Allgemeine Zeitung. Nr. 151. Augsburg, 30. Mai 1840.abenteuerlichen Dramen seiner eigenen Erzeugnisse sich erinnert und, gewohnt sich von dem Gestrüpp einer wildwachsenden Romantik zu nähern, verwundert ausruft: das ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Beine! Daß aber irgend ein bedeutendes Werk, insofern deren noch in Frankreich erscheinen, ein poetisches, pädagogisches, philosophisches, historisches, politisches, in Deutschland einen bedeutenden Einfluß auf das ihm entsprechende Fach ausgeübt habe und darum einen Beweis für die Behauptung des Hrn. Marmier und die Nährung Deutschlands von französischen Ideen liefere, ist geradezu unwahr, und jene Behauptung bleibt gleich den übrigen desselben Mannes in ihrer ganzen baaren Leerheit zurück, mit allem, was er von Bewunderung des Fremden, von Verschmähung des Einheimischen gesagt hat, im Fall dieses von dem eigentlichen und höhern Gebiete unserer Litteratur gesagt und geltend seyn soll. Hr. Marmier kommt dann auf die innere Bewegung unserer Litteratur und findet in ihr so viele Schulen als Schriftsteller. Was er bei dieser Gelegenheit sagt, haben Sie ganz zweckmäßig mit einer erklecklichen Zahl Ausrufungszeichen, wie mit Pallisaden durchzogen und abgewehrt. Was aber liegt wohl hinter den paradoxen oder vielmehr absurden Behauptungen, die auf diesem Punkt nicht mehr einzeln, sondern in geschlossener Phalanx auftreten, daß der Gelehrte, der von dem Texte eines Alten eine neue Ausgabe mache, eine Schule bilde, daß der Dichter eine Schule mache, der eine neue Zusammenstellung der Versfüße oder einen neuen Rhythmus anwende, eben so der Kritiker durch ein Paradoxon, der Geschichtschreiber durch ein Citat, und daß alsobald, wie eine solche Offenbarung verkündigt werde, sich um die Fahne des Führers die Guerillas bilden, angreifen, vertheidigen, mit Kettenschlüssen, Dilemmen, Metaphern und Citaten stürmen, bis nach einer Fluth von Artikeln, Broschüren und Büchern der ganze Spuk gleich einer wilden Jagd in die Lethe der Maculatur hinabsinke - was liegt dieser Thorheit zu Grunde, welche auf einmal die deutsche ehrenfeste Republik der steifen und gelehrten Mandarinen in ein Bedlam oder Narrenhaus verwandelt, den einzigen Ort, in welchem ein Citat eine historische Schule machen kann? Es liegt ihr eben der Anblick des großen und tiefbewegten Lebens der deutschen Litteratur und Wissenschaft zu Grunde, in die dieser Fremdling sich nicht finden kann, und die er darum zur Carricatur verzeichnet. Allerdings gibt es auf allen jenen Gebieten, die er andeutet und noch auf andern, die er nicht andeutet, Schulen, die mit einander in verwickeltem Streite leben, aber nicht einzelne Schriftsteller, sondern ganze Massen und Richtungen, und ihr Ergebniß ist nicht die Maculatur, welche der starke Eichbaum der deutschen Bildung allerdings auch als Blätter abwirft, die der Herbst zerstreut und der Frühling neu erzeugt, sondern der Saft und die Kraft, durch welche sein Mark genährt, sein Umfang erweitert wird, oder ohne Metapher, es sind die Werke wahren Verdienstes und dauernden Werthes, durch welche die Wissenschaften, die Erkenntniß und die Gesinnung gefördert werden, während jener Streit der sich bekämpfenden Parteien von einem an ernste Harmonien des Kampfes Gewöhnten als das Brausen des Windes empfunden wird, in welchem der deutsche Genius durch seinen Hain herfährt und seine Gipfel erregt oder beugt. Es bestehen unter uns auf jedem Gebiete der Wissenschaft und der Litteratur Schulen, welche durch Grundsätze und Richtungen geschieden, darum mit einander in Streit liegen und in das Praktische tief eingreifen. Sie sind das Zeichen unsers intellectuellen Lebens und die Bürgschaft unsers Fortschrittes. Um