Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.den Obrigkeiten zur Seite und auf dem Schaffot stehen und die Gnadenstöße auf den Hals empfing und -- als guter Christ mit einem christ- lichen Begräbniß belohnt wurde. Vgl. die bei Endter zu Prag 1696 ge- druckten Acten. Noch fürchterlicher und unmenschlicher war die Hinrichtung des jüdischen Apostaten Engelberger zu Wien 1642. Vgl. die "Nachrichten von merkwürdigen Verbrechern in Deutschland" (Bornholm 1786), S. 45. Ebenso grauenhaft waren die Kämpfe der Verzweiflung zwischen den Delinquenten und den Henkern auf dem Schaffot vor den Augen vieler tausend Zuschauer. So entriß sich der 1609 auf dem Markte zu Compiegne hingerichtete Gauner Veron neun mal seinen Henkern, die ihn auf das Rad geworfen hatten, und lief unter fürchterlichen Lästerungen auf dem Schaffot umher, bis er das zehnte mal endlich festgebunden ward. Vgl. "Beutelschneider", III, 239. 1) Eine solche merkwürdige Schrift ist "Parricidium. Erschreckliche Ge-
schichte von einem vngerathenen Sohne, welcher seine leibliche Mutter auff der Straßen nahe bei Giersdorff, nicht weit vom Lauban in Oberlausitz, jemmer- lich ermordet hat, Vnd vmb solcher gravsamen That willen, schrecklich ist gericht worden anno 1572, den 22. Januarij u. s. w., durch Sigismundum Suevum Freistadiensem, Prediger zum Lauban. Gedruckt zu Görlitz durch Ambrosium Fritsch 1572." Nachdem Suevus auf den ersten sieben Seiten den von dem zweiundzwanzigjährigen Hans Meye an seiner Mutter verübten Raubmord, die gerichtliche Verhandlung und die scheußliche Hinrichtung (Meye wurde leben- dig in vier Stücken zerhackt und ihm das Herz aus dem Leibe gerissen) erzählt hat, füllt er die übrigen 52 Seiten mit drei Abhandlungen an, in welchen er das Parricidium analysirt, "was es heiße, Jtem was für eine schreckliche That es seyn, Eltern oder Großeltern, kinder Geschwister, oder ander Blutsfreunde todten, Vn wie GOTT solche vbelthat ans Liecht und Gericht bringt, 2) Vom Diebstahl u. s. w. und 3) Von wichtigen vrsachen, Warumb die Weltliche Ober- keit solche vnd andere vbelthaten mit sonderlich ernst straffen sollen". Das Buch ist gewiß gut gemeint; aber bei dem schmerzlichen Gefühle, das den Leser überfällt, weiß man nicht recht, ob dies Gefühl aus der Empfindung der frommen Taktlosigkeit des Mannes entspringt, der mit Gelehrsamkeit und dogmatischer Fertigkeit aus der Bibel die Entsetzlichkeit und Strafbarkeit eines schon von den Heiden als scheußlich erkannten Verbrechens darlegt, oder den Obrigkeiten zur Seite und auf dem Schaffot ſtehen und die Gnadenſtöße auf den Hals empfing und — als guter Chriſt mit einem chriſt- lichen Begräbniß belohnt wurde. Vgl. die bei Endter zu Prag 1696 ge- druckten Acten. Noch fürchterlicher und unmenſchlicher war die Hinrichtung des jüdiſchen Apoſtaten Engelberger zu Wien 1642. Vgl. die „Nachrichten von merkwürdigen Verbrechern in Deutſchland“ (Bornholm 1786), S. 45. Ebenſo grauenhaft waren die Kämpfe der Verzweiflung zwiſchen den Delinquenten und den Henkern auf dem Schaffot vor den Augen vieler tauſend Zuſchauer. So entriß ſich der 1609 auf dem Markte zu Compiegne hingerichtete Gauner Veron neun mal ſeinen Henkern, die ihn auf das Rad geworfen hatten, und lief unter fürchterlichen Läſterungen auf dem Schaffot umher, bis er das zehnte mal endlich feſtgebunden ward. Vgl. „Beutelſchneider“, III, 239. 1) Eine ſolche merkwürdige Schrift iſt „Parricidium. Erſchreckliche Ge-
