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Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 27. Juni 1840.

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unter uns war, so hat das Publicum volle Gerechtigkeit geübt, nun sie uns aufgeblüht aus der Fremde kam. Die Aufnahme war die allerfreundlichste, der Beifall rauschend und vom Herzen kommend.

Deutschland und die Pentarchie.

Der Verfasser des Aufsatzes "die deutschen Publicisten und die europäische Pentarchie" in Nr. 165 und 166 hat dem schreibseligen, stubengelehrten Geschlecht bittere Wahrheiten gesagt, und die Schwäche Deutschlands gegenüber den Russen in ein keineswegs erfreuliches Licht gestellt. Auch läßt sich nicht läugnen, die Pentarchie wäre nicht erschienen, wenn man nicht den Zweck, um den es sich handelt, schon erreicht glaubte: die Pentarchie ist nur das Siegsbulletin nach geschlagener Schlacht. Indeß "nicht Worte sind es, welche diesen Streit entscheiden," und das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen. Alle Diplomatenkünste scheitern oft an einem einzigen Ereigniß, und alle spitzfindige Klugheit an einer einzigen großen Idee der Massen. Der Verfasser des obigen Artikels hat völlig Recht: es handelt sich in der Pentarchie nur um Deutschland, dessen westliche Fürsten man durch das arglistig genährte Mißtrauen gegen Oesterreich und Preußen, und durch die Furcht vor französischen Revolutionsideen zur Anerkennung eines russischen Protectorats treiben will. Wenn dieser Plan wirklich existirt, so zeugt derselbe von gar wenig Achtung vor der Einsicht der Cabinette Westdeutschlands, denn nehmen wir auch die Furcht vor französischen Revolutionsideen als ganz begründet an, so wären bei einem Ueberwiegen derselben Oesterreich und Preußen gerade eben so sehr und noch mehr als Rußland betheiligt, und von ihnen jedenfalls mehr Hülfe zu erwarten als von Rußland, wenn nicht etwa das letztere gar, wie schon geschehen, sich mit dem revolutionären Frankreich verbände. Was das Mißtrauen gegen Oesterreich und Preußen betrifft, so ist dieß ganz lächerlich, denn auch vorausgesetzt, diese beiden Mächte hätten alle Lust, die kleineren Staaten Deutschlands zu verschlingen, so könnte dieß doch nicht im tiefen Frieden, sondern nur nach einem Kriege geschehen, und zwar nach einem glücklichen Kriege gegen Rußland und Frankreich. Nach einem solchen Kriege aber würde auch Rußland eine neue Mediatisation nicht hindern können. Vor einem Kriege ist also eine russische Protection ganz überflüssig, und nach einem Kriege könnte sie nichts nützen. Was ein unglücklicher Krieg Preußens und Oesterreichs gegen Rußland für Folgen hätte, gehört nicht hieher. Wir haben bei diesen Bemerkungen das Institut des deutschen Bundes ganz außer Acht gelassen, in Erinnerung dessen, was Görres schon vor 20 Jahren über dessen Constituirung gesagt. Ist aber auch die Form mangelhaft, so hat doch der Geist der Einheit in Deutschland seit 20 Jahren entschiedene, unläugbare Fortschritte gemacht, und da auf den östlichen Gränzen Deutschlands nur die beiden deutschen Großmächte, freilich in ziemlich ungünstiger militärischer Stellung, stehen, so ist dort ein Zusammenwirken viel leichter, als im Westen, wo die Gefahr gegen das einige Frankreich größer ist als gegen das, wenn auch noch so einige, Rußland. Gegen Westen sind die Aussichten viel betrübender als gegen Osten, wo vorerst Oesterreich und Preußen niedergeworfen seyn müßten. Nicht mit Unrecht gießt der Verfasser des obigen Aufsatzes seine Lauge über die gelehrten Leute, welche vermeinen, das gebildete Deutschland könne nicht unter das barbarische Rußland sinken, als ob nicht überall die gebildeten, namentlich übergebildeten Völker, sogenannte Weltvölker, unter dem Andrang roher Nationalvölker gefallen und in Sklaverei versunken wären.

In einem andern Punkte aber bin ich mit dem Verfasser des mehr erwähnten Artikels keineswegs einverstanden, wenn er sagt, das orientalische Kirchenthum wälze sich gegen das occidentalische, Byzanz gegen Rom heran und das kirchlich unheilbar zerrissene Deutschland werde keinen hinreichenden Widerstand entgegensetzen können. Die kirchliche Einheit Rußlands ist allerdings ein starkes Element der Kraft, aber dieses Element der Kraft gilt nur für Rußland selbst, nicht für das Ausland, wo mit Ausnahme vielleicht eines Theils der Slaven im österreichischen Staat und der Griechen insgesammt, die griechische Kirche weder Liebe noch Haß, sondern nur Gleichgültigkeit findet. Es ist dieß kirchliche Element gar kein Mittel, durch das man irgend auf Deutschland einwirken könnte. Zudem steht die griechische Kirche noch nicht an der Gränze Deutschlands, sondern an der Gränze Polens gegen Rußland. Die ehemals russischen, im 15ten Jahrhundert polnisch gewordenen Provinzen zwischen Bug und Dniepr, Niemen und Düna bis zum tschudischen Meere (Peipussee) wurden allerdings von den Polen theils mit List, theils mit Gewalt zu einer Union mit Rom vermocht, mit List und Gewalt brachte Rußland diese Provinzen politisch wie geistlich wieder an sich; auch erstreckt sich sein Einfluß mehr oder minder über alle Griechisch-Unirten, auch außerhalb Rußland. Hier endet aber auch sein geistiger und geistlicher Einfluß, und das katholische Polen ist noch keineswegs todt, wie der Verfasser meint. Man blicke zurück auf die Religionskämpfe zwischen Rußland und Polen, man vergleiche das Machtverhältniß zwischen dem ehemaligen polnischen Reiche und dem kleinen Kosakenlande, andererseits zwischen dem jetzigen Rußland und dem noch jetzt katholischen Polen, und man wird finden, daß das letztere noch völlig eben so viele Chancen für sich hat, als nur je das Kosakenland gegen Polen hatte. Die Mittel, welche Rußland anwendet, um dem gebeugten Polen die griechische Kirche einzuimpfen, sind etwas minder roh, als das katholische Polen gegen das russisch-griechische Kosakenland sie in Ausübung brachte, erregen aber nicht minderen Haß und werden von eben so wenig Erfolg seyn. Die Verhältnisse der benachbarten Mächte können sich zum Vortheil Polens ändern, und der Bann, der jetzt auf dem Lande lastet, wird dann mit Einem Mal gelöst seyn. Die Beweise, daß noch viele Polen sich mit solchen Hoffnungen tragen, lassen sich unschwer aus manchen polnischen Schriften sammeln.

Aus dem Gesagten scheint wenigstens mit ziemlicher Sicherheit hervorzugehen, daß, wenn von einem religiösen Kampf zwischen katholischer und russisch-griechischer Kirche die Rede ist, dieser nur sehr indirect Deutschland berührt, und wenn gleich der Verfasser der Pentarchie meint, "die Zeit nahe, wo das Abendland die Losscheidung Roms von der orthodoxen (griechisch-russischen) Kirche segnen und das neue Christenthum gläubig sich aufs Neue aas dem Orient holen werde," so hat es damit noch keine Noth: der starrste Lutheraner wird noch der katholischen Kirche mehr innere Lebensfülle zutrauen, als der griechisch-russischen, und der beschränkteste Katholik fühlen, daß mit einer deutschen protestantischen Regierung noch besser auszukommen als mit einem russischen Kaiserpatriarchen. Die Art, wie die Münchener "historisch-politischen Blätter" sich über die Pentarchie aussprechen, mag einstweilen als Probe dienen, daß man den Familienhader nicht so weit treiben wird, fremde Mächte als Schiedsrichter aufzurufen oder auch nur sich einmischen zu lassen. Deutschland ist das einzige Land in Europa, wo Katholiken und Protestanten gleichberechtigt und in so ziemlich gleicher Stärke neben einander stehen. Es wäre traurig, und ist fast

unter uns war, so hat das Publicum volle Gerechtigkeit geübt, nun sie uns aufgeblüht aus der Fremde kam. Die Aufnahme war die allerfreundlichste, der Beifall rauschend und vom Herzen kommend.

