Schon aus diesem kurzen Ueberblick ersieht man, wie charak- teristisch eigenthümlich das Judendeutsch und wie wenig man be- rechtigt ist, es mit Jargon, Patois, Jdiom, Dialekt oder Mund- art zu bezeichnen, obschon das Judendeutsch eine durchaus deutsch- sprachliche Erscheinung ist, welche man auf keinem andern Sprachboden findet. Jn dieser Beziehung macht schon Chry- sander 1) eine interessante Bemerkung. "Es kann", sagt er, "die Frage aufgeworfen werden, ob es auch Jüdisch-Portugisisch, Jüdisch-Spanisch, Jüdisch-Französisch, Jüdisch-Jtaliänisch u. s. w. gebe, und ob es überall von den Juden in allen Ländern wahr sey, was R. Leo Mutinensis in seinem Jtaliänischen Buch von denen Ceremonien der heutigen Juden P. II, B. 1, §. 2, p. 55 (nach der lateinischen Uebersetzung J. V. Großgebauer's, Frankfurt 1692) schreibt: Plebs satis habet, linguae vernaculae, cui assueta est, non nulla vocabula Hebraica injicere, daß sie die Landes- Sprachen mit dem Hebräischen vermengen? Wenn z. E. ein Teutscher Jude spricht: Mit ahn Amhorez hob ich kähn koved mefalpl zu seih, ob an dessen Statt ein Englischer Jude sagt: With a Amhorez i have not koved to bee mefalpl, und ein Französischer: Avec un Amhorez je n'ai point de koved d'etre mefalpl. So ist hier auch die Frage zu beantworten, ob die Juden in allen Landen ebenfalls die Anhängsel, womit die hebräischen Wörter im Juden-Teutschen geendigt werden, aus der- jenigen Sprache hernehmen, die da, wo die Juden wohnen, im Schwange ist? Ob z. E. anstatt daß der Teutsche Jude sagt, sich schmadden lassen, der London'sche spreche: far (?) schmaddarsi (?); der Franzose: Se faire schmadder, der Jtaliänische: farsi schmaddiare? Jch kann solches nicht behaupten. Sondern, laut denen Nachrichten derer, die weit gereiset sind, wird von ihnen mit der Teutschen Sprache nur eine solche Vermischung gemacht."
Charakteristisch dazu für die auch in der seltsamen jüdisch- deutschen Sprachmischung gleichmäßig hervortretende jüdische wie
1) a. a. O., S. 5.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 4
Schon aus dieſem kurzen Ueberblick erſieht man, wie charak- teriſtiſch eigenthümlich das Judendeutſch und wie wenig man be- rechtigt iſt, es mit Jargon, Patois, Jdiom, Dialekt oder Mund- art zu bezeichnen, obſchon das Judendeutſch eine durchaus deutſch- ſprachliche Erſcheinung iſt, welche man auf keinem andern Sprachboden findet. Jn dieſer Beziehung macht ſchon Chry- ſander 1) eine intereſſante Bemerkung. „Es kann“, ſagt er, „die Frage aufgeworfen werden, ob es auch Jüdiſch-Portugiſiſch, Jüdiſch-Spaniſch, Jüdiſch-Franzöſiſch, Jüdiſch-Jtaliäniſch u. ſ. w. gebe, und ob es überall von den Juden in allen Ländern wahr ſey, was R. Leo Mutinenſis in ſeinem Jtaliäniſchen Buch von denen Ceremonien der heutigen Juden P. II, B. 1, §. 2, p. 55 (nach der lateiniſchen Ueberſetzung J. V. Großgebauer’s, Frankfurt 1692) ſchreibt: Plebs satis habet, linguae vernaculae, cui assueta est, non nulla vocabula Hebraica injicere, daß ſie die Landes- Sprachen mit dem Hebräiſchen vermengen? Wenn z. E. ein Teutſcher Jude ſpricht: Mit ahn Amhorez hob ich kähn koved mefalpl zu ſeih, ob an deſſen Statt ein Engliſcher Jude ſagt: With a Amhorez i have not koved to bee mefalpl, und ein Franzöſiſcher: Avec un Amhorez je n’ai point de koved d’être mefalpl. So iſt hier auch die Frage zu beantworten, ob die Juden in allen Landen ebenfalls die Anhängſel, womit die hebräiſchen Wörter im Juden-Teutſchen geendigt werden, aus der- jenigen Sprache hernehmen, die da, wo die Juden wohnen, im Schwange iſt? Ob z. E. anſtatt daß der Teutſche Jude ſagt, ſich ſchmadden laſſen, der London’ſche ſpreche: far (?) schmaddarsi (?); der Franzoſe: Se faire schmadder, der Jtaliäniſche: farsi schmaddiare? Jch kann ſolches nicht behaupten. Sondern, laut denen Nachrichten derer, die weit gereiſet ſind, wird von ihnen mit der Teutſchen Sprache nur eine ſolche Vermiſchung gemacht.“
Charakteriſtiſch dazu für die auch in der ſeltſamen jüdiſch- deutſchen Sprachmiſchung gleichmäßig hervortretende jüdiſche wie
1) a. a. O., S. 5.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 4
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art zu bezeichnen, obſchon das Judendeutſch eine durchaus deutſch-
ſprachliche Erſcheinung iſt, welche man auf keinem andern
Sprachboden findet. Jn dieſer Beziehung macht ſchon Chry-
ſander 1) eine intereſſante Bemerkung. „Es kann“, ſagt er, „die
Frage aufgeworfen werden, ob es auch Jüdiſch-Portugiſiſch,
Jüdiſch-Spaniſch, Jüdiſch-Franzöſiſch, Jüdiſch-Jtaliäniſch u. ſ. w.
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(nach der lateiniſchen Ueberſetzung J. V. Großgebauer’s, Frankfurt
1692) ſchreibt: Plebs satis habet, linguae vernaculae, cui assueta
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Teutſcher Jude ſpricht: Mit ahn Amhorez hob ich kähn koved
mefalpl zu ſeih, ob an deſſen Statt ein Engliſcher Jude ſagt:
With a Amhorez i have not koved to bee mefalpl, und
ein Franzöſiſcher: Avec un Amhorez je n’ai point de koved
d’être mefalpl. So iſt hier auch die Frage zu beantworten, ob
die Juden in allen Landen ebenfalls die Anhängſel, womit die
hebräiſchen Wörter im Juden-Teutſchen geendigt werden, aus der-
jenigen Sprache hernehmen, die da, wo die Juden wohnen, im
Schwange iſt? Ob z. E. anſtatt daß der Teutſche Jude ſagt, ſich
ſchmadden laſſen, der London’ſche ſpreche: far (?) schmaddarsi
(?); der Franzoſe: Se faire schmadder, der Jtaliäniſche: farsi
schmaddiare? Jch kann ſolches nicht behaupten. Sondern, laut
denen Nachrichten derer, die weit gereiſet ſind, wird von ihnen mit
der Teutſchen Sprache nur eine ſolche Vermiſchung gemacht.“
Charakteriſtiſch dazu für die auch in der ſeltſamen jüdiſch-
deutſchen Sprachmiſchung gleichmäßig hervortretende jüdiſche wie
1) a. a. O., S. 5.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 4
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/83>, abgerufen am 24.11.2024.
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