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Allgemeine Zeitung. Nr. 167. Augsburg, 15. Juni 1840.

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Nepomuk Lemercier.

Die gelehrte Welt, die Freunde der classischen Litteratur und der Sprachreinheit werden mit Trauer den Tod des sehr rasch verschiedenen Nepomuk Lemercier vernehmen. Lemercier, als Akademiker (er war Mitglied der französischen Akademie), gehörte zu den Pflegern der reinsten Ueberlieferungen der französischen schönen Litteratur; sein Agamemnon hat seinen Namen als dramatischer Dichter gesichert, und die ehrenwerthe Rechtlichkeit seines Charakters, sein warmes, hochherziges Mitgefühl für Alles, was die großen Fragen des Völkerglücks und den Kampf um die Freiheit und den socialen Fortschritt berührt, sind von allen Parteien anerkannt. Es ist nur sehr kurze Zeit her, daß wir dem rüstigen Greis in einem Pariser Cirkel begegnet sind, wo er mit mehreren Mitgliedern der linken Seite in der Kammer, Cormenin, Auguis, Garnier Pages zusammen kam; nichts in seinem Aussehen und der Lebhaftigkeit seiner Unterhaltung konnte eine so baldige Auflösung vorhersehen lassen. Es ist bekannt, daß er sein Lustspiel Pinto in Folge einer Art von Wette gefertigt hat. Es war unter dem Kaiserthum. Man sprach damals wie heute, davon, daß die gute alte Zeit unwiederbringlich dahin, und mit dem neunzehnten Jahrhundert alle Hoffnung verschwunden sey, gute, geistvolle und treffende Komödien, wie Moliere, Beaumarchais sie geschrieben, jemals wieder zu erleben. Der Verfasser des Agamemnon, bei dieser Klage zugegen, übernahm es seine Zeit gegen diese angebliche Verwaisung zu rechtfertigen und schrieb seinen Pinto, der wohl nur darum zu einiger Berühmtheit gelangt ist, weil man ihn, ich habe nie begreifen können aus welchem Grunde, unter der kaiserlichen Regierung verboten hat. Seitdem ist er auf der Bühne der Porte St. Martin aufgeführt worden, wo ich ihn selbst gesehen. Man darf zuversichtsvoll sagen, daß Lemercier die Behauptung seiner Widersacher durch sein Lustspiel nicht widerlegt hat. Nichts hat vermocht, demselben Dauer und Beifall zu sichern; nachdem es sich der Censur der Regierung entwunden, ist es unter jener des Publicums, das den Verfasser liebte und achtete, eines endlichen Todes gestorben, von dem es wohl nie wieder erwachen wird. Daß aber das Verdienst des Verfassers im Uebrigen ein wahres und tüchtiges sey, geht gerade daraus hervor, daß dieses theilweise und lärmende Mißgeschick seinem Rufe keinen Abbruch gethan hat. Also abermals ein Sitz frei in der französischen Akademie. Nachdem Hr. Flourens und Graf Mole glücklich untergebracht sind: wen wird man dießmal hervorgraben, um ihn dem Verfasser der Notre-Dame de Paris als abwehrenden Popanz entgegen zu halten?

Verhandlungen der Pariser Akademie im Monat Mai.

An die Stelle des verstorbenen Poisson wählte die Akademie Poncelet zum Präsidenten und als auswärtiges Mitglied Hrn. Bessel in Königsberg, für welche Stelle - es existiren bloß acht bei jeder Section - die HH. Brewster, Astley Coeper und Herschel in England, Jacobi in Königsberg, Mitscherlich in Berlin, Oersted in Kopenhagen und Oken in Zürich vorgeschlagen worden waren.

