Jahren überhaupt in Deutschland ernstlich getrieben und ohnehin erst in neuester Zeit mit gründlicher kritischer Forschung von christ- lichen Gelehrten cultivirt wird? Wie sollten da für das noch gar nicht einmal beachtete, kaum einmal flüchtig erwähnte, niemals aber gründlich durchforschte Judendeutsch Sprachdocumente gesucht und untersucht worden sein, welche neben den trefflichsten hebräi- schen und rabbinischen Handschriften ungekannt oder unbeachtet im Staube der Archive und Bibliotheken umherliegen? Aber doch weist gerade die Sprachforschung und Sprachvergleichung auf das sehr hohe Alter des Judendeutsch hin. Wie wenig ahnt man, daß das Judendeutsch nicht allein eine Menge Wörter in die deutsche Sprache eingeschoben hat, deren Wurzeln, obschon als ur- sprünglich deutsch erscheinend und geltend, dennoch jüdischdeutschen oder hebräischen Ursprungs sind, sondern daß das Judendeutsch auch ein getreuer Depositar vieler althochdeutscher, altniederdeutscher und mitteldeutscher Wurzeln ist, die wir in ihrer Ursprünglichkeit längst übersehen oder vergessen haben? Gerade dies Vergessen und Verschwinden so vieler Wörter aus der deutschen Sprache der Bildung und das treue Bewahren derselben durch das Juden- deutsch hat ja das nach Versteck lüsterne Gaunerthum veranlaßt, diese dem Leben und der Sprache des gewöhnlichen Verkehrs ent- fremdeten Sprachtypen zur Verdeckung seines geheimen Waltens begierig aufzufassen und seiner geheimen Kunstsprache einzuverlei- ben. Bedenkt man, wie nicht nur das Hebräische in seiner uns kund gewordenen ursprünglichen sprachlichen Vollkommenheit, son- dern auch in seiner starken Durchmischung mit den verwandten semitischen Dialekten, dem chaldäischen, syrischen und arabischen, auf deutschen Sprachboden eingedrungen ist, wie nun dazu die an Mundarten überaus reiche deutsche Sprache selbst eine so sehr bewegte Geschichte zu durchlaufen und sich in Verkehr mit andern lebenden Sprachen, mit soviel andern fremdsprachlichen Stoffen zu versetzen und dann diese wieder von sich auszuscheiden hatte: so bekommt man einigermaßen einen Begriff von der ungemein bunten, reichen, verwirrten Sprachmosaik, welche im Judendeutsch vor unsern Blicken liegt.
Jahren überhaupt in Deutſchland ernſtlich getrieben und ohnehin erſt in neueſter Zeit mit gründlicher kritiſcher Forſchung von chriſt- lichen Gelehrten cultivirt wird? Wie ſollten da für das noch gar nicht einmal beachtete, kaum einmal flüchtig erwähnte, niemals aber gründlich durchforſchte Judendeutſch Sprachdocumente geſucht und unterſucht worden ſein, welche neben den trefflichſten hebräi- ſchen und rabbiniſchen Handſchriften ungekannt oder unbeachtet im Staube der Archive und Bibliotheken umherliegen? Aber doch weiſt gerade die Sprachforſchung und Sprachvergleichung auf das ſehr hohe Alter des Judendeutſch hin. Wie wenig ahnt man, daß das Judendeutſch nicht allein eine Menge Wörter in die deutſche Sprache eingeſchoben hat, deren Wurzeln, obſchon als ur- ſprünglich deutſch erſcheinend und geltend, dennoch jüdiſchdeutſchen oder hebräiſchen Urſprungs ſind, ſondern daß das Judendeutſch auch ein getreuer Depoſitar vieler althochdeutſcher, altniederdeutſcher und mitteldeutſcher Wurzeln iſt, die wir in ihrer Urſprünglichkeit längſt überſehen oder vergeſſen haben? Gerade dies Vergeſſen und Verſchwinden ſo vieler Wörter aus der deutſchen Sprache der Bildung und das treue Bewahren derſelben durch das Juden- deutſch hat ja das nach Verſteck lüſterne Gaunerthum veranlaßt, dieſe dem Leben und der Sprache des gewöhnlichen Verkehrs ent- fremdeten Sprachtypen zur Verdeckung ſeines geheimen Waltens begierig aufzufaſſen und ſeiner geheimen Kunſtſprache einzuverlei- ben. Bedenkt man, wie nicht nur das Hebräiſche in ſeiner uns kund gewordenen urſprünglichen ſprachlichen Vollkommenheit, ſon- dern auch in ſeiner ſtarken Durchmiſchung mit den verwandten ſemitiſchen Dialekten, dem chaldäiſchen, ſyriſchen und arabiſchen, auf deutſchen Sprachboden eingedrungen iſt, wie nun dazu die an Mundarten überaus reiche deutſche Sprache ſelbſt eine ſo ſehr bewegte Geſchichte zu durchlaufen und ſich in Verkehr mit andern lebenden Sprachen, mit ſoviel andern fremdſprachlichen Stoffen zu verſetzen und dann dieſe wieder von ſich auszuſcheiden hatte: ſo bekommt man einigermaßen einen Begriff von der ungemein bunten, reichen, verwirrten Sprachmoſaik, welche im Judendeutſch vor unſern Blicken liegt.
