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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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endeten Räuberhauptmann qualificirte. Namentlich findet man
unter den rheinischen Banden seit 1790 kaum ein Mitglied, das
nicht solche Eigenschaften im vollsten Maße entwickelt hätte. Der
"Hauhns" (der Anfänger, Aengstliche, Unentschlossene) wurde so
lange verhöhnt und gemishandelt, bis er ein würdiges Mitglied
wurde, oder er ward weggejagt oder sonst beseitigt. Die Banden
hielten sich zwar zusammen, sie wählten aber für jedes einzelne
Unternehmen einen Bahnherrn, Balmassematten, den kühnsten und
unterrichtetsten, dem unbedingter Gehorsam geleistet wurde, bis
das Unternehmen vollendet und die Beute getheilt war. Rasch
ging die Bande auseinander, um in neuer Gruppirung an andern
Orten andere Unternehmungen zu beginnen. Jnsofern kann man
nur von der Bande eines Nicol List, Lips Tullian, Krummfinger-
Balthasar, Schinderhannes, Picard, Bosbeck, Damian Hessel u. s. w.,
und von einer Giessener, Hessischen, Bairischen, Niederländischen, Bra-
banter Bande u. s. w. reden, wobei noch zu bemerken ist, daß diese
Bezeichnungen selten oder gar nicht von den Räubern 1), unter
denen jeder einzelne seinen eigenen Bandennamen und jeder Haupt-
verkehrsort seine eigene gaunerische Bezeichnung hatte, wie z. B.
Köln Kuf, Leipzig Lommed, Hamburg Godel Mokum Hey
u. s. w., sondern von den Behörden und vom Volke ausgingen,
je nachdem bei einem oder mehreren Verbrechen der Name irgend-
eines Räubers besonders ausgezeichnet oder auch ein bestimmter
Landstrich besonders von den Räubern heimgesucht wurde, oder
ihnen einen besondern Zufluchtsort bot.

Aus eben dem Grunde mag sich erklären, daß man von
eigentlichen Gaunerschulen in Deutschland nicht reden kann, wie
man solche in andern Ländern, namentlich in England und
Frankreich findet 2), obwol man die feinste schulmäßige Ausbildung

1) Nur den Namen Mersener, Crevelder und Neußer Bande legten die
Räuber selbst ihren Genossenschaften bei. Vgl. "Actenmäßige Geschichte der
Rheinischen Räuberbanden", II, 9.
2) Ueber diese Schulen, ihre Organisation und Methode in Frankreich
gibt schon "Der Beutelschneider", I, 40 fg., namentlich im Betreff der

endeten Räuberhauptmann qualificirte. Namentlich findet man
unter den rheiniſchen Banden ſeit 1790 kaum ein Mitglied, das
nicht ſolche Eigenſchaften im vollſten Maße entwickelt hätte. Der
„Hauhns“ (der Anfänger, Aengſtliche, Unentſchloſſene) wurde ſo
lange verhöhnt und gemishandelt, bis er ein würdiges Mitglied
wurde, oder er ward weggejagt oder ſonſt beſeitigt. Die Banden
hielten ſich zwar zuſammen, ſie wählten aber für jedes einzelne
Unternehmen einen Bahnherrn, Balmaſſematten, den kühnſten und
unterrichtetſten, dem unbedingter Gehorſam geleiſtet wurde, bis
das Unternehmen vollendet und die Beute getheilt war. Raſch
ging die Bande auseinander, um in neuer Gruppirung an andern
Orten andere Unternehmungen zu beginnen. Jnſofern kann man
nur von der Bande eines Nicol Liſt, Lips Tullian, Krummfinger-
Balthaſar, Schinderhannes, Picard, Bosbeck, Damian Heſſel u. ſ. w.,
und von einer Gieſſener, Heſſiſchen, Bairiſchen, Niederländiſchen, Bra-
banter Bande u. ſ. w. reden, wobei noch zu bemerken iſt, daß dieſe
Bezeichnungen ſelten oder gar nicht von den Räubern 1), unter
denen jeder einzelne ſeinen eigenen Bandennamen und jeder Haupt-
verkehrsort ſeine eigene gauneriſche Bezeichnung hatte, wie z. B.
Köln Kuf, Leipzig Lommed, Hamburg Godel Mokum Hey
u. ſ. w., ſondern von den Behörden und vom Volke ausgingen,
je nachdem bei einem oder mehreren Verbrechen der Name irgend-
eines Räubers beſonders ausgezeichnet oder auch ein beſtimmter
Landſtrich beſonders von den Räubern heimgeſucht wurde, oder
ihnen einen beſondern Zufluchtsort bot.