Arago theilte in mehreren Sitzungen das Wesentlichste aus seiner Abhandlung über Optik mit. Er bediente sich zu seinen Versuchen über Interferenz und zur Messung der Refraction der verschiedenen Luftschichten eigener sehr sinnreich construirter Instrumente. Mittelst desselben Apparats behauptet er, aus der verschiedenen Strahlenbrechung den Zustand der Atmosphäre, je nachdem sie feucht oder trocken, dicht, erwärmt oder selbst mit fremdartigen Stoffen, z. B. mit Quecksilberdünsten geschwängert ist, ebenso bestimmen zu können, wie uns darüber Thermometer, Barometer und Hygrometer bekannt macht.

Außer dem Verfahren von Director Prechtl in Wien, das schwefelwasserstoffsaure Ammoniak, und dem von Choiselat, eine Auflösung des Chlor- und vorzüglich des Jodsilbers in unterschweflichtsaurem Natrum (?) zur Fixirung der Lichtbilder anzuwenden, ist der Akademie eine neue Verbesserung von dem Optiker Soleil mitgetheilt worden. Es besteht dieselbe in der Zugabe einer Art Photometer, nämlich einer Schichte Chlorsilber, welche vor der Operation dem Licht ausgesetzt wird, und welche bis zu ihrer Färbung genau die Zeit angibt, wie lange die Platten dem Lichte ausgesetzt werden müssen.

Boussingault berichtete über eine von Biot dem Jüngern eingesandte Abhandlung, die wahrscheinliche Ursache der von chinesischen Autoren erwähnten alten Ueberschwemmungen betreffend, so wie über ein aus derselben Quelle entlehntes Verzeichniß von Erdbeben, Erhebungen und Einsenkungen des Bodens in China. Die Chinesen erwähnen namentlich zwei große Ueberschwemmungen, von denen sie die älteste bis ins 23ste Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung datiren. Da dieselbe nirgends heftigen Regengüssen zugeschrieben wird, so glaubt Biot sich berechtigt, sie als Folge einer Erhebung des Bodens anzunehmen, deren Spuren A. v. Humboldt im centralen Asien nachgewiesen hat. Biot machte zugleich aufmerksam auf die Uebereinstimmung im Streichen der Cordilleren Amerika's und der Hauptgebirgszüge China's, und dieß, so wie die Aehnlichkeit und die Häufigkeit der Bewegungen des Bodens in beiden Ländern führt ihn zur Annahme, daß die Erdrücken in der ganzen Ausdehnung dieses großen Reiches wahrscheinlich noch wenig erhärtet seyen, und daß die Cordilleras de los Andes und die chinesischen Gebirgsketten, welche dasselbe Streichen zeigen, gleichzeitig gehoben worden.

Stanislaus Julien überschickte Beiträge zur Geographie von Formosa, und Dumoulin, Ingenieur-Hydrograph von der Astrolabe, Notizen über die Erderschütterungen auf den verschiedenen Inseln in Oceanien, aus welchen hervorgeht, daß die auf den Marianen mit denen der Philippinen, Molukken und der Inseln des Ascensions-Archipel zusammenhängen.

Der Oberst Bory de Saint-Vincent überreichte eine Uebersicht der Leistungen der wissenschaftlichen Commission in Algier, worunter sich vorzüglich viel Ausbeute für Zoologie findet.

Audouin theilte neuere Beobachtungen von Milne Edwards aus der Bay von Nizza mit, welche über die Reproductionsorgane der Cephalopoden und über die Structur der Carinarien sehr interessante Aufschlüsse geben.

Coutant, Negociant zu Havre, richtete an die Akademie ein Schreiben, worin er sich von ihr Aufträge für wissenschaftliche Forschungen erbittet, da er zu einer Reise um die Welt zwei Dreimaster von 400 bis 500 Tonnen und eine Goelette ausrüstet, welche nächsten October von Havre direct in den stillen Ocean sich begeben und vier von der Akademie zu bestimmende Gelehrte kostenfrei mitnehmen werden. Eines der Schiffe wird die Staateninsel berühren, das andere das Cap Horn umfahren, die Goelette aber die magellanische

Nepomuk Lemercier.

