eine Vorliebe für die Bildung von Deminutiven, besonders durch die angehängte Silbe [fremdsprachliches Material], che, unser hochdeutsches chen, nieder- deutsch ken. Doch hat, wie im Niederdeutschen 1) das ken, dies jüdischdeutsche che weniger den schmeichelnden, liebkosenden Cha- rakter des hochdeutschen chen, sondern bezeichnet höchstens nur das Kleine überhaupt, z. B.: [fremdsprachliches Material], Mokom, Ort, [fremdsprachliches Material], Mo- komche, kleiner Ort; [fremdsprachliches Material], Bsule, die Jungfrau, [fremdsprachliches Material], Bsulche, ein kleines Mädchen; [fremdsprachliches Material], Schickse, ein Christenmädchen, [fremdsprachliches Material], Schickseche, ein kleines Mädchen. Bei manchen Substantiven findet man die Endung lich, z. B.: Perlich, Maidlich, Fingerlich, Kinderlich, Knäblich, Söhnlich. Höchst eigenthümlich findet man diese Endungen niemals im Singular, sondern stets nur als Plural, und zwar von Substantiven, welche auf [fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material] enden, sodaß hier ein gewissermaßen specifisch jüdischdeutscher Plural indicirt ist, z. B. [fremdsprachliches Material], Perlche, Pl. [fremdsprachliches Material], Perlich; [fremdsprachliches Material], Maidle, Pl. [fremdsprachliches Material], Maidlich u. s. w. Weniger häufig ist die Deminutivendung [fremdsprachliches Material], lein, obschon es in dem berühmten Passachabendliede, [fremdsprachliches Material], chad- gadje, zum Ueberfluß häufig vorkommt, z. B.: [fremdsprachliches Material], Zicklein; [fremdsprachliches Material], Väterlein; [fremdsprachliches Material], Kätzlein; [fremdsprachliches Material], Hündlein; [fremdsprachliches Material], Stecklein; [fremdsprachliches Material], Feuerlein; [fremdsprachliches Material], Wasserlein.
So außerordentlich reich der Wortvorrath der jüdischdeutschen Sprache ist, so arm ist sie an Ausdrücken, welche man durchaus specifisch judendeutsch nennen dürfte. Jn der ganzen Entstehung und Wesenheit der jüdischdeutschen Sprache als einer nicht natür- lich gewordenen, sondern künstlich gebildeten Sprache liegt der Grund, warum fast alle jüdischdeutschen Ausdrücke auf eine be- stimmte vorhandene Sprache zurückgeführt werden können, aus welcher sie entlehnt sind. Schon im Liber Vagatorum tritt das
1) Vgl. J. Wiggers, "Grammatik der plattdeutschen Sprache. Jn Grund- lage der Mecklenburgisch-Vorpommerschen Mundart" (zweite Auflage, Ham- burg 1858), S. 96. Zu bedauern ist, daß diese treffliche, mit Geist und Kennt- niß geschriebene Grammatik sich, wie schon erwähnt, allzusehr in das Mundartige verliert und Wiggers nur die specifisch mecklenburgisch-vorpommersche Mundart seiner Grammatik zu Grunde gelegt und die trefflichen Bemerkungen des alten wackern Hamburgers Richey ganz außer Acht gelassen hat.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 26
eine Vorliebe für die Bildung von Deminutiven, beſonders durch die angehängte Silbe [fremdsprachliches Material], che, unſer hochdeutſches chen, nieder- deutſch ken. Doch hat, wie im Niederdeutſchen 1) das ken, dies jüdiſchdeutſche che weniger den ſchmeichelnden, liebkoſenden Cha- rakter des hochdeutſchen chen, ſondern bezeichnet höchſtens nur das Kleine überhaupt, z. B.: [fremdsprachliches Material], Mokom, Ort, [fremdsprachliches Material], Mo- komche, kleiner Ort; [fremdsprachliches Material], Bſule, die Jungfrau, [fremdsprachliches Material], Bſulche, ein kleines Mädchen; [fremdsprachliches Material], Schickſe, ein Chriſtenmädchen, [fremdsprachliches Material], Schickſeche, ein kleines Mädchen. Bei manchen Subſtantiven findet man die Endung lich, z. B.: Perlich, Maidlich, Fingerlich, Kinderlich, Knäblich, Söhnlich. Höchſt eigenthümlich findet man dieſe Endungen niemals im Singular, ſondern ſtets nur als Plural, und zwar von Subſtantiven, welche auf [fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material] enden, ſodaß hier ein gewiſſermaßen ſpecifiſch jüdiſchdeutſcher Plural indicirt iſt, z. B. [fremdsprachliches Material], Perlche, Pl. [fremdsprachliches Material], Perlich; [fremdsprachliches Material], Maidle, Pl. [fremdsprachliches Material], Maidlich u. ſ. w. Weniger häufig iſt die Deminutivendung [fremdsprachliches Material], lein, obſchon es in dem berühmten Paſſachabendliede, [fremdsprachliches Material], chad- gadje, zum Ueberfluß häufig vorkommt, z. B.: [fremdsprachliches Material], Zicklein; [fremdsprachliches Material], Väterlein; [fremdsprachliches Material], Kätzlein; [fremdsprachliches Material], Hündlein; [fremdsprachliches Material], Stecklein; [fremdsprachliches Material], Feuerlein; [fremdsprachliches Material], Waſſerlein.
