That beispiellose Entartung und Verworfenheit des Klerus. An- dere einzelne Züge sind bereits Th. II, S. 46 angeführt worden. Mehr soll noch zu anderer Zeit und Gelegenheit gesagt werden, wenn es möglich sein wird, ein ausführliches Werk über diese vielhundertjährige Krisis der christlichen Sitte zu schreiben, in wel- cher unsere bis zur Todmüdigkeit erschöpfte Zeit noch immer liegt. Nur von der absoluten Gewalt der Prostitution und dem Beginn dieser Gewalt kann hier noch die Rede sein, um den Geist der Prostitution und ihrer Sprache zu würdigen.
Wenn man vorzüglich im Cölibat den Vater und Förderer der Prostitution zu erkennen hat, so muß man doch auch erstaunen, wie tief dieselbe mit dem Gaunerthum zu einer furchtbaren Lebens- gemeinschaft sich verband und mit welcher dämonischen Gewalt sie ihre Herrschaft gerade über den Klerus zu üben vermochte. Nicht etwa die vom Gesetz ausnahmsweise begünstigten coquae oder Concubinen oder die im geheimen Versteck der Klöster und Städte verborgenen Buhlerinnen hatten die Oberherrschaft der Prostitution: es waren vorzüglich die fahrenden Töchter oder fahrenden Frauen, diese weiblichen Landsknechte der Prostitution, deren ver- worfenes, ränkevolles Treiben der Liber Vagatorum offen darlegt, welche, überall willkommen, von Kloster zu Kloster, von Stadt zu Stadt, von Markt zu Markt, auf Hochschulen und Kirchenver- sammlungen zogen, wie denn zu Kostnitz anderthalb tausend zur Lust der versammelten Kirchenfürsten herangezogen kamen und un- geheuere Summen verdienten. 1) Aber wenn diese gemeinen Töch- ter eben Töchter des Volkes waren, so war darum doch nicht das ganze Volk selbst verführt und verdorben, sondern nur der aus dem Volke durch die Verführung geschiedene und vom Volke selbst neben dem Verführer verachtete Theil. Denn wenn auch das in dumpfer Unwissenheit und tiefem Aberglauben befangene Volk un- ablässig, wie zum Hohne, von der Geistlichkeit zur Unterdrückung
derungen von G. Freitag stellen die Contraste zwischen der Versunkenheit und der glücklich bewahrten christlichen Zucht und Sitte in treffenden Zügen dar.
1) Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, und S. 51.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 11
That beiſpielloſe Entartung und Verworfenheit des Klerus. An- dere einzelne Züge ſind bereits Th. II, S. 46 angeführt worden. Mehr ſoll noch zu anderer Zeit und Gelegenheit geſagt werden, wenn es möglich ſein wird, ein ausführliches Werk über dieſe vielhundertjährige Kriſis der chriſtlichen Sitte zu ſchreiben, in wel- cher unſere bis zur Todmüdigkeit erſchöpfte Zeit noch immer liegt. Nur von der abſoluten Gewalt der Proſtitution und dem Beginn dieſer Gewalt kann hier noch die Rede ſein, um den Geiſt der Proſtitution und ihrer Sprache zu würdigen.