Die gelehrte Welt, die Freunde der classischen Litteratur und der Sprachreinheit werden mit Trauer den Tod des sehr rasch verschiedenen Nepomuk Lemercier vernehmen. Lemercier, als Akademiker (er war Mitglied der französischen Akademie), gehörte zu den Pflegern der reinsten Ueberlieferungen der französischen schönen Litteratur; sein Agamemnon hat seinen Namen als dramatischer Dichter gesichert, und die ehrenwerthe Rechtlichkeit seines Charakters, sein warmes, hochherziges Mitgefühl für Alles, was die großen Fragen des Völkerglücks und den Kampf um die Freiheit und den socialen Fortschritt berührt, sind von allen Parteien anerkannt. Es ist nur sehr kurze Zeit her, daß wir dem rüstigen Greis in einem Pariser Cirkel begegnet sind, wo er mit mehreren Mitgliedern der linken Seite in der Kammer, Cormenin, Auguis, Garnier Pagès zusammen kam; nichts in seinem Aussehen und der Lebhaftigkeit seiner Unterhaltung konnte eine so baldige Auflösung vorhersehen lassen. Es ist bekannt, daß er sein Lustspiel Pinto in Folge einer Art von Wette gefertigt hat. Es war unter dem Kaiserthum. Man sprach damals wie heute, davon, daß die gute alte Zeit unwiederbringlich dahin, und mit dem neunzehnten Jahrhundert alle Hoffnung verschwunden sey, gute, geistvolle und treffende Komödien, wie Molière, Beaumarchais sie geschrieben, jemals wieder zu erleben. Der Verfasser des Agamemnon, bei dieser Klage zugegen, übernahm es seine Zeit gegen diese angebliche Verwaisung zu rechtfertigen und schrieb seinen Pinto, der wohl nur darum zu einiger Berühmtheit gelangt ist, weil man ihn, ich habe nie begreifen können aus welchem Grunde, unter der kaiserlichen Regierung verboten hat. Seitdem ist er auf der Bühne der Porte St. Martin aufgeführt worden, wo ich ihn selbst gesehen. Man darf zuversichtsvoll sagen, daß Lemercier die Behauptung seiner Widersacher durch sein Lustspiel nicht widerlegt hat. Nichts hat vermocht, demselben Dauer und Beifall zu sichern; nachdem es sich der Censur der Regierung entwunden, ist es unter jener des Publicums, das den Verfasser liebte und achtete, eines endlichen Todes gestorben, von dem es wohl nie wieder erwachen wird. Daß aber das Verdienst des Verfassers im Uebrigen ein wahres und tüchtiges sey, geht gerade daraus hervor, daß dieses theilweise und lärmende Mißgeschick seinem Rufe keinen Abbruch gethan hat. Also abermals ein Sitz frei in der französischen Akademie. Nachdem Hr. Flourens und Graf Molé glücklich untergebracht sind: wen wird man dießmal hervorgraben, um ihn dem Verfasser der Notre-Dame de Paris als abwehrenden Popanz entgegen zu halten?

Verhandlungen der Pariser Akademie im Monat Mai.

An die Stelle des verstorbenen Poisson wählte die Akademie Poncelet zum Präsidenten und als auswärtiges Mitglied Hrn. Bessel in Königsberg, für welche Stelle – es existiren bloß acht bei jeder Section – die HH. Brewster, Astley Coeper und Herschel in England, Jacobi in Königsberg, Mitscherlich in Berlin, Oersted in Kopenhagen und Oken in Zürich vorgeschlagen worden waren.