Aus eben dem Grunde mag ſich erklären, daß man von
eigentlichen Gaunerſchulen in Deutſchland nicht reden kann, wie
man ſolche in andern Ländern, namentlich in England und
Frankreich findet 2), obwol man die feinſte ſchulmäßige Ausbildung

1) Nur den Namen Merſener, Crevelder und Neußer Bande legten die
Räuber ſelbſt ihren Genoſſenſchaften bei. Vgl. „Actenmäßige Geſchichte der
Rheiniſchen Räuberbanden“, II, 9.
2) Ueber dieſe Schulen, ihre Organiſation und Methode in Frankreich
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[92/0108] endeten Räuberhauptmann qualificirte. Namentlich findet man unter den rheiniſchen Banden ſeit 1790 kaum ein Mitglied, das nicht ſolche Eigenſchaften im vollſten Maße entwickelt hätte. Der „Hauhns“ (der Anfänger, Aengſtliche, Unentſchloſſene) wurde ſo lange verhöhnt und gemishandelt, bis er ein würdiges Mitglied wurde, oder er ward weggejagt oder ſonſt beſeitigt. Die Banden hielten ſich zwar zuſammen, ſie wählten aber für jedes einzelne Unternehmen einen Bahnherrn, Balmaſſematten, den kühnſten und unterrichtetſten, dem unbedingter Gehorſam geleiſtet wurde, bis das Unternehmen vollendet und die Beute getheilt war. Raſch ging die Bande auseinander, um in neuer Gruppirung an andern Orten andere Unternehmungen zu beginnen. Jnſofern kann man nur von der Bande eines Nicol Liſt, Lips Tullian, Krummfinger- Balthaſar, Schinderhannes, Picard, Bosbeck, Damian Heſſel u. ſ. w., und von einer Gieſſener, Heſſiſchen, Bairiſchen, Niederländiſchen, Bra- banter Bande u. ſ. w. reden, wobei noch zu bemerken iſt, daß dieſe Bezeichnungen ſelten oder gar nicht von den Räubern 1), unter denen jeder einzelne ſeinen eigenen Bandennamen und jeder Haupt- verkehrsort ſeine eigene gauneriſche Bezeichnung hatte, wie z. B. Köln Kuf, Leipzig Lommed, Hamburg Godel Mokum Hey u. ſ. w., ſondern von den Behörden und vom Volke ausgingen, je nachdem bei einem oder mehreren Verbrechen der Name irgend- eines Räubers beſonders ausgezeichnet oder auch ein beſtimmter Landſtrich beſonders von den Räubern heimgeſucht wurde, oder ihnen einen beſondern Zufluchtsort bot. Aus eben dem Grunde mag ſich erklären, daß man von eigentlichen Gaunerſchulen in Deutſchland nicht reden kann, wie man ſolche in andern Ländern, namentlich in England und Frankreich findet 2), obwol man die feinſte ſchulmäßige Ausbildung 1) Nur den Namen Merſener, Crevelder und Neußer Bande legten die Räuber ſelbſt ihren Genoſſenſchaften bei. Vgl. „Actenmäßige Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden“, II, 9. 2) Ueber dieſe Schulen, ihre Organiſation und Methode in Frankreich gibt ſchon „Der Beutelſchneider“, I, 40 fg., namentlich im Betreff der

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/108>, abgerufen am 26.11.2024.