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Allgemeine Zeitung. Nr. 151. Augsburg, 30. Mai 1840.

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treuen Diener und unsern thätigen Wegführer erwähnt, eine originelle Gestalt, die, von Kopf zu Fuß bewaffnet, in Pantoffeln vor uns herlief, und in ihrer gewaltigen Corpulenz, mit einem Kranz von Farrenkraut und Weinlaub auf dem Haupte, Silen und Falstaff in sich zu verschmelzen schien.

Ueber Wissenschaft und Litteratur in Deutschland, mit Bezug auf französische Aburtheilung über dieselbe.

(Beschluß.)

Wir würden sofort das Medium der deutschen Litteratur und Wissenschaft, unsere Sprache, gegen die unklare des Mannes schützen, welcher, an die Abgeschlossenheit und Regelrechtheit seines beschränkten Idioms gewöhnt, sich weder in ihren Reichthum, noch in ihre Freiheit am wenigsten aber in ihre Eigenthümlichkeit finden kann, mit welcher sie, selbst lebendig und ursprünglichen Lebens voll, einem Jeden, der den Quell eigener Gedanken und Gefühle in sich trägt, die Bildung eines ihnen gemäßen Ausdrucks und Styls in jeder Weise gewährt; doch ist Ihr Correspondent vom Rhein [irrelevantes Material] ihm auf diesem Punkt schon sattsam begegnet, darum hierüber nur einige Worte.

Hr. Marmier ist hier so wenig urtheilsfähig, wie über den Reichthum unserer Litteratur. Wie seine Landsleute mit jedem, auch noch so tief liegenden Problem des socialen Lebens, der Geschichte, der Politik alsobald zu Ende sind, wenn sie, von was es sich handelt, in eine Formel gebracht haben, etwa wie mit einem Rechnungsexempel, dessen Factoren man zu dem erwünschten Facit vereinigt hat, und nicht ahnen können, weßhalb Probleme, wie die über das Princip der öffentlichen Erziehung, der positiven Lehren des Christenthums, des Nationalismus, des ultramontanen Kirchenrechts, nicht mit einem Artikel oder einer Broschüre ihre Lösung sollten finden, sondern ganze Litteraturfächer anfüllen, eben so wenig begreifen sie, wozu eine Sprache mehr Wörter braucht, als man, d. i. als der eben Schreibende nöthig hat, um die Ideen, nämlich die in ihm eben vorhanden sind, wie man es nennt, nett und klar auszudrücken. Es ist in solchen Köpfen, wie in der Sprache, ein Schach- und Fachwerk der Begriffe, der Beziehungen, und Jeder greift in dem gemeinsamen und bekannten Vorrathe nach dem, was er eben braucht. Man weiß an der Seine nicht, daß man eine todte Sprache spricht, d. i. eine solche, die sich von ihren Wurzeln abgelöst hat, in diesen abgestorben und darum um ihre Zeugungsfähigkeit gekommen ist. Man begreift noch weniger, wie traurig die Nothwendigkeit ist, zu der man sich in Folge davon verdammt sieht, sich mit einer bestimmten und beschränkten Zahl ein- für allemal ausgeprägter Wörter und Phrasen für alle Bedürfnisse des Geistes und Herzens begnügen zu müssen und rechnet sich die Armuth, mit der man Haus zu halten sich gewöhnt hat, als einen Vorzug an gegenüber dem Reichthum des Nachbars, der von seinen Schätzen einen freien und mannichfaltigen, mitunter auch einen barocken und phantastischen Gebrauch macht, dabei aber den Schacht noch gar nicht ergründet hat, aus dem ihm seit den Zeiten der Urväter die Schätze unablässig zu Tage gefördert werden. Zu dem Vorzuge, in Europa, vielleicht auf der Erde das einzige Volk zu seyn, das nie fremdes Joch getragen und sein Wesen ungeändert bewahrt hat, kommt für unsere Nation dieser zweite, eine aus gleicher Wurzel mit dem Volke entsprossene, der Tiefe und Fülle seines Geistes entsprechende und jeder Schöpfung desselben genügende Sprache, als den reinen und wahren Ausdruck seines Wesens zu besitzen, diese aber bei aller Anregung und Befruchtung, welche sie von andern, besonders durch Berührung mit der hebräischen, griechischen und lateinischen empfangen hat, ihre Freiheit, wie ihre Eigenthümlichkeit bewahrt oder vertheidigt zu haben. Wir glauben, daß der Umfang und die Fülle von Vorstellungen, der Ideen, der Gefühle noch keineswegs erschöpft ist, und achten es für ein großes Glück, daß der reiche und originale Geist in den unergründlichen Tiefen seiner Sprache die Mittel findet, auszusprechen, was er in den unergründlichen Tiefen seines Gemüthes gedacht und empfunden hat. Wir wahren ihr eifersüchtig diese Freiheit und Selbstständigkeit, und sind gleichgültig darüber, daß weniger Begabte dieselbe mißbrauchen und sterile Ideen mit neuen oder barocken Worten zu bekleiden bemüht sind.

