zittern müssen vor jedem Lümmel von Subalternoffizier oder Schreiberbeamten, der sich als eines ebenso formidablen wie majestätischen Systems geruhsame Stütze empfindet? Und ein Volk, in dem das tagtäglich geschieht und zum Codex geworden ist, nennt sich ein Volk der Dichter und Denker!
6.
Die innere Verwahrlosung des Reiches unter den Habsburgischen Kaisern erklärt das Aufkommen Preussens und die Sympathieallianz, die zwischen den preussischen Despoten und dem deutschen Volke zustande kam. Dass zwei so entgegengesetzte Dinge wie die romantische Schlafmützenherrlichkeit des vornapoleonischen Deutschland und das agile Stockregiment preussischer Militärautokraten sich dennoch am Ende vereinigen konnten, mag eine Ahnung davon geben, wie unerträglich die Verschlampung der Rechts- und Sicherheitsverhältnisse, wie unbequem das Durchein- ander erstorbener Institutionen im heiligen römischen Reiche schliesslich geworden war. Jemand bemerkte sehr richtig, nicht darauf komme es an, dass die Sonne über einem Reiche nicht untergehe, sondern, was sie auf ihrem Laufe zu sehen bekomme. Im habsburgischen Weltreich bekam sie zu sehen: Türkenkriege und Rassen-Massaker im Osten, Inquisition und Geusenverfolgung im Westen, Konfessionskriege bis zur völligen Erschöpfung mit Raub, Mord und Brandstiftung in der Mitte.
Den apostolischen Majestäten auf dem Habsburger Throne fehlte das neue Motiv und die zentralisierende Kraft. Welt- flucht und Kreuzzügler-Epigonentum, totes katholisches Dogma und Jesuitenbarock waren den gierigen Anfor- derungen eines zusammengeheirateten Weltreiches und einer neuen Zeit nicht mehr gewachsen. 1648 musste die Unab- hängigkeit der Niederlande, 1763 die Grossmacht Preussens mitten im Reiche, anerkannt werden. Auch die ungarischen
zittern müssen vor jedem Lümmel von Subalternoffizier oder Schreiberbeamten, der sich als eines ebenso formidablen wie majestätischen Systems geruhsame Stütze empfindet? Und ein Volk, in dem das tagtäglich geschieht und zum Codex geworden ist, nennt sich ein Volk der Dichter und Denker!
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Die innere Verwahrlosung des Reiches unter den Habsburgischen Kaisern erklärt das Aufkommen Preussens und die Sympathieallianz, die zwischen den preussischen Despoten und dem deutschen Volke zustande kam. Dass zwei so entgegengesetzte Dinge wie die romantische Schlafmützenherrlichkeit des vornapoleonischen Deutschland und das agile Stockregiment preussischer Militärautokraten sich dennoch am Ende vereinigen konnten, mag eine Ahnung davon geben, wie unerträglich die Verschlampung der Rechts- und Sicherheitsverhältnisse, wie unbequem das Durchein- ander erstorbener Institutionen im heiligen römischen Reiche schliesslich geworden war. Jemand bemerkte sehr richtig, nicht darauf komme es an, dass die Sonne über einem Reiche nicht untergehe, sondern, was sie auf ihrem Laufe zu sehen bekomme. Im habsburgischen Weltreich bekam sie zu sehen: Türkenkriege und Rassen-Massaker im Osten, Inquisition und Geusenverfolgung im Westen, Konfessionskriege bis zur völligen Erschöpfung mit Raub, Mord und Brandstiftung in der Mitte.
Den apostolischen Majestäten auf dem Habsburger Throne fehlte das neue Motiv und die zentralisierende Kraft. Welt- flucht und Kreuzzügler-Epigonentum, totes katholisches Dogma und Jesuitenbarock waren den gierigen Anfor- derungen eines zusammengeheirateten Weltreiches und einer neuen Zeit nicht mehr gewachsen. 1648 musste die Unab- hängigkeit der Niederlande, 1763 die Grossmacht Preussens mitten im Reiche, anerkannt werden. Auch die ungarischen
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zittern müssen vor jedem Lümmel von Subalternoffizier oder
Schreiberbeamten, der sich als eines ebenso formidablen wie
majestätischen Systems geruhsame Stütze empfindet? Und
ein Volk, in dem das tagtäglich geschieht und zum Codex
geworden ist, nennt sich ein Volk der Dichter und Denker!
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Die innere Verwahrlosung des Reiches unter den
Habsburgischen Kaisern erklärt das Aufkommen Preussens
und die Sympathieallianz, die zwischen den preussischen
Despoten und dem deutschen Volke zustande kam. Dass
zwei so entgegengesetzte Dinge wie die romantische
Schlafmützenherrlichkeit des vornapoleonischen Deutschland
und das agile Stockregiment preussischer Militärautokraten sich
dennoch am Ende vereinigen konnten, mag eine Ahnung
davon geben, wie unerträglich die Verschlampung der Rechts-
und Sicherheitsverhältnisse, wie unbequem das Durchein-
ander erstorbener Institutionen im heiligen römischen Reiche
schliesslich geworden war. Jemand bemerkte sehr richtig,
nicht darauf komme es an, dass die Sonne über einem Reiche
nicht untergehe, sondern, was sie auf ihrem Laufe zu sehen
bekomme. Im habsburgischen Weltreich bekam sie zu sehen:
Türkenkriege und Rassen-Massaker im Osten, Inquisition
und Geusenverfolgung im Westen, Konfessionskriege bis
zur völligen Erschöpfung mit Raub, Mord und Brandstiftung
in der Mitte.
Den apostolischen Majestäten auf dem Habsburger Throne
fehlte das neue Motiv und die zentralisierende Kraft. Welt-
flucht und Kreuzzügler-Epigonentum, totes katholisches
Dogma und Jesuitenbarock waren den gierigen Anfor-
derungen eines zusammengeheirateten Weltreiches und einer
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/100>, abgerufen am 23.11.2024.
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