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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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das bestimmte Urtheil aller derjenigen, welche ein richtiges Ver-
ständniß des Gaunerthums und seiner Sprache erworben haben,
und gerade nur jene rotwelschen Epigonen, welche in ihren kahlen
Raisonnements und fehlerhaften Vocabularen die größte Unwissen-
heit an den Tag gelegt haben, sind es, die -- lediglich um in
ihrer hochfahrenden Eitelkeit gelegentlich anzubringen und glauben
zu machen, daß sie die Gaunersprache vollkommen verständen --
groß damit thun, "daß des Gauners Gesicht sich verkläre, daß er
dem Kitzel nicht widerstehen könne", oder "daß es sich viel leich-
ter und gemüthlicher mit ihm arbeite (sic!), wenn er in der
Gaunersprache angeredet werde". Gerade diese vordringlichen Epi-
gonen verstehen am allerwenigsten etwas von der Gaunersprache.
Die mit blödem Auge von ihnen wahrgenommene "Verklärung"
im Gesichte des in der Gaunersprache angeredeten Gauners ist
nichts anderes als der spöttische Hohn des gefangenen Gauners,
welcher der Eitelkeit und Taktlosigkeit des Gewaltigen, der ihn
beliebig mit langer schwerer Haft, mit Stockschlägen, mit der
schlechten Nahrung bei Wasser und Brot mishandeln kann, nur
sein beredtes sardonisches Lächeln entgegensetzen darf. Diese "Ver-
klärung", diese "Gemüthlichkeit" ist eben das Symptom der schon
hereingebrochenen Gefahr, vor welcher Pfister, a. a. O., I, 210,
mit so großem Ernst wie mit tiefer Wahrheit mahnt: "daß der
Richter mit seiner affectirten und ostentirten Kenntniß
der Gaunersprache dem Gauner lächerlich und verächt-
lich wird!"

Diese Niederlage des Jnquirenten dem Triumph des Gau-
ners gegenüber wird begreiflich aus der bereits Th. II, S. 382
gegebenen Darstellung des vom Gauner stets mit aller geistigen
Gewalt dem Jnquirenten gegenüber aufrecht gehaltenen Dualis-
mus der Erscheinung und der Jndividualität. Der Jnquirent soll
auf die Jndividualität dringen und die künstliche Erscheinung ver-
nichten. Spielt aber der Jnquirent mit der Gaunersprache, so
spielt er mit der Maske des hinter dieser vollkommen gedeckten
Gauners, welcher denn nun auch der ihm so unverhüllt gegen-
über tretenden Eitelkeit und Unwissenheit mit der vollsten Masken-

das beſtimmte Urtheil aller derjenigen, welche ein richtiges Ver-
ſtändniß des Gaunerthums und ſeiner Sprache erworben haben,
und gerade nur jene rotwelſchen Epigonen, welche in ihren kahlen
Raiſonnements und fehlerhaften Vocabularen die größte Unwiſſen-
heit an den Tag gelegt haben, ſind es, die — lediglich um in
ihrer hochfahrenden Eitelkeit gelegentlich anzubringen und glauben
zu machen, daß ſie die Gaunerſprache vollkommen verſtänden —
groß damit thun, „daß des Gauners Geſicht ſich verkläre, daß er
dem Kitzel nicht widerſtehen könne“, oder „daß es ſich viel leich-
ter und gemüthlicher mit ihm arbeite (sic!), wenn er in der
Gaunerſprache angeredet werde“. Gerade dieſe vordringlichen Epi-
gonen verſtehen am allerwenigſten etwas von der Gaunerſprache.
Die mit blödem Auge von ihnen wahrgenommene „Verklärung“
im Geſichte des in der Gaunerſprache angeredeten Gauners iſt
nichts anderes als der ſpöttiſche Hohn des gefangenen Gauners,
welcher der Eitelkeit und Taktloſigkeit des Gewaltigen, der ihn
beliebig mit langer ſchwerer Haft, mit Stockſchlägen, mit der
ſchlechten Nahrung bei Waſſer und Brot mishandeln kann, nur
ſein beredtes ſardoniſches Lächeln entgegenſetzen darf. Dieſe „Ver-
klärung“, dieſe „Gemüthlichkeit“ iſt eben das Symptom der ſchon
hereingebrochenen Gefahr, vor welcher Pfiſter, a. a. O., I, 210,
mit ſo großem Ernſt wie mit tiefer Wahrheit mahnt: „daß der
Richter mit ſeiner affectirten und oſtentirten Kenntniß
der Gaunerſprache dem Gauner lächerlich und verächt-
lich wird!“

