und mit dieser Erkenntniß bekämpft werden kann. Wie aber kennt der Gauner selbst diese seine Sprache! Wie ist er sich ihrer be- wußt und wie bewußt ihrer ungeheuern Gewalt, ihres dichten, schützenden Verstecks! Mit welcher Virtuosität spricht und hand- habt er diese Sprache! Ohne alle Affectation, vom frivolen Ge- danken gefaßt, vom verwegenen Wortstoff getrieben, erscheint die Person des Gauners selbst nur wie ein bloßes Mittel des Ge- dankens und der Sprache. Wie in der unbefangensten Natürlich- keit drängt sich die Sprache mit spielender Volubilität von den Lippen und erhält durch die fast unwillkürlich scheinende Mitwir- kung der stets in krankhafter Leidenschaftlichkeit bewegten Brust eine Modulation vom leisen, heisern Flüstern bis zum rauhen sar- donischen Grinsen, zum wiehernden Hohngelächter und zum krei- schenden Zornesruf. Man muß, um die Gaunersprache vollkom- men begreifen zu können, sie nicht allein hören, sondern auch sehen! Denn sie wird mit dem Tone auch sichtbar in der un- nachahmbarsten Mimik, Gesticulation und Zeichenfülle, die in ihrer blitzschnellen Heimlichkeit kaum je vollständig zu beobachten, ge- schweige denn zu schildern ist. Der Griff ans Halstuch, ans Kinn, in die Haare, die Bewegung der Hände, Stellung der Füße, Blick, Athemholen, Lächeln, Räuspern, Weinen, jeder Ausdruck einer Empfindung und Leidenschaft, jede wie zufällig erscheinende Bewegung: alles in, aus, an, bei und mit dem Gauner spricht und ist ein Sprachcommentar, womit neben dem unverfänglichen Worte bejaht, verneint, gebeten, gewarnt, gedroht wird. Und alles Geheimnißvolle, Unverständliche, Unnachahmbare ist dem Gauner- geiste begreiflich, deutlich, offen, klar!
Jn diesem Geiste, in dieser Sprache erkennen sich die fernsten Gauner und die Fremdartigkeit des verschiedenen dialektischen Aus- drucks gleicht sich nicht nur sofort aus, sondern wird auch als neue Zugabe willkommen geheißen und dem Ganzen incorporirt. Daher vorzüglich das wunderbar bunte und doch fließende Durch- einanderspielen der entlegensten Dialekte. Darum kann aber auch die Gaunersprache nur vom Gauner gesprochen, vom Laien aber höchstens nur verstanden und begriffen werden. Das ist
und mit dieſer Erkenntniß bekämpft werden kann. Wie aber kennt der Gauner ſelbſt dieſe ſeine Sprache! Wie iſt er ſich ihrer be- wußt und wie bewußt ihrer ungeheuern Gewalt, ihres dichten, ſchützenden Verſtecks! Mit welcher Virtuoſität ſpricht und hand- habt er dieſe Sprache! Ohne alle Affectation, vom frivolen Ge- danken gefaßt, vom verwegenen Wortſtoff getrieben, erſcheint die Perſon des Gauners ſelbſt nur wie ein bloßes Mittel des Ge- dankens und der Sprache. Wie in der unbefangenſten Natürlich- keit drängt ſich die Sprache mit ſpielender Volubilität von den Lippen und erhält durch die faſt unwillkürlich ſcheinende Mitwir- kung der ſtets in krankhafter Leidenſchaftlichkeit bewegten Bruſt eine Modulation vom leiſen, heiſern Flüſtern bis zum rauhen ſar- doniſchen Grinſen, zum wiehernden Hohngelächter und zum krei- ſchenden Zornesruf. Man muß, um die Gaunerſprache vollkom- men begreifen zu können, ſie nicht allein hören, ſondern auch ſehen! Denn ſie wird mit dem Tone auch ſichtbar in der un- nachahmbarſten Mimik, Geſticulation und Zeichenfülle, die in ihrer blitzſchnellen Heimlichkeit kaum je vollſtändig zu beobachten, ge- ſchweige denn zu ſchildern iſt. Der Griff ans Halstuch, ans Kinn, in die Haare, die Bewegung der Hände, Stellung der Füße, Blick, Athemholen, Lächeln, Räuspern, Weinen, jeder Ausdruck einer Empfindung und Leidenſchaft, jede wie zufällig erſcheinende Bewegung: alles in, aus, an, bei und mit dem Gauner ſpricht und iſt ein Sprachcommentar, womit neben dem unverfänglichen Worte bejaht, verneint, gebeten, gewarnt, gedroht wird. Und alles Geheimnißvolle, Unverſtändliche, Unnachahmbare iſt dem Gauner- geiſte begreiflich, deutlich, offen, klar!