Deutschland und die Pentarchie.

Der Verfasser des Aufsatzes „die deutschen Publicisten und die europäische Pentarchie“ in Nr. 165 und 166 hat dem schreibseligen, stubengelehrten Geschlecht bittere Wahrheiten gesagt, und die Schwäche Deutschlands gegenüber den Russen in ein keineswegs erfreuliches Licht gestellt. Auch läßt sich nicht läugnen, die Pentarchie wäre nicht erschienen, wenn man nicht den Zweck, um den es sich handelt, schon erreicht glaubte: die Pentarchie ist nur das Siegsbulletin nach geschlagener Schlacht. Indeß „nicht Worte sind es, welche diesen Streit entscheiden,“ und das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen. Alle Diplomatenkünste scheitern oft an einem einzigen Ereigniß, und alle spitzfindige Klugheit an einer einzigen großen Idee der Massen. Der Verfasser des obigen Artikels hat völlig Recht: es handelt sich in der Pentarchie nur um Deutschland, dessen westliche Fürsten man durch das arglistig genährte Mißtrauen gegen Oesterreich und Preußen, und durch die Furcht vor französischen Revolutionsideen zur Anerkennung eines russischen Protectorats treiben will. Wenn dieser Plan wirklich existirt, so zeugt derselbe von gar wenig Achtung vor der Einsicht der Cabinette Westdeutschlands, denn nehmen wir auch die Furcht vor französischen Revolutionsideen als ganz begründet an, so wären bei einem Ueberwiegen derselben Oesterreich und Preußen gerade eben so sehr und noch mehr als Rußland betheiligt, und von ihnen jedenfalls mehr Hülfe zu erwarten als von Rußland, wenn nicht etwa das letztere gar, wie schon geschehen, sich mit dem revolutionären Frankreich verbände. Was das Mißtrauen gegen Oesterreich und Preußen betrifft, so ist dieß ganz lächerlich, denn auch vorausgesetzt, diese beiden Mächte hätten alle Lust, die kleineren Staaten Deutschlands zu verschlingen, so könnte dieß doch nicht im tiefen Frieden, sondern nur nach einem Kriege geschehen, und zwar nach einem glücklichen Kriege gegen Rußland und Frankreich. Nach einem solchen Kriege aber würde auch Rußland eine neue Mediatisation nicht hindern können. Vor einem Kriege ist also eine russische Protection ganz überflüssig, und nach einem Kriege könnte sie nichts nützen. Was ein unglücklicher Krieg Preußens und Oesterreichs gegen Rußland für Folgen hätte, gehört nicht hieher. Wir haben bei diesen Bemerkungen das Institut des deutschen Bundes ganz außer Acht gelassen, in Erinnerung dessen, was Görres schon vor 20 Jahren über dessen Constituirung gesagt. Ist aber auch die Form mangelhaft, so hat doch der Geist der Einheit in Deutschland seit 20 Jahren entschiedene, unläugbare Fortschritte gemacht, und da auf den östlichen Gränzen Deutschlands nur die beiden deutschen Großmächte, freilich in ziemlich ungünstiger militärischer Stellung, stehen, so ist dort ein Zusammenwirken viel leichter, als im Westen, wo die Gefahr gegen das einige Frankreich größer ist als gegen das, wenn auch noch so einige, Rußland. Gegen Westen sind die Aussichten viel betrübender als gegen Osten, wo vorerst Oesterreich und Preußen niedergeworfen seyn müßten. Nicht mit Unrecht gießt der Verfasser des obigen Aufsatzes seine Lauge über die gelehrten Leute, welche vermeinen, das gebildete Deutschland könne nicht unter das barbarische Rußland sinken, als ob nicht überall die gebildeten, namentlich übergebildeten Völker, sogenannte Weltvölker, unter dem Andrang roher Nationalvölker gefallen und in Sklaverei versunken wären.

