Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.auch überall in Deutschland aus der Praxis erkennen kann. 1) Rougets und Grisons, sowie die sehr merkwürdige Vorrede zum "Schauplatz der Betrüger" (1687) interessante Auskunft. 1) Auch das erschwert die Verfolgung des Gaunerthums in Deutschland außerordentlich. Man unterscheidet meistens auf den ersten Blick an den Spuren des Verbrechens die Thätigkeit des geübten Gauners von der des "Wittschen" Verbrechers. Aber auf eine bestimmte farbige Schule und Manier, von der man auf die Eigenthümlichkeit einer bestimmten bekannten Gruppe schließen könnte, wird man selten oder gar nicht geleitet, es sei denn, daß fremdländische Gauner Spuren ihrer Eigenthümlichkeit bei dem verübten Verbrechen hinterlassen und sich dadurch gekennzeichnet hätten. Aus dieser letztern Hinsicht werden aber auch häufig von geübten Gaunern jene Formen gewählt, um den Verdacht von sich auf fremde Berufsgenossen zu lenken. 2) Es ist merkwürdig, daß seit dem Auftreten der Rothen und Schwarzen gegen das Ende des 14. Jahrhunderts und der dadurch veranlaßten Bekannt- machung des Raths zu Basel keine Andeutung von einer Organisation oder von Gaunermaximen gegeben wird, als nur die, welche jene Bekanntmachung enthält. Hundert Jahre später gibt Johannes Knebel, Sebastian Brant und der Liber vagatorum immer nur dasselbe wieder, was der baseler Rath pu- blicirt hat, und der Liber vagatorum mit seinem Plagiat der rotwelschen Grammatik bleibt die beschränkte Stereotype der Gaunerkunst bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, obschon das Gaunerthum durch das Auftreten der umher- schweifenden Zigeuner seit 1417 ungemein an Beweglichkeit, Ausbreitung und innerer Kunst gewonnen hatte. 3) Diese Auffassung ist nicht richtig. Das Brecheisen in den Händen
der Balmassematten oder Bahnherrn ist kein epitheton ornans, sondern das auch überall in Deutſchland aus der Praxis erkennen kann. 1) Rougets und Griſons, ſowie die ſehr merkwürdige Vorrede zum „Schauplatz der Betrüger“ (1687) intereſſante Auskunft. 1) Auch das erſchwert die Verfolgung des Gaunerthums in Deutſchland außerordentlich. Man unterſcheidet meiſtens auf den erſten Blick an den Spuren des Verbrechens die Thätigkeit des geübten Gauners von der des „Wittſchen“ Verbrechers. Aber auf eine beſtimmte farbige Schule und Manier, von der man auf die Eigenthümlichkeit einer beſtimmten bekannten Gruppe ſchließen könnte, wird man ſelten oder gar nicht geleitet, es ſei denn, daß fremdländiſche Gauner Spuren ihrer Eigenthümlichkeit bei dem verübten Verbrechen hinterlaſſen und ſich dadurch gekennzeichnet hätten. Aus dieſer letztern Hinſicht werden aber auch häufig von geübten Gaunern jene Formen gewählt, um den Verdacht von ſich auf fremde Berufsgenoſſen zu lenken. 2) Es iſt merkwürdig, daß ſeit dem Auftreten der Rothen und Schwarzen gegen das Ende des 14. Jahrhunderts und der dadurch veranlaßten Bekannt- machung des Raths zu Baſel keine Andeutung von einer Organiſation oder von Gaunermaximen gegeben wird, als nur die, welche jene Bekanntmachung enthält. Hundert Jahre ſpäter gibt Johannes Knebel, Sebaſtian Brant und der Liber vagatorum immer nur daſſelbe wieder, was der baſeler Rath pu- blicirt hat, und der Liber vagatorum mit ſeinem Plagiat der rotwelſchen Grammatik bleibt die beſchränkte Stereotype der Gaunerkunſt bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, obſchon das Gaunerthum durch das Auftreten der umher- ſchweifenden Zigeuner ſeit 1417 ungemein an Beweglichkeit, Ausbreitung und innerer Kunſt gewonnen hatte. 3) Dieſe Auffaſſung iſt nicht richtig. Das Brecheiſen in den Händen