Dieselbe Unabhängigkeit aber werden wir uns auch auf dem Gebiete der geistigen Thätigkeit zusprechen und gegen Hrn. Marmier behaupten können. Der eitle Mann meint zwar, daß Frankreich seine Ideen nach Deutschland schleudere, dieses aber sie verarbeite, und sieht uns von dem hohen Leben seiner Landsleute abhängig und genährt. Das kommt ungefähr auf die Vorstellung des Hrn. St. Marc-Girardin hinaus, der vor einigen Jahren, um das französische Erziehungssystem und die Zwangsordnung der glorreichen kaiserlichen Universität zu schirmen, den Abgeordneten unter großem Jubel der Kammer zurief, Europa sey gewohnt, von Frankreich ganze Ernten der Civilisation zu beziehen, und man könne ihnen, den Franzosen, noch nicht zurufen: Claudite jam rivos pueri, sat prata biberunt. Das aber ist lauter Wahn und Eitelkeit. Allerdings gab es eine Periode, in der Frankreich durch den Glanz seiner Thaten, seiner Sitten und Litteratur eine Herrschaft über Europa ausbreitete, es war die Zeit, welche mit Ludwig XIV begonnen und mit Ludwig XV geendet hat aber diese Herrschaft ist auf dem Gebiete der Litteratur und Wissenschaft in Deutschland durch das Aufblühen der nationalen Litteratur gebrochen worden: Deutschland hat durch die Entfaltung seiner Litteratur und Wissenschaft nicht nur seine eigene geistige Selbstständigkeit wieder gewonnen, sondern auch andere Völker angeleitet, durch Wiederverjüngung des germanischen Elements ihrer Litteratur das französische Joch zu brechen, in Holland, wie in Dänemark, in England und in Schweden, ja es ist zuletzt in Frankreich selbst mit der romantischen Litteratur eingedrungen und hat die Altäre der Aftermuse umgestoßen, die bei uns schon zu der Zeit in Trümmer lagen, als Goethe den Mohammed von Voltaire übersetzte und Schiller ihm zurief:

"Du opferst auf zertrümmerten Altären
Der Aftermuse, die wir nicht mehr ehren."

Seitdem ist es vorbei mit der Herrschaft französischer Ideen unter uns auf dem Gebiete der Litteratur, wenn unter diesen ein Beugen der eigenen Art und Weise zu denken und zu fühlen, zu bilden und darzustellen unter eine fremde Art und Gewohnheit verstanden wird.

Was Hrn. Marmier Veranlassung zu jenem eitlen Wahn gegeben haben mag, hat Ihr Correspondent vom Rhein gut auseinander gesetzt: es ist die Industrie unseres litterarischen Klein- und Obstmarktes, der den Bedarf des sogenannten Lesepublicums, das sich zumeist aus Leihbibliotheken und Almanachen versorgt, zu bestreiten hat, und es nöthig oder bequemer findet, zu der leichtern Waare, welche für Käufer und Verkäufer jener Region im Lande verfertigt werden, noch den Putz und Schmuck von ähnlicher Beschaffenheit einzuführen, den man in Paris zu fabriciren nicht müde wird und der um so mehr dem "verehrungswürdigen" Publicum der Lesewelt zusagt, weil es beim Anblick dieser Romane, Novellen und der

treuen Diener und unsern thätigen Wegführer erwähnt, eine originelle Gestalt, die, von Kopf zu Fuß bewaffnet, in Pantoffeln vor uns herlief, und in ihrer gewaltigen Corpulenz, mit einem Kranz von Farrenkraut und Weinlaub auf dem Haupte, Silen und Falstaff in sich zu verschmelzen schien.