nicht der Politik und des öffentlichen Rechtes zu erwähnen, wo die Gegensätze wegen unserer Lage schärfer und mannichfacher sind als irgendwo, so waltet der Streit der Schulen auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichts und der Erziehung. Er dauert hier über ein einziges Princip, das des Humanismus und Realismus, seit mehr als fünfzig Jahren, und hat Aussicht noch fünfzig zu dauern, Hr. Marmier mag nun darüber erschrecken oder lachen. Er nährt und entflammt sich durch die wichtigen Interessen der intellectuellen und industriellen Bildung, die durch ihn bedingt sind, und bei dem Ernst, der Tiefe, dem Umfange, in dem er geführt wird, ist durch seinen Erfolg gewissermaßen die Zukunft bedingt. Wird man das an der Seine begreifen? Gewiß nicht, zumal man dort allen Streit mit dem intellectuellen Leben selbst in den Grabgewölben der Universität untergebracht, und statt des selbstständigen freien litterarischen Lebens die Bevormundung, den Zwang, die Uniform und die Fabrik großer Männer des Hrn Cousin pflegt und schirmt. Darum aber soll man sich fein bescheiden und in Zukunft, wenn Commissionen zur Kenntnißnahme der Thatsachen dieses Kampfes der Männer zu uns geschickt werden, sich an diese halten, wie es, wenigstens in den Hauptpunkten, Hr. Cousin gethan, statt uns und Frankreich mit Albernheiten über uns und unser Thun und Treiben zu unterhalten. Auf diese Weise wird man wenigstens den Vortheil haben, aus den Ergebnissen jenes Strebens und Kampfes nach Frankreich hinüber zu nehmen, was man bei der Beschränktheit der intellectuellen Zustände daselbst für Unterricht und Erziehung von uns brauchen kann, und Hrn. Cousin gewähren lassen, der auf die Gefahr hin als ein entache de germanisme verdächtig zu werden, aus dem freien Garten unserer Institutionen einige grüne Zweige auf den abgestorbenen Baum des kaiserlichen Universitätsunwesens zu pfropfen bemüht ist. Es ist ein ähnlicher Streit als die Offenbarung eigenthümlich gestalteter Schulen auf dem Gebiete der Philosophie, denn den Lehren von Hegel stehen diejenigen, welche Schelling noch fortdauernd aus lebendigem Mund und Geist verkündet, entgegen, beiden der Scharfsinn der Herbart'schen Lehre. Wer aber, dem die Gestaltungen der auf der Kunde des Alterthums ruhenden Disciplinen unter uns bekannt sind, weiß nicht von den Schulen, die, an Grundsätzen verschieden, von Reiz in Leipzig, von Heyne in Göttingen gegründet sind und noch fortdauernd durch ihre Nachfolger bestehen, von ihrer Vermittlung durch Fr. A. Wolf in Halle, und ihrer neuen Spaltung unter G. Herrman und Aug. Böckh, neben denen fast jede Universität unter bedeutenden Häuptlingen ihre eigene hat, Königsberg und Bonn so gut wie Göttingen oder Heidelberg und Marburg? Es gehört große und nur durch Unwissenheit und Eitelkeit erklärbare Blödsichtigkeit dazu, auf diesem Gebiet eines weitverbreiteten Ringens, aus dem die Umgestaltung der Grammatik, der Metrik, der Hermeneutik, der Kritik hervorgegangen ist, nicht weniger als die neue Gründung der Mythologie, der Archäologie, der Litterärgeschichte, der alten Staatslehre und zuletzt die Verjüngung der Geschichtsforschung, die Niebuhr selbst eine historische Philologie nennt, nichts zu sehen und zu erkennen, als den Wiederdruck einiger alter Texte, eine neue Combination bekannter Versfüße, ein kritisches Paradoxon oder ein historisches Citat. Hat aber Hr. Marmier unter dem Paradoxon Wolfs Hypothese über den Ursprung der Homerischen Gedichte gemeint, und diese dadurch als etwas Geringfügiges bezeichnen wollen, so weiß er eben nicht, daß durch die Homerischen Prolegomena jenes großen Mannes, eines der ersten Kunstwerke menschlichen Scharfsinns und tiefer Gelehrsamkeit, abenteuerlichen