Allgemeine Zeitung. Nr. 131. Augsburg, 10. Mai 1840.vielleicht aus Unachtsamkeit, vielleicht aus Hinneigung zu einer mißverstandenen, unter jetzigen Umständen ganz unhaltbaren Theorie, ist so geduldig, ohne Rücksicht auf Gegenseitigkeit den Ueberfluß aller Zonen an sich verkaufen zu lassen, und es der Thätigkeit einzelner Individuen anheim zu stellen, in der weiten Welt Käufer für deutsche Waaren zu suchen. Wir finden daher in Deutschland den alten Satz: "wer die wohlfeilste und preiswürdigste Waare anbiete, von dem müsse man kaufen", noch in voller Anwendung, zum Triumphe der Fremden, die dafür, und zwar mit Recht, von dem "gutmüthigen Deutschland" sprechen. Wir wollen uns erlauben, die Sache durch Exempel deutlicher zu machen. England verkauft an Deutschland Massen von Manufacturwaaren, und nimmt dagegen Wolle, Getreide u. s. w.; dagegen ist nichts einzuwenden, als die übermäßige Höhe der Eingangszölle auf das letztere; im Uebrigen hat dieser Verkehr die Grundlage des Austausches, wenn derselbe auch eine für Deutschland nicht vortheilhafte Balance aufweist. Das kann sich aber mit der Zeit anders gestalten. Außerdem verkauft jenes Land an Deutschland auch die Producte seiner Colonien, und verschließt diese gegen deutsche Erzeugnisse und deutsche Schiffe. Was thut ferner England? Es läßt die Producte anderer tropischen Länder nur gegen höhere Zölle, und auch nur dann zu, wenn dieselben direct aus den Productionsländern kommen, und schließt sie gänzlich aus, wenn man sie aus europäischen Häfen nach England bringen wollte. Der Grund dazu ist der, daß bei directer Beziehung von den Productionsländern die englischen Schiffe die Fracht verdienen, und die Hinreise nicht leer, sondern beladen mit englischen Erzeugnissen machen, was mehrentheils wegfallen würde, wenn die Einfuhr solcher Waaren auch von europäischen Märkten gestattet wäre. So verkaufen die Engländer den Ueberfluß ihrer Colonien, nicht minder Massen von Producten anderer Tropenländer, welche sie mit ihren eigenen Schiffen in Austausch gegen englische Erzeugnisse nach englischen Häfen geführt haben, an Deutschland gegen baares Geld, was daher totaler Capitalverlust für das letztere ist. Das Recht der Gegenseitigkeit wird Deutschland versagt, und dieses, ganz unbekümmert, oder eingelullt in eine schön klingende Theorie, gibt sich zufrieden mit dem Glauben, es kaufe Colonialwaaren (welche die Engländer nicht verbrauchen können) billiger von London, Liverpool etc., als es dieselben für den Augenblick durch directe Beziehungen erhalten kann. Was ist aber die Folge davon? Die Engländer bezahlen jene Colonialwaaren mit ihren eigenen Manufacturen, und die Deutschen bezahlen jene an die ersteren mit baarem Gelde. - Wenn Deutschland aber einmal England Gleiches mit Gleichem vergälte, und keine Colonialwaaren auf dem indirecten Wege über England zuließe, würde dieses nicht genöthigt werden, seine Colonien dem directen deutschen Handel zu öffnen, da es mit deren Erzeugnissen sonst nirgends hin wissen würde? Dann würde Deutschland seine eigenen Schiffe dahin senden, und die Producte englischer Colonien mit Lieferungen deutschen Kunstfleißes und deutschen Bodens ausgleichen, so wie es durch den Handel der Hansestädte schon jetzt mit den freien Ländern Amerika's der Fall ist. Wenn daher die Deutschen das, was die Engländer nicht an Colonialwaaren verbrauchen können, auch um 1 bis 2 Proc. scheinbar wohlfeiler zuweilen kaufen, als dasjenige, was in deutschen Häfen direct eingeführt worden, so ist es gewiß ein sehr verkehrter Schluß, wenn man glaubt, jene Waaren seyen wirklich wohlfeiler. Sie sind nicht nur sehr theuer deßhalb, weil sie nicht wie im directen Handel, gegen Landeserzeugnisse, vielmehr gegen baares Geld bezogen werden müssen, sondern auch aus dem Grunde, weil die Transportkosten nach Europa welche im Preise liegen, bei Einkäufen in England verloren sind, aber bei Einkäufen in den deutschen Seestädten von directen Beziehungen dem Vaterlande gewonnen werden, welches bei der Lieferung von Baumaterial zu Schiffen, Proviant, Segel, Tauen etc. allgemein interessirt ist, so daß solche von England zu beziehende Colonialwaaren zwar scheinbar mitunter im Preise um 1 bis 2 Proc. wohlfeiler kommen können, aber de facto dem Lande um 10 bis 20 Proc. theurer einstehen, auch wenn man den schon gedachten Umstand, daß bei directen Beziehungen die Zahlung in Tauschwaaren bestehen würde, nicht beachtet. Beiläufig erwähnt sey hier nur, daß dergleichen Entbietungen von England in der Regel nicht durch die Holländer und Hanseaten geschehen, sondern durch die deutschen Inländer, welche sich dabei jener nur zur Spedition bedienen. - Noch verderblicher aber ist jener Grundsatz in Beziehung auf den Verkehr mit Holland. Hier haben wir einen Colonialstaat, dessen Besitzungen hauptsächlich in Ostindien liegen, wo bekanntlich die Production von Zucker, Kaffee u. dgl. um etwa 1/3 wohlfeiler beschafft werden kann als in Westindien und Amerika. Wir bemerken, daß die Pflanzungen auf Java, Sumatra etc. ins Unglaubliche vergrößert und vermehrt werden, so daß in gar kurzer Zeit auch Deutschland zu klein seyn wird, um jene Massen zu verbrauchen. Die so bedeutend billigere Production der holländisch-ostindischen Colonien muß unfehlbar die Erzeugnisse Westindiens und Amerika's sehr bald von den deutschen Märkten völlig verdrängen, und in die Hände der Holländer ein Monopol der Ueberschwemmung Deutschlands, und demnächst die Facultät, die Preise nach Gutdünken vorschreiben zu können, bringen. Was wird davon die Folge seyn? Wenn Westindien und Amerika ihre Producte nicht mehr an Deutschland, auf welches sie hauptsächlich angewiesen sind, verkaufen können, so müssen sie verarmen, und können dann Deutschlands Erzeugnisse der Industrie, welche sie jetzt bereitwillig entgegennehmen, nicht mehr bezahlen. Dieß ist die ernsteste Seite der bis jetzt von Deutschland befolgten Politik in Beziehung auf Seehandel, bei welcher offenbar nicht die gehörige Voraussicht stattgefunden hat. Denn fährt man in bisheriger Weise, und im Geiste des im Januar 1839 abgeschlossenen Tractats mit Holland fort, so bedarf es nur geringer Voraussicht, um ein allmähliges Absterben des durch die Ausfuhr deutschen Leinens und deutscher Manufacturwaaren aller Art so vortheilhaften deutsch-amerikanischen Handels eintreten zu sehen. Was wird dann aus Deutschlands jetzt so herrlich aufblühender Industrie werden? - Und wem wird deren Beschränkung auf die Versorgung des eigenen, dann in zunehmender Progression ausgebeuteten Landes zu Gute kommen? Zweien fremden Staaten, von denen sich auch nicht Eine Handlung zu Gunsten der deutschen Industrie rühmen läßt. - Java und Sumatra, so lange sie dem directen deutschen Handel und deutschen Niederlassungen nicht völlig frei, gleich den Holländern, geöffnet sind, werden durch die Vermittlung der letztern, da es ganz ihrem Interesse entgegen seyn würde, den Bewohnern jener Inseln deutschen Luxus bekannt zu machen, von deutschen Waaren ferner so gut wie nichts verbrauchen, und unser liebes Vaterland würde in Folge des obenerwähnten Grundsatzes durch die scheinbar billigeren Java-Zucker, Kaffee und