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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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heit von der göttlichen Weisheit mit der Geburt gegebenen sitt-
lichen Forderung zu behaupten. Das Mönchsthum selbst sprach
diesem unnatürlichen Dogma den bittersten Hohn. Während die
weltliche Gesetzgebung mit sorgfältiger Strenge das Weib vor der
rohen Sinnlichkeit des Mannes beschützte und Raub und Gewalt
gegen das Weib mit den schwersten Strafen ahndete, findet man
gerade in der Gesetzgebung für die durch Reichthum, Müßiggang
und Völlerei verdorbene Geistlichkeit Bestimmungen, welche auf die
tiefste sittliche Versunkenheit des Klerus deuten, wie z. B. Kap. 25
des "Poenitentiale" von Hrabanus Magnentius Maurus (+
856) de his, qui inter se fornicantur, et de his, qui semen
virorum suorum pro libidine cibo vel potui miscent!
Mag
man die scheußlichen Unnatürlichkeiten, welche Boccaccio im "De-
camerone
", I, 2, erwähnt, für Dichtung einer wollüstig erhitzten
Phantasie halten, so haben doch die schweren Klagen und furcht-
baren Schilderungen würdiger geistlicher Schriftsteller damaliger
Zeit nur zu großen Anspruch auf volle Glaubwürdigkeit. Wieweit
aber bei diesem Treiben der Geistlichkeit die Entartung weiblicher
Geschöpfe ging, erzählt am unverfänglichsten der 1244 zu Rom
als Cardinal gestorbene Jacobus de Vitriaco (Vitrejo) 1), daß näm-
lich die scheußlichen Verbrechen der Päderastie und Sodomie zu
seiner Zeit so arg und öffentlich vom Klerus in Paris getrieben
worden seien, daß die frei und öffentlich in den Straßen auf den
Strich gehenden Dirnen die von ihnen angefallenen Geistlichen
"Sodomit" schimpften, sobald diese es verschmähten, mit ihnen in
ihre Wohnungen zu gehen, und daß diejenigen Geistlichen, welche
diesen Dirnen gefolgt seien oder sich Concubinen gehalten hätten,
für tugendhaft galten. Solche Züge der unerhörtesten Brutalität
werden überall von Schriftstellern des Mittelalters mit grausiger
Uebereinstimmung erzählt. 2) Sie documentiren alle eine in der

1) "Historiae occidentalis libri duo, quorum prior orientalis, alter
occidentalis inscribitur
" (Douai 1597), L. II, c. 7.
2) Vgl. die vielen Quellen bei Hüllmann, "Städtewesen", IV, 259--272;
G. Klemm, "Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit", IX, 171 fg.; Wäch-
ter, "Abhandlungen aus dem Strafrecht", I, 162. Auch die trefflichen Schil-

heit von der göttlichen Weisheit mit der Geburt gegebenen ſitt-
lichen Forderung zu behaupten. Das Mönchsthum ſelbſt ſprach
dieſem unnatürlichen Dogma den bitterſten Hohn. Während die
weltliche Geſetzgebung mit ſorgfältiger Strenge das Weib vor der
rohen Sinnlichkeit des Mannes beſchützte und Raub und Gewalt
gegen das Weib mit den ſchwerſten Strafen ahndete, findet man
gerade in der Geſetzgebung für die durch Reichthum, Müßiggang
und Völlerei verdorbene Geiſtlichkeit Beſtimmungen, welche auf die
tiefſte ſittliche Verſunkenheit des Klerus deuten, wie z. B. Kap. 25
des „Poenitentiale“ von Hrabanus Magnentius Maurus (†
856) de his, qui inter se fornicantur, et de his, qui semen
virorum suorum pro libidine cibo vel potui miscent!
Mag
man die ſcheußlichen Unnatürlichkeiten, welche Boccaccio im „De-
camerone
“, I, 2, erwähnt, für Dichtung einer wollüſtig erhitzten
Phantaſie halten, ſo haben doch die ſchweren Klagen und furcht-
baren Schilderungen würdiger geiſtlicher Schriftſteller damaliger
Zeit nur zu großen Anſpruch auf volle Glaubwürdigkeit. Wieweit
aber bei dieſem Treiben der Geiſtlichkeit die Entartung weiblicher
Geſchöpfe ging, erzählt am unverfänglichſten der 1244 zu Rom
als Cardinal geſtorbene Jacobus de Vitriaco (Vitrejo) 1), daß näm-
lich die ſcheußlichen Verbrechen der Päderaſtie und Sodomie zu
ſeiner Zeit ſo arg und öffentlich vom Klerus in Paris getrieben
worden ſeien, daß die frei und öffentlich in den Straßen auf den
Strich gehenden Dirnen die von ihnen angefallenen Geiſtlichen
„Sodomit“ ſchimpften, ſobald dieſe es verſchmähten, mit ihnen in
ihre Wohnungen zu gehen, und daß diejenigen Geiſtlichen, welche
dieſen Dirnen gefolgt ſeien oder ſich Concubinen gehalten hätten,
für tugendhaft galten. Solche Züge der unerhörteſten Brutalität
werden überall von Schriftſtellern des Mittelalters mit grauſiger
Uebereinſtimmung erzählt. 2) Sie documentiren alle eine in der