Dramen seiner eigenen Erzeugnisse sich erinnert und, gewohnt sich von dem Gestrüpp einer wildwachsenden Romantik zu nähern, verwundert ausruft: das ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Beine! Daß aber irgend ein bedeutendes Werk, insofern deren noch in Frankreich erscheinen, ein poetisches, pädagogisches, philosophisches, historisches, politisches, in Deutschland einen bedeutenden Einfluß auf das ihm entsprechende Fach ausgeübt habe und darum einen Beweis für die Behauptung des Hrn. Marmier und die Nährung Deutschlands von französischen Ideen liefere, ist geradezu unwahr, und jene Behauptung bleibt gleich den übrigen desselben Mannes in ihrer ganzen baaren Leerheit zurück, mit allem, was er von Bewunderung des Fremden, von Verschmähung des Einheimischen gesagt hat, im Fall dieses von dem eigentlichen und höhern Gebiete unserer Litteratur gesagt und geltend seyn soll. Hr. Marmier kommt dann auf die innere Bewegung unserer Litteratur und findet in ihr so viele Schulen als Schriftsteller. Was er bei dieser Gelegenheit sagt, haben Sie ganz zweckmäßig mit einer erklecklichen Zahl Ausrufungszeichen, wie mit Pallisaden durchzogen und abgewehrt. Was aber liegt wohl hinter den paradoxen oder vielmehr absurden Behauptungen, die auf diesem Punkt nicht mehr einzeln, sondern in geschlossener Phalanx auftreten, daß der Gelehrte, der von dem Texte eines Alten eine neue Ausgabe mache, eine Schule bilde, daß der Dichter eine Schule mache, der eine neue Zusammenstellung der Versfüße oder einen neuen Rhythmus anwende, eben so der Kritiker durch ein Paradoxon, der Geschichtschreiber durch ein Citat, und daß alsobald, wie eine solche Offenbarung verkündigt werde, sich um die Fahne des Führers die Guerillas bilden, angreifen, vertheidigen, mit Kettenschlüssen, Dilemmen, Metaphern und Citaten stürmen, bis nach einer Fluth von Artikeln, Broschüren und Büchern der ganze Spuk gleich einer wilden Jagd in die Lethe der Maculatur hinabsinke – was liegt dieser Thorheit zu Grunde, welche auf einmal die deutsche ehrenfeste Republik der steifen und gelehrten Mandarinen in ein Bedlam oder Narrenhaus verwandelt, den einzigen Ort, in welchem ein Citat eine historische Schule machen kann? Es liegt ihr eben der Anblick des großen und tiefbewegten Lebens der deutschen Litteratur und Wissenschaft zu Grunde, in die dieser Fremdling sich nicht finden kann, und die er darum zur Carricatur verzeichnet. Allerdings gibt es auf allen jenen Gebieten, die er andeutet und noch auf andern, die er nicht andeutet, Schulen, die mit einander in verwickeltem Streite leben, aber nicht einzelne Schriftsteller, sondern ganze Massen und Richtungen, und ihr Ergebniß ist nicht die Maculatur, welche der starke Eichbaum der deutschen Bildung allerdings auch als Blätter abwirft, die der Herbst zerstreut und der Frühling neu erzeugt, sondern der Saft und die Kraft, durch welche sein Mark genährt, sein Umfang erweitert wird, oder ohne Metapher, es sind die Werke wahren Verdienstes und dauernden Werthes, durch welche die Wissenschaften, die Erkenntniß und die Gesinnung gefördert werden, während jener Streit der sich bekämpfenden Parteien von einem an ernste Harmonien des Kampfes Gewöhnten als das Brausen des Windes empfunden wird, in welchem der deutsche Genius durch seinen Hain herfährt und seine Gipfel erregt oder beugt. Es bestehen unter uns auf jedem Gebiete der Wissenschaft und der Litteratur Schulen, welche durch Grundsätze und Richtungen geschieden, darum mit einander in Streit liegen und in das Praktische tief eingreifen. Sie sind das Zeichen unsers intellectuellen Lebens und die Bürgschaft unsers Fortschrittes. Um nicht der Politik und des öffentlichen Rechtes zu erwähnen, wo die