Reiß, welche baar zu bezahlen, und als reine Capitalverluste für Deutschland zu betrachten sind, mit Einschluß der Schifffahrtsvortheile, sich durch die Güte der Holländer gar bald so ziemlich ausgeplündert und ruinirt sehen, trotz all' des Guten und Vortrefflichen, was durch die Bildung des Zollvereins hätte geschaffen werden können. - Welches Volk in der Welt vielleicht aus Unachtsamkeit, vielleicht aus Hinneigung zu einer mißverstandenen, unter jetzigen Umständen ganz unhaltbaren Theorie, ist so geduldig, ohne Rücksicht auf Gegenseitigkeit den Ueberfluß aller Zonen an sich verkaufen zu lassen, und es der Thätigkeit einzelner Individuen anheim zu stellen, in der weiten Welt Käufer für deutsche Waaren zu suchen. Wir finden daher in Deutschland den alten Satz: „wer die wohlfeilste und preiswürdigste Waare anbiete, von dem müsse man kaufen“, noch in voller Anwendung, zum Triumphe der Fremden, die dafür, und zwar mit Recht, von dem „gutmüthigen Deutschland“ sprechen. Wir wollen uns erlauben, die Sache durch Exempel deutlicher zu machen. England verkauft an Deutschland Massen von Manufacturwaaren, und nimmt dagegen Wolle, Getreide u. s. w.; dagegen ist nichts einzuwenden, als die übermäßige Höhe der Eingangszölle auf das letztere; im Uebrigen hat dieser Verkehr die Grundlage des Austausches, wenn derselbe auch eine für Deutschland nicht vortheilhafte Balance aufweist. Das kann sich aber mit der Zeit anders gestalten. Außerdem verkauft jenes Land an Deutschland auch die Producte seiner Colonien, und verschließt diese gegen deutsche Erzeugnisse und deutsche Schiffe. Was thut ferner England? Es läßt die Producte anderer tropischen Länder nur gegen höhere Zölle, und auch nur dann zu, wenn dieselben direct aus den Productionsländern kommen, und schließt sie gänzlich aus, wenn man sie aus europäischen Häfen nach England bringen wollte. Der Grund dazu ist der, daß bei directer Beziehung von den Productionsländern die englischen Schiffe die Fracht verdienen, und die Hinreise nicht leer, sondern beladen mit englischen Erzeugnissen machen, was mehrentheils wegfallen würde, wenn die Einfuhr solcher Waaren auch von europäischen Märkten gestattet wäre. So verkaufen die Engländer den Ueberfluß ihrer Colonien, nicht minder Massen von Producten anderer Tropenländer, welche sie mit ihren eigenen Schiffen in Austausch gegen englische Erzeugnisse nach englischen Häfen geführt haben, an Deutschland gegen baares Geld, was daher totaler Capitalverlust für das letztere ist. Das Recht der Gegenseitigkeit wird Deutschland versagt, und dieses, ganz unbekümmert, oder eingelullt in eine schön klingende Theorie, gibt sich zufrieden mit dem Glauben, es kaufe Colonialwaaren (welche die Engländer nicht verbrauchen können) billiger von London, Liverpool etc., als es dieselben für den Augenblick durch directe Beziehungen erhalten kann. Was ist aber die Folge davon? Die Engländer bezahlen jene Colonialwaaren mit ihren eigenen Manufacturen, und die Deutschen bezahlen jene an die ersteren mit baarem Gelde. – Wenn Deutschland aber einmal England Gleiches mit Gleichem vergälte, und keine Colonialwaaren auf dem indirecten Wege über England zuließe, würde dieses nicht genöthigt werden, seine Colonien dem directen deutschen Handel zu öffnen, da es mit deren Erzeugnissen sonst nirgends hin wissen würde? Dann würde Deutschland seine eigenen Schiffe dahin senden, und die Producte englischer Colonien mit Lieferungen deutschen Kunstfleißes und deutschen Bodens ausgleichen, so wie es durch den Handel der Hansestädte schon jetzt mit den freien Ländern Amerika's