Ueber Wissenschaft und Litteratur in Deutschland, mit Bezug auf französische Aburtheilung über dieselbe.

(Beschluß.)

Wir würden sofort das Medium der deutschen Litteratur und Wissenschaft, unsere Sprache, gegen die unklare des Mannes schützen, welcher, an die Abgeschlossenheit und Regelrechtheit seines beschränkten Idioms gewöhnt, sich weder in ihren Reichthum, noch in ihre Freiheit am wenigsten aber in ihre Eigenthümlichkeit finden kann, mit welcher sie, selbst lebendig und ursprünglichen Lebens voll, einem Jeden, der den Quell eigener Gedanken und Gefühle in sich trägt, die Bildung eines ihnen gemäßen Ausdrucks und Styls in jeder Weise gewährt; doch ist Ihr Correspondent vom Rhein [irrelevantes Material] ihm auf diesem Punkt schon sattsam begegnet, darum hierüber nur einige Worte.

Hr. Marmier ist hier so wenig urtheilsfähig, wie über den Reichthum unserer Litteratur. Wie seine Landsleute mit jedem, auch noch so tief liegenden Problem des socialen Lebens, der Geschichte, der Politik alsobald zu Ende sind, wenn sie, von was es sich handelt, in eine Formel gebracht haben, etwa wie mit einem Rechnungsexempel, dessen Factoren man zu dem erwünschten Facit vereinigt hat, und nicht ahnen können, weßhalb Probleme, wie die über das Princip der öffentlichen Erziehung, der positiven Lehren des Christenthums, des Nationalismus, des ultramontanen Kirchenrechts, nicht mit einem Artikel oder einer Broschüre ihre Lösung sollten finden, sondern ganze Litteraturfächer anfüllen, eben so wenig begreifen sie, wozu eine Sprache mehr Wörter braucht, als man, d. i. als der eben Schreibende nöthig hat, um die Ideen, nämlich die in ihm eben vorhanden sind, wie man es nennt, nett und klar auszudrücken. Es ist in solchen Köpfen, wie in der Sprache, ein Schach- und Fachwerk der Begriffe, der Beziehungen, und Jeder greift in dem gemeinsamen und bekannten Vorrathe nach dem, was er eben braucht. Man weiß an der Seine nicht, daß man eine todte Sprache spricht, d. i. eine solche, die sich von ihren Wurzeln abgelöst hat, in diesen abgestorben und darum um ihre Zeugungsfähigkeit gekommen ist. Man begreift noch weniger, wie traurig die Nothwendigkeit ist, zu der man sich in Folge davon verdammt sieht, sich mit einer bestimmten und beschränkten Zahl ein- für allemal ausgeprägter Wörter und Phrasen für alle Bedürfnisse des Geistes und Herzens begnügen zu müssen und rechnet sich die Armuth, mit der man Haus zu halten sich gewöhnt hat, als einen Vorzug an gegenüber dem Reichthum des Nachbars, der von seinen Schätzen einen freien und mannichfaltigen, mitunter auch einen barocken und phantastischen Gebrauch macht, dabei aber den Schacht noch gar nicht ergründet hat, aus dem ihm seit den Zeiten der Urväter die Schätze unablässig zu Tage gefördert werden. Zu dem Vorzuge, in Europa, vielleicht auf der Erde das einzige Volk zu seyn, das nie fremdes Joch getragen und sein Wesen ungeändert bewahrt hat, kommt für unsere Nation dieser zweite, eine aus gleicher Wurzel mit dem Volke entsprossene, der Tiefe und Fülle seines Geistes entsprechende und jeder Schöpfung desselben genügende Sprache, als den reinen und wahren Ausdruck seines Wesens zu besitzen, diese aber bei aller Anregung und Befruchtung, welche sie von andern, besonders durch Berührung mit der hebräischen, griechischen und lateinischen empfangen hat, ihre Freiheit, wie ihre Eigenthümlichkeit bewahrt oder vertheidigt zu haben. Wir glauben, daß der Umfang und die Fülle von Vorstellungen, der Ideen, der Gefühle noch keineswegs erschöpft ist, und achten es für ein großes Glück, daß der reiche und originale Geist in den unergründlichen Tiefen seiner Sprache die Mittel findet, auszusprechen, was er in den unergründlichen Tiefen seines Gemüthes gedacht und empfunden hat. Wir wahren ihr eifersüchtig diese Freiheit und Selbstständigkeit, und sind gleichgültig darüber, daß weniger Begabte dieselbe mißbrauchen und sterile Ideen mit neuen oder barocken Worten zu bekleiden bemüht sind.

