Vagantenthum seine Ergänzung findet, da ohnehin der heutige un- natürliche Mechanismus der Polizei seine wesentlichste Stärke in die peinlichste Controle aller der Leute ohne Unterschied setzt, die es unternehmen, über das Weichbild ihres Wohnorts hinauszugehen.
Jn dieser Weise sieht man vom Schluß des Mittelalters an das Gaunerthum zu seiner heutigen weiten Verbreitung und Verfeinerung sich ausbilden. Solange im Mittelalter die rohe Gewalt die Sicherheit aller Einzelnen bedrohte, fand sie ihre Grenze in der Gegengewalt, und diese Gegengewalt war stets so- weit ein Schutz, als ihr der rohe Angriff unterlag. Als aber der Kaiser und später die Reichsfürsten das Geleite als ein besonderes obrigkeitliches Privilegium in Anspruch nahmen und den Reisenden auf den Landstraßen und dem Bürger in den Städten einen noth- dürftigen Schutz verliehen, da begann das Verbrechen, diesem Schutz gegenüber, wahre Kunst zu werden und sich kunstmäßig zum Gaunerthum auszubilden. Auch die Gruppirung des Gauner- thums zum Räuberthum verräth seinen Scharfblick, indem es überall mit Sicherheit zu erkennen wußte, wo die Macht der Sicherheitsbehörden zum Schutze des Bürgerthums nicht aus- reichte, und wo diese dem Gaunerthum gestatteten, mit mehr oder minder offener Gewalt hervorzutreten. Die Existenz von Räuber- banden ist auch noch heutiges Tags nicht minder ein Kriterium für das Siechthum unserer social-politischen Zustände, als ganz besonders für die Geltung der Polizei, die mit jenen Zuständen nur in Friedenszeiten ein leidliches Abkommen hat, eine stürmische Bewegung aber nicht auszuhalten im Stande ist, sondern diese erst durch die massenhafte soldatische Gewalt beseitigen muß. Die Geschichte des Räuberthums ist nicht minder eine Sittengeschichte des Bürgerthums, als auch eine Sittengeschichte der Polizei.
Wird man von Erstaunen ergriffen, wenn man zu Ende des Mittelalters im Liber Vagatorum mit seinem Gaunersprach-Lexikon den Bestand eines vollkommen ausgebildeten Gaunerthums findet, so forscht man doch vergeblich weiter nach einer fernern Ent- wickelung dieser merkwürdigen Literatur, trotzdem der Liber Vaga- torum bei den Theologen eine große Protection fand, und sowol
Vagantenthum ſeine Ergänzung findet, da ohnehin der heutige un- natürliche Mechanismus der Polizei ſeine weſentlichſte Stärke in die peinlichſte Controle aller der Leute ohne Unterſchied ſetzt, die es unternehmen, über das Weichbild ihres Wohnorts hinauszugehen.
Jn dieſer Weiſe ſieht man vom Schluß des Mittelalters an das Gaunerthum zu ſeiner heutigen weiten Verbreitung und Verfeinerung ſich ausbilden. Solange im Mittelalter die rohe Gewalt die Sicherheit aller Einzelnen bedrohte, fand ſie ihre Grenze in der Gegengewalt, und dieſe Gegengewalt war ſtets ſo- weit ein Schutz, als ihr der rohe Angriff unterlag. Als aber der Kaiſer und ſpäter die Reichsfürſten das Geleite als ein beſonderes obrigkeitliches Privilegium in Anſpruch nahmen und den Reiſenden auf den Landſtraßen und dem Bürger in den Städten einen noth- dürftigen Schutz verliehen, da begann das Verbrechen, dieſem Schutz gegenüber, wahre Kunſt zu werden und ſich kunſtmäßig zum Gaunerthum auszubilden. Auch die Gruppirung des Gauner- thums zum Räuberthum verräth ſeinen Scharfblick, indem es überall mit Sicherheit zu erkennen wußte, wo die Macht der Sicherheitsbehörden zum Schutze des Bürgerthums nicht aus- reichte, und wo dieſe dem Gaunerthum geſtatteten, mit mehr oder minder offener Gewalt hervorzutreten. Die Exiſtenz von Räuber- banden iſt auch noch heutiges Tags nicht minder ein Kriterium für das Siechthum unſerer ſocial-politiſchen Zuſtände, als ganz beſonders für die Geltung der Polizei, die mit jenen Zuſtänden nur in Friedenszeiten ein leidliches Abkommen hat, eine ſtürmiſche Bewegung aber nicht auszuhalten im Stande iſt, ſondern dieſe erſt durch die maſſenhafte ſoldatiſche Gewalt beſeitigen muß. Die Geſchichte des Räuberthums iſt nicht minder eine Sittengeſchichte des Bürgerthums, als auch eine Sittengeſchichte der Polizei.