Gegensätze wegen unserer Lage schärfer und mannichfacher sind als irgendwo, so waltet der Streit der Schulen auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichts und der Erziehung. Er dauert hier über ein einziges Princip, das des Humanismus und Realismus, seit mehr als fünfzig Jahren, und hat Aussicht noch fünfzig zu dauern, Hr. Marmier mag nun darüber erschrecken oder lachen. Er nährt und entflammt sich durch die wichtigen Interessen der intellectuellen und industriellen Bildung, die durch ihn bedingt sind, und bei dem Ernst, der Tiefe, dem Umfange, in dem er geführt wird, ist durch seinen Erfolg gewissermaßen die Zukunft bedingt. Wird man das an der Seine begreifen? Gewiß nicht, zumal man dort allen Streit mit dem intellectuellen Leben selbst in den Grabgewölben der Universität untergebracht, und statt des selbstständigen freien litterarischen Lebens die Bevormundung, den Zwang, die Uniform und die Fabrik großer Männer des Hrn Cousin pflegt und schirmt. Darum aber soll man sich fein bescheiden und in Zukunft, wenn Commissionen zur Kenntnißnahme der Thatsachen dieses Kampfes der Männer zu uns geschickt werden, sich an diese halten, wie es, wenigstens in den Hauptpunkten, Hr. Cousin gethan, statt uns und Frankreich mit Albernheiten über uns und unser Thun und Treiben zu unterhalten. Auf diese Weise wird man wenigstens den Vortheil haben, aus den Ergebnissen jenes Strebens und Kampfes nach Frankreich hinüber zu nehmen, was man bei der Beschränktheit der intellectuellen Zustände daselbst für Unterricht und Erziehung von uns brauchen kann, und Hrn. Cousin gewähren lassen, der auf die Gefahr hin als ein entaché de germanisme verdächtig zu werden, aus dem freien Garten unserer Institutionen einige grüne Zweige auf den abgestorbenen Baum des kaiserlichen Universitätsunwesens zu pfropfen bemüht ist. Es ist ein ähnlicher Streit als die Offenbarung eigenthümlich gestalteter Schulen auf dem Gebiete der Philosophie, denn den Lehren von Hegel stehen diejenigen, welche Schelling noch fortdauernd aus lebendigem Mund und Geist verkündet, entgegen, beiden der Scharfsinn der Herbart'schen Lehre. Wer aber, dem die Gestaltungen der auf der Kunde des Alterthums ruhenden Disciplinen unter uns bekannt sind, weiß nicht von den Schulen, die, an Grundsätzen verschieden, von Reiz in Leipzig, von Heyne in Göttingen gegründet sind und noch fortdauernd durch ihre Nachfolger bestehen, von ihrer Vermittlung durch Fr. A. Wolf in Halle, und ihrer neuen Spaltung unter G. Herrman und Aug. Böckh, neben denen fast jede Universität unter bedeutenden Häuptlingen ihre eigene hat, Königsberg und Bonn so gut wie Göttingen oder Heidelberg und Marburg? Es gehört große und nur durch Unwissenheit und Eitelkeit erklärbare Blödsichtigkeit dazu, auf diesem Gebiet eines weitverbreiteten Ringens, aus dem die Umgestaltung der Grammatik, der Metrik, der Hermeneutik, der Kritik hervorgegangen ist, nicht weniger als die neue Gründung der Mythologie, der Archäologie, der Litterärgeschichte, der alten Staatslehre und zuletzt die Verjüngung der Geschichtsforschung, die Niebuhr selbst eine historische Philologie nennt, nichts zu sehen und zu erkennen, als den Wiederdruck einiger alter Texte, eine neue Combination bekannter Versfüße, ein kritisches Paradoxon oder ein historisches Citat. Hat aber Hr. Marmier unter dem Paradoxon Wolfs Hypothese über den Ursprung der Homerischen Gedichte gemeint, und diese dadurch als etwas Geringfügiges bezeichnen wollen, so weiß er eben nicht, daß durch die Homerischen Prolegomena jenes großen Mannes, eines der ersten Kunstwerke menschlichen Scharfsinns und tiefer Gelehrsamkeit, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="1204"/> abenteuerlichen Dramen