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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Er verwarf -- unter Deutschen ein Unikum -- weder die
Tradition noch die Schrift, weder die guten Werke noch
den Glauben.

Die Denkkräfte sind nicht das Letzte, was wir heiligen
müssen. Die zentrifugale Richtung der ganzen modernen,
von Gott abgekehrten Philosophie, den Abfall der Geister,
hat niemand so klar erkannt und umfassend bezeichnet wie
Baader. "Liebe", heisst sein schönstes Wort, "ist das allge-
meine Band, das alle Wesen im Universum an und inein-
ander bindet und verwebt. Ohne Affinität kein Ganzes,
keine Welt, nicht einmal denkbar; unser Erdball ein wüstes,
ewig totes Chaos". "Satan trennt", schreibt er anderswo,
"er ist Mörder von Anfang. Christus trennt, um zu ver-
einen"; und ein Wahn ist es ihm, "dass man das Christen-
tum aufgeben müsse, um die intellektuelle und soziale
Freiheit zu gewinnen, oder letztere aufgeben, um das
Christentum aufrecht zu erhalten" 34). Gegen den Klerus
aber sind heftigere Worte nie geschrieben worden als die
folgenden: "Auch in deiner Bude war ich, du Priester, der
du die Schriften zwar noch hast, aber sie sind dir nur ein
siebenfach verschlossen Schloss und den Schlüssel dazu
hast du verloren. Mit elendem Sklavensinn klebst du am
Buchstaben! Dein Abgott ist eine Mumie, woran nur noch
die Form gut ist. Also diese und jene, und alle öffentlichen
Buden des Marktes der grossen Babel sind leer und dar-
innen ist weiter nichts als Theer und Schmiere zu holen,
die Schnellfahrt jüngster Literatur zu befördern!" 35)

Das war Baader. Wo aber sind seine Nachfolger?
Wer ausser ihm und den grossen Mystikern und Musikern
hat sonst noch in Deutschland eine Apologie Christi ge-
schrieben und den Antichristen bekämpft? Auch Hegel
glaubte, eine Theodizee geschrieben zu haben in Ueber-
einstimmung mit dem Christentum. Er war aber nur in
Uebereinstimmung mit dem Protestantismus und dem ab-
solutistischen Preussentum. Durch die Staats- und Rechts-

Er verwarf — unter Deutschen ein Unikum — weder die
Tradition noch die Schrift, weder die guten Werke noch
den Glauben.

Die Denkkräfte sind nicht das Letzte, was wir heiligen
müssen. Die zentrifugale Richtung der ganzen modernen,
von Gott abgekehrten Philosophie, den Abfall der Geister,
hat niemand so klar erkannt und umfassend bezeichnet wie
Baader. „Liebe“, heisst sein schönstes Wort, „ist das allge-
meine Band, das alle Wesen im Universum an und inein-
ander bindet und verwebt. Ohne Affinität kein Ganzes,
keine Welt, nicht einmal denkbar; unser Erdball ein wüstes,
ewig totes Chaos“. „Satan trennt“, schreibt er anderswo,
„er ist Mörder von Anfang. Christus trennt, um zu ver-
einen“; und ein Wahn ist es ihm, „dass man das Christen-
tum aufgeben müsse, um die intellektuelle und soziale
Freiheit zu gewinnen, oder letztere aufgeben, um das
Christentum aufrecht zu erhalten“ 34). Gegen den Klerus
aber sind heftigere Worte nie geschrieben worden als die
folgenden: „Auch in deiner Bude war ich, du Priester, der
du die Schriften zwar noch hast, aber sie sind dir nur ein
siebenfach verschlossen Schloss und den Schlüssel dazu
hast du verloren. Mit elendem Sklavensinn klebst du am
Buchstaben! Dein Abgott ist eine Mumie, woran nur noch
die Form gut ist. Also diese und jene, und alle öffentlichen
Buden des Marktes der grossen Babel sind leer und dar-
innen ist weiter nichts als Theer und Schmiere zu holen,
die Schnellfahrt jüngster Literatur zu befördern!“ 35)

Das war Baader. Wo aber sind seine Nachfolger?
Wer ausser ihm und den grossen Mystikern und Musikern
hat sonst noch in Deutschland eine Apologie Christi ge-
schrieben und den Antichristen bekämpft? Auch Hegel
glaubte, eine Theodizee geschrieben zu haben in Ueber-
einstimmung mit dem Christentum. Er war aber nur in
Uebereinstimmung mit dem Protestantismus und dem ab-
solutistischen Preussentum. Durch die Staats- und Rechts-

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[141/0149] Er verwarf — unter Deutschen ein Unikum — weder die Tradition noch die Schrift, weder die guten Werke noch den Glauben. Die Denkkräfte sind nicht das Letzte, was wir heiligen müssen. Die zentrifugale Richtung der ganzen modernen, von Gott abgekehrten Philosophie, den Abfall der Geister, hat niemand so klar erkannt und umfassend bezeichnet wie Baader. „Liebe“, heisst sein schönstes Wort, „ist das allge- meine Band, das alle Wesen im Universum an und inein- ander bindet und verwebt. Ohne Affinität kein Ganzes, keine Welt, nicht einmal denkbar; unser Erdball ein wüstes, ewig totes Chaos“. „Satan trennt“, schreibt er anderswo, „er ist Mörder von Anfang. Christus trennt, um zu ver- einen“; und ein Wahn ist es ihm, „dass man das Christen- tum aufgeben müsse, um die intellektuelle und soziale Freiheit zu gewinnen, oder letztere aufgeben, um das Christentum aufrecht zu erhalten“ ³⁴⁾ . Gegen den Klerus aber sind heftigere Worte nie geschrieben worden als die folgenden: „Auch in deiner Bude war ich, du Priester, der du die Schriften zwar noch hast, aber sie sind dir nur ein siebenfach verschlossen Schloss und den Schlüssel dazu hast du verloren. Mit elendem Sklavensinn klebst du am Buchstaben! Dein Abgott ist eine Mumie, woran nur noch die Form gut ist. Also diese und jene, und alle öffentlichen Buden des Marktes der grossen Babel sind leer und dar- innen ist weiter nichts als Theer und Schmiere zu holen, die Schnellfahrt jüngster Literatur zu befördern!“ ³⁵⁾ Das war Baader. Wo aber sind seine Nachfolger? Wer ausser ihm und den grossen Mystikern und Musikern hat sonst noch in Deutschland eine Apologie Christi ge- schrieben und den Antichristen bekämpft? Auch Hegel glaubte, eine Theodizee geschrieben zu haben in Ueber- einstimmung mit dem Christentum. Er war aber nur in Uebereinstimmung mit dem Protestantismus und dem ab- solutistischen Preussentum. Durch die Staats- und Rechts-

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/149>, abgerufen am 23.11.2024.