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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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nerthum und mit ihm seine Literatur ist deshalb, zum großen
Nachtheil des Ganzen, viel eher populär geworden, als die Justiz
das Uebel ganz begriff und sich zu seiner Verfolgung anschickte.
Jnsofern haben die gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts her-
vorkommenden, zunächst kaum anders als in Anekdotenform er-
scheinenden, jedoch bald zu Biographien übergehenden und vielfach
zu den sogenannten Schelmenromanen ausgebeuteten Sammlungen
von Mittheilungen über Gauner und Gaunerthaten einen größern
Werth, als das auf den ersten Anblick scheint. Diese Literatur
ging sodann bei der beginnenden rationellen Behandlung des
Criminalrechts mit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts eben-
falls in die Form der ausführlichen Relation über, bei welcher sich,
neben sehr schätzbarer Aufmerksamkeit auf das Linguistische, wie-
derum, aber freilich auch nur gelegentlich und schüchtern, in apho-
ristischen Noten die rationelle Behandlung des Gaunerthums be-
merkbar macht, bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts in
freierer Bearbeitung der Acten ausführliche biographische Dar-
stellungen einzelner Gaunerkoryphäen und Gaunergruppen, wie
z. B. die des Sonnenwirthles, des Bairischen Hiesel, des Han-
nikel und seiner Kameraden, des Konstanzer Hans u. A. er-
scheinen, und dann, durch manche schätzenswerthe Abhandlungen in
den zahlreich zum Vorschein kommenden Zeitschriften vorbereitet,
durch Schäffer's trefflichen "Abriß des Jauner- und Bettelwesens
in Schwaben" das Gebiet der rationellen Bearbeitung vollständig
geöffnet wird. Demungeachtet wird dies Gebiet sehr bald darauf
wieder verlassen. Bei dem ungeheuern Aufbruch des Räuber-
thums am Schlusse des vorigen Jahrhunderts tritt ersichtlich, im
Jnteresse und nach dem praktischen Bedürfniß der Polizei, die
Gruppen- und Personenskizze in den Vordergrund, und das acten-
mäßige und biographische Material wird nur als Staffage um
die Person des Verbrechers geordnet, gerade um die Person als
solche recht deutlich hervortreten zu lassen und ihre sofortige Er-
kennung zu ermöglichen. Dieser dem gegenwärtigen Jahrhundert
eigenthümlichen und der Polizei vielen praktischen Nutzen gewäh-
renden Weise ist die gesammte neuere Gaunerliteratur so sehr

nerthum und mit ihm ſeine Literatur iſt deshalb, zum großen
Nachtheil des Ganzen, viel eher populär geworden, als die Juſtiz
das Uebel ganz begriff und ſich zu ſeiner Verfolgung anſchickte.
Jnſofern haben die gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts her-
vorkommenden, zunächſt kaum anders als in Anekdotenform er-
ſcheinenden, jedoch bald zu Biographien übergehenden und vielfach
zu den ſogenannten Schelmenromanen ausgebeuteten Sammlungen
von Mittheilungen über Gauner und Gaunerthaten einen größern
Werth, als das auf den erſten Anblick ſcheint. Dieſe Literatur
ging ſodann bei der beginnenden rationellen Behandlung des
Criminalrechts mit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts eben-
falls in die Form der ausführlichen Relation über, bei welcher ſich,
neben ſehr ſchätzbarer Aufmerkſamkeit auf das Linguiſtiſche, wie-
derum, aber freilich auch nur gelegentlich und ſchüchtern, in apho-
riſtiſchen Noten die rationelle Behandlung des Gaunerthums be-
merkbar macht, bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts in
freierer Bearbeitung der Acten ausführliche biographiſche Dar-
ſtellungen einzelner Gaunerkoryphäen und Gaunergruppen, wie
z. B. die des Sonnenwirthles, des Bairiſchen Hieſel, des Han-
nikel und ſeiner Kameraden, des Konſtanzer Hans u. A. er-
ſcheinen, und dann, durch manche ſchätzenswerthe Abhandlungen in
den zahlreich zum Vorſchein kommenden Zeitſchriften vorbereitet,
durch Schäffer’s trefflichen „Abriß des Jauner- und Bettelweſens
in Schwaben“ das Gebiet der rationellen Bearbeitung vollſtändig
geöffnet wird. Demungeachtet wird dies Gebiet ſehr bald darauf
wieder verlaſſen. Bei dem ungeheuern Aufbruch des Räuber-
thums am Schluſſe des vorigen Jahrhunderts tritt erſichtlich, im
Jntereſſe und nach dem praktiſchen Bedürfniß der Polizei, die
Gruppen- und Perſonenſkizze in den Vordergrund, und das acten-
mäßige und biographiſche Material wird nur als Staffage um
die Perſon des Verbrechers geordnet, gerade um die Perſon als
ſolche recht deutlich hervortreten zu laſſen und ihre ſofortige Er-
kennung zu ermöglichen. Dieſer dem gegenwärtigen Jahrhundert
eigenthümlichen und der Polizei vielen praktiſchen Nutzen gewäh-
renden Weiſe iſt die geſammte neuere Gaunerliteratur ſo ſehr