seiner eigenen Erzeugnisse sich erinnert und, gewohnt sich von dem Gestrüpp einer wildwachsenden Romantik zu nähern, verwundert ausruft: das ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Beine! Daß aber irgend ein bedeutendes Werk, insofern deren noch in Frankreich erscheinen, ein poetisches, pädagogisches, philosophisches, historisches, politisches, in Deutschland einen bedeutenden Einfluß auf das ihm entsprechende Fach ausgeübt habe und darum einen Beweis für die Behauptung des Hrn. Marmier und die Nährung Deutschlands von französischen Ideen liefere, ist geradezu unwahr, und jene Behauptung bleibt gleich den übrigen desselben Mannes in ihrer ganzen baaren Leerheit zurück, mit allem, was er von Bewunderung des Fremden, von Verschmähung des Einheimischen gesagt hat, im Fall dieses von dem eigentlichen und höhern Gebiete unserer Litteratur gesagt und geltend seyn soll.</p><lb/> <p>Hr. Marmier kommt dann auf die innere Bewegung unserer Litteratur und findet in ihr so viele Schulen als Schriftsteller. Was er bei dieser Gelegenheit sagt, haben Sie ganz zweckmäßig mit einer erklecklichen Zahl Ausrufungszeichen, wie mit Pallisaden durchzogen und abgewehrt. Was aber liegt wohl hinter den paradoxen oder vielmehr absurden Behauptungen, die auf diesem Punkt nicht mehr einzeln, sondern in geschlossener Phalanx auftreten, daß der Gelehrte, der von dem Texte eines Alten eine neue Ausgabe mache, eine Schule bilde, daß der Dichter eine Schule mache, der eine neue Zusammenstellung der Versfüße oder einen neuen Rhythmus anwende, eben so der Kritiker durch ein Paradoxon, der Geschichtschreiber durch ein Citat, und daß alsobald, wie eine solche Offenbarung verkündigt werde, sich um die Fahne des Führers die Guerillas bilden, angreifen, vertheidigen, mit Kettenschlüssen, Dilemmen, Metaphern und Citaten stürmen, bis nach einer Fluth von Artikeln, Broschüren und Büchern der ganze Spuk gleich einer wilden Jagd in die Lethe der Maculatur hinabsinke – was liegt dieser Thorheit zu Grunde, welche auf einmal die deutsche ehrenfeste Republik der steifen und gelehrten Mandarinen in ein Bedlam oder Narrenhaus verwandelt, den einzigen Ort, in welchem ein Citat eine historische Schule machen kann? Es liegt ihr eben der Anblick des großen und tiefbewegten Lebens der deutschen Litteratur und Wissenschaft zu Grunde, in die dieser Fremdling sich nicht finden kann, und die er darum zur Carricatur verzeichnet.</p><lb/> <p>Allerdings gibt es auf allen jenen Gebieten, die er andeutet und noch auf andern, die er nicht andeutet, Schulen, die mit einander in verwickeltem Streite leben, aber nicht einzelne Schriftsteller, sondern ganze Massen und Richtungen, und ihr Ergebniß ist nicht die Maculatur, welche der starke Eichbaum der deutschen Bildung allerdings auch als Blätter abwirft, die der Herbst zerstreut und der Frühling neu erzeugt, sondern der Saft und die Kraft, durch welche sein Mark genährt, sein Umfang erweitert wird, oder ohne Metapher, es sind die Werke wahren Verdienstes und dauernden Werthes, durch welche die Wissenschaften, die Erkenntniß und die Gesinnung gefördert werden, während jener Streit der sich bekämpfenden Parteien von einem an ernste Harmonien des Kampfes Gewöhnten als das Brausen des Windes empfunden wird, in welchem der deutsche Genius durch seinen Hain herfährt und seine Gipfel erregt oder beugt.