1)Historiae occidentalis libri duo, quorum prior orientalis, alter
occidentalis inscribitur
“ (Douai 1597), L. II, c. 7.
2) Vgl. die vielen Quellen bei Hüllmann, „Städteweſen“, IV, 259—272;
G. Klemm, „Allgemeine Culturgeſchichte der Menſchheit“, IX, 171 fg.; Wäch-
ter, „Abhandlungen aus dem Strafrecht“, I, 162. Auch die trefflichen Schil-
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[160/0194] heit von der göttlichen Weisheit mit der Geburt gegebenen ſitt- lichen Forderung zu behaupten. Das Mönchsthum ſelbſt ſprach dieſem unnatürlichen Dogma den bitterſten Hohn. Während die weltliche Geſetzgebung mit ſorgfältiger Strenge das Weib vor der rohen Sinnlichkeit des Mannes beſchützte und Raub und Gewalt gegen das Weib mit den ſchwerſten Strafen ahndete, findet man gerade in der Geſetzgebung für die durch Reichthum, Müßiggang und Völlerei verdorbene Geiſtlichkeit Beſtimmungen, welche auf die tiefſte ſittliche Verſunkenheit des Klerus deuten, wie z. B. Kap. 25 des „Poenitentiale“ von Hrabanus Magnentius Maurus († 856) de his, qui inter se fornicantur, et de his, qui semen virorum suorum pro libidine cibo vel potui miscent! Mag man die ſcheußlichen Unnatürlichkeiten, welche Boccaccio im „De- camerone“, I, 2, erwähnt, für Dichtung einer wollüſtig erhitzten Phantaſie halten, ſo haben doch die ſchweren Klagen und furcht- baren Schilderungen würdiger geiſtlicher Schriftſteller damaliger Zeit nur zu großen Anſpruch auf volle Glaubwürdigkeit. Wieweit aber bei dieſem Treiben der Geiſtlichkeit die Entartung weiblicher Geſchöpfe ging, erzählt am unverfänglichſten der 1244 zu Rom als Cardinal geſtorbene Jacobus de Vitriaco (Vitrejo) 1), daß näm- lich die ſcheußlichen Verbrechen der Päderaſtie und Sodomie zu ſeiner Zeit ſo arg und öffentlich vom Klerus in Paris getrieben worden ſeien, daß die frei und öffentlich in den Straßen auf den Strich gehenden Dirnen die von ihnen angefallenen Geiſtlichen „Sodomit“ ſchimpften, ſobald dieſe es verſchmähten, mit ihnen in ihre Wohnungen zu gehen, und daß diejenigen Geiſtlichen, welche dieſen Dirnen gefolgt ſeien oder ſich Concubinen gehalten hätten, für tugendhaft galten. Solche Züge der unerhörteſten Brutalität werden überall von Schriftſtellern des Mittelalters mit grauſiger Uebereinſtimmung erzählt. 2) Sie documentiren alle eine in der 1) „Historiae occidentalis libri duo, quorum prior orientalis, alter occidentalis inscribitur“ (Douai 1597), L. II, c. 7. 2) Vgl. die vielen Quellen bei Hüllmann, „Städteweſen“, IV, 259—272; G. Klemm, „Allgemeine Culturgeſchichte der Menſchheit“, IX, 171 fg.; Wäch- ter, „Abhandlungen aus dem Strafrecht“, I, 162. Auch die trefflichen Schil-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/194>, abgerufen am 25.11.2024.