So außerordentlich reich der Wortvorrath der jüdiſchdeutſchen Sprache iſt, ſo arm iſt ſie an Ausdrücken, welche man durchaus ſpecifiſch judendeutſch nennen dürfte. Jn der ganzen Entſtehung und Weſenheit der jüdiſchdeutſchen Sprache als einer nicht natür- lich gewordenen, ſondern künſtlich gebildeten Sprache liegt der Grund, warum faſt alle jüdiſchdeutſchen Ausdrücke auf eine be- ſtimmte vorhandene Sprache zurückgeführt werden können, aus welcher ſie entlehnt ſind. Schon im Liber Vagatorum tritt das
1) Vgl. J. Wiggers, „Grammatik der plattdeutſchen Sprache. Jn Grund- lage der Mecklenburgiſch-Vorpommerſchen Mundart“ (zweite Auflage, Ham- burg 1858), S. 96. Zu bedauern iſt, daß dieſe treffliche, mit Geiſt und Kennt- niß geſchriebene Grammatik ſich, wie ſchon erwähnt, allzuſehr in das Mundartige verliert und Wiggers nur die ſpecifiſch mecklenburgiſch-vorpommerſche Mundart ſeiner Grammatik zu Grunde gelegt und die trefflichen Bemerkungen des alten wackern Hamburgers Richey ganz außer Acht gelaſſen hat.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 26
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Kinderlich, Knäblich, Söhnlich. Höchſt eigenthümlich findet man
dieſe Endungen niemals im Singular, ſondern ſtets nur als Plural,
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z. B. _ , Perlche, Pl. _ , Perlich; _ , Maidle, Pl. _ ,
Maidlich u. ſ. w. Weniger häufig iſt die Deminutivendung _ ,
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gadje, zum Ueberfluß häufig vorkommt, z. B.: _ , Zicklein; _ ,
Väterlein; _ , Kätzlein; _ , Hündlein; _ , Stecklein;
_ , Feuerlein; _ , Waſſerlein.
So außerordentlich reich der Wortvorrath der jüdiſchdeutſchen
Sprache iſt, ſo arm iſt ſie an Ausdrücken, welche man durchaus
ſpecifiſch judendeutſch nennen dürfte. Jn der ganzen Entſtehung
und Weſenheit der jüdiſchdeutſchen Sprache als einer nicht natür-
lich gewordenen, ſondern künſtlich gebildeten Sprache liegt der
Grund, warum faſt alle jüdiſchdeutſchen Ausdrücke auf eine be-
ſtimmte vorhandene Sprache zurückgeführt werden können, aus
welcher ſie entlehnt ſind. Schon im Liber Vagatorum tritt das
1) Vgl. J. Wiggers, „Grammatik der plattdeutſchen Sprache. Jn Grund-
lage der Mecklenburgiſch-Vorpommerſchen Mundart“ (zweite Auflage, Ham-
burg 1858), S. 96. Zu bedauern iſt, daß dieſe treffliche, mit Geiſt und Kennt-
niß geſchriebene Grammatik ſich, wie ſchon erwähnt, allzuſehr in das Mundartige
verliert und Wiggers nur die ſpecifiſch mecklenburgiſch-vorpommerſche Mundart
ſeiner Grammatik zu Grunde gelegt und die trefflichen Bemerkungen des alten
wackern Hamburgers Richey ganz außer Acht gelaſſen hat.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/435>, abgerufen am 21.05.2024.
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