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Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840.

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Und wie leicht möglich wäre es, daß bei diesem Versuch der Status quo von 1815 vernichtet würde, der zwar nicht mehr unangetastet besteht, aber durch die Ereignisse doch nur unmerklich und allmählich modificirt wurde! Eine Spaltung zwischen Frankreich und England hieße so viel, als Konstantinopel den Russen öffnen, den Abschluß eines Tractats zwischen England und Rußland herbeiführen, Oesterreichs Einfluß im Orient lähmen, und dagegen den Einfluß Rußlands auf Oesterreichs slavische Provinzen vermehren. Diese Betrachtungen machten, wie es scheint, in Wien den Eindruck, der sich erwarten ließ; man erkannte diesen Eindruck an der Art, wie das Wiener Cabinet die Nachricht von der Bildung eines Ministeriums aufnahm, dessen Chef sich so lebhaft für die englische Allianz ausgesprochen hatte. - Preußen, noch stiller, noch vorsichtiger als Oesterreich, obwohl es von Seite Frankreichs wie von Seite Rußlands mehr zu fürchten hätte, hat nie aufgehört, im Interesse Europa's und in seinem eigenen die Erhaltung der französisch-englischen Allianz zu wünschen. Der tägliche Verkehr zwischen Hrn. v. Werther und Graf Bresson erlaubt keinen Zweifel mehr, daß das Berliner Cabinet die Bildung des gegenwärtigen Ministeriums als einen günstigen Umