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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Aus der bisherigen Darstellung ergibt sich ferner, daß der
Gauner nur ein Gewerbe, gleichsam als seinen Beruf, treibt.
Von einem Stande, als einer gesonderten social-politischen Abschich-
tung, oder gar von einer gesonderten volksthümlichen Gruppe,
kann nicht die Rede sein. Das Gaunerthum repräsentirt vielmehr
vom verdrängten Thronerben mit dem Stern auf der Brust, vom
verabschiedeten Offizier, vom abgesetzten Geistlichen, vom abge-
brannten Bürger an bis zum elendesten Bettler, das verbrecherische
Proletariat aller Stände, und der fürstliche Stern des verdrängten
Prinzen, das ehrbare bescheidene Aeußere des vertriebenen Geist-
lichen oder verunglückten Bürgers ist ebenso viel Gaunerkunst wie
der versteckte Klamoniß des Makkeners, oder die Lumpen und das
äußere Elend des Bettlers, welchem Lumpen und alles andere
Gepräge des Elends als Handwerksgeräthe zu seinem Fortkommen
dienen. 1) So wenig wie sich aber ein zutreffendes Bild des Pro-

scher, 28 Falschmünzer, 317 Verbreiter falschen Geldes, 323 Betrüger unter
falschen Angaben, 343 Diebshehler, 2768 Gewohnheitsruhestörer, 1235 Land-
streicher, 50 Bettelbriefschreiber, 86 Bettelbriefträger, 6371 liederliche Stra-
ßendirnen und 470 andere nicht klassificirte gefährliche Subjecte. Die Zahl
der Kinder unter den Verbrechern aller Art, sogar schon vom sechsten Jahre
an, ist grauenerregend hoch. Seit etwa zehn Jahren hat England Rettungs-
häuser für fittlich verwahrloste Kinder eingeführt und hat jetzt schon Platz für
15,000 Kinder. Der Werth der bei der londoner Polizei im Jahre 1853 ge-
meldeten Diebstähle beläuft sich auf 53,000 Pf. St. Von den Verbrechern
Englands find 11 Procent unter 17 Jahren, 25 Procent zwischen 17 und
20 Jahren alt.
1) Jn einer Gaunerherberge fand ich einmal spät nachts ein Vaganten-
paar in einem elenden Bette mit Lumpen bedeckt liegen; zu den Füßen einen
in Lappen gehüllten halbverkommenen Säugling. Neben dem Bett auf dem
bloßen Fußboden lagen nebeneinander drei Kinder von 4--7 Jahren, mehr
nackt als mit Lumpen verhüllt und von der kalten Decemberluft und dem zahl-
reichen Ungeziefer, selbst im festen Schlafe, stets in convulsivischer Bewegung
erhalten. Als Neuling tief erschüttert von dem nicht zu schildernden Anblicke
fand ich andern Tags barmherzige Frauen sogleich bereit, die ganze Familie
vollständig und warm zu bekleiden. Zwei Tage später wurde die weiterge-
wiesene Familie wieder eingebracht. Die treffliche Kleidung war verkauft und
die erstarrten Kinder trugen wieder die alten Lumpen als Handwerksgeräthe
zum Fortkommen der ruchlosen Aeltern.
1*

Aus der bisherigen Darſtellung ergibt ſich ferner, daß der
Gauner nur ein Gewerbe, gleichſam als ſeinen Beruf, treibt.
Von einem Stande, als einer geſonderten ſocial-politiſchen Abſchich-
tung, oder gar von einer geſonderten volksthümlichen Gruppe,
kann nicht die Rede ſein. Das Gaunerthum repräſentirt vielmehr
vom verdrängten Thronerben mit dem Stern auf der Bruſt, vom
verabſchiedeten Offizier, vom abgeſetzten Geiſtlichen, vom abge-
brannten Bürger an bis zum elendeſten Bettler, das verbrecheriſche
Proletariat aller Stände, und der fürſtliche Stern des verdrängten
Prinzen, das ehrbare beſcheidene Aeußere des vertriebenen Geiſt-
lichen oder verunglückten Bürgers iſt ebenſo viel Gaunerkunſt wie
der verſteckte Klamoniß des Makkeners, oder die Lumpen und das
äußere Elend des Bettlers, welchem Lumpen und alles andere
Gepräge des Elends als Handwerksgeräthe zu ſeinem Fortkommen
dienen. 1) So wenig wie ſich aber ein zutreffendes Bild des Pro-