der Fall ist. Wenn daher die Deutschen das, was die Engländer nicht an Colonialwaaren verbrauchen können, auch um 1 bis 2 Proc. scheinbar wohlfeiler zuweilen kaufen, als dasjenige, was in deutschen Häfen direct eingeführt worden, so ist es gewiß ein sehr verkehrter Schluß, wenn man glaubt, jene Waaren seyen wirklich wohlfeiler. Sie sind nicht nur sehr theuer deßhalb, weil sie nicht wie im directen Handel, gegen Landeserzeugnisse, vielmehr gegen baares Geld bezogen werden müssen, sondern auch aus dem Grunde, weil die Transportkosten nach Europa welche im Preise liegen, bei Einkäufen in England verloren sind, aber bei Einkäufen in den deutschen Seestädten von directen Beziehungen dem Vaterlande gewonnen werden, welches bei der Lieferung von Baumaterial zu Schiffen, Proviant, Segel, Tauen etc. allgemein interessirt ist, so daß solche von England zu beziehende Colonialwaaren zwar scheinbar mitunter im Preise um 1 bis 2 Proc. wohlfeiler kommen können, aber de facto dem Lande um 10 bis 20 Proc. theurer einstehen, auch wenn man den schon gedachten Umstand, daß bei directen Beziehungen die Zahlung in Tauschwaaren bestehen würde, nicht beachtet. Beiläufig erwähnt sey hier nur, daß dergleichen Entbietungen von England in der Regel nicht durch die Holländer und Hanseaten geschehen, sondern durch die deutschen Inländer, welche sich dabei jener nur zur Spedition bedienen. – Noch verderblicher aber ist jener Grundsatz in Beziehung auf den Verkehr mit Holland. Hier haben wir einen Colonialstaat, dessen Besitzungen hauptsächlich in Ostindien liegen, wo bekanntlich die Production von Zucker, Kaffee u. dgl. um etwa 1/3 wohlfeiler beschafft werden kann als in Westindien und Amerika. Wir bemerken, daß die Pflanzungen auf Java, Sumatra etc. ins Unglaubliche vergrößert und vermehrt werden, so daß in gar kurzer Zeit auch Deutschland zu klein seyn wird, um jene Massen zu verbrauchen. Die so bedeutend billigere Production der holländisch-ostindischen Colonien muß unfehlbar die Erzeugnisse Westindiens und Amerika's sehr bald von den deutschen Märkten völlig verdrängen, und in die Hände der Holländer ein Monopol der Ueberschwemmung Deutschlands, und demnächst die Facultät, die Preise nach Gutdünken vorschreiben zu können, bringen. Was wird davon die Folge seyn? Wenn Westindien und Amerika ihre Producte nicht mehr an Deutschland, auf welches sie hauptsächlich angewiesen sind, verkaufen können, so müssen sie verarmen, und können dann Deutschlands Erzeugnisse der Industrie, welche sie jetzt bereitwillig entgegennehmen, nicht mehr bezahlen. Dieß ist die ernsteste Seite der bis jetzt von Deutschland befolgten Politik in Beziehung auf Seehandel, bei welcher offenbar nicht die gehörige Voraussicht stattgefunden hat. Denn fährt man in bisheriger Weise, und im Geiste des im Januar 1839 abgeschlossenen Tractats mit Holland fort, so bedarf es nur geringer Voraussicht, um ein allmähliges Absterben des durch die Ausfuhr deutschen Leinens und deutscher Manufacturwaaren aller Art so vortheilhaften deutsch-amerikanischen Handels eintreten zu sehen. Was wird dann aus Deutschlands jetzt so herrlich aufblühender Industrie werden? – Und wem wird deren Beschränkung auf die Versorgung des eigenen, dann in zunehmender Progression ausgebeuteten Landes zu Gute kommen? Zweien fremden Staaten, von denen sich auch nicht Eine Handlung zu Gunsten der deutschen Industrie rühmen läßt. – Java und Sumatra, so lange sie dem directen deutschen Handel und deutschen Niederlassungen nicht völlig frei, gleich den Holländern, geöffnet sind, werden durch die Vermittlung der