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[48/0082]
Jahren überhaupt in Deutſchland ernſtlich getrieben und ohnehin
erſt in neueſter Zeit mit gründlicher kritiſcher Forſchung von chriſt-
lichen Gelehrten cultivirt wird? Wie ſollten da für das noch gar
nicht einmal beachtete, kaum einmal flüchtig erwähnte, niemals
aber gründlich durchforſchte Judendeutſch Sprachdocumente geſucht
und unterſucht worden ſein, welche neben den trefflichſten hebräi-
ſchen und rabbiniſchen Handſchriften ungekannt oder unbeachtet
im Staube der Archive und Bibliotheken umherliegen? Aber doch
weiſt gerade die Sprachforſchung und Sprachvergleichung auf das
ſehr hohe Alter des Judendeutſch hin. Wie wenig ahnt man,
daß das Judendeutſch nicht allein eine Menge Wörter in die
deutſche Sprache eingeſchoben hat, deren Wurzeln, obſchon als ur-
ſprünglich deutſch erſcheinend und geltend, dennoch jüdiſchdeutſchen
oder hebräiſchen Urſprungs ſind, ſondern daß das Judendeutſch auch
ein getreuer Depoſitar vieler althochdeutſcher, altniederdeutſcher
und mitteldeutſcher Wurzeln iſt, die wir in ihrer Urſprünglichkeit
längſt überſehen oder vergeſſen haben? Gerade dies Vergeſſen
und Verſchwinden ſo vieler Wörter aus der deutſchen Sprache der
Bildung und das treue Bewahren derſelben durch das Juden-
deutſch hat ja das nach Verſteck lüſterne Gaunerthum veranlaßt,
dieſe dem Leben und der Sprache des gewöhnlichen Verkehrs ent-
fremdeten Sprachtypen zur Verdeckung ſeines geheimen Waltens
begierig aufzufaſſen und ſeiner geheimen Kunſtſprache einzuverlei-
ben. Bedenkt man, wie nicht nur das Hebräiſche in ſeiner uns
kund gewordenen urſprünglichen ſprachlichen Vollkommenheit, ſon-
dern auch in ſeiner ſtarken Durchmiſchung mit den verwandten
ſemitiſchen Dialekten, dem chaldäiſchen, ſyriſchen und arabiſchen,
auf deutſchen Sprachboden eingedrungen iſt, wie nun dazu die
an Mundarten überaus reiche deutſche Sprache ſelbſt eine ſo ſehr
bewegte Geſchichte zu durchlaufen und ſich in Verkehr mit andern
lebenden Sprachen, mit ſoviel andern fremdſprachlichen Stoffen
zu verſetzen und dann dieſe wieder von ſich auszuſcheiden hatte:
ſo bekommt man einigermaßen einen Begriff von der ungemein
bunten, reichen, verwirrten Sprachmoſaik, welche im Judendeutſch
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/82>, abgerufen am 24.11.2024.
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