Arago theilte in mehreren Sitzungen das Wesentlichste aus seiner Abhandlung über Optik mit. Er bediente sich zu seinen Versuchen über Interferenz und zur Messung der Refraction der verschiedenen Luftschichten eigener sehr sinnreich construirter Instrumente. Mittelst desselben Apparats behauptet er, aus der verschiedenen Strahlenbrechung den Zustand der Atmosphäre, je nachdem sie feucht oder trocken, dicht, erwärmt oder selbst mit fremdartigen Stoffen, z. B. mit Quecksilberdünsten geschwängert ist, ebenso bestimmen zu können, wie uns darüber Thermometer, Barometer und Hygrometer bekannt macht.

Außer dem Verfahren von Director Prechtl in Wien, das schwefelwasserstoffsaure Ammoniak, und dem von Choiselat, eine Auflösung des Chlor- und vorzüglich des Jodsilbers in unterschweflichtsaurem Natrum (?) zur Fixirung der Lichtbilder anzuwenden, ist der Akademie eine neue Verbesserung von dem Optiker Soleil mitgetheilt worden. Es besteht dieselbe in der Zugabe einer Art Photometer, nämlich einer Schichte Chlorsilber, welche vor der Operation dem Licht ausgesetzt wird, und welche bis zu ihrer Färbung genau die Zeit angibt, wie lange die Platten dem Lichte ausgesetzt werden müssen.

Boussingault berichtete über eine von Biot dem Jüngern eingesandte Abhandlung, die wahrscheinliche Ursache der von chinesischen Autoren erwähnten alten Ueberschwemmungen betreffend, so wie über ein aus derselben Quelle entlehntes Verzeichniß von Erdbeben, Erhebungen und Einsenkungen des Bodens in China. Die Chinesen erwähnen namentlich zwei große Ueberschwemmungen, von denen sie die älteste bis ins 23ste Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung datiren. Da dieselbe nirgends heftigen Regengüssen zugeschrieben wird, so glaubt Biot sich berechtigt, sie als Folge einer Erhebung des Bodens anzunehmen, deren Spuren A. v. Humboldt im centralen Asien nachgewiesen hat. Biot machte zugleich aufmerksam auf die Uebereinstimmung im Streichen der Cordilleren Amerika's und der Hauptgebirgszüge China's, und dieß, so wie die Aehnlichkeit und die Häufigkeit der Bewegungen des Bodens in beiden Ländern führt ihn zur Annahme, daß die Erdrücken in der ganzen Ausdehnung dieses großen Reiches wahrscheinlich noch wenig erhärtet seyen, und daß die Cordilleras de los Andes und die chinesischen Gebirgsketten, welche dasselbe Streichen zeigen, gleichzeitig gehoben worden.

Stanislaus Julien überschickte Beiträge zur Geographie von Formosa, und Dumoulin, Ingenieur-Hydrograph von der Astrolabe, Notizen über die Erderschütterungen auf den verschiedenen Inseln in Oceanien, aus welchen hervorgeht, daß die auf den Marianen mit denen der Philippinen, Molukken und der Inseln des Ascensions-Archipel zusammenhängen.

Der Oberst Bory de Saint-Vincent überreichte eine Uebersicht der Leistungen der wissenschaftlichen Commission in Algier, worunter sich vorzüglich viel Ausbeute für Zoologie findet.

Audouin theilte neuere Beobachtungen von Milne Edwards aus der Bay von Nizza mit, welche über die Reproductionsorgane der Cephalopoden und über die Structur der Carinarien sehr interessante Aufschlüsse geben.

Coutant, Negociant zu Havre, richtete an die Akademie ein Schreiben, worin er sich von ihr Aufträge für wissenschaftliche Forschungen erbittet, da er zu einer Reise um die Welt zwei Dreimaster von 400 bis 500 Tonnen und eine Goelette ausrüstet, welche nächsten October von Havre direct in den stillen Ocean sich begeben und vier von der Akademie zu bestimmende Gelehrte kostenfrei mitnehmen werden. Eines der Schiffe wird die Staateninsel berühren, das andere das Cap Horn umfahren, die Goelette aber die magellanische