letztern, da es ganz ihrem Interesse entgegen seyn würde, den Bewohnern jener Inseln deutschen Luxus bekannt zu machen, von deutschen Waaren ferner so gut wie nichts verbrauchen, und unser liebes Vaterland würde in Folge des obenerwähnten Grundsatzes durch die scheinbar billigeren Java-Zucker, Kaffee und Reiß, welche baar zu bezahlen, und als reine Capitalverluste für Deutschland zu betrachten sind, mit Einschluß der Schifffahrtsvortheile, sich durch die Güte der Holländer gar bald so ziemlich ausgeplündert und ruinirt sehen, trotz all' des Guten und Vortrefflichen, was durch die Bildung des Zollvereins hätte geschaffen werden können. – Welches Volk in der Welt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="1045"/> vielleicht aus Unachtsamkeit, vielleicht aus Hinneigung zu einer mißverstandenen, unter jetzigen Umständen ganz unhaltbaren Theorie, ist so geduldig, ohne Rücksicht auf Gegenseitigkeit den Ueberfluß aller Zonen an sich verkaufen zu lassen, und es der Thätigkeit einzelner Individuen anheim zu stellen, in der weiten Welt Käufer für deutsche Waaren zu suchen. Wir finden daher in Deutschland den alten Satz: „wer die wohlfeilste und preiswürdigste Waare anbiete, von dem müsse man kaufen“, noch in voller Anwendung, zum Triumphe der Fremden, die dafür, und zwar mit Recht, von dem „gutmüthigen Deutschland“ sprechen. Wir wollen uns erlauben, die Sache durch Exempel deutlicher zu machen. England verkauft an Deutschland Massen von Manufacturwaaren, und nimmt dagegen Wolle, Getreide u. s. w.; dagegen ist nichts einzuwenden, als die übermäßige Höhe der Eingangszölle auf das letztere; im Uebrigen hat dieser Verkehr die Grundlage <hi rendition="#g">des Austausches</hi>, wenn derselbe auch eine für Deutschland nicht vortheilhafte Balance aufweist. Das kann sich aber mit der Zeit anders gestalten. Außerdem verkauft jenes Land an Deutschland auch die Producte seiner Colonien, und verschließt diese gegen deutsche Erzeugnisse und deutsche Schiffe. Was thut ferner England? 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Dann würde Deutschland seine eigenen Schiffe dahin senden, und die Producte englischer Colonien mit Lieferungen deutschen Kunstfleißes und deutschen Bodens ausgleichen, so wie es durch den Handel der Hansestädte schon jetzt mit den freien Ländern Amerika's der Fall ist. Wenn daher die Deutschen das, was die Engländer nicht an Colonialwaaren verbrauchen <hi rendition="#g">können</hi>, auch um 1 bis 2 Proc. scheinbar wohlfeiler zuweilen kaufen, als dasjenige, was in deutschen Häfen direct eingeführt worden, so ist es gewiß ein sehr verkehrter Schluß, wenn man glaubt, jene Waaren seyen wirklich wohlfeiler. Sie sind nicht nur sehr theuer deßhalb, weil sie nicht wie im directen Handel, gegen Landeserzeugnisse, vielmehr gegen baares Geld bezogen werden müssen, sondern auch aus dem Grunde, weil die Transportkosten nach Europa welche im Preise liegen, bei Einkäufen in England verloren sind, aber bei Einkäufen in den deutschen Seestädten von <hi rendition="#g">directen</hi> Beziehungen dem Vaterlande gewonnen werden, welches bei der Lieferung von Baumaterial zu Schiffen, Proviant, Segel, Tauen etc. <hi rendition="#g">allgemein</hi> interessirt ist, so daß solche von England zu beziehende Colonialwaaren zwar <hi rendition="#g">scheinbar</hi> mitunter im Preise um 1 bis 2 Proc. wohlfeiler kommen können, aber de facto dem Lande um 10 bis 20 Proc. theurer einstehen, auch wenn man den schon gedachten Umstand, daß bei directen Beziehungen die Zahlung in Tauschwaaren bestehen würde, nicht beachtet. Beiläufig