der Balmaſſematten oder Bahnherrn iſt kein epitheton ornans, ſondern das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0109" n="93"/> auch überall in Deutſchland aus der Praxis erkennen kann. <note place="foot" n="1)">Auch das erſchwert die Verfolgung des Gaunerthums in Deutſchland<lb/> außerordentlich. Man unterſcheidet meiſtens auf den erſten Blick an den<lb/> Spuren des Verbrechens die Thätigkeit des geübten Gauners von der des<lb/> „Wittſchen“ Verbrechers. Aber auf eine beſtimmte farbige Schule und<lb/> Manier, von der man auf die Eigenthümlichkeit einer beſtimmten bekannten<lb/> Gruppe ſchließen könnte, wird man ſelten oder gar nicht geleitet, es ſei denn,<lb/> daß fremdländiſche Gauner Spuren ihrer Eigenthümlichkeit bei dem verübten<lb/> Verbrechen hinterlaſſen und ſich dadurch gekennzeichnet hätten. Aus dieſer<lb/> letztern Hinſicht werden aber auch häufig von geübten Gaunern jene Formen<lb/> gewählt, um den Verdacht von ſich auf fremde Berufsgenoſſen zu lenken.</note><lb/> Nur die praktiſchen Formen ſind, charakteriſtiſch, ein Gemeingut<lb/> des deutſchen Gaunerthums geworden; eine ſchulmäßige discipli-<lb/> nariſche Organiſation wie in England und Frankreich iſt nicht zu<lb/> erkennen. <note place="foot" n="2)">Es iſt merkwürdig, daß ſeit dem Auftreten der Rothen und Schwarzen<lb/> gegen das Ende des 14. Jahrhunderts und der dadurch veranlaßten Bekannt-<lb/> machung des Raths zu Baſel keine Andeutung von einer Organiſation oder<lb/> von Gaunermaximen gegeben wird, als nur die, welche jene Bekanntmachung<lb/> enthält. Hundert Jahre ſpäter gibt Johannes Knebel, Sebaſtian Brant und<lb/> der <hi rendition="#aq">Liber vagatorum</hi> immer nur daſſelbe wieder, was der baſeler Rath pu-<lb/> blicirt hat, und der <hi rendition="#aq">Liber vagatorum</hi> mit ſeinem Plagiat der rotwelſchen<lb/> Grammatik bleibt die beſchränkte Stereotype der Gaunerkunſt bis zum Ende<lb/> des 16. Jahrhunderts, obſchon das Gaunerthum durch das Auftreten der umher-<lb/> ſchweifenden Zigeuner ſeit 1417 ungemein an Beweglichkeit, Ausbreitung und<lb/> innerer Kunſt gewonnen hatte.</note> Kaum findet man irgendeinmal die Spur einer<lb/> Claſſification, die aber auch immer nur roh und bedeutungslos<lb/> iſt. So erhob, wie ſchon oben erwähnt, Krummfinger-Balthaſar<lb/> einzelne Mitglieder in den Adelſtand, machte ſie zu Regierungs-<lb/> räthen, Hofräthen, Amtmännern u. ſ. w., was jedoch wol nur<lb/> eine bloße Nachahmung der Zigeuner war, die ihre Herzoge,<lb/> Grafen u. ſ. w. hatten. Auch die Niederländiſche Bande hatte eine<lb/> Claſſification, von der es in der „Geſchichte der Rheiniſchen Räu-<lb/> berbanden“, <hi rendition="#aq">II</hi>, 10, heißt: „Zur erſten Klaſſe gehören die Chefs,<lb/> die Anführer, die bei dem Raube zum Zeichen ihrer Würde <note xml:id="seg2pn_35_1" next="#seg2pn_35_2" place="foot" n="3)">Dieſe Auffaſſung iſt nicht richtig. Das Brecheiſen in den Händen<lb/> der Balmaſſematten oder Bahnherrn iſt kein <hi rendition="#aq">epitheton ornans</hi>, ſondern das</note> das<lb/><note xml:id="seg2pn_34_2" prev="#seg2pn_34_1" place="foot" n="2)">Rougets und Griſons, ſowie die ſehr merkwürdige Vorrede zum „Schauplatz<lb/> der Betrüger“ (1687) intereſſante Auskunft.