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[1329/0009] Nepomuk Lemercier. _ Paris, 10 Jun. Die gelehrte Welt, die Freunde der classischen Litteratur und der Sprachreinheit werden mit Trauer den Tod des sehr rasch verschiedenen Nepomuk Lemercier vernehmen. Lemercier, als Akademiker (er war Mitglied der französischen Akademie), gehörte zu den Pflegern der reinsten Ueberlieferungen der französischen schönen Litteratur; sein Agamemnon hat seinen Namen als dramatischer Dichter gesichert, und die ehrenwerthe Rechtlichkeit seines Charakters, sein warmes, hochherziges Mitgefühl für Alles, was die großen Fragen des Völkerglücks und den Kampf um die Freiheit und den socialen Fortschritt berührt, sind von allen Parteien anerkannt. Es ist nur sehr kurze Zeit her, daß wir dem rüstigen Greis in einem Pariser Cirkel begegnet sind, wo er mit mehreren Mitgliedern der linken Seite in der Kammer, Cormenin, Auguis, Garnier Pagès zusammen kam; nichts in seinem Aussehen und der Lebhaftigkeit seiner Unterhaltung konnte eine so baldige Auflösung vorhersehen lassen. Es ist bekannt, daß er sein Lustspiel Pinto in Folge einer Art von Wette gefertigt hat. Es war unter dem Kaiserthum. Man sprach damals wie heute, davon, daß die gute alte Zeit unwiederbringlich dahin, und mit dem neunzehnten Jahrhundert alle Hoffnung verschwunden sey, gute, geistvolle und treffende Komödien, wie Molière, Beaumarchais sie geschrieben, jemals wieder zu erleben. Der Verfasser des Agamemnon, bei dieser Klage zugegen, übernahm es seine Zeit gegen diese angebliche Verwaisung zu rechtfertigen und schrieb seinen Pinto, der wohl nur darum zu einiger Berühmtheit gelangt ist, weil man ihn, ich habe nie begreifen können aus welchem Grunde, unter der kaiserlichen Regierung verboten hat. Seitdem ist er auf der Bühne der Porte St. Martin aufgeführt worden, wo ich ihn selbst gesehen. Man darf zuversichtsvoll sagen, daß Lemercier die Behauptung seiner Widersacher durch sein Lustspiel nicht widerlegt hat. Nichts hat vermocht, demselben Dauer und Beifall zu sichern; nachdem es sich der Censur der Regierung entwunden, ist es unter jener des Publicums, das den Verfasser liebte und achtete, eines endlichen Todes gestorben, von dem es wohl nie wieder erwachen wird. Daß aber das Verdienst des Verfassers im Uebrigen ein wahres und tüchtiges sey, geht gerade daraus hervor, daß dieses theilweise und lärmende Mißgeschick seinem Rufe keinen Abbruch gethan hat. Also abermals ein Sitz frei in der französischen Akademie. Nachdem Hr. Flourens und Graf Molé glücklich untergebracht sind: wen wird man dießmal hervorgraben, um ihn dem Verfasser der Notre-Dame de Paris als abwehrenden Popanz entgegen zu halten? Verhandlungen der Pariser Akademie im Monat Mai. An die Stelle des verstorbenen Poisson wählte die Akademie Poncelet zum Präsidenten und als auswärtiges Mitglied Hrn. Bessel in Königsberg, für welche Stelle – es existiren bloß acht bei jeder Section – die HH. Brewster, Astley Coeper und Herschel in England, Jacobi in Königsberg, Mitscherlich in Berlin, Oersted in Kopenhagen und Oken in Zürich vorgeschlagen worden waren. Arago theilte in mehreren Sitzungen das Wesentlichste aus seiner Abhandlung über Optik mit. Er bediente sich zu seinen Versuchen über Interferenz und zur Messung der Refraction der verschiedenen Luftschichten eigener sehr sinnreich construirter Instrumente. Mittelst desselben Apparats behauptet er, aus der verschiedenen Strahlenbrechung den