Jn dieſem Geiſte, in dieſer Sprache erkennen ſich die fernſten Gauner und die Fremdartigkeit des verſchiedenen dialektiſchen Aus- drucks gleicht ſich nicht nur ſofort aus, ſondern wird auch als neue Zugabe willkommen geheißen und dem Ganzen incorporirt. Daher vorzüglich das wunderbar bunte und doch fließende Durch- einanderſpielen der entlegenſten Dialekte. Darum kann aber auch die Gaunerſprache nur vom Gauner geſprochen, vom Laien aber höchſtens nur verſtanden und begriffen werden. Das iſt
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und mit dieſer Erkenntniß bekämpft werden kann. Wie aber kennt
der Gauner ſelbſt dieſe ſeine Sprache! Wie iſt er ſich ihrer be-
wußt und wie bewußt ihrer ungeheuern Gewalt, ihres dichten,
ſchützenden Verſtecks! Mit welcher Virtuoſität ſpricht und hand-
habt er dieſe Sprache! Ohne alle Affectation, vom frivolen Ge-
danken gefaßt, vom verwegenen Wortſtoff getrieben, erſcheint die
Perſon des Gauners ſelbſt nur wie ein bloßes Mittel des Ge-
dankens und der Sprache. Wie in der unbefangenſten Natürlich-
keit drängt ſich die Sprache mit ſpielender Volubilität von den
Lippen und erhält durch die faſt unwillkürlich ſcheinende Mitwir-
kung der ſtets in krankhafter Leidenſchaftlichkeit bewegten Bruſt
eine Modulation vom leiſen, heiſern Flüſtern bis zum rauhen ſar-
doniſchen Grinſen, zum wiehernden Hohngelächter und zum krei-
ſchenden Zornesruf. Man muß, um die Gaunerſprache vollkom-
men begreifen zu können, ſie nicht allein hören, ſondern auch
ſehen! Denn ſie wird mit dem Tone auch ſichtbar in der un-
nachahmbarſten Mimik, Geſticulation und Zeichenfülle, die in ihrer
blitzſchnellen Heimlichkeit kaum je vollſtändig zu beobachten, ge-
ſchweige denn zu ſchildern iſt. Der Griff ans Halstuch, ans Kinn,
in die Haare, die Bewegung der Hände, Stellung der Füße,
Blick, Athemholen, Lächeln, Räuspern, Weinen, jeder Ausdruck
einer Empfindung und Leidenſchaft, jede wie zufällig erſcheinende
Bewegung: alles in, aus, an, bei und mit dem Gauner ſpricht
und iſt ein Sprachcommentar, womit neben dem unverfänglichen
Worte bejaht, verneint, gebeten, gewarnt, gedroht wird. Und alles
Geheimnißvolle, Unverſtändliche, Unnachahmbare iſt dem Gauner-
geiſte begreiflich, deutlich, offen, klar!
Jn dieſem Geiſte, in dieſer Sprache erkennen ſich die fernſten
Gauner und die Fremdartigkeit des verſchiedenen dialektiſchen Aus-
drucks gleicht ſich nicht nur ſofort aus, ſondern wird auch als
neue Zugabe willkommen geheißen und dem Ganzen incorporirt.
Daher vorzüglich das wunderbar bunte und doch fließende Durch-
einanderſpielen der entlegenſten Dialekte. Darum kann aber auch
die Gaunerſprache nur vom Gauner geſprochen, vom Laien
aber höchſtens nur verſtanden und begriffen werden. Das iſt
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/326>, abgerufen am 24.11.2024.
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