erwähnt sey hier nur, daß dergleichen Entbietungen von England in der Regel nicht durch die Holländer und Hanseaten geschehen, sondern durch die deutschen Inländer, welche sich dabei jener nur zur Spedition bedienen. – Noch verderblicher aber ist jener Grundsatz in Beziehung auf den Verkehr mit Holland. Hier haben wir einen Colonialstaat, dessen Besitzungen hauptsächlich in Ostindien liegen, wo bekanntlich die Production von Zucker, Kaffee u. dgl. um etwa 1/3 wohlfeiler beschafft werden kann als in Westindien und Amerika. Wir bemerken, daß die Pflanzungen auf Java, Sumatra etc. ins Unglaubliche vergrößert und vermehrt werden, so daß in gar kurzer Zeit auch Deutschland zu klein seyn wird, um jene Massen zu verbrauchen. Die so bedeutend billigere Production der holländisch-ostindischen Colonien muß unfehlbar die Erzeugnisse Westindiens und Amerika's sehr bald von den deutschen Märkten völlig verdrängen, und in die Hände der Holländer ein Monopol der Ueberschwemmung Deutschlands, und demnächst die Facultät, <hi rendition="#g">die Preise nach Gutdünken vorschreiben zu können</hi>, bringen. Was wird davon die Folge seyn? Wenn Westindien und Amerika ihre Producte nicht mehr an Deutschland, auf welches sie hauptsächlich angewiesen sind, verkaufen können, so müssen sie verarmen, und können dann Deutschlands Erzeugnisse der Industrie, welche sie jetzt bereitwillig entgegennehmen, nicht mehr bezahlen. Dieß ist die ernsteste Seite der bis jetzt von Deutschland befolgten Politik in Beziehung auf Seehandel, bei welcher offenbar nicht die gehörige Voraussicht stattgefunden hat. Denn fährt man in bisheriger Weise, und im Geiste des im Januar 1839 abgeschlossenen Tractats mit Holland fort, so bedarf es nur geringer Voraussicht, um ein allmähliges Absterben des durch die Ausfuhr deutschen Leinens und deutscher Manufacturwaaren aller Art so vortheilhaften deutsch-amerikanischen Handels eintreten zu sehen. Was wird dann aus Deutschlands jetzt so herrlich aufblühender Industrie werden? – Und <hi rendition="#g">wem</hi> wird deren Beschränkung auf die Versorgung des eigenen, dann in zunehmender Progression ausgebeuteten Landes zu Gute kommen? Zweien fremden Staaten, von denen sich auch nicht Eine Handlung zu Gunsten der deutschen Industrie rühmen läßt. – Java und Sumatra, so lange sie dem directen deutschen Handel und deutschen Niederlassungen nicht völlig frei, gleich den Holländern, geöffnet sind, werden durch die Vermittlung der letztern, da es ganz ihrem Interesse entgegen seyn würde, den Bewohnern jener Inseln deutschen Luxus bekannt zu machen, von deutschen Waaren ferner so gut wie nichts verbrauchen, und unser liebes Vaterland würde in Folge des obenerwähnten Grundsatzes durch die scheinbar billigeren Java-Zucker, Kaffee und Reiß, welche baar zu bezahlen, und als reine Capitalverluste für Deutschland zu betrachten sind, mit Einschluß der Schifffahrtsvortheile, sich durch die Güte der Holländer gar bald so ziemlich ausgeplündert und ruinirt sehen, trotz all' des Guten und Vortrefflichen, was durch die Bildung des Zollvereins hätte <hi rendition="#g">geschaffen werden können</hi>. – Welches Volk in der Welt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1045/0005]