ſcher, 28 Falſchmünzer, 317 Verbreiter falſchen Geldes, 323 Betrüger unter
falſchen Angaben, 343 Diebshehler, 2768 Gewohnheitsruheſtörer, 1235 Land-
ſtreicher, 50 Bettelbriefſchreiber, 86 Bettelbriefträger, 6371 liederliche Stra-
ßendirnen und 470 andere nicht klaſſificirte gefährliche Subjecte. Die Zahl
der Kinder unter den Verbrechern aller Art, ſogar ſchon vom ſechsten Jahre
an, iſt grauenerregend hoch. Seit etwa zehn Jahren hat England Rettungs-
häuſer für fittlich verwahrloſte Kinder eingeführt und hat jetzt ſchon Platz für
15,000 Kinder. Der Werth der bei der londoner Polizei im Jahre 1853 ge-
meldeten Diebſtähle beläuft ſich auf 53,000 Pf. St. Von den Verbrechern
Englands find 11 Procent unter 17 Jahren, 25 Procent zwiſchen 17 und
20 Jahren alt.
1) Jn einer Gaunerherberge fand ich einmal ſpät nachts ein Vaganten-
paar in einem elenden Bette mit Lumpen bedeckt liegen; zu den Füßen einen
in Lappen gehüllten halbverkommenen Säugling. Neben dem Bett auf dem
bloßen Fußboden lagen nebeneinander drei Kinder von 4—7 Jahren, mehr
nackt als mit Lumpen verhüllt und von der kalten Decemberluft und dem zahl-
reichen Ungeziefer, ſelbſt im feſten Schlafe, ſtets in convulſiviſcher Bewegung
erhalten. Als Neuling tief erſchüttert von dem nicht zu ſchildernden Anblicke
fand ich andern Tags barmherzige Frauen ſogleich bereit, die ganze Familie
vollſtändig und warm zu bekleiden. Zwei Tage ſpäter wurde die weiterge-
wieſene Familie wieder eingebracht. Die treffliche Kleidung war verkauft und
die erſtarrten Kinder trugen wieder die alten Lumpen als Handwerksgeräthe
zum Fortkommen der ruchloſen Aeltern.
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[3/0015] Aus der bisherigen Darſtellung ergibt ſich ferner, daß der Gauner nur ein Gewerbe, gleichſam als ſeinen Beruf, treibt. Von einem Stande, als einer geſonderten ſocial-politiſchen Abſchich- tung, oder gar von einer geſonderten volksthümlichen Gruppe, kann nicht die Rede ſein. Das Gaunerthum repräſentirt vielmehr vom verdrängten Thronerben mit dem Stern auf der Bruſt, vom verabſchiedeten Offizier, vom abgeſetzten Geiſtlichen, vom abge- brannten Bürger an bis zum elendeſten Bettler, das verbrecheriſche Proletariat aller Stände, und der fürſtliche Stern des verdrängten Prinzen, das ehrbare beſcheidene Aeußere des vertriebenen Geiſt- lichen oder verunglückten Bürgers iſt ebenſo viel Gaunerkunſt wie der verſteckte Klamoniß des Makkeners, oder die Lumpen und das äußere Elend des Bettlers, welchem Lumpen und alles andere Gepräge des Elends als Handwerksgeräthe zu ſeinem Fortkommen dienen. 1) So wenig wie ſich aber ein zutreffendes Bild des Pro- 1) 1) Jn einer Gaunerherberge fand ich einmal ſpät nachts ein Vaganten- paar in einem elenden Bette mit Lumpen bedeckt liegen; zu den Füßen einen in Lappen gehüllten halbverkommenen Säugling. Neben dem Bett auf dem bloßen Fußboden lagen nebeneinander drei Kinder von 4—7 Jahren, mehr nackt als mit Lumpen verhüllt und von der kalten Decemberluft und dem zahl- reichen Ungeziefer, ſelbſt im feſten Schlafe, ſtets in convulſiviſcher Bewegung erhalten. Als Neuling tief erſchüttert von dem nicht zu ſchildernden Anblicke fand ich andern Tags barmherzige Frauen ſogleich bereit, die ganze Familie vollſtändig und warm zu bekleiden. Zwei Tage ſpäter wurde die weiterge- wieſene Familie wieder eingebracht. Die treffliche Kleidung war verkauft und die erſtarrten Kinder trugen wieder die alten Lumpen als Handwerksgeräthe zum Fortkommen der ruchloſen Aeltern. 1) ſcher, 28 Falſchmünzer, 317 Verbreiter falſchen Geldes, 323 Betrüger unter falſchen Angaben, 343 Diebshehler, 2768 Gewohnheitsruheſtörer, 1235 Land- ſtreicher, 50 Bettelbriefſchreiber, 86 Bettelbriefträger, 6371 liederliche Stra- ßendirnen und 470 andere nicht klaſſificirte gefährliche Subjecte. Die Zahl der Kinder unter den Verbrechern aller Art, ſogar ſchon vom ſechsten Jahre an, iſt grauenerregend hoch. Seit etwa zehn Jahren hat England Rettungs- häuſer für fittlich verwahrloſte Kinder eingeführt und hat jetzt ſchon Platz für 15,000 Kinder. Der Werth der bei der londoner Polizei im Jahre 1853 ge- meldeten Diebſtähle beläuft ſich auf 53,000 Pf. St. Von den Verbrechern Englands find 11 Procent unter 17 Jahren, 25 Procent zwiſchen 17 und 20 Jahren alt. 1*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/15>, abgerufen am 24.11.2024.