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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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künstlichen Formen, bei jedem neuen Verbrechen neues Erstaunen
erregt. Empörend ist dabei der durchgreifende Zug herzloser kanni-
balischer Barbarei, mit der die Räuber häufig aus bloßem schänd-
lichen Muthwillen die entsetzlichsten Greuel verübten, entkleidete
junge Weiber mit Ruthen halbtodt peitschten 1), oder mit glühen-
den Zangen zwickten, abgelebte wehrlose Greise aufhenkten, flehen-
den Kindern die Ohren herunterhieben oder sie sonst schwer mis-
handelten und verwundeten, um durch ihr Wimmern die mit Licht
und Schwefel vergeblich gebrannten Aeltern zum Nachweis ihres
Geldes zu zwingen 2) u. s. w. Jn jener Zeit des beginnenden
weit und breit gepriesenen modernen Humanismus fällt dieser
Gegensatz um so mehr auf, als eine nicht geringe Zahl jener
Räuber Anspruch auf Erziehung machen, ja zum Theil zur ge-
bildeten und einzeln sogar zur gelehrten Klasse sich zählen durfte.
Allein jene Räuberweise, welche man wol nicht ungeeignet mit dem
Ausdruck Bestialität bezeichnen kann, findet ihre Erklärung in
einem andern durchgreifenden Zug, den man durchwegs bei allen
diesen Räuberbanden findet, nämlich in einem thierisch wilden
Hange zur Wollust und in einer Geschlechtsausschweifung ohne
Gleichen. Fast ohne Ausnahme trugen alle gefangenen Räuber
arge Spuren der Syphilis an sich. Unter ihnen lebte eine Menge
Concubinen, die sich bald an einen, bald an den andern hingen,
von den Räubern ausgetauscht wurden, und sich gleich zu einem
andern hielten, wenn sie auch einen oder sogar auch mehrere ihrer
Beischläfer auf dem Schaffot hatten enden sehen. 3) Jn allen Ge-

1) Wie z. B. bei dem Einbruche zu Seven-Eyken. Vgl. Becker, a. a. O.,
II, 29.
2) Vgl. Becker, a. a. O., II, 19 u. 126.
3) Vgl. z. B. die scheußliche Werbung des nackten Plackenklos um die
Buzliese-Amie (Amie Schäfer) bei Becker, a. a. O., I, 2, S. 9; ferner
den fürchterlichen Mord, den Jltis Jakob an seiner Frau auf der Kindtaufe-
des schwarzen Peter verübte (ebendaselbst S. 7, und I, 1, S. 40); den
Mord des schwarzen Peter darauf an den Seibersbacher Juden (ebendaselbst
S. 8); die Ermordung des Schnallenpeter (ebendaselbst S. 5), und das Be-
nehmen der jungen Elise Werner dabei.

künſtlichen Formen, bei jedem neuen Verbrechen neues Erſtaunen
erregt. Empörend iſt dabei der durchgreifende Zug herzloſer kanni-
baliſcher Barbarei, mit der die Räuber häufig aus bloßem ſchänd-
lichen Muthwillen die entſetzlichſten Greuel verübten, entkleidete
junge Weiber mit Ruthen halbtodt peitſchten 1), oder mit glühen-
den Zangen zwickten, abgelebte wehrloſe Greiſe aufhenkten, flehen-
den Kindern die Ohren herunterhieben oder ſie ſonſt ſchwer mis-
handelten und verwundeten, um durch ihr Wimmern die mit Licht
und Schwefel vergeblich gebrannten Aeltern zum Nachweis ihres
Geldes zu zwingen 2) u. ſ. w. Jn jener Zeit des beginnenden
weit und breit geprieſenen modernen Humanismus fällt dieſer
Gegenſatz um ſo mehr auf, als eine nicht geringe Zahl jener
Räuber Anſpruch auf Erziehung machen, ja zum Theil zur ge-
bildeten und einzeln ſogar zur gelehrten Klaſſe ſich zählen durfte.
Allein jene Räuberweiſe, welche man wol nicht ungeeignet mit dem
Ausdruck Beſtialität bezeichnen kann, findet ihre Erklärung in
einem andern durchgreifenden Zug, den man durchwegs bei allen
dieſen Räuberbanden findet, nämlich in einem thieriſch wilden
Hange zur Wolluſt und in einer Geſchlechtsausſchweifung ohne
Gleichen. Faſt ohne Ausnahme trugen alle gefangenen Räuber
arge Spuren der Syphilis an ſich. Unter ihnen lebte eine Menge
Concubinen, die ſich bald an einen, bald an den andern hingen,
von den Räubern ausgetauſcht wurden, und ſich gleich zu einem
andern hielten, wenn ſie auch einen oder ſogar auch mehrere ihrer
Beiſchläfer auf dem Schaffot hatten enden ſehen. 3) Jn allen Ge-

