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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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auf dem Lande und in den Städten durchaus noch nicht hin-
reichend geschützt, und selbst die sehr strengen Kreisschlüsse 1) in
Franken, Schwaben und am Rhein gegen die Gauner und Va-
ganten reichten bei weitem zu diesem Schutze nicht aus. Auch
machte die allmählich beginnende Abschaffung der Tortur das
Gaunerthum nur noch dreister und zuversichtlicher, da die Jnqui-
siten bei hartnäckigem Leugnen um so sicherer auf eine Entbin-
dung von der Jnstanz rechnen konnten.

Durch alle diese Umstände wurde dem Gaunerthum in seiner
äußern Verbreitung und intensiven Ausbildung ein sehr bedeut-
samer Vorschub geleistet, und dadurch erklärt sich der immer
massenhafter anschwellende numerische Jnhalt der allmählich auf-
gekommenen Gaunerlisten 2) und die weitverbreitete, sorgsam ge-
pflegte Kunst des Gaunerthums 3), die man überall mit staunender

1) Vgl. Malblank, a. a. O., S. 227, und dort die in Note c citirte Ab-
handlung Malblank's. Vgl. ferner in der Literatur: Steigerwald, "Res fur-
ciferorum.
"
2) Eine der ältesten gedruckten Gaunerlisten, nach der schon erwähnten
Nürnberger Liste von 1593, findet sich in den "Gründlichen Nachrichten von
entsetzlichen und erbärmlichen Mordthaten" (1715); vgl. die Literatur. Auch
erschien 1728 zu Ludwigsburg ein Gaunerverzeichniß, dessen Schäffer in seinem
"Abriß des Jauner- und Bettelwesens in Schwaben" (1793), S. 303,
Erwähnung thut. Eine der interessantesten Listen enthält die "Actenmäßige
Nachricht von einer zahlreichen Diebsbande", nach den Angaben des Johann
Andreas Mahr (Hildburghausen 1753). Andere Listen, namentlich schwäbi-
scher Gauner, findet man bei Schäffer, a. a. O., S. 471 fg. und S. 596 fg.
Noch zahlreichere Listen seit 1758 führt Pfister an im "Nachtrag zu der ac-
tenmäßigen Geschichte der Räuberbanden" (Heidelberg 1812), S. 75 fg.
Eine der neuesten ist die Badische, auf Verfügung des Ministeriums zu
Karlsruhe 1827 gedruckte und 129 Personalbeschreibungen enthaltende Gau-
nerliste. Vgl. die Literatur auch in Beziehung auf die neuern Gaunerver-
zeichnisse bei Grolman, Christensen, Schwencken, Thiele u. s. w. Von
dem nur sehr relativen Nutzen solcher Gaunerlisten sagt Pfister, a. a. O.,
S. 140 u. 141, ein treffendes Wort, das noch mehr an Bedeutsamkeit ge-
winnt, wenn man damit in Verbindung bringt, was er S. 203 über den
Vagantenschub sagt. Wie fehlt auch noch heute der wahre feste Zusammen-
halt der Sicherheitsbehörden!
3) Nach den Geständnissen des 1745 zu Hildburghausen hingerichteten

auf dem Lande und in den Städten durchaus noch nicht hin-
reichend geſchützt, und ſelbſt die ſehr ſtrengen Kreisſchlüſſe 1) in
Franken, Schwaben und am Rhein gegen die Gauner und Va-
ganten reichten bei weitem zu dieſem Schutze nicht aus. Auch
machte die allmählich beginnende Abſchaffung der Tortur das
Gaunerthum nur noch dreiſter und zuverſichtlicher, da die Jnqui-
ſiten bei hartnäckigem Leugnen um ſo ſicherer auf eine Entbin-
dung von der Jnſtanz rechnen konnten.

Durch alle dieſe Umſtände wurde dem Gaunerthum in ſeiner
äußern Verbreitung und intenſiven Ausbildung ein ſehr bedeut-
ſamer Vorſchub geleiſtet, und dadurch erklärt ſich der immer
maſſenhafter anſchwellende numeriſche Jnhalt der allmählich auf-
gekommenen Gaunerliſten 2) und die weitverbreitete, ſorgſam ge-
pflegte Kunſt des Gaunerthums 3), die man überall mit ſtaunender

1) Vgl. Malblank, a. a. O., S. 227, und dort die in Note c citirte Ab-
handlung Malblank’s. Vgl. ferner in der Literatur: Steigerwald, „Res fur-
ciferorum.
2) Eine der älteſten gedruckten Gaunerliſten, nach der ſchon erwähnten
Nürnberger Liſte von 1593, findet ſich in den „Gründlichen Nachrichten von
entſetzlichen und erbärmlichen Mordthaten“ (1715); vgl. die Literatur. Auch
erſchien 1728 zu Ludwigsburg ein Gaunerverzeichniß, deſſen Schäffer in ſeinem
„Abriß des Jauner- und Bettelweſens in Schwaben“ (1793), S. 303,
Erwähnung thut. Eine der intereſſanteſten Liſten enthält die „Actenmäßige
Nachricht von einer zahlreichen Diebsbande“, nach den Angaben des Johann
Andreas Mahr (Hildburghauſen 1753). Andere Liſten, namentlich ſchwäbi-
ſcher Gauner, findet man bei Schäffer, a. a. O., S. 471 fg. und S. 596 fg.
Noch zahlreichere Liſten ſeit 1758 führt Pfiſter an im „Nachtrag zu der ac-
tenmäßigen Geſchichte der Räuberbanden“ (Heidelberg 1812), S. 75 fg.
Eine der neueſten iſt die Badiſche, auf Verfügung des Miniſteriums zu
Karlsruhe 1827 gedruckte und 129 Perſonalbeſchreibungen enthaltende Gau-
nerliſte. Vgl. die Literatur auch in Beziehung auf die neuern Gaunerver-
zeichniſſe bei Grolman, Chriſtenſen, Schwencken, Thiele u. ſ. w. Von
dem nur ſehr relativen Nutzen ſolcher Gaunerliſten ſagt Pfiſter, a. a. O.,
S. 140 u. 141, ein treffendes Wort, das noch mehr an Bedeutſamkeit ge-
winnt, wenn man damit in Verbindung bringt, was er S. 203 über den
Vagantenſchub ſagt. Wie fehlt auch noch heute der wahre feſte Zuſammen-
halt der Sicherheitsbehörden!
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[86/0102] auf dem Lande und in den Städten durchaus noch nicht hin- reichend geſchützt, und ſelbſt die ſehr ſtrengen Kreisſchlüſſe 1) in Franken, Schwaben und am Rhein gegen die Gauner und Va- ganten reichten bei weitem zu dieſem Schutze nicht aus. Auch machte die allmählich beginnende Abſchaffung der Tortur das Gaunerthum nur noch dreiſter und zuverſichtlicher, da die Jnqui- ſiten bei hartnäckigem Leugnen um ſo ſicherer auf eine Entbin- dung von der Jnſtanz rechnen konnten. Durch alle dieſe Umſtände wurde dem Gaunerthum in ſeiner äußern Verbreitung und intenſiven Ausbildung ein ſehr bedeut- ſamer Vorſchub geleiſtet, und dadurch erklärt ſich der immer maſſenhafter anſchwellende numeriſche Jnhalt der allmählich auf- gekommenen Gaunerliſten 2) und die weitverbreitete, ſorgſam ge- pflegte Kunſt des Gaunerthums 3), die man überall mit ſtaunender 1) Vgl. Malblank, a. a. O., S. 227, und dort die in Note c citirte Ab- handlung Malblank’s. Vgl. ferner in der Literatur: Steigerwald, „Res fur- ciferorum.“ 2) Eine der älteſten gedruckten Gaunerliſten, nach der ſchon erwähnten Nürnberger Liſte von 1593, findet ſich in den „Gründlichen Nachrichten von entſetzlichen und erbärmlichen Mordthaten“ (1715); vgl. die Literatur. Auch erſchien 1728 zu Ludwigsburg ein Gaunerverzeichniß, deſſen Schäffer in ſeinem „Abriß des Jauner- und Bettelweſens in Schwaben“ (1793), S. 303, Erwähnung thut. Eine der intereſſanteſten Liſten enthält die „Actenmäßige Nachricht von einer zahlreichen Diebsbande“, nach den Angaben des Johann Andreas Mahr (Hildburghauſen 1753). Andere Liſten, namentlich ſchwäbi- ſcher Gauner, findet man bei Schäffer, a. a. O., S. 471 fg. und S. 596 fg. Noch zahlreichere Liſten ſeit 1758 führt Pfiſter an im „Nachtrag zu der ac- tenmäßigen Geſchichte der Räuberbanden“ (Heidelberg 1812), S. 75 fg. Eine der neueſten iſt die Badiſche, auf Verfügung des Miniſteriums zu Karlsruhe 1827 gedruckte und 129 Perſonalbeſchreibungen enthaltende Gau- nerliſte. Vgl. die Literatur auch in Beziehung auf die neuern Gaunerver- zeichniſſe bei Grolman, Chriſtenſen, Schwencken, Thiele u. ſ. w. Von dem nur ſehr relativen Nutzen ſolcher Gaunerliſten ſagt Pfiſter, a. a. O., S. 140 u. 141, ein treffendes Wort, das noch mehr an Bedeutſamkeit ge- winnt, wenn man damit in Verbindung bringt, was er S. 203 über den Vagantenſchub ſagt. Wie fehlt auch noch heute der wahre feſte Zuſammen- halt der Sicherheitsbehörden! 3) Nach den Geſtändniſſen des 1745 zu Hildburghauſen hingerichteten

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/102>, abgerufen am 08.05.2024.