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0109]
auch überall in Deutſchland aus der Praxis erkennen kann. 1)
Nur die praktiſchen Formen ſind, charakteriſtiſch, ein Gemeingut
des deutſchen Gaunerthums geworden; eine ſchulmäßige discipli-
nariſche Organiſation wie in England und Frankreich iſt nicht zu
erkennen. 2) Kaum findet man irgendeinmal die Spur einer
Claſſification, die aber auch immer nur roh und bedeutungslos
iſt. So erhob, wie ſchon oben erwähnt, Krummfinger-Balthaſar
einzelne Mitglieder in den Adelſtand, machte ſie zu Regierungs-
räthen, Hofräthen, Amtmännern u. ſ. w., was jedoch wol nur
eine bloße Nachahmung der Zigeuner war, die ihre Herzoge,
Grafen u. ſ. w. hatten. Auch die Niederländiſche Bande hatte eine
Claſſification, von der es in der „Geſchichte der Rheiniſchen Räu-
berbanden“, II, 10, heißt: „Zur erſten Klaſſe gehören die Chefs,
die Anführer, die bei dem Raube zum Zeichen ihrer Würde 3) das
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1) Auch das erſchwert die Verfolgung des Gaunerthums in Deutſchland
außerordentlich. Man unterſcheidet meiſtens auf den erſten Blick an den
Spuren des Verbrechens die Thätigkeit des geübten Gauners von der des
„Wittſchen“ Verbrechers. Aber auf eine beſtimmte farbige Schule und
Manier, von der man auf die Eigenthümlichkeit einer beſtimmten bekannten
Gruppe ſchließen könnte, wird man ſelten oder gar nicht geleitet, es ſei denn,
daß fremdländiſche Gauner Spuren ihrer Eigenthümlichkeit bei dem verübten
Verbrechen hinterlaſſen und ſich dadurch gekennzeichnet hätten. Aus dieſer
letztern Hinſicht werden aber auch häufig von geübten Gaunern jene Formen
gewählt, um den Verdacht von ſich auf fremde Berufsgenoſſen zu lenken.
2) Es iſt merkwürdig, daß ſeit dem Auftreten der Rothen und Schwarzen
gegen das Ende des 14. Jahrhunderts und der dadurch veranlaßten Bekannt-
machung des Raths zu Baſel keine Andeutung von einer Organiſation oder
von Gaunermaximen gegeben wird, als nur die, welche jene Bekanntmachung
enthält. Hundert Jahre ſpäter gibt Johannes Knebel, Sebaſtian Brant und
der Liber vagatorum immer nur daſſelbe wieder, was der baſeler Rath pu-
blicirt hat, und der Liber vagatorum mit ſeinem Plagiat der rotwelſchen
Grammatik bleibt die beſchränkte Stereotype der Gaunerkunſt bis zum Ende
des 16. Jahrhunderts, obſchon das Gaunerthum durch das Auftreten der umher-
ſchweifenden Zigeuner ſeit 1417 ungemein an Beweglichkeit, Ausbreitung und
innerer Kunſt gewonnen hatte.
3) Dieſe Auffaſſung iſt nicht richtig. Das Brecheiſen in den Händen
der Balmaſſematten oder Bahnherrn iſt kein epitheton ornans, ſondern das
2) Rougets und Griſons, ſowie die ſehr merkwürdige Vorrede zum „Schauplatz
der Betrüger“ (1687) intereſſante Auskunft.
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