1) Wie z. B. bei dem Einbruche zu Seven-Eyken. Vgl. Becker, a. a. O.,
II, 29.
2) Vgl. Becker, a. a. O., II, 19 u. 126.
3) Vgl. z. B. die ſcheußliche Werbung des nackten Plackenklos um die
Buzlieſe-Amie (Amie Schäfer) bei Becker, a. a. O., I, 2, S. 9; ferner
den fürchterlichen Mord, den Jltis Jakob an ſeiner Frau auf der Kindtaufe-
des ſchwarzen Peter verübte (ebendaſelbſt S. 7, und I, 1, S. 40); den
Mord des ſchwarzen Peter darauf an den Seibersbacher Juden (ebendaſelbſt
S. 8); die Ermordung des Schnallenpeter (ebendaſelbſt S. 5), und das Be-
nehmen der jungen Eliſe Werner dabei.
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[102/0118] künſtlichen Formen, bei jedem neuen Verbrechen neues Erſtaunen erregt. Empörend iſt dabei der durchgreifende Zug herzloſer kanni- baliſcher Barbarei, mit der die Räuber häufig aus bloßem ſchänd- lichen Muthwillen die entſetzlichſten Greuel verübten, entkleidete junge Weiber mit Ruthen halbtodt peitſchten 1), oder mit glühen- den Zangen zwickten, abgelebte wehrloſe Greiſe aufhenkten, flehen- den Kindern die Ohren herunterhieben oder ſie ſonſt ſchwer mis- handelten und verwundeten, um durch ihr Wimmern die mit Licht und Schwefel vergeblich gebrannten Aeltern zum Nachweis ihres Geldes zu zwingen 2) u. ſ. w. Jn jener Zeit des beginnenden weit und breit geprieſenen modernen Humanismus fällt dieſer Gegenſatz um ſo mehr auf, als eine nicht geringe Zahl jener Räuber Anſpruch auf Erziehung machen, ja zum Theil zur ge- bildeten und einzeln ſogar zur gelehrten Klaſſe ſich zählen durfte. Allein jene Räuberweiſe, welche man wol nicht ungeeignet mit dem Ausdruck Beſtialität bezeichnen kann, findet ihre Erklärung in einem andern durchgreifenden Zug, den man durchwegs bei allen dieſen Räuberbanden findet, nämlich in einem thieriſch wilden Hange zur Wolluſt und in einer Geſchlechtsausſchweifung ohne Gleichen. Faſt ohne Ausnahme trugen alle gefangenen Räuber arge Spuren der Syphilis an ſich. Unter ihnen lebte eine Menge Concubinen, die ſich bald an einen, bald an den andern hingen, von den Räubern ausgetauſcht wurden, und ſich gleich zu einem andern hielten, wenn ſie auch einen oder ſogar auch mehrere ihrer Beiſchläfer auf dem Schaffot hatten enden ſehen. 3) Jn allen Ge- 1) Wie z. B. bei dem Einbruche zu Seven-Eyken. Vgl. Becker, a. a. O., II, 29. 2) Vgl. Becker, a. a. O., II, 19 u. 126. 3) Vgl. z. B. die ſcheußliche Werbung des nackten Plackenklos um die Buzlieſe-Amie (Amie Schäfer) bei Becker, a. a. O., I, 2, S. 9; ferner den fürchterlichen Mord, den Jltis Jakob an ſeiner Frau auf der Kindtaufe- des ſchwarzen Peter verübte (ebendaſelbſt S. 7, und I, 1, S. 40); den Mord des ſchwarzen Peter darauf an den Seibersbacher Juden (ebendaſelbſt S. 8); die Ermordung des Schnallenpeter (ebendaſelbſt S. 5), und das Be- nehmen der jungen Eliſe Werner dabei.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/118>, abgerufen am 08.05.2024.