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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Beherrschung und Ausbeutung des Bauernstandes griff das Gau-
nerthum um so lieber nach jener sogenannten Bauernsprache, je
mehr die verschränkte, abgeschmackte Wortbildung dem wirklichen
bürgerlichen Verkehr und seiner Sprache fremd blieb und je mehr
fremdartige und entstellte Wörter jene nur in Büchern lebende
Bauernsprache aufzuweisen hatte. So hat die Gaunersprache zum
Hohn und Spott auch aus der Bauernsprache eine Menge Aus-
drücke aufgenommen und diese selbst weiter cultivirt. Ja sogar die
jüdischdeutsche Sprache hat manche bauernsprachliche Ausdrücke
förmlich recipirt, so sehr sie selbst durchaus Volkssprache war und
so wenig die Bauernsprache je in das Volk dringen konnte.

Von dieser in sprachlicher Hinsicht wenig oder gar nicht er-
heblichen, aber reichhaltigen Literatur ist eigentlich nichts Wichtiges
mehr zu sagen, als daß sie die spätere, noch geistlosere fade Com-
plimentirbücherliteratur provocirt hat, mit welcher müßige Schrift-
stellerei und eifrige buchhändlerische Speculation blöden Comtoiri-
sten und höher strebenden Handwerksgesellen vollauf Worte an die
Hand gibt, wo Haus und Erziehung und das Bewußtsein der
eigenen innern Geltung defectiv geblieben ist, um aller Welt zu
gefallen. Eins der besten Bücher aus der Bauernsprachliteratur
ist der seltene, wol auch später als 1553 gedruckte "Grobianus,
von groben Sitten und unhöflichen Geberden. Erstmals in Latein
beschrieben durch den wohlgelehrten M. F. Dedekindium und
jetzund verdeutscht durch E. Scheidt von Worms." Die Wohlan-
ständigen Sittenregeln, S. 6--98, sind voll treffender Jronie und
Satire. Desto platter und witzloser ist aber das Kritische Bauern-
wörterbuch, S. 99--272. Ein Plagiat davon ist das "Curiöse
Bauernlexikon" von Belemnon (Freystatt 1728). Bedeutender ist
"L. Tölpels ganz funkel-nagelneue Bauernmoral" (Kamtschatka
1752).



Beherrſchung und Ausbeutung des Bauernſtandes griff das Gau-
nerthum um ſo lieber nach jener ſogenannten Bauernſprache, je
mehr die verſchränkte, abgeſchmackte Wortbildung dem wirklichen
bürgerlichen Verkehr und ſeiner Sprache fremd blieb und je mehr
fremdartige und entſtellte Wörter jene nur in Büchern lebende
Bauernſprache aufzuweiſen hatte. So hat die Gaunerſprache zum
Hohn und Spott auch aus der Bauernſprache eine Menge Aus-
drücke aufgenommen und dieſe ſelbſt weiter cultivirt. Ja ſogar die
jüdiſchdeutſche Sprache hat manche bauernſprachliche Ausdrücke
förmlich recipirt, ſo ſehr ſie ſelbſt durchaus Volksſprache war und
ſo wenig die Bauernſprache je in das Volk dringen konnte.

Von dieſer in ſprachlicher Hinſicht wenig oder gar nicht er-
heblichen, aber reichhaltigen Literatur iſt eigentlich nichts Wichtiges
mehr zu ſagen, als daß ſie die ſpätere, noch geiſtloſere fade Com-
plimentirbücherliteratur provocirt hat, mit welcher müßige Schrift-
ſtellerei und eifrige buchhändleriſche Speculation blöden Comtoiri-
ſten und höher ſtrebenden Handwerksgeſellen vollauf Worte an die
Hand gibt, wo Haus und Erziehung und das Bewußtſein der
eigenen innern Geltung defectiv geblieben iſt, um aller Welt zu
gefallen. Eins der beſten Bücher aus der Bauernſprachliteratur
iſt der ſeltene, wol auch ſpäter als 1553 gedruckte „Grobianus,
von groben Sitten und unhöflichen Geberden. Erſtmals in Latein
beſchrieben durch den wohlgelehrten M. F. Dedekindium und
jetzund verdeutſcht durch E. Scheidt von Worms.“ Die Wohlan-
ſtändigen Sittenregeln, S. 6—98, ſind voll treffender Jronie und
Satire. Deſto platter und witzloſer iſt aber das Kritiſche Bauern-
wörterbuch, S. 99—272. Ein Plagiat davon iſt das „Curiöſe
Bauernlexikon“ von Belemnon (Freyſtatt 1728). Bedeutender iſt
„L. Tölpels ganz funkel-nagelneue Bauernmoral“ (Kamtſchatka
1752).



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[104/0138] Beherrſchung und Ausbeutung des Bauernſtandes griff das Gau- nerthum um ſo lieber nach jener ſogenannten Bauernſprache, je mehr die verſchränkte, abgeſchmackte Wortbildung dem wirklichen bürgerlichen Verkehr und ſeiner Sprache fremd blieb und je mehr fremdartige und entſtellte Wörter jene nur in Büchern lebende Bauernſprache aufzuweiſen hatte. So hat die Gaunerſprache zum Hohn und Spott auch aus der Bauernſprache eine Menge Aus- drücke aufgenommen und dieſe ſelbſt weiter cultivirt. Ja ſogar die jüdiſchdeutſche Sprache hat manche bauernſprachliche Ausdrücke förmlich recipirt, ſo ſehr ſie ſelbſt durchaus Volksſprache war und ſo wenig die Bauernſprache je in das Volk dringen konnte. Von dieſer in ſprachlicher Hinſicht wenig oder gar nicht er- heblichen, aber reichhaltigen Literatur iſt eigentlich nichts Wichtiges mehr zu ſagen, als daß ſie die ſpätere, noch geiſtloſere fade Com- plimentirbücherliteratur provocirt hat, mit welcher müßige Schrift- ſtellerei und eifrige buchhändleriſche Speculation blöden Comtoiri- ſten und höher ſtrebenden Handwerksgeſellen vollauf Worte an die Hand gibt, wo Haus und Erziehung und das Bewußtſein der eigenen innern Geltung defectiv geblieben iſt, um aller Welt zu gefallen. Eins der beſten Bücher aus der Bauernſprachliteratur iſt der ſeltene, wol auch ſpäter als 1553 gedruckte „Grobianus, von groben Sitten und unhöflichen Geberden. Erſtmals in Latein beſchrieben durch den wohlgelehrten M. F. Dedekindium und jetzund verdeutſcht durch E. Scheidt von Worms.“ Die Wohlan- ſtändigen Sittenregeln, S. 6—98, ſind voll treffender Jronie und Satire. Deſto platter und witzloſer iſt aber das Kritiſche Bauern- wörterbuch, S. 99—272. Ein Plagiat davon iſt das „Curiöſe Bauernlexikon“ von Belemnon (Freyſtatt 1728). Bedeutender iſt „L. Tölpels ganz funkel-nagelneue Bauernmoral“ (Kamtſchatka 1752).

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/138>, abgerufen am 24.11.2024.