Wird man von Erſtaunen ergriffen, wenn man zu Ende des Mittelalters im Liber Vagatorum mit ſeinem Gaunerſprach-Lexikon den Beſtand eines vollkommen ausgebildeten Gaunerthums findet, ſo forſcht man doch vergeblich weiter nach einer fernern Ent- wickelung dieſer merkwürdigen Literatur, trotzdem der Liber Vaga- torum bei den Theologen eine große Protection fand, und ſowol
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Vagantenthum ſeine Ergänzung findet, da ohnehin der heutige un-
natürliche Mechanismus der Polizei ſeine weſentlichſte Stärke in
die peinlichſte Controle aller der Leute ohne Unterſchied ſetzt, die es
unternehmen, über das Weichbild ihres Wohnorts hinauszugehen.
Jn dieſer Weiſe ſieht man vom Schluß des Mittelalters
an das Gaunerthum zu ſeiner heutigen weiten Verbreitung und
Verfeinerung ſich ausbilden. Solange im Mittelalter die rohe
Gewalt die Sicherheit aller Einzelnen bedrohte, fand ſie ihre
Grenze in der Gegengewalt, und dieſe Gegengewalt war ſtets ſo-
weit ein Schutz, als ihr der rohe Angriff unterlag. Als aber der
Kaiſer und ſpäter die Reichsfürſten das Geleite als ein beſonderes
obrigkeitliches Privilegium in Anſpruch nahmen und den Reiſenden
auf den Landſtraßen und dem Bürger in den Städten einen noth-
dürftigen Schutz verliehen, da begann das Verbrechen, dieſem
Schutz gegenüber, wahre Kunſt zu werden und ſich kunſtmäßig
zum Gaunerthum auszubilden. Auch die Gruppirung des Gauner-
thums zum Räuberthum verräth ſeinen Scharfblick, indem es
überall mit Sicherheit zu erkennen wußte, wo die Macht der
Sicherheitsbehörden zum Schutze des Bürgerthums nicht aus-
reichte, und wo dieſe dem Gaunerthum geſtatteten, mit mehr oder
minder offener Gewalt hervorzutreten. Die Exiſtenz von Räuber-
banden iſt auch noch heutiges Tags nicht minder ein Kriterium
für das Siechthum unſerer ſocial-politiſchen Zuſtände, als ganz
beſonders für die Geltung der Polizei, die mit jenen Zuſtänden
nur in Friedenszeiten ein leidliches Abkommen hat, eine ſtürmiſche
Bewegung aber nicht auszuhalten im Stande iſt, ſondern dieſe
erſt durch die maſſenhafte ſoldatiſche Gewalt beſeitigen muß. Die
Geſchichte des Räuberthums iſt nicht minder eine Sittengeſchichte
des Bürgerthums, als auch eine Sittengeſchichte der Polizei.
Wird man von Erſtaunen ergriffen, wenn man zu Ende des
Mittelalters im Liber Vagatorum mit ſeinem Gaunerſprach-Lexikon
den Beſtand eines vollkommen ausgebildeten Gaunerthums findet,
ſo forſcht man doch vergeblich weiter nach einer fernern Ent-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/85>, abgerufen am 08.07.2024.
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