Dieselbe Unabhängigkeit aber werden wir uns auch auf dem Gebiete der geistigen Thätigkeit zusprechen und gegen Hrn. Marmier behaupten können. Der eitle Mann meint zwar, daß Frankreich seine Ideen nach Deutschland schleudere, dieses aber sie verarbeite, und sieht uns von dem hohen Leben seiner Landsleute abhängig und genährt. Das kommt ungefähr auf die Vorstellung des Hrn. St. Marc-Girardin hinaus, der vor einigen Jahren, um das französische Erziehungssystem und die Zwangsordnung der glorreichen kaiserlichen Universität zu schirmen, den Abgeordneten unter großem Jubel der Kammer zurief, Europa sey gewohnt, von Frankreich ganze Ernten der Civilisation zu beziehen, und man könne ihnen, den Franzosen, noch nicht zurufen: Claudite jam rivos pueri, sat prata biberunt. Das aber ist lauter Wahn und Eitelkeit. Allerdings gab es eine Periode, in der Frankreich durch den Glanz seiner Thaten, seiner Sitten und Litteratur eine Herrschaft über Europa ausbreitete, es war die Zeit, welche mit Ludwig XIV begonnen und mit Ludwig XV geendet hat aber diese Herrschaft ist auf dem Gebiete der Litteratur und Wissenschaft in Deutschland durch das Aufblühen der nationalen Litteratur gebrochen worden: Deutschland hat durch die Entfaltung seiner Litteratur und Wissenschaft nicht nur seine eigene geistige Selbstständigkeit wieder gewonnen, sondern auch andere Völker angeleitet, durch Wiederverjüngung des germanischen Elements ihrer Litteratur das französische Joch zu brechen, in Holland, wie in Dänemark, in England und in Schweden, ja es ist zuletzt in Frankreich selbst mit der romantischen Litteratur eingedrungen und hat die Altäre der Aftermuse umgestoßen, die bei uns schon zu der Zeit in Trümmer lagen, als Goethe den Mohammed von Voltaire übersetzte und Schiller ihm zurief:

„Du opferst auf zertrümmerten Altären
Der Aftermuse, die wir nicht mehr ehren.“

Seitdem ist es vorbei mit der Herrschaft französischer Ideen unter uns auf dem Gebiete der Litteratur, wenn unter diesen ein Beugen der eigenen Art und Weise zu denken und zu fühlen, zu bilden und darzustellen unter eine fremde Art und Gewohnheit verstanden wird.

