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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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er die Erzählungen einer Gaunerbande in der Gaunersprache an-
hört. Als "vierte Abhandlung" folgt S. 67 der erste Theil des
Liber Vagatorum, sowol der Kapitelzahl (20 oder eigentlich nur 18
Kapitel), als dem Jnhalte nach, sehr verkümmert. Jn den Ka-
piteln ist nur die Rede von den Bregern, Stabulern, Loßnern,
Klencknern, Debissern, Camesirern, Vagirern, Grantnern, Dut-
zern, Zickischen, Schwanfeldern, Voppern, Pillenträgerinnen, Sef-
fern, Schweigern, Gänßscherern, Sefelgräbern und Pflügern. Des-
wegen ist diese Abhandlung der schwächste Theil, während das
Wörterbuch, trotz vieler arger Entstellungen, Druckfehler und Män-
gel doch Beachtung verdient. Das ganze Buch verräth den Ju-
risten, der ersichtlich sowol aus eigener praktischer Erfahrung
schöpfte, als auch die damals schon etwas ergiebiger fließenden
literarischen Quellen, wenn auch nur sehr leicht und obenhin, aus-
beutete. Der gegen die frühern Vocabulare auffallend größere
Reichthum des Vocabulars mag die Ursache gewesen sein, daß
später jeder, der sich berufen fühlte, ein Gaunerlexikon zu schrei-
ben, diese unzuverlässige und bedenkliche Quelle benutzte, und dabei
das Studium älterer Ausgaben, wie anderer linguistischer Arbeiten
und Untersuchungen vernachlässigte. Jnsofern ist diese "Rot-
wellsche Grammatik" der Anlaß zu sehr argen gaunerlinguistischen
Verirrungen geworden.

Offenbar von demselben Verfasser, wie auch Pott, a. a. O.,
I, 12, überzeugend darthut, rührt noch ein Zigeunerwörterbuch
her, das, wenn es auch nur specifisch zigeunerische Vocabeln nach
alphabetischer Ordnung enthält, doch hier mindestens eine Er-
wähnung verdient, da es vom Verfasser selbst bezeichnet wird als
"Beytrag zur Rotwellischen Gramatik, Oder: Wörter-Buch Von
der Zigeuner-Sprache, Nebst einem Schreiben eines Zigeuners an
seine Frau, darinnen er ihr von seinem elenden Zustande, in wel-
chem er sich befindet, Nachricht ertheilet" (Frankfurt und Leipzig
1755). Das Wörterbuch ist, wie Pott, a. a. O., nachweist, eine
Originalarbeit, welche indessen von Grammatik gar nichts ent-
hält. Der kurze Brief des Zigeuners an seine Frau (S. 17 u.
18) ist völlig unbedeutend.

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er die Erzählungen einer Gaunerbande in der Gaunerſprache an-
hört. Als „vierte Abhandlung“ folgt S. 67 der erſte Theil des
Liber Vagatorum, ſowol der Kapitelzahl (20 oder eigentlich nur 18
Kapitel), als dem Jnhalte nach, ſehr verkümmert. Jn den Ka-
piteln iſt nur die Rede von den Bregern, Stabulern, Loßnern,
Klencknern, Debiſſern, Cameſirern, Vagirern, Grantnern, Dut-
zern, Zickiſchen, Schwanfeldern, Voppern, Pillenträgerinnen, Sef-
fern, Schweigern, Gänßſcherern, Sefelgräbern und Pflügern. Des-
wegen iſt dieſe Abhandlung der ſchwächſte Theil, während das
Wörterbuch, trotz vieler arger Entſtellungen, Druckfehler und Män-
gel doch Beachtung verdient. Das ganze Buch verräth den Ju-
riſten, der erſichtlich ſowol aus eigener praktiſcher Erfahrung
ſchöpfte, als auch die damals ſchon etwas ergiebiger fließenden
literariſchen Quellen, wenn auch nur ſehr leicht und obenhin, aus-
beutete. Der gegen die frühern Vocabulare auffallend größere
Reichthum des Vocabulars mag die Urſache geweſen ſein, daß
ſpäter jeder, der ſich berufen fühlte, ein Gaunerlexikon zu ſchrei-
ben, dieſe unzuverläſſige und bedenkliche Quelle benutzte, und dabei
das Studium älterer Ausgaben, wie anderer linguiſtiſcher Arbeiten
und Unterſuchungen vernachläſſigte. Jnſofern iſt dieſe „Rot-
wellſche Grammatik“ der Anlaß zu ſehr argen gaunerlinguiſtiſchen
Verirrungen geworden.