</p><lb/> <p>Es bestehen unter uns auf jedem Gebiete der Wissenschaft und der Litteratur Schulen, welche durch Grundsätze und Richtungen geschieden, darum mit einander in Streit liegen und in das Praktische tief eingreifen. Sie sind das Zeichen unsers intellectuellen Lebens und die Bürgschaft unsers Fortschrittes. Um nicht der Politik und des öffentlichen Rechtes zu erwähnen, wo die Gegensätze wegen unserer Lage schärfer und mannichfacher sind als irgendwo, so waltet der Streit der Schulen auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichts und der Erziehung. Er dauert hier über ein einziges Princip, das des Humanismus und Realismus, seit mehr als fünfzig Jahren, und hat Aussicht noch fünfzig zu dauern, Hr. Marmier mag nun darüber erschrecken oder lachen. Er nährt und entflammt sich durch die wichtigen Interessen der intellectuellen und industriellen Bildung, die durch ihn bedingt sind, und bei dem Ernst, der Tiefe, dem Umfange, in dem er geführt wird, ist durch seinen Erfolg gewissermaßen die Zukunft bedingt. Wird man das an der Seine begreifen? Gewiß nicht, zumal man dort allen Streit mit dem intellectuellen Leben selbst in den Grabgewölben der Universität untergebracht, und statt des selbstständigen freien litterarischen Lebens die Bevormundung, den Zwang, die Uniform und die Fabrik großer Männer des Hrn Cousin pflegt und schirmt. Darum aber soll man sich fein bescheiden und in Zukunft, wenn Commissionen zur Kenntnißnahme der Thatsachen dieses Kampfes der Männer zu uns geschickt werden, sich an diese halten, wie es, wenigstens in den Hauptpunkten, Hr. Cousin gethan, statt uns und Frankreich mit Albernheiten über uns und unser Thun und Treiben zu unterhalten. Auf diese Weise wird man wenigstens den Vortheil haben, aus den Ergebnissen jenes Strebens und Kampfes nach Frankreich hinüber zu nehmen, was man bei der Beschränktheit der intellectuellen Zustände daselbst für Unterricht und Erziehung von uns brauchen kann, und Hrn. Cousin gewähren lassen, der auf die Gefahr hin als ein entaché de germanisme verdächtig zu werden, aus dem freien Garten unserer Institutionen einige grüne Zweige auf den abgestorbenen Baum des kaiserlichen Universitätsunwesens zu pfropfen bemüht ist.</p><lb/> <p>Es ist ein ähnlicher Streit als die Offenbarung eigenthümlich gestalteter Schulen auf dem Gebiete der Philosophie, denn den Lehren von Hegel stehen diejenigen, welche Schelling noch fortdauernd aus lebendigem Mund und Geist verkündet, entgegen, beiden der Scharfsinn der Herbart'schen Lehre. Wer aber, dem die Gestaltungen der auf der Kunde des Alterthums ruhenden Disciplinen unter uns bekannt sind, weiß nicht von den Schulen, die, an Grundsätzen verschieden, von Reiz in Leipzig, von Heyne in Göttingen gegründet sind und noch fortdauernd durch ihre Nachfolger bestehen, von ihrer Vermittlung durch Fr. A. Wolf in Halle, und ihrer neuen Spaltung unter G. Herrman und Aug. Böckh, neben denen fast jede Universität unter bedeutenden Häuptlingen ihre eigene hat, Königsberg und Bonn so gut wie Göttingen oder Heidelberg und Marburg? Es gehört große und nur durch Unwissenheit und Eitelkeit erklärbare Blödsichtigkeit dazu, auf diesem Gebiet eines weitverbreiteten Ringens, aus dem die Umgestaltung der Grammatik, der Metrik, der Hermeneutik, der Kritik hervorgegangen ist, nicht weniger als die neue Gründung der Mythologie, der Archäologie, der Litterärgeschichte, der alten Staatslehre und zuletzt die Verjüngung der Geschichtsforschung, die Niebuhr selbst eine historische Philologie nennt, nichts zu sehen und zu erkennen, als den Wiederdruck einiger alter Texte, eine neue Combination bekannter Versfüße, ein kritisches Paradoxon oder ein historisches Citat. Hat aber Hr. Marmier unter dem Paradoxon Wolfs Hypothese über den Ursprung der Homerischen Gedichte gemeint, und diese dadurch als etwas Geringfügiges bezeichnen wollen, so weiß er eben nicht, daß durch die Homerischen Prolegomena jenes großen Mannes, eines der ersten Kunstwerke menschlichen Scharfsinns und tiefer Gelehrsamkeit,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1204/0012]