In einem andern Punkte aber bin ich mit dem Verfasser des mehr erwähnten Artikels keineswegs einverstanden, wenn er sagt, das orientalische Kirchenthum wälze sich gegen das occidentalische, Byzanz gegen Rom heran und das kirchlich unheilbar zerrissene Deutschland werde keinen hinreichenden Widerstand entgegensetzen können. Die kirchliche Einheit Rußlands ist allerdings ein starkes Element der Kraft, aber dieses Element der Kraft gilt nur für Rußland selbst, nicht für das Ausland, wo mit Ausnahme vielleicht eines Theils der Slaven im österreichischen Staat und der Griechen insgesammt, die griechische Kirche weder Liebe noch Haß, sondern nur Gleichgültigkeit findet. Es ist dieß kirchliche Element gar kein Mittel, durch das man irgend auf Deutschland einwirken könnte. Zudem steht die griechische Kirche noch nicht an der Gränze Deutschlands, sondern an der Gränze Polens gegen Rußland. Die ehemals russischen, im 15ten Jahrhundert polnisch gewordenen Provinzen zwischen Bug und Dniepr, Niemen und Düna bis zum tschudischen Meere (Peipussee) wurden allerdings von den Polen theils mit List, theils mit Gewalt zu einer Union mit Rom vermocht, mit List und Gewalt brachte Rußland diese Provinzen politisch wie geistlich wieder an sich; auch erstreckt sich sein Einfluß mehr oder minder über alle Griechisch-Unirten, auch außerhalb Rußland. Hier endet aber auch sein geistiger und geistlicher Einfluß, und das katholische Polen ist noch keineswegs todt, wie der Verfasser meint. Man blicke zurück auf die Religionskämpfe zwischen Rußland und Polen, man vergleiche das Machtverhältniß zwischen dem ehemaligen polnischen Reiche und dem kleinen Kosakenlande, andererseits zwischen dem jetzigen Rußland und dem noch jetzt katholischen Polen, und man wird finden, daß das letztere noch völlig eben so viele Chancen für sich hat, als nur je das Kosakenland gegen Polen hatte. Die Mittel, welche Rußland anwendet, um dem gebeugten Polen die griechische Kirche einzuimpfen, sind etwas minder roh, als das katholische Polen gegen das russisch-griechische Kosakenland sie in Ausübung brachte, erregen aber nicht minderen Haß und werden von eben so wenig Erfolg seyn. Die Verhältnisse der benachbarten Mächte können sich zum Vortheil Polens ändern, und der Bann, der jetzt auf dem Lande lastet, wird dann mit Einem Mal gelöst seyn. Die Beweise, daß noch viele Polen sich mit solchen Hoffnungen tragen, lassen sich unschwer aus manchen polnischen Schriften sammeln.

Aus dem Gesagten scheint wenigstens mit ziemlicher Sicherheit hervorzugehen, daß, wenn von einem religiösen Kampf zwischen katholischer und russisch-griechischer Kirche die Rede ist, dieser nur sehr indirect Deutschland berührt, und wenn gleich der Verfasser der Pentarchie meint, „die Zeit nahe, wo das Abendland die Losscheidung Roms von der orthodoxen (griechisch-russischen) Kirche segnen und das neue Christenthum gläubig sich aufs Neue aas dem Orient holen werde,“ so hat es damit noch keine Noth: der starrste Lutheraner wird noch der katholischen Kirche mehr innere Lebensfülle zutrauen, als der griechisch-russischen, und der beschränkteste Katholik fühlen, daß mit einer deutschen protestantischen Regierung noch besser auszukommen als mit einem russischen Kaiserpatriarchen. Die Art, wie die Münchener „historisch-politischen Blätter“ sich über die Pentarchie aussprechen, mag einstweilen als Probe dienen, daß man den Familienhader nicht so weit treiben wird, fremde Mächte als Schiedsrichter aufzurufen oder auch nur sich einmischen zu lassen. Deutschland ist das einzige Land in Europa, wo Katholiken und Protestanten gleichberechtigt und in so ziemlich gleicher Stärke neben einander stehen. Es wäre traurig, und ist fast

