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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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es schon solche Resultate aufweisen, und doch noch hinterdrein so-
viel zu thun nachlassen konnte. Jn diesem langen schweren Feld-
zuge gegen das Räuberthum lernte die Justiz seine Taktik begreifen,
sie hatte aber keine Muße, im vollen Kriege theoretische Werke
darüber zu schreiben, sie schrieb Notizen, zeichnete Oerter und Jn-
dividualitäten, und documentirte gerade dadurch ihre riesige Thä-
tigkeit, daß sie nur diese Notizen gab. So gewann in dieser
Thätigkeit und in der Noth dieser Thätigkeit die Literatur jene
eigenthümliche Weise, in der sie vor uns liegt: sie beschränkte sich
auf die Gruppen- und Personalskizze 1), nicht aus geistiger
Noth, sondern aus der Noth der angestrengtesten Thätigkeit; denn
überall in jedem literarischen Werke blickt in hellen Andeutungen
und Versuchen das Streben nach einer rationellen Darstellung, und
die lebendigste Anerkenntniß ihrer Nothwendigkeit hervor. Reb-
mann gab das Meisterhafteste und Geistvollste in seiner Darstellung
des Damian Hessel, aber es waren nur Skizzen und ungeachtet
der drei Auflagen, welche das Werkchen bei dem frischen Jn-
teresse der Untersuchung erlebte, waren es gerade jene rationellen
Skizzen, die bei weitem nicht genug Berücksichtigung fanden.
Vergeblich haben Falkenberg und Wenmohs, Thiele und Zimmer-
mann die Bahn wieder zu eröffnen gesucht. Seitdem das Räuber-
thum den offenen Feldzug nicht mehr gewagt hat, glaubte man
zu fest an Frieden und an die Niederlage des Gaunerthums, und
beachtete es nicht genug, wie im äußerlichen Schein des Friedens
gerade bei dem Siechthum unserer bunt bewegten, krankhaft affi-
cirten social-politischen Zustände das Räuberthum ein heimliches
Minirsystem ergriffen hat, bei welchem ihm der gelockerte Boden
der Sitte und Zucht die Arbeit leicht macht. Die Polizeiliteratur

1) Desto üppiger und verderblicher fingen aber dabei die Räuberromane an
emporzuwuchern, mit denen Deutschland überschwemmt wurde, und in denen das
Räuberthum gleich einem romantischen Ritterthum gefeiert wurde. Diese ekle
und entsittlichende Räuberromantik brachte denn auch wieder die Flut von
Ritterromanen zu Wege, welche auf solchem Grunde nichts Wahres, Echtes
und Edles liefern und nur zu Verirrungen, nicht aber zu edlen begeisterten
Thaten führen konnten.

es ſchon ſolche Reſultate aufweiſen, und doch noch hinterdrein ſo-
viel zu thun nachlaſſen konnte. Jn dieſem langen ſchweren Feld-
zuge gegen das Räuberthum lernte die Juſtiz ſeine Taktik begreifen,
ſie hatte aber keine Muße, im vollen Kriege theoretiſche Werke
darüber zu ſchreiben, ſie ſchrieb Notizen, zeichnete Oerter und Jn-
dividualitäten, und documentirte gerade dadurch ihre rieſige Thä-
tigkeit, daß ſie nur dieſe Notizen gab. So gewann in dieſer
Thätigkeit und in der Noth dieſer Thätigkeit die Literatur jene
eigenthümliche Weiſe, in der ſie vor uns liegt: ſie beſchränkte ſich
auf die Gruppen- und Perſonalſkizze 1), nicht aus geiſtiger
Noth, ſondern aus der Noth der angeſtrengteſten Thätigkeit; denn
überall in jedem literariſchen Werke blickt in hellen Andeutungen
und Verſuchen das Streben nach einer rationellen Darſtellung, und
die lebendigſte Anerkenntniß ihrer Nothwendigkeit hervor. Reb-
mann gab das Meiſterhafteſte und Geiſtvollſte in ſeiner Darſtellung
des Damian Heſſel, aber es waren nur Skizzen und ungeachtet
der drei Auflagen, welche das Werkchen bei dem friſchen Jn-
tereſſe der Unterſuchung erlebte, waren es gerade jene rationellen
Skizzen, die bei weitem nicht genug Berückſichtigung fanden.
Vergeblich haben Falkenberg und Wenmohs, Thiele und Zimmer-
mann die Bahn wieder zu eröffnen geſucht. Seitdem das Räuber-
thum den offenen Feldzug nicht mehr gewagt hat, glaubte man
zu feſt an Frieden und an die Niederlage des Gaunerthums, und
beachtete es nicht genug, wie im äußerlichen Schein des Friedens
gerade bei dem Siechthum unſerer bunt bewegten, krankhaft affi-
cirten ſocial-politiſchen Zuſtände das Räuberthum ein heimliches
Minirſyſtem ergriffen hat, bei welchem ihm der gelockerte Boden
der Sitte und Zucht die Arbeit leicht macht. Die Polizeiliteratur