abenteuerlichen Dramen seiner eigenen Erzeugnisse sich erinnert und, gewohnt sich von dem Gestrüpp einer wildwachsenden Romantik zu nähern, verwundert ausruft: das ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Beine! Daß aber irgend ein bedeutendes Werk, insofern deren noch in Frankreich erscheinen, ein poetisches, pädagogisches, philosophisches, historisches, politisches, in Deutschland einen bedeutenden Einfluß auf das ihm entsprechende Fach ausgeübt habe und darum einen Beweis für die Behauptung des Hrn. Marmier und die Nährung Deutschlands von französischen Ideen liefere, ist geradezu unwahr, und jene Behauptung bleibt gleich den übrigen desselben Mannes in ihrer ganzen baaren Leerheit zurück, mit allem, was er von Bewunderung des Fremden, von Verschmähung des Einheimischen gesagt hat, im Fall dieses von dem eigentlichen und höhern Gebiete unserer Litteratur gesagt und geltend seyn soll.
Hr. Marmier kommt dann auf die innere Bewegung unserer Litteratur und findet in ihr so viele Schulen als Schriftsteller. Was er bei dieser Gelegenheit sagt, haben Sie ganz zweckmäßig mit einer erklecklichen Zahl Ausrufungszeichen, wie mit Pallisaden durchzogen und abgewehrt. Was aber liegt wohl hinter den paradoxen oder vielmehr absurden Behauptungen, die auf diesem Punkt nicht mehr einzeln, sondern in geschlossener Phalanx auftreten, daß der Gelehrte, der von dem Texte eines Alten eine neue Ausgabe mache, eine Schule bilde, daß der Dichter eine Schule mache, der eine neue Zusammenstellung der Versfüße oder einen neuen Rhythmus anwende, eben so der Kritiker durch ein Paradoxon, der Geschichtschreiber durch ein Citat, und daß alsobald, wie eine solche Offenbarung verkündigt werde, sich um die Fahne des Führers die Guerillas bilden, angreifen, vertheidigen, mit Kettenschlüssen, Dilemmen, Metaphern und Citaten stürmen, bis nach einer Fluth von Artikeln, Broschüren und Büchern der ganze Spuk gleich einer wilden Jagd in die Lethe der Maculatur hinabsinke – was liegt dieser Thorheit zu Grunde, welche auf einmal die deutsche ehrenfeste Republik der steifen und gelehrten Mandarinen in ein Bedlam oder Narrenhaus verwandelt, den einzigen Ort, in welchem ein Citat eine historische Schule machen kann? Es liegt ihr eben der Anblick des großen und tiefbewegten Lebens der deutschen Litteratur und Wissenschaft zu Grunde, in die dieser Fremdling sich nicht finden kann, und die er darum zur Carricatur verzeichnet.
Allerdings gibt es auf allen jenen Gebieten, die er andeutet und noch auf andern, die er nicht andeutet, Schulen, die mit einander in verwickeltem Streite leben, aber nicht einzelne Schriftsteller, sondern ganze Massen und Richtungen, und ihr Ergebniß ist nicht die Maculatur, welche der starke Eichbaum der deutschen Bildung allerdings auch als Blätter abwirft, die der Herbst zerstreut und der Frühling neu erzeugt, sondern der Saft und die Kraft, durch welche sein Mark genährt, sein Umfang erweitert wird, oder ohne Metapher, es sind die Werke wahren Verdienstes und dauernden Werthes, durch welche die Wissenschaften, die Erkenntniß und die Gesinnung gefördert werden, während jener Streit der sich bekämpfenden Parteien von einem an ernste Harmonien des Kampfes Gewöhnten als das Brausen des Windes empfunden wird, in welchem der deutsche Genius durch seinen Hain herfährt und seine Gipfel erregt oder beugt.