ſchichte von einem vngerathenen Sohne, welcher ſeine leibliche Mutter auff der Straßen nahe bei Giersdorff, nicht weit vom Lauban in Oberlauſitz, jemmer- lich ermordet hat, Vnd vmb ſolcher gravſamen That willen, ſchrecklich iſt gericht worden anno 1572, den 22. Januarij u. ſ. w., durch Sigismundum Suevum Freistadiensem, Prediger zum Lauban. Gedruckt zu Görlitz durch Ambroſium Fritſch 1572.“ Nachdem Suevus auf den erſten ſieben Seiten den von dem zweiundzwanzigjährigen Hans Meye an ſeiner Mutter verübten Raubmord, die gerichtliche Verhandlung und die ſcheußliche Hinrichtung (Meye wurde leben- dig in vier Stücken zerhackt und ihm das Herz aus dem Leibe geriſſen) erzählt hat, füllt er die übrigen 52 Seiten mit drei Abhandlungen an, in welchen er das Parricidium analyſirt, „was es heiße, Jtem was für eine ſchreckliche That es ſeyn, Eltern oder Großeltern, kinder Geſchwiſter, oder ander Blutsfreunde todten, Vn wie GOTT ſolche vbelthat ans Liecht und Gericht bringt, 2) Vom Diebſtahl u. ſ. w. und 3) Von wichtigen vrſachen, Warumb die Weltliche Ober- keit ſolche vnd andere vbelthaten mit ſonderlich ernſt ſtraffen ſollen“. Das Buch iſt gewiß gut gemeint; aber bei dem ſchmerzlichen Gefühle, das den Leſer überfällt, weiß man nicht recht, ob dies Gefühl aus der Empfindung der frommen Taktloſigkeit des Mannes entſpringt, der mit Gelehrſamkeit und dogmatiſcher Fertigkeit aus der Bibel die Entſetzlichkeit und Strafbarkeit eines ſchon von den Heiden als ſcheußlich erkannten Verbrechens darlegt, oder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0082" n="66"/> den Obrigkeiten zur Seite und auf dem Schaffot ſtehen und die<lb/> nach dem Geſetze beſtraften Verbrechen obendrein noch in ethiſcher<lb/> Hinſicht analyſiren und ihre Beſtrafung rechtfertigen; ja man<lb/> findet vom 16.—19. Jahrhundert eine Menge Räuber- und Cri-<lb/> minalproceſſe von Geiſtlichen mit theologiſchen Commentaren und<lb/> Erbauungsreden in den Druck gegeben <note xml:id="seg2pn_25_1" next="#seg2pn_25_2" place="foot" n="1)">Eine ſolche merkwürdige Schrift iſt „<hi rendition="#aq">Parricidium.</hi> Erſchreckliche Ge-<lb/> ſchichte von einem vngerathenen Sohne, welcher ſeine leibliche Mutter auff der<lb/> Straßen nahe bei Giersdorff, nicht weit vom Lauban in Oberlauſitz, jemmer-<lb/> lich ermordet hat, Vnd vmb ſolcher gravſamen That willen, ſchrecklich iſt gericht<lb/> worden <hi rendition="#aq">anno</hi> 1572, den 22. Januarij u. ſ. w., durch <hi rendition="#aq">Sigismundum Suevum<lb/> Freistadiensem</hi>, Prediger zum Lauban. Gedruckt zu Görlitz durch Ambroſium<lb/> Fritſch 1572.“ Nachdem Suevus auf den erſten ſieben Seiten den von dem<lb/> zweiundzwanzigjährigen Hans Meye an ſeiner Mutter verübten Raubmord, die<lb/> gerichtliche Verhandlung und die ſcheußliche Hinrichtung (Meye wurde leben-<lb/> dig in vier Stücken zerhackt und ihm das Herz aus dem Leibe geriſſen) erzählt<lb/> hat, füllt er die übrigen 52 Seiten mit drei Abhandlungen an, in welchen er<lb/> das Parricidium analyſirt, „was es heiße, Jtem was für eine ſchreckliche That<lb/> es ſeyn, Eltern oder Großeltern, kinder Geſchwiſter, oder ander Blutsfreunde<lb/> todten, Vn wie GOTT ſolche vbelthat ans Liecht und Gericht bringt, 2) Vom<lb/> Diebſtahl u. ſ. w. und 3) Von wichtigen vrſachen, Warumb die Weltliche Ober-<lb/> keit ſolche vnd andere vbelthaten mit ſonderlich ernſt ſtraffen ſollen“. Das<lb/> Buch iſt gewiß gut gemeint; aber bei dem ſchmerzlichen Gefühle, das den<lb/> Leſer überfällt, weiß man nicht recht, ob dies Gefühl aus der Empfindung<lb/> der frommen Taktloſigkeit des Mannes entſpringt, der mit Gelehrſamkeit und<lb/> dogmatiſcher Fertigkeit aus der Bibel die Entſetzlichkeit und Strafbarkeit<lb/> eines ſchon von den Heiden als ſcheußlich erkannten Verbrechens darlegt, oder</note>, und ſtößt ſelbſt in den<lb/> von Juriſten bearbeiteten Criminalproceſſen überall auf geiſtliche<lb/> Zuthaten, ſeien es ethiſche Erläuterungen oder Schaffot- und Er-<lb/><note xml:id="seg2pn_24_2" prev="#seg2pn_24_1" place="foot" n="1)">Gnadenſtöße auf den Hals empfing und — als guter Chriſt mit einem chriſt-<lb/> lichen Begräbniß belohnt wurde. Vgl. die bei Endter zu Prag 1696 ge-<lb/> druckten Acten. Noch fürchterlicher und unmenſchlicher war die Hinrichtung<lb/> des jüdiſchen Apoſtaten Engelberger zu Wien 1642. Vgl. die „Nachrichten von<lb/> merkwürdigen Verbrechern in Deutſchland“ (Bornholm 1786), S. 45. Ebenſo<lb/> grauenhaft waren die Kämpfe der Verzweiflung zwiſchen den Delinquenten<lb/> und den Henkern auf dem Schaffot vor den Augen vieler tauſend Zuſchauer.