Was Hrn. Marmier Veranlassung zu jenem eitlen Wahn gegeben haben mag, hat Ihr Correspondent vom Rhein gut auseinander gesetzt: es ist die Industrie unseres litterarischen Klein- und Obstmarktes, der den Bedarf des sogenannten Lesepublicums, das sich zumeist aus Leihbibliotheken und Almanachen versorgt, zu bestreiten hat, und es nöthig oder bequemer findet, zu der leichtern Waare, welche für Käufer und Verkäufer jener Region im Lande verfertigt werden, noch den Putz und Schmuck von ähnlicher Beschaffenheit einzuführen, den man in Paris zu fabriciren nicht müde wird und der um so mehr dem „verehrungswürdigen“ Publicum der Lesewelt zusagt, weil es beim Anblick dieser Romane, Novellen und der

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Wir würden sofort das Medium der deutschen Litteratur und Wissenschaft, unsere Sprache, gegen die unklare des Mannes schützen, welcher, an die Abgeschlossenheit und Regelrechtheit seines beschränkten Idioms gewöhnt, sich weder in ihren Reichthum, noch in ihre Freiheit am wenigsten aber in ihre Eigenthümlichkeit finden kann, mit welcher sie, selbst lebendig und ursprünglichen Lebens voll, einem Jeden, der den Quell eigener Gedanken und Gefühle in sich trägt, die Bildung eines ihnen gemäßen Ausdrucks und Styls in jeder Weise gewährt; doch ist Ihr Correspondent vom Rhein _ ihm auf diesem Punkt schon sattsam begegnet, darum hierüber nur einige Worte. Hr. Marmier ist hier so wenig urtheilsfähig, wie über den Reichthum unserer Litteratur. Wie seine Landsleute mit jedem, auch noch so tief liegenden Problem des socialen Lebens, der Geschichte, der Politik alsobald zu Ende sind, wenn sie, von was es sich handelt, in eine Formel gebracht haben, etwa wie mit einem Rechnungsexempel, dessen Factoren man zu dem erwünschten Facit vereinigt hat, und nicht ahnen können, weßhalb Probleme, wie die über das Princip der öffentlichen Erziehung, der positiven Lehren des Christenthums, des Nationalismus, des ultramontanen Kirchenrechts, nicht mit einem Artikel oder einer Broschüre ihre Lösung sollten finden, sondern ganze Litteraturfächer anfüllen, eben so wenig begreifen sie, wozu eine Sprache mehr Wörter braucht, als man, d. i. als der eben Schreibende nöthig hat, um die Ideen, nämlich die in ihm eben vorhanden sind, wie man es nennt, nett und klar auszudrücken. Es ist in solchen Köpfen, wie in der Sprache, ein Schach- und Fachwerk der Begriffe, der Beziehungen, und Jeder greift in dem gemeinsamen und bekannten Vorrathe nach dem, was er eben braucht. Man weiß an der Seine nicht, daß man eine todte Sprache spricht, d. i. eine solche, die sich von ihren Wurzeln abgelöst hat, in diesen abgestorben und darum um ihre Zeugungsfähigkeit gekommen ist. Man begreift noch weniger, wie traurig die Nothwendigkeit ist, zu der man sich in Folge davon verdammt sieht, sich mit einer bestimmten und beschränkten Zahl ein- für allemal ausgeprägter Wörter und Phrasen für alle Bedürfnisse des Geistes und Herzens begnügen zu müssen und rechnet sich die Armuth, mit der man Haus zu halten sich gewöhnt hat, als einen Vorzug an gegenüber dem Reichthum des Nachbars, der von seinen Schätzen einen freien und mannichfaltigen, mitunter auch einen barocken und phantastischen Gebrauch macht, dabei aber den Schacht noch gar nicht ergründet hat, aus dem ihm seit den Zeiten der Urväter die Schätze unablässig zu Tage gefördert werden. Zu dem Vorzuge, in Europa, vielleicht auf der Erde das einzige Volk zu seyn, das nie fremdes Joch getragen und sein Wesen ungeändert bewahrt hat, kommt für unsere Nation dieser zweite, eine aus gleicher Wurzel mit dem Volke entsprossene, der Tiefe und Fülle seines Geistes entsprechende und jeder Schöpfung desselben genügende Sprache, als den reinen und wahren Ausdruck seines Wesens zu besitzen, diese aber bei