Es bestehen unter uns auf jedem Gebiete der Wissenschaft und der Litteratur Schulen, welche durch Grundsätze und Richtungen geschieden, darum mit einander in Streit liegen und in das Praktische tief eingreifen. Sie sind das Zeichen unsers intellectuellen Lebens und die Bürgschaft unsers Fortschrittes. Um nicht der Politik und des öffentlichen Rechtes zu erwähnen, wo die Gegensätze wegen unserer Lage schärfer und mannichfacher sind als irgendwo, so waltet der Streit der Schulen auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichts und der Erziehung. Er dauert hier über ein einziges Princip, das des Humanismus und Realismus, seit mehr als fünfzig Jahren, und hat Aussicht noch fünfzig zu dauern, Hr. Marmier mag nun darüber erschrecken oder lachen. Er nährt und entflammt sich durch die wichtigen Interessen der intellectuellen und industriellen Bildung, die durch ihn bedingt sind, und bei dem Ernst, der Tiefe, dem Umfange, in dem er geführt wird, ist durch seinen Erfolg gewissermaßen die Zukunft bedingt. Wird man das an der Seine begreifen? Gewiß nicht, zumal man dort allen Streit mit dem intellectuellen Leben selbst in den Grabgewölben der Universität untergebracht, und statt des selbstständigen freien litterarischen Lebens die Bevormundung, den Zwang, die Uniform und die Fabrik großer Männer des Hrn Cousin pflegt und schirmt. Darum aber soll man sich fein bescheiden und in Zukunft, wenn Commissionen zur Kenntnißnahme der Thatsachen dieses Kampfes der Männer zu uns geschickt werden, sich an diese halten, wie es, wenigstens in den Hauptpunkten, Hr. Cousin gethan, statt uns und Frankreich mit Albernheiten über uns und unser Thun und Treiben zu unterhalten. Auf diese Weise wird man wenigstens den Vortheil haben, aus den Ergebnissen jenes Strebens und Kampfes nach Frankreich hinüber zu nehmen, was man bei der Beschränktheit der intellectuellen Zustände daselbst für Unterricht und Erziehung von uns brauchen kann, und Hrn. Cousin gewähren lassen, der auf die Gefahr hin als ein entaché de germanisme verdächtig zu werden, aus dem freien Garten unserer Institutionen einige grüne Zweige auf den abgestorbenen Baum des kaiserlichen Universitätsunwesens zu pfropfen bemüht ist.
Es ist ein ähnlicher Streit als die Offenbarung eigenthümlich gestalteter Schulen auf dem Gebiete der Philosophie, denn den Lehren von Hegel stehen diejenigen, welche Schelling noch fortdauernd aus lebendigem Mund und Geist verkündet, entgegen, beiden der Scharfsinn der Herbart'schen Lehre. Wer aber, dem die Gestaltungen der auf der Kunde des Alterthums ruhenden Disciplinen unter uns bekannt sind, weiß nicht von den Schulen, die, an Grundsätzen verschieden, von Reiz in Leipzig, von Heyne in Göttingen gegründet sind und noch fortdauernd durch ihre Nachfolger bestehen, von ihrer Vermittlung durch Fr. A. Wolf in Halle, und ihrer neuen Spaltung unter G. Herrman und Aug. Böckh, neben denen fast jede Universität unter bedeutenden Häuptlingen ihre eigene hat, Königsberg und Bonn so gut wie Göttingen oder Heidelberg und Marburg? Es gehört große und nur durch Unwissenheit und Eitelkeit erklärbare Blödsichtigkeit dazu, auf diesem Gebiet eines weitverbreiteten Ringens, aus dem die Umgestaltung der Grammatik, der Metrik, der Hermeneutik, der Kritik hervorgegangen ist, nicht weniger als die neue Gründung der Mythologie, der Archäologie, der Litterärgeschichte, der alten Staatslehre und zuletzt die Verjüngung der Geschichtsforschung, die Niebuhr selbst eine historische Philologie nennt, nichts zu sehen und zu erkennen, als den Wiederdruck einiger alter Texte, eine neue Combination bekannter Versfüße, ein kritisches Paradoxon oder ein historisches Citat. Hat aber Hr. Marmier unter dem Paradoxon Wolfs Hypothese über den Ursprung der Homerischen Gedichte gemeint, und diese dadurch als etwas Geringfügiges bezeichnen wollen, so weiß er eben nicht, daß durch die Homerischen Prolegomena jenes großen Mannes, eines der ersten Kunstwerke menschlichen Scharfsinns und tiefer Gelehrsamkeit,
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