vielleicht aus Unachtsamkeit, vielleicht aus Hinneigung zu einer mißverstandenen, unter jetzigen Umständen ganz unhaltbaren Theorie, ist so geduldig, ohne Rücksicht auf Gegenseitigkeit den Ueberfluß aller Zonen an sich verkaufen zu lassen, und es der Thätigkeit einzelner Individuen anheim zu stellen, in der weiten Welt Käufer für deutsche Waaren zu suchen. Wir finden daher in Deutschland den alten Satz: „wer die wohlfeilste und preiswürdigste Waare anbiete, von dem müsse man kaufen“, noch in voller Anwendung, zum Triumphe der Fremden, die dafür, und zwar mit Recht, von dem „gutmüthigen Deutschland“ sprechen. Wir wollen uns erlauben, die Sache durch Exempel deutlicher zu machen. England verkauft an Deutschland Massen von Manufacturwaaren, und nimmt dagegen Wolle, Getreide u. s. w.; dagegen ist nichts einzuwenden, als die übermäßige Höhe der Eingangszölle auf das letztere; im Uebrigen hat dieser Verkehr die Grundlage des Austausches, wenn derselbe auch eine für Deutschland nicht vortheilhafte Balance aufweist. Das kann sich aber mit der Zeit anders gestalten. Außerdem verkauft jenes Land an Deutschland auch die Producte seiner Colonien, und verschließt diese gegen deutsche Erzeugnisse und deutsche Schiffe. Was thut ferner England? Es läßt die Producte anderer tropischen Länder nur gegen höhere Zölle, und auch nur dann zu, wenn dieselben direct aus den Productionsländern kommen, und schließt sie gänzlich aus, wenn man sie aus europäischen Häfen nach England bringen wollte. Der Grund dazu ist der, daß bei directer Beziehung von den Productionsländern die englischen Schiffe die Fracht verdienen, und die Hinreise nicht leer, sondern beladen mit englischen Erzeugnissen machen, was mehrentheils wegfallen würde, wenn die Einfuhr solcher Waaren auch von europäischen Märkten gestattet wäre. So verkaufen die Engländer den Ueberfluß ihrer Colonien, nicht minder Massen von Producten anderer Tropenländer, welche sie mit ihren eigenen Schiffen in Austausch gegen englische Erzeugnisse nach englischen Häfen geführt haben, an Deutschland gegen baares Geld, was daher totaler Capitalverlust für das letztere ist. Das Recht der Gegenseitigkeit wird Deutschland versagt, und dieses, ganz unbekümmert, oder eingelullt in eine schön klingende Theorie, gibt sich zufrieden mit dem Glauben, es kaufe Colonialwaaren (welche die Engländer nicht verbrauchen können) billiger von London, Liverpool etc., als es dieselben für den Augenblick durch directe Beziehungen erhalten kann. Was ist aber die Folge davon? Die Engländer bezahlen jene Colonialwaaren mit ihren eigenen Manufacturen, und die Deutschen bezahlen jene an die ersteren mit baarem Gelde. – Wenn Deutschland aber einmal England Gleiches mit Gleichem vergälte, und keine Colonialwaaren auf dem indirecten Wege über England zuließe, würde dieses nicht genöthigt werden, seine Colonien dem directen deutschen Handel zu öffnen, da es mit deren Erzeugnissen sonst nirgends hin wissen würde? Dann würde Deutschland seine eigenen Schiffe dahin senden, und die Producte englischer Colonien mit Lieferungen deutschen Kunstfleißes und deutschen Bodens ausgleichen, so wie es durch den Handel der Hansestädte schon jetzt mit den freien Ländern Amerika's der Fall ist. Wenn daher die Deutschen das, was die Engländer nicht an Colonialwaaren verbrauchen können, auch um 1 bis 2 Proc. scheinbar wohlfeiler zuweilen kaufen, als dasjenige, was in deutschen Häfen direct eingeführt worden, so ist es gewiß ein sehr verkehrter Schluß, wenn man glaubt, jene Waaren seyen wirklich wohlfeiler. Sie sind nicht nur sehr theuer deßhalb, weil sie nicht wie im directen Handel, gegen Landeserzeugnisse, vielmehr gegen baares Geld bezogen werden müssen, sondern auch aus dem Grunde, weil die Transportkosten nach Europa welche im Preise liegen, bei Einkäufen in England verloren sind, aber bei Einkäufen in den deutschen Seestädten von directen Beziehungen dem Vaterlande gewonnen werden, welches