1) Deſto üppiger und verderblicher fingen aber dabei die Räuberromane an
emporzuwuchern, mit denen Deutſchland überſchwemmt wurde, und in denen das
Räuberthum gleich einem romantiſchen Ritterthum gefeiert wurde. Dieſe ekle
und entſittlichende Räuberromantik brachte denn auch wieder die Flut von
Ritterromanen zu Wege, welche auf ſolchem Grunde nichts Wahres, Echtes
und Edles liefern und nur zu Verirrungen, nicht aber zu edlen begeiſterten
Thaten führen konnten.
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[246/0262] es ſchon ſolche Reſultate aufweiſen, und doch noch hinterdrein ſo- viel zu thun nachlaſſen konnte. Jn dieſem langen ſchweren Feld- zuge gegen das Räuberthum lernte die Juſtiz ſeine Taktik begreifen, ſie hatte aber keine Muße, im vollen Kriege theoretiſche Werke darüber zu ſchreiben, ſie ſchrieb Notizen, zeichnete Oerter und Jn- dividualitäten, und documentirte gerade dadurch ihre rieſige Thä- tigkeit, daß ſie nur dieſe Notizen gab. So gewann in dieſer Thätigkeit und in der Noth dieſer Thätigkeit die Literatur jene eigenthümliche Weiſe, in der ſie vor uns liegt: ſie beſchränkte ſich auf die Gruppen- und Perſonalſkizze 1), nicht aus geiſtiger Noth, ſondern aus der Noth der angeſtrengteſten Thätigkeit; denn überall in jedem literariſchen Werke blickt in hellen Andeutungen und Verſuchen das Streben nach einer rationellen Darſtellung, und die lebendigſte Anerkenntniß ihrer Nothwendigkeit hervor. Reb- mann gab das Meiſterhafteſte und Geiſtvollſte in ſeiner Darſtellung des Damian Heſſel, aber es waren nur Skizzen und ungeachtet der drei Auflagen, welche das Werkchen bei dem friſchen Jn- tereſſe der Unterſuchung erlebte, waren es gerade jene rationellen Skizzen, die bei weitem nicht genug Berückſichtigung fanden. Vergeblich haben Falkenberg und Wenmohs, Thiele und Zimmer- mann die Bahn wieder zu eröffnen geſucht. Seitdem das Räuber- thum den offenen Feldzug nicht mehr gewagt hat, glaubte man zu feſt an Frieden und an die Niederlage des Gaunerthums, und beachtete es nicht genug, wie im äußerlichen Schein des Friedens gerade bei dem Siechthum unſerer bunt bewegten, krankhaft affi- cirten ſocial-politiſchen Zuſtände das Räuberthum ein heimliches Minirſyſtem ergriffen hat, bei welchem ihm der gelockerte Boden der Sitte und Zucht die Arbeit leicht macht. Die Polizeiliteratur 1) Deſto üppiger und verderblicher fingen aber dabei die Räuberromane an emporzuwuchern, mit denen Deutſchland überſchwemmt wurde, und in denen das Räuberthum gleich einem romantiſchen Ritterthum gefeiert wurde. Dieſe ekle und entſittlichende Räuberromantik brachte denn auch wieder die Flut von Ritterromanen zu Wege, welche auf ſolchem Grunde nichts Wahres, Echtes und Edles liefern und nur zu Verirrungen, nicht aber zu edlen begeiſterten Thaten führen konnten.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/262>, abgerufen am 02.05.2024.