Zustand der Atmosphäre, je nachdem sie feucht oder trocken, dicht, erwärmt oder selbst mit fremdartigen Stoffen, z. B. mit Quecksilberdünsten geschwängert ist, ebenso bestimmen zu können, wie uns darüber Thermometer, Barometer und Hygrometer bekannt macht. Außer dem Verfahren von Director Prechtl in Wien, das schwefelwasserstoffsaure Ammoniak, und dem von Choiselat, eine Auflösung des Chlor- und vorzüglich des Jodsilbers in unterschweflichtsaurem Natrum (?) zur Fixirung der Lichtbilder anzuwenden, ist der Akademie eine neue Verbesserung von dem Optiker Soleil mitgetheilt worden. Es besteht dieselbe in der Zugabe einer Art Photometer, nämlich einer Schichte Chlorsilber, welche vor der Operation dem Licht ausgesetzt wird, und welche bis zu ihrer Färbung genau die Zeit angibt, wie lange die Platten dem Lichte ausgesetzt werden müssen. Boussingault berichtete über eine von Biot dem Jüngern eingesandte Abhandlung, die wahrscheinliche Ursache der von chinesischen Autoren erwähnten alten Ueberschwemmungen betreffend, so wie über ein aus derselben Quelle entlehntes Verzeichniß von Erdbeben, Erhebungen und Einsenkungen des Bodens in China. Die Chinesen erwähnen namentlich zwei große Ueberschwemmungen, von denen sie die älteste bis ins 23ste Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung datiren. Da dieselbe nirgends heftigen Regengüssen zugeschrieben wird, so glaubt Biot sich berechtigt, sie als Folge einer Erhebung des Bodens anzunehmen, deren Spuren A. v. Humboldt im centralen Asien nachgewiesen hat. Biot machte zugleich aufmerksam auf die Uebereinstimmung im Streichen der Cordilleren Amerika's und der Hauptgebirgszüge China's, und dieß, so wie die Aehnlichkeit und die Häufigkeit der Bewegungen des Bodens in beiden Ländern führt ihn zur Annahme, daß die Erdrücken in der ganzen Ausdehnung dieses großen Reiches wahrscheinlich noch wenig erhärtet seyen, und daß die Cordilleras de los Andes und die chinesischen Gebirgsketten, welche dasselbe Streichen zeigen, gleichzeitig gehoben worden. Stanislaus Julien überschickte Beiträge zur Geographie von Formosa, und Dumoulin, Ingenieur-Hydrograph von der Astrolabe, Notizen über die Erderschütterungen auf den verschiedenen Inseln in Oceanien, aus welchen hervorgeht, daß die auf den Marianen mit denen der Philippinen, Molukken und der Inseln des Ascensions-Archipel zusammenhängen. Der Oberst Bory de Saint-Vincent überreichte eine Uebersicht der Leistungen der wissenschaftlichen Commission in Algier, worunter sich vorzüglich viel Ausbeute für Zoologie findet. Audouin theilte neuere Beobachtungen von Milne Edwards aus der Bay von Nizza mit, welche über die Reproductionsorgane der Cephalopoden und über die Structur der Carinarien sehr interessante Aufschlüsse geben. Coutant, Negociant zu Havre, richtete an die Akademie ein Schreiben, worin er sich von ihr Aufträge für wissenschaftliche Forschungen erbittet, da er zu einer Reise um die Welt zwei Dreimaster von 400 bis 500 Tonnen und eine Goelette ausrüstet, welche nächsten October von Havre direct in den stillen Ocean sich begeben und vier von der Akademie zu bestimmende Gelehrte kostenfrei mitnehmen werden. Eines der Schiffe wird die Staateninsel berühren, das andere das Cap Horn umfahren, die Goelette aber die magellanische

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 167. Augsburg, 15. Juni 1840, S. 1329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_167_18400615/9>, abgerufen am 19.04.2024.