aller Anregung und Befruchtung, welche sie von andern, besonders durch Berührung mit der hebräischen, griechischen und lateinischen empfangen hat, ihre Freiheit, wie ihre Eigenthümlichkeit bewahrt oder vertheidigt zu haben. Wir glauben, daß der Umfang und die Fülle von Vorstellungen, der Ideen, der Gefühle noch keineswegs erschöpft ist, und achten es für ein großes Glück, daß der reiche und originale Geist in den unergründlichen Tiefen seiner Sprache die Mittel findet, auszusprechen, was er in den unergründlichen Tiefen seines Gemüthes gedacht und empfunden hat. Wir wahren ihr eifersüchtig diese Freiheit und Selbstständigkeit, und sind gleichgültig darüber, daß weniger Begabte dieselbe mißbrauchen und sterile Ideen mit neuen oder barocken Worten zu bekleiden bemüht sind. Dieselbe Unabhängigkeit aber werden wir uns auch auf dem Gebiete der geistigen Thätigkeit zusprechen und gegen Hrn. Marmier behaupten können. Der eitle Mann meint zwar, daß Frankreich seine Ideen nach Deutschland schleudere, dieses aber sie verarbeite, und sieht uns von dem hohen Leben seiner Landsleute abhängig und genährt. Das kommt ungefähr auf die Vorstellung des Hrn. St. Marc-Girardin hinaus, der vor einigen Jahren, um das französische Erziehungssystem und die Zwangsordnung der glorreichen kaiserlichen Universität zu schirmen, den Abgeordneten unter großem Jubel der Kammer zurief, Europa sey gewohnt, von Frankreich ganze Ernten der Civilisation zu beziehen, und man könne ihnen, den Franzosen, noch nicht zurufen: Claudite jam rivos pueri, sat prata biberunt. Das aber ist lauter Wahn und Eitelkeit. Allerdings gab es eine Periode, in der Frankreich durch den Glanz seiner Thaten, seiner Sitten und Litteratur eine Herrschaft über Europa ausbreitete, es war die Zeit, welche mit Ludwig XIV begonnen und mit Ludwig XV geendet hat aber diese Herrschaft ist auf dem Gebiete der Litteratur und Wissenschaft in Deutschland durch das Aufblühen der nationalen Litteratur gebrochen worden: Deutschland hat durch die Entfaltung seiner Litteratur und Wissenschaft nicht nur seine eigene geistige Selbstständigkeit wieder gewonnen, sondern auch andere Völker angeleitet, durch Wiederverjüngung des germanischen Elements ihrer Litteratur das französische Joch zu brechen, in Holland, wie in Dänemark, in England und in Schweden, ja es ist zuletzt in Frankreich selbst mit der romantischen Litteratur eingedrungen und hat die Altäre der Aftermuse umgestoßen, die bei uns schon zu der Zeit in Trümmer lagen, als Goethe den Mohammed von Voltaire übersetzte und Schiller ihm zurief: „Du opferst auf zertrümmerten Altären Der Aftermuse, die wir nicht mehr ehren.“ Seitdem ist es vorbei mit der Herrschaft französischer Ideen unter uns auf dem Gebiete der Litteratur, wenn unter diesen ein Beugen der eigenen Art und Weise zu denken und zu fühlen, zu bilden und darzustellen unter eine fremde Art und Gewohnheit verstanden wird. Was Hrn. Marmier Veranlassung zu jenem eitlen Wahn gegeben haben mag, hat Ihr Correspondent vom Rhein gut auseinander gesetzt: es ist die Industrie unseres litterarischen Klein- und Obstmarktes, der den Bedarf des sogenannten Lesepublicums, das sich zumeist aus Leihbibliotheken und Almanachen versorgt, zu bestreiten hat, und es nöthig oder bequemer findet, zu der leichtern Waare, welche für Käufer und Verkäufer jener Region im Lande verfertigt werden, noch den Putz und Schmuck von ähnlicher Beschaffenheit einzuführen, den man in Paris zu fabriciren nicht müde wird und der um so mehr dem „verehrungswürdigen“ Publicum der Lesewelt zusagt, weil es beim Anblick dieser Romane, Novellen und der

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 151. Augsburg, 30. Mai 1840, S. 1203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_151_18400530/11>, abgerufen am 28.04.2024.