<lb/> So entriß ſich der 1609 auf dem Markte zu Compiegne hingerichtete Gauner<lb/> Veron neun mal ſeinen Henkern, die ihn auf das Rad geworfen hatten, und<lb/> lief unter fürchterlichen Läſterungen auf dem Schaffot umher, bis er das zehnte<lb/> mal endlich feſtgebunden ward. Vgl. „Beutelſchneider“, <hi rendition="#aq">III</hi>, 239.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0082]
den Obrigkeiten zur Seite und auf dem Schaffot ſtehen und die
nach dem Geſetze beſtraften Verbrechen obendrein noch in ethiſcher
Hinſicht analyſiren und ihre Beſtrafung rechtfertigen; ja man
findet vom 16.—19. Jahrhundert eine Menge Räuber- und Cri-
minalproceſſe von Geiſtlichen mit theologiſchen Commentaren und
Erbauungsreden in den Druck gegeben 1), und ſtößt ſelbſt in den
von Juriſten bearbeiteten Criminalproceſſen überall auf geiſtliche
Zuthaten, ſeien es ethiſche Erläuterungen oder Schaffot- und Er-
1)
1) Eine ſolche merkwürdige Schrift iſt „Parricidium. Erſchreckliche Ge-
ſchichte von einem vngerathenen Sohne, welcher ſeine leibliche Mutter auff der
Straßen nahe bei Giersdorff, nicht weit vom Lauban in Oberlauſitz, jemmer-
lich ermordet hat, Vnd vmb ſolcher gravſamen That willen, ſchrecklich iſt gericht
worden anno 1572, den 22. Januarij u. ſ. w., durch Sigismundum Suevum
Freistadiensem, Prediger zum Lauban. Gedruckt zu Görlitz durch Ambroſium
Fritſch 1572.“ Nachdem Suevus auf den erſten ſieben Seiten den von dem
zweiundzwanzigjährigen Hans Meye an ſeiner Mutter verübten Raubmord, die
gerichtliche Verhandlung und die ſcheußliche Hinrichtung (Meye wurde leben-
dig in vier Stücken zerhackt und ihm das Herz aus dem Leibe geriſſen) erzählt
hat, füllt er die übrigen 52 Seiten mit drei Abhandlungen an, in welchen er
das Parricidium analyſirt, „was es heiße, Jtem was für eine ſchreckliche That
es ſeyn, Eltern oder Großeltern, kinder Geſchwiſter, oder ander Blutsfreunde
todten, Vn wie GOTT ſolche vbelthat ans Liecht und Gericht bringt, 2) Vom
Diebſtahl u. ſ. w. und 3) Von wichtigen vrſachen, Warumb die Weltliche Ober-
keit ſolche vnd andere vbelthaten mit ſonderlich ernſt ſtraffen ſollen“. Das
Buch iſt gewiß gut gemeint; aber bei dem ſchmerzlichen Gefühle, das den
Leſer überfällt, weiß man nicht recht, ob dies Gefühl aus der Empfindung
der frommen Taktloſigkeit des Mannes entſpringt, der mit Gelehrſamkeit und
dogmatiſcher Fertigkeit aus der Bibel die Entſetzlichkeit und Strafbarkeit
eines ſchon von den Heiden als ſcheußlich erkannten Verbrechens darlegt, oder
1) Gnadenſtöße auf den Hals empfing und — als guter Chriſt mit einem chriſt-
lichen Begräbniß belohnt wurde. Vgl. die bei Endter zu Prag 1696 ge-
druckten Acten. Noch fürchterlicher und unmenſchlicher war die Hinrichtung
des jüdiſchen Apoſtaten Engelberger zu Wien 1642. Vgl. die „Nachrichten von
merkwürdigen Verbrechern in Deutſchland“ (Bornholm 1786), S. 45. Ebenſo
grauenhaft waren die Kämpfe der Verzweiflung zwiſchen den Delinquenten
und den Henkern auf dem Schaffot vor den Augen vieler tauſend Zuſchauer.
So entriß ſich der 1609 auf dem Markte zu Compiegne hingerichtete Gauner
Veron neun mal ſeinen Henkern, die ihn auf das Rad geworfen hatten, und
lief unter fürchterlichen Läſterungen auf dem Schaffot umher, bis er das zehnte
mal endlich feſtgebunden ward. Vgl. „Beutelſchneider“, III, 239.
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