Wenn man vorzüglich im Cölibat den Vater und Förderer der Proſtitution zu erkennen hat, ſo muß man doch auch erſtaunen, wie tief dieſelbe mit dem Gaunerthum zu einer furchtbaren Lebens- gemeinſchaft ſich verband und mit welcher dämoniſchen Gewalt ſie ihre Herrſchaft gerade über den Klerus zu üben vermochte. Nicht etwa die vom Geſetz ausnahmsweiſe begünſtigten coquae oder Concubinen oder die im geheimen Verſteck der Klöſter und Städte verborgenen Buhlerinnen hatten die Oberherrſchaft der Proſtitution: es waren vorzüglich die fahrenden Töchter oder fahrenden Frauen, dieſe weiblichen Landsknechte der Proſtitution, deren ver- worfenes, ränkevolles Treiben der Liber Vagatorum offen darlegt, welche, überall willkommen, von Kloſter zu Kloſter, von Stadt zu Stadt, von Markt zu Markt, auf Hochſchulen und Kirchenver- ſammlungen zogen, wie denn zu Koſtnitz anderthalb tauſend zur Luſt der verſammelten Kirchenfürſten herangezogen kamen und un- geheuere Summen verdienten. 1) Aber wenn dieſe gemeinen Töch- ter eben Töchter des Volkes waren, ſo war darum doch nicht das ganze Volk ſelbſt verführt und verdorben, ſondern nur der aus dem Volke durch die Verführung geſchiedene und vom Volke ſelbſt neben dem Verführer verachtete Theil. Denn wenn auch das in dumpfer Unwiſſenheit und tiefem Aberglauben befangene Volk un- abläſſig, wie zum Hohne, von der Geiſtlichkeit zur Unterdrückung
derungen von G. Freitag ſtellen die Contraſte zwiſchen der Verſunkenheit und der glücklich bewahrten chriſtlichen Zucht und Sitte in treffenden Zügen dar.
1) Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, und S. 51.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 11
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That beiſpielloſe Entartung und Verworfenheit des Klerus. An-
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Mehr ſoll noch zu anderer Zeit und Gelegenheit geſagt werden,
wenn es möglich ſein wird, ein ausführliches Werk über dieſe
vielhundertjährige Kriſis der chriſtlichen Sitte zu ſchreiben, in wel-
cher unſere bis zur Todmüdigkeit erſchöpfte Zeit noch immer liegt.
Nur von der abſoluten Gewalt der Proſtitution und dem Beginn
dieſer Gewalt kann hier noch die Rede ſein, um den Geiſt der
Proſtitution und ihrer Sprache zu würdigen.
Wenn man vorzüglich im Cölibat den Vater und Förderer
der Proſtitution zu erkennen hat, ſo muß man doch auch erſtaunen,
wie tief dieſelbe mit dem Gaunerthum zu einer furchtbaren Lebens-
gemeinſchaft ſich verband und mit welcher dämoniſchen Gewalt ſie
ihre Herrſchaft gerade über den Klerus zu üben vermochte. Nicht
etwa die vom Geſetz ausnahmsweiſe begünſtigten coquae oder
Concubinen oder die im geheimen Verſteck der Klöſter und Städte
verborgenen Buhlerinnen hatten die Oberherrſchaft der Proſtitution:
es waren vorzüglich die fahrenden Töchter oder fahrenden
Frauen, dieſe weiblichen Landsknechte der Proſtitution, deren ver-
worfenes, ränkevolles Treiben der Liber Vagatorum offen darlegt,
welche, überall willkommen, von Kloſter zu Kloſter, von Stadt zu
Stadt, von Markt zu Markt, auf Hochſchulen und Kirchenver-
ſammlungen zogen, wie denn zu Koſtnitz anderthalb tauſend zur
Luſt der verſammelten Kirchenfürſten herangezogen kamen und un-
geheuere Summen verdienten. 1) Aber wenn dieſe gemeinen Töch-
ter eben Töchter des Volkes waren, ſo war darum doch nicht das
ganze Volk ſelbſt verführt und verdorben, ſondern nur der aus
dem Volke durch die Verführung geſchiedene und vom Volke ſelbſt
neben dem Verführer verachtete Theil. Denn wenn auch das in
dumpfer Unwiſſenheit und tiefem Aberglauben befangene Volk un-
abläſſig, wie zum Hohne, von der Geiſtlichkeit zur Unterdrückung
2)
1) Vgl. Th. I, S. 46, Note 3, und S. 51.
2) derungen von G. Freitag ſtellen die Contraſte zwiſchen der Verſunkenheit und
der glücklich bewahrten chriſtlichen Zucht und Sitte in treffenden Zügen dar.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 11
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/195>, abgerufen am 25.11.2024.
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