versteift in diesem Volk. Magister<lb/>
sezierten ihn, Philologen wie Blutegel setzen sich an. Po-<lb/>
pularität aber erlangte er noch heute nicht. In seinen<lb/>
wichtigsten und sublimsten Entscheidungen stiess er auf<lb/>
Harthörigkeit, blieb er ein Missverständnis und Wunder <note xml:id="id8e" next="id8e8e" place="end" n="8)"/>.<lb/><hi rendition="#i">Heinrich Heine</hi> floh entsetzt nach Paris. Die Goncourts<lb/>
behaupteten, dass er mit zwei anderen Nichtparisern die<lb/>
Quintessenz des Pariser Geistes darstellte; in Deutschland<lb/>
aber wird er noch heute malträtiert <note xml:id="id9e" next="id9e9e" place="end" n="9)"/>. <hi rendition="#i">Friedrich Nietzsche</hi><lb/>
hat den Deutschen die schlimmsten Dinge nachgesagt,<lb/>
die man einer Nation nachsagen kann; er fand: &#x201E;Die Deut-<lb/>
schen sind in die Geschichte der Erkenntnis mit lauter<lb/>
zweideutigen Namen eingeschrieben, sie haben immer nur<lb/>
unbewusste Falschmünzer hervorgebracht <note xml:id="id10e" next="id10e10e" place="end" n="10)"/>&#x201C;. &#x201E;Psychologie&#x201C;,<lb/>
fährt er fort, &#x201E;ist beinahe der Masstab der Reinlichkeit<lb/>
oder Unreinlichkeit einer Rasse. Und wenn man nicht ein-<lb/>
mal reinlich ist, wie sollte man Tiefe haben? Man kommt<lb/>
beim Deutschen, beinahe wie beim Weibe, niemals auf den<lb/>
Grund, er hat keinen; das ist alles. Aber damit ist man<lb/>
noch nicht einmal flach. Das, was in Deutschland &#x201E;tief&#x201C; heisst,<lb/>
ist genau die Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich<lb/>
eben rede: man <hi rendition="#i">will</hi> über sich nicht im klaren sein&#x201C;. Und<lb/>
doch hatte auch er begonnen voller Hoffnung auf eine<lb/>
geistige Einheit, auf ein heroisch deutsches Ideal, das der<lb/>
Hort alles höheren Europäertums werden könne <note xml:id="id11e" next="id11e11e" place="end" n="11)"/>. Die<lb/>
Nation zwang ihn zum Ressentiment, zur Germanophobie.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[9/0017] Landsleuten soviel Geist und höhere Kultur eindringe und allgemein werde, dass man von ihnen wird sagen können, es sei lange her, dass sie Barbaren gewesen“ ⁷⁾ . Von Goethe jener verzweifelte Spruch, das sauve qui peut, das er achsel- zuckend der geistigen Partei seiner Zeit zurief: „Eines schickt sich nicht für alle, Jeder sehe, wie er's treibe, Jeder sehe, wo er bleibe, Und wer steht, dass er nicht falle.“ Behauptet hat er sich, versteift in diesem Volk. Magister sezierten ihn, Philologen wie Blutegel setzen sich an. Po- pularität aber erlangte er noch heute nicht. In seinen wichtigsten und sublimsten Entscheidungen stiess er auf Harthörigkeit, blieb er ein Missverständnis und Wunder ⁸⁾ . Heinrich Heine floh entsetzt nach Paris. Die Goncourts behaupteten, dass er mit zwei anderen Nichtparisern die Quintessenz des Pariser Geistes darstellte; in Deutschland aber wird er noch heute malträtiert ⁹⁾ . Friedrich Nietzsche hat den Deutschen die schlimmsten Dinge nachgesagt, die man einer Nation nachsagen kann; er fand: „Die Deut- schen sind in die Geschichte der Erkenntnis mit lauter zweideutigen Namen eingeschrieben, sie haben immer nur unbewusste Falschmünzer hervorgebracht ¹⁰⁾ “. „Psychologie“, fährt er fort, „ist beinahe der Masstab der Reinlichkeit oder Unreinlichkeit einer Rasse. Und wenn man nicht ein- mal reinlich ist, wie sollte man Tiefe haben? Man kommt beim Deutschen, beinahe wie beim Weibe, niemals auf den Grund, er hat keinen; das ist alles. Aber damit ist man noch nicht einmal flach. Das, was in Deutschland „tief“ heisst, ist genau die Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich eben rede: man will über sich nicht im klaren sein“. Und doch hatte auch er begonnen voller Hoffnung auf eine geistige Einheit, auf ein heroisch deutsches Ideal, das der Hort alles höheren Europäertums werden könne ¹¹⁾ . Die Nation zwang ihn zum Ressentiment, zur Germanophobie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/17
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/17>, abgerufen am 21.11.2024.