Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.Untersuchung, I, 113, angeführte Beispiel, daß sogar der Bürger- Siebenundzwanzigstes Kapitel. f) Das Kasspern. Das Kasspern, die Kassperei, von [fremdsprachliches Material - fehlt] (kosaw), jemand 1) Wie kann man über den sittlichen Verfall im christlichen Deutschland
sich noch wundern, wenn der Eid als handwerksmäßiges Beweismittel von Advocaten und Richtern in fast jedem Civilproceß gebraucht und, höchstens nur nach einer mechanisch von Actuar hergelesenen Verwarnung vor Meineid, ge- leistet, und so wenig oder gar nichts von demselben Gerichte, das doch auch den Meineid als schweres Verbrechen bestraft, gethan wird, um die Erhaben- heit und Heiligkeit der eidlichen Versicherung dem leichtsinnigen oder rohen Zeugen recht einleuchtend zu machen und einer gottesdienstlichen Feierlichkeit zu nähern. Wie wenig wird bei der oft massenhaften gleichzeitigen Beeidigung einer Menge Zeugen die concrete Jndividualität und die Möglichkeit ihres Verfalls in tiefen Aberglauben berücksichtigt, der eine Menge gottloser Mittel an die Hand gibt, selbst den wissentlichen Meineid für das Gewissen ohne störenden Einfluß zu belassen. Wie feierlich und würdig ist dagegen die Förmlich- keit bei Ableistung eines Judeneides! Man vergleiche hierzu die Verhandlungen des Thüringer Kirchentags zu Waltershausen vom 20. u. 21. Juli 1857, bei welchen der Kirchenrath Schwarz aus Gotha hervorhob: "daß die Religion nicht im Dienste des Staats stehe, folglich auch nicht der Eid, der nicht in den Händen der Obrigkeit als Untersuchungsmittel sein dürfe". Unterſuchung, I, 113, angeführte Beiſpiel, daß ſogar der Bürger- Siebenundzwanzigſtes Kapitel. f) Das Kaſſpern. Das Kaſſpern, die Kaſſperei, von [fremdsprachliches Material – fehlt] (kosaw), jemand 1) Wie kann man über den ſittlichen Verfall im chriſtlichen Deutſchland
ſich noch wundern, wenn der Eid als handwerksmäßiges Beweismittel von Advocaten und Richtern in faſt jedem Civilproceß gebraucht und, höchſtens nur nach einer mechaniſch von Actuar hergeleſenen Verwarnung vor Meineid, ge- leiſtet, und ſo wenig oder gar nichts von demſelben Gerichte, das doch auch den Meineid als ſchweres Verbrechen beſtraft, gethan wird, um die Erhaben- heit und Heiligkeit der eidlichen Verſicherung dem leichtſinnigen oder rohen Zeugen recht einleuchtend zu machen und einer gottesdienſtlichen Feierlichkeit zu nähern. Wie wenig wird bei der oft maſſenhaften gleichzeitigen Beeidigung einer Menge Zeugen die concrete Jndividualität und die Möglichkeit ihres Verfalls in tiefen Aberglauben berückſichtigt, der eine Menge gottloſer Mittel an die Hand gibt, ſelbſt den wiſſentlichen Meineid für das Gewiſſen ohne ſtörenden Einfluß zu belaſſen. Wie feierlich und würdig iſt dagegen die Förmlich- keit bei Ableiſtung eines Judeneides! Man vergleiche hierzu die Verhandlungen des Thüringer Kirchentags zu Waltershauſen vom 20. u. 21. Juli 1857, bei welchen der Kirchenrath Schwarz aus Gotha hervorhob: „daß die Religion nicht im Dienſte des Staats ſtehe, folglich auch nicht der Eid, der nicht in den Händen der Obrigkeit als Unterſuchungsmittel ſein dürfe“. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0097" n="85"/> Unterſuchung, <hi rendition="#aq">I,</hi> 113, angeführte Beiſpiel, daß ſogar der Bürger-<lb/> meiſter zu Betſche zu Gunſten des Moſes Levi Altenburger be-<lb/> ſchwor, daß er denſelben am 28. Mai 1830, an welchem Tage<lb/> Altenburger einen großen Nachſchlüſſeldiebſtahl zu <hi rendition="#g">Strehlen</hi> be-<lb/> gangen hatte, des Morgens mit einer brennenden Pfeife in<lb/><hi rendition="#g">Betſche</hi> geſehen habe. Gleich überraſchend iſt Thiele’s ſtatitiſche<lb/> Notiz, daß in jener Unterſuchung <hi rendition="#g">achtundzwanzig</hi> ſolcher fal-<lb/> ſcher Zeugen implicirt waren, unter denen ſich nur ein <hi rendition="#g">einziger<lb/> Jude</hi> befand. <note place="foot" n="1)">Wie kann man über den ſittlichen Verfall im chriſtlichen Deutſchland<lb/> ſich noch wundern, wenn der Eid als handwerksmäßiges Beweismittel von<lb/> Advocaten und Richtern in faſt jedem Civilproceß gebraucht und, höchſtens nur<lb/> nach einer mechaniſch von Actuar hergeleſenen Verwarnung vor