bei der Lieferung von Baumaterial zu Schiffen, Proviant, Segel, Tauen etc. allgemein interessirt ist, so daß solche von England zu beziehende Colonialwaaren zwar scheinbar mitunter im Preise um 1 bis 2 Proc. wohlfeiler kommen können, aber de facto dem Lande um 10 bis 20 Proc. theurer einstehen, auch wenn man den schon gedachten Umstand, daß bei directen Beziehungen die Zahlung in Tauschwaaren bestehen würde, nicht beachtet. Beiläufig erwähnt sey hier nur, daß dergleichen Entbietungen von England in der Regel nicht durch die Holländer und Hanseaten geschehen, sondern durch die deutschen Inländer, welche sich dabei jener nur zur Spedition bedienen. – Noch verderblicher aber ist jener Grundsatz in Beziehung auf den Verkehr mit Holland. Hier haben wir einen Colonialstaat, dessen Besitzungen hauptsächlich in Ostindien liegen, wo bekanntlich die Production von Zucker, Kaffee u. dgl. um etwa 1/3 wohlfeiler beschafft werden kann als in Westindien und Amerika. Wir bemerken, daß die Pflanzungen auf Java, Sumatra etc. ins Unglaubliche vergrößert und vermehrt werden, so daß in gar kurzer Zeit auch Deutschland zu klein seyn wird, um jene Massen zu verbrauchen. Die so bedeutend billigere Production der holländisch-ostindischen Colonien muß unfehlbar die Erzeugnisse Westindiens und Amerika's sehr bald von den deutschen Märkten völlig verdrängen, und in die Hände der Holländer ein Monopol der Ueberschwemmung Deutschlands, und demnächst die Facultät, die Preise nach Gutdünken vorschreiben zu können, bringen. Was wird davon die Folge seyn? Wenn Westindien und Amerika ihre Producte nicht mehr an Deutschland, auf welches sie hauptsächlich angewiesen sind, verkaufen können, so müssen sie verarmen, und können dann Deutschlands Erzeugnisse der Industrie, welche sie jetzt bereitwillig entgegennehmen, nicht mehr bezahlen. Dieß ist die ernsteste Seite der bis jetzt von Deutschland befolgten Politik in Beziehung auf Seehandel, bei welcher offenbar nicht die gehörige Voraussicht stattgefunden hat. Denn fährt man in bisheriger Weise, und im Geiste des im Januar 1839 abgeschlossenen Tractats mit Holland fort, so bedarf es nur geringer Voraussicht, um ein allmähliges Absterben des durch die Ausfuhr deutschen Leinens und deutscher Manufacturwaaren aller Art so vortheilhaften deutsch-amerikanischen Handels eintreten zu sehen. Was wird dann aus Deutschlands jetzt so herrlich aufblühender Industrie werden? – Und wem wird deren Beschränkung auf die Versorgung des eigenen, dann in zunehmender Progression ausgebeuteten Landes zu Gute kommen? Zweien fremden Staaten, von denen sich auch nicht Eine Handlung zu Gunsten der deutschen Industrie rühmen läßt. – Java und Sumatra, so lange sie dem directen deutschen Handel und deutschen Niederlassungen nicht völlig frei, gleich den Holländern, geöffnet sind, werden durch die Vermittlung der letztern, da es ganz ihrem Interesse entgegen seyn würde, den Bewohnern jener Inseln deutschen Luxus bekannt zu machen, von deutschen Waaren ferner so gut wie nichts verbrauchen, und unser liebes Vaterland würde in Folge des obenerwähnten Grundsatzes durch die scheinbar billigeren Java-Zucker, Kaffee und Reiß, welche baar zu bezahlen, und als reine Capitalverluste für Deutschland zu betrachten sind, mit Einschluß der Schifffahrtsvortheile, sich durch die Güte der Holländer gar bald so ziemlich ausgeplündert und ruinirt sehen, trotz all' des Guten und Vortrefflichen, was durch die Bildung des Zollvereins hätte geschaffen werden können. – Welches Volk in der Welt
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