Dieſe Niederlage des Jnquirenten dem Triumph des Gau-
ners gegenüber wird begreiflich aus der bereits Th. II, S. 382
gegebenen Darſtellung des vom Gauner ſtets mit aller geiſtigen
Gewalt dem Jnquirenten gegenüber aufrecht gehaltenen Dualis-
mus der Erſcheinung und der Jndividualität. Der Jnquirent ſoll
auf die Jndividualität dringen und die künſtliche Erſcheinung ver-
nichten. Spielt aber der Jnquirent mit der Gaunerſprache, ſo
ſpielt er mit der Maske des hinter dieſer vollkommen gedeckten
Gauners, welcher denn nun auch der ihm ſo unverhüllt gegen-
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[315/0327] das beſtimmte Urtheil aller derjenigen, welche ein richtiges Ver- ſtändniß des Gaunerthums und ſeiner Sprache erworben haben, und gerade nur jene rotwelſchen Epigonen, welche in ihren kahlen Raiſonnements und fehlerhaften Vocabularen die größte Unwiſſen- heit an den Tag gelegt haben, ſind es, die — lediglich um in ihrer hochfahrenden Eitelkeit gelegentlich anzubringen und glauben zu machen, daß ſie die Gaunerſprache vollkommen verſtänden — groß damit thun, „daß des Gauners Geſicht ſich verkläre, daß er dem Kitzel nicht widerſtehen könne“, oder „daß es ſich viel leich- ter und gemüthlicher mit ihm arbeite (sic!), wenn er in der Gaunerſprache angeredet werde“. Gerade dieſe vordringlichen Epi- gonen verſtehen am allerwenigſten etwas von der Gaunerſprache. Die mit blödem Auge von ihnen wahrgenommene „Verklärung“ im Geſichte des in der Gaunerſprache angeredeten Gauners iſt nichts anderes als der ſpöttiſche Hohn des gefangenen Gauners, welcher der Eitelkeit und Taktloſigkeit des Gewaltigen, der ihn beliebig mit langer ſchwerer Haft, mit Stockſchlägen, mit der ſchlechten Nahrung bei Waſſer und Brot mishandeln kann, nur ſein beredtes ſardoniſches Lächeln entgegenſetzen darf. Dieſe „Ver- klärung“, dieſe „Gemüthlichkeit“ iſt eben das Symptom der ſchon hereingebrochenen Gefahr, vor welcher Pfiſter, a. a. O., I, 210, mit ſo großem Ernſt wie mit tiefer Wahrheit mahnt: „daß der Richter mit ſeiner affectirten und oſtentirten Kenntniß der Gaunerſprache dem Gauner lächerlich und verächt- lich wird!“ Dieſe Niederlage des Jnquirenten dem Triumph des Gau- ners gegenüber wird begreiflich aus der bereits Th. II, S. 382 gegebenen Darſtellung des vom Gauner ſtets mit aller geiſtigen Gewalt dem Jnquirenten gegenüber aufrecht gehaltenen Dualis- mus der Erſcheinung und der Jndividualität. Der Jnquirent ſoll auf die Jndividualität dringen und die künſtliche Erſcheinung ver- nichten. Spielt aber der Jnquirent mit der Gaunerſprache, ſo ſpielt er mit der Maske des hinter dieſer vollkommen gedeckten Gauners, welcher denn nun auch der ihm ſo unverhüllt gegen- über tretenden Eitelkeit und Unwiſſenheit mit der vollſten Masken-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/327>, abgerufen am 24.11.2024.