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[1419/0011] unter uns war, so hat das Publicum volle Gerechtigkeit geübt, nun sie uns aufgeblüht aus der Fremde kam. Die Aufnahme war die allerfreundlichste, der Beifall rauschend und vom Herzen kommend. Deutschland und die Pentarchie. _ Vom Main, 20 Jun. Der Verfasser des Aufsatzes „die deutschen Publicisten und die europäische Pentarchie“ in Nr. 165 und 166 hat dem schreibseligen, stubengelehrten Geschlecht bittere Wahrheiten gesagt, und die Schwäche Deutschlands gegenüber den Russen in ein keineswegs erfreuliches Licht gestellt. Auch läßt sich nicht läugnen, die Pentarchie wäre nicht erschienen, wenn man nicht den Zweck, um den es sich handelt, schon erreicht glaubte: die Pentarchie ist nur das Siegsbulletin nach geschlagener Schlacht. Indeß „nicht Worte sind es, welche diesen Streit entscheiden,“ und das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen. Alle Diplomatenkünste scheitern oft an einem einzigen Ereigniß, und alle spitzfindige Klugheit an einer einzigen großen Idee der Massen. Der Verfasser des obigen Artikels hat völlig Recht: es handelt sich in der Pentarchie nur um Deutschland, dessen westliche Fürsten man durch das arglistig genährte Mißtrauen gegen Oesterreich und Preußen, und durch die Furcht vor französischen Revolutionsideen zur Anerkennung eines russischen Protectorats treiben will. Wenn dieser Plan wirklich existirt, so zeugt derselbe von gar wenig Achtung vor der Einsicht der Cabinette Westdeutschlands, denn nehmen wir auch die Furcht vor französischen Revolutionsideen als ganz begründet an, so wären bei einem Ueberwiegen derselben Oesterreich und Preußen gerade eben so sehr und noch mehr als Rußland betheiligt, und von ihnen jedenfalls mehr Hülfe zu erwarten als von Rußland, wenn nicht etwa das letztere gar, wie schon geschehen, sich mit dem revolutionären Frankreich verbände. Was das Mißtrauen gegen Oesterreich und Preußen betrifft, so ist dieß ganz lächerlich, denn auch vorausgesetzt, diese beiden Mächte hätten alle Lust, die kleineren Staaten Deutschlands zu verschlingen, so könnte dieß doch nicht im tiefen Frieden, sondern nur nach einem Kriege geschehen, und zwar nach einem glücklichen Kriege gegen Rußland und Frankreich. Nach einem solchen Kriege aber würde auch Rußland eine neue Mediatisation nicht hindern können. Vor einem Kriege ist also eine russische Protection ganz überflüssig, und nach einem Kriege könnte sie nichts nützen. Was ein unglücklicher Krieg Preußens und Oesterreichs gegen Rußland für Folgen hätte, gehört nicht hieher. Wir haben bei diesen Bemerkungen das Institut des deutschen Bundes ganz außer Acht gelassen, in Erinnerung dessen, was Görres schon vor 20 Jahren über dessen Constituirung gesagt. Ist aber auch die Form mangelhaft, so hat doch der Geist der Einheit in Deutschland seit 20 Jahren entschiedene, unläugbare Fortschritte gemacht, und da auf den östlichen Gränzen Deutschlands nur die beiden deutschen Großmächte, freilich in ziemlich ungünstiger militärischer Stellung, stehen, so ist dort ein Zusammenwirken viel leichter, als im Westen, wo die Gefahr gegen das einige Frankreich größer ist als gegen das, wenn auch noch so einige, Rußland. Gegen Westen sind die Aussichten viel betrübender als gegen Osten, wo vorerst Oesterreich und Preußen niedergeworfen seyn müßten. Nicht mit Unrecht gießt der Verfasser des obigen Aufsatzes seine Lauge über die gelehrten Leute, welche vermeinen, das gebildete Deutschland könne nicht unter das barbarische Rußland sinken, als ob nicht überall die gebildeten, namentlich übergebildeten Völker, sogenannte Weltvölker, unter dem Andrang roher Nationalvölker gefallen und in Sklaverei versunken wären. In einem andern Punkte aber bin ich mit dem Verfasser des mehr erwähnten Artikels