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[120/0136] nerthum und mit ihm ſeine Literatur iſt deshalb, zum großen Nachtheil des Ganzen, viel eher populär geworden, als die Juſtiz das Uebel ganz begriff und ſich zu ſeiner Verfolgung anſchickte. Jnſofern haben die gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts her- vorkommenden, zunächſt kaum anders als in Anekdotenform er- ſcheinenden, jedoch bald zu Biographien übergehenden und vielfach zu den ſogenannten Schelmenromanen ausgebeuteten Sammlungen von Mittheilungen über Gauner und Gaunerthaten einen größern Werth, als das auf den erſten Anblick ſcheint. Dieſe Literatur ging ſodann bei der beginnenden rationellen Behandlung des Criminalrechts mit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts eben- falls in die Form der ausführlichen Relation über, bei welcher ſich, neben ſehr ſchätzbarer Aufmerkſamkeit auf das Linguiſtiſche, wie- derum, aber freilich auch nur gelegentlich und ſchüchtern, in apho- riſtiſchen Noten die rationelle Behandlung des Gaunerthums be- merkbar macht, bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts in freierer Bearbeitung der Acten ausführliche biographiſche Dar- ſtellungen einzelner Gaunerkoryphäen und Gaunergruppen, wie z. B. die des Sonnenwirthles, des Bairiſchen Hieſel, des Han- nikel und ſeiner Kameraden, des Konſtanzer Hans u. A. er- ſcheinen, und dann, durch manche ſchätzenswerthe Abhandlungen in den zahlreich zum Vorſchein kommenden Zeitſchriften vorbereitet, durch Schäffer’s trefflichen „Abriß des Jauner- und Bettelweſens in Schwaben“ das Gebiet der rationellen Bearbeitung vollſtändig geöffnet wird. Demungeachtet wird dies Gebiet ſehr bald darauf wieder verlaſſen. Bei dem ungeheuern Aufbruch des Räuber- thums am Schluſſe des vorigen Jahrhunderts tritt erſichtlich, im Jntereſſe und nach dem praktiſchen Bedürfniß der Polizei, die Gruppen- und Perſonenſkizze in den Vordergrund, und das acten- mäßige und biographiſche Material wird nur als Staffage um die Perſon des Verbrechers geordnet, gerade um die Perſon als ſolche recht deutlich hervortreten zu laſſen und ihre ſofortige Er- kennung zu ermöglichen. Dieſer dem gegenwärtigen Jahrhundert eigenthümlichen und der Polizei vielen praktiſchen Nutzen gewäh- renden Weiſe iſt die geſammte neuere Gaunerliteratur ſo ſehr

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/136>, abgerufen am 24.11.2024.