Offenbar von demſelben Verfaſſer, wie auch Pott, a. a. O.,
I, 12, überzeugend darthut, rührt noch ein Zigeunerwörterbuch
her, das, wenn es auch nur ſpecifiſch zigeuneriſche Vocabeln nach
alphabetiſcher Ordnung enthält, doch hier mindeſtens eine Er-
wähnung verdient, da es vom Verfaſſer ſelbſt bezeichnet wird als
„Beytrag zur Rotwelliſchen Gramatik, Oder: Wörter-Buch Von
der Zigeuner-Sprache, Nebſt einem Schreiben eines Zigeuners an
ſeine Frau, darinnen er ihr von ſeinem elenden Zuſtande, in wel-
chem er ſich befindet, Nachricht ertheilet“ (Frankfurt und Leipzig
1755). Das Wörterbuch iſt, wie Pott, a. a. O., nachweiſt, eine
Originalarbeit, welche indeſſen von Grammatik gar nichts ent-
hält. Der kurze Brief des Zigeuners an ſeine Frau (S. 17 u.
18) iſt völlig unbedeutend.

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[163/0179] er die Erzählungen einer Gaunerbande in der Gaunerſprache an- hört. Als „vierte Abhandlung“ folgt S. 67 der erſte Theil des Liber Vagatorum, ſowol der Kapitelzahl (20 oder eigentlich nur 18 Kapitel), als dem Jnhalte nach, ſehr verkümmert. Jn den Ka- piteln iſt nur die Rede von den Bregern, Stabulern, Loßnern, Klencknern, Debiſſern, Cameſirern, Vagirern, Grantnern, Dut- zern, Zickiſchen, Schwanfeldern, Voppern, Pillenträgerinnen, Sef- fern, Schweigern, Gänßſcherern, Sefelgräbern und Pflügern. Des- wegen iſt dieſe Abhandlung der ſchwächſte Theil, während das Wörterbuch, trotz vieler arger Entſtellungen, Druckfehler und Män- gel doch Beachtung verdient. Das ganze Buch verräth den Ju- riſten, der erſichtlich ſowol aus eigener praktiſcher Erfahrung ſchöpfte, als auch die damals ſchon etwas ergiebiger fließenden literariſchen Quellen, wenn auch nur ſehr leicht und obenhin, aus- beutete. Der gegen die frühern Vocabulare auffallend größere Reichthum des Vocabulars mag die Urſache geweſen ſein, daß ſpäter jeder, der ſich berufen fühlte, ein Gaunerlexikon zu ſchrei- ben, dieſe unzuverläſſige und bedenkliche Quelle benutzte, und dabei das Studium älterer Ausgaben, wie anderer linguiſtiſcher Arbeiten und Unterſuchungen vernachläſſigte. Jnſofern iſt dieſe „Rot- wellſche Grammatik“ der Anlaß zu ſehr argen gaunerlinguiſtiſchen Verirrungen geworden. Offenbar von demſelben Verfaſſer, wie auch Pott, a. a. O., I, 12, überzeugend darthut, rührt noch ein Zigeunerwörterbuch her, das, wenn es auch nur ſpecifiſch zigeuneriſche Vocabeln nach alphabetiſcher Ordnung enthält, doch hier mindeſtens eine Er- wähnung verdient, da es vom Verfaſſer ſelbſt bezeichnet wird als „Beytrag zur Rotwelliſchen Gramatik, Oder: Wörter-Buch Von der Zigeuner-Sprache, Nebſt einem Schreiben eines Zigeuners an ſeine Frau, darinnen er ihr von ſeinem elenden Zuſtande, in wel- chem er ſich befindet, Nachricht ertheilet“ (Frankfurt und Leipzig 1755). Das Wörterbuch iſt, wie Pott, a. a. O., nachweiſt, eine Originalarbeit, welche indeſſen von Grammatik gar nichts ent- hält. Der kurze Brief des Zigeuners an ſeine Frau (S. 17 u. 18) iſt völlig unbedeutend. 11 *

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/179>, abgerufen am 28.04.2024.