Meineid, ge-<lb/> leiſtet, und ſo wenig oder gar nichts von demſelben Gerichte, das doch auch<lb/> den Meineid als ſchweres Verbrechen beſtraft, gethan wird, um die Erhaben-<lb/> heit und Heiligkeit der eidlichen Verſicherung dem leichtſinnigen oder rohen<lb/> Zeugen recht einleuchtend zu machen und einer gottesdienſtlichen Feierlichkeit<lb/> zu nähern. Wie wenig wird bei der oft maſſenhaften gleichzeitigen Beeidigung<lb/> einer Menge Zeugen die concrete Jndividualität und die Möglichkeit ihres<lb/> Verfalls in tiefen Aberglauben berückſichtigt, der eine Menge gottloſer Mittel<lb/> an die Hand gibt, ſelbſt den wiſſentlichen Meineid für das Gewiſſen ohne<lb/> ſtörenden Einfluß zu belaſſen. Wie feierlich und würdig iſt dagegen die Förmlich-<lb/> keit bei Ableiſtung eines Judeneides! Man vergleiche hierzu die Verhandlungen<lb/> des Thüringer Kirchentags zu Waltershauſen vom 20. u. 21. Juli 1857, bei<lb/> welchen der Kirchenrath Schwarz aus Gotha hervorhob: „daß die Religion<lb/> nicht im Dienſte des Staats ſtehe, folglich auch nicht der Eid, der nicht in<lb/> den Händen der Obrigkeit als Unterſuchungsmittel ſein dürfe“.</note> Das Maremokum erſcheint ſomit als ein bitteres<lb/> Kriterium unſerer zerfahrenen bürgerlichen und chriſtlich-kirchlichen<lb/> Zuſtände, ſowie nicht minder als ein leicht erklärlicher Ausfluß<lb/> des handwerksmäßigen Gebrauchs des Eides vor den Gerichten.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#fr">Siebenundzwanzigſtes Kapitel.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">f)</hi> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Das Kaſſpern.</hi> </hi> </head><lb/> <p>Das <hi rendition="#g">Kaſſpern,</hi> die Kaſſperei, von <gap reason="fm" unit="words"/> <hi rendition="#aq">(kosaw),</hi> jemand<lb/> belügen, heucheln, täuſchen, durchſtechen, bedeutet jeden geheimen<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0097]
Unterſuchung, I, 113, angeführte Beiſpiel, daß ſogar der Bürger-
meiſter zu Betſche zu Gunſten des Moſes Levi Altenburger be-
ſchwor, daß er denſelben am 28. Mai 1830, an welchem Tage
Altenburger einen großen Nachſchlüſſeldiebſtahl zu Strehlen be-
gangen hatte, des Morgens mit einer brennenden Pfeife in
Betſche geſehen habe. Gleich überraſchend iſt Thiele’s ſtatitiſche
Notiz, daß in jener Unterſuchung achtundzwanzig ſolcher fal-
ſcher Zeugen implicirt waren, unter denen ſich nur ein einziger
Jude befand. 1) Das Maremokum erſcheint ſomit als ein bitteres
Kriterium unſerer zerfahrenen bürgerlichen und chriſtlich-kirchlichen
Zuſtände, ſowie nicht minder als ein leicht erklärlicher Ausfluß
des handwerksmäßigen Gebrauchs des Eides vor den Gerichten.
Siebenundzwanzigſtes Kapitel.
f) Das Kaſſpern.
Das Kaſſpern, die Kaſſperei, von _ (kosaw), jemand
belügen, heucheln, täuſchen, durchſtechen, bedeutet jeden geheimen
1) Wie kann man über den ſittlichen Verfall im chriſtlichen Deutſchland
ſich noch wundern, wenn der Eid als handwerksmäßiges Beweismittel von
Advocaten und Richtern in faſt jedem Civilproceß gebraucht und, höchſtens nur
nach einer mechaniſch von Actuar hergeleſenen Verwarnung vor Meineid, ge-
leiſtet, und ſo wenig oder gar nichts von demſelben Gerichte, das doch auch
den Meineid als ſchweres Verbrechen beſtraft, gethan wird, um die Erhaben-
heit und Heiligkeit der eidlichen Verſicherung dem leichtſinnigen oder rohen
Zeugen recht einleuchtend zu machen und einer gottesdienſtlichen Feierlichkeit
zu nähern. Wie wenig wird bei der oft maſſenhaften gleichzeitigen Beeidigung
einer Menge Zeugen die concrete Jndividualität und die Möglichkeit ihres
Verfalls in tiefen Aberglauben berückſichtigt, der eine Menge gottloſer Mittel
an die Hand gibt, ſelbſt den wiſſentlichen Meineid für das Gewiſſen ohne
ſtörenden Einfluß zu belaſſen. Wie feierlich und würdig iſt dagegen die Förmlich-
keit bei Ableiſtung eines Judeneides! Man vergleiche hierzu die Verhandlungen
des Thüringer Kirchentags zu Waltershauſen vom 20. u. 21. Juli 1857, bei
welchen der Kirchenrath Schwarz aus Gotha hervorhob: „daß die Religion
nicht im Dienſte des Staats ſtehe, folglich auch nicht der Eid, der nicht in
den Händen der Obrigkeit als Unterſuchungsmittel ſein dürfe“.
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