keineswegs einverstanden, wenn er sagt, das orientalische Kirchenthum wälze sich gegen das occidentalische, Byzanz gegen Rom heran und das kirchlich unheilbar zerrissene Deutschland werde keinen hinreichenden Widerstand entgegensetzen können. Die kirchliche Einheit Rußlands ist allerdings ein starkes Element der Kraft, aber dieses Element der Kraft gilt nur für Rußland selbst, nicht für das Ausland, wo mit Ausnahme vielleicht eines Theils der Slaven im österreichischen Staat und der Griechen insgesammt, die griechische Kirche weder Liebe noch Haß, sondern nur Gleichgültigkeit findet. Es ist dieß kirchliche Element gar kein Mittel, durch das man irgend auf Deutschland einwirken könnte. Zudem steht die griechische Kirche noch nicht an der Gränze Deutschlands, sondern an der Gränze Polens gegen Rußland. Die ehemals russischen, im 15ten Jahrhundert polnisch gewordenen Provinzen zwischen Bug und Dniepr, Niemen und Düna bis zum tschudischen Meere (Peipussee) wurden allerdings von den Polen theils mit List, theils mit Gewalt zu einer Union mit Rom vermocht, mit List und Gewalt brachte Rußland diese Provinzen politisch wie geistlich wieder an sich; auch erstreckt sich sein Einfluß mehr oder minder über alle Griechisch-Unirten, auch außerhalb Rußland. Hier endet aber auch sein geistiger und geistlicher Einfluß, und das katholische Polen ist noch keineswegs todt, wie der Verfasser meint. Man blicke zurück auf die Religionskämpfe zwischen Rußland und Polen, man vergleiche das Machtverhältniß zwischen dem ehemaligen polnischen Reiche und dem kleinen Kosakenlande, andererseits zwischen dem jetzigen Rußland und dem noch jetzt katholischen Polen, und man wird finden, daß das letztere noch völlig eben so viele Chancen für sich hat, als nur je das Kosakenland gegen Polen hatte. Die Mittel, welche Rußland anwendet, um dem gebeugten Polen die griechische Kirche einzuimpfen, sind etwas minder roh, als das katholische Polen gegen das russisch-griechische Kosakenland sie in Ausübung brachte, erregen aber nicht minderen Haß und werden von eben so wenig Erfolg seyn. Die Verhältnisse der benachbarten Mächte können sich zum Vortheil Polens ändern, und der Bann, der jetzt auf dem Lande lastet, wird dann mit Einem Mal gelöst seyn. Die Beweise, daß noch viele Polen sich mit solchen Hoffnungen tragen, lassen sich unschwer aus manchen polnischen Schriften sammeln. Aus dem Gesagten scheint wenigstens mit ziemlicher Sicherheit hervorzugehen, daß, wenn von einem religiösen Kampf zwischen katholischer und russisch-griechischer Kirche die Rede ist, dieser nur sehr indirect Deutschland berührt, und wenn gleich der Verfasser der Pentarchie meint, „die Zeit nahe, wo das Abendland die Losscheidung Roms von der orthodoxen (griechisch-russischen) Kirche segnen und das neue Christenthum gläubig sich aufs Neue aas dem Orient holen werde,“ so hat es damit noch keine Noth: der starrste Lutheraner wird noch der katholischen Kirche mehr innere Lebensfülle zutrauen, als der griechisch-russischen, und der beschränkteste Katholik fühlen, daß mit einer deutschen protestantischen Regierung noch besser auszukommen als mit einem russischen Kaiserpatriarchen. Die Art, wie die Münchener „historisch-politischen Blätter“ sich über die Pentarchie aussprechen, mag einstweilen als Probe dienen, daß man den Familienhader nicht so weit treiben wird, fremde Mächte als Schiedsrichter aufzurufen oder auch nur sich einmischen zu lassen. Deutschland ist das einzige Land in Europa, wo Katholiken und Protestanten gleichberechtigt und in so ziemlich gleicher Stärke neben einander stehen. Es wäre traurig, und ist fast

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 27. Juni 1840, S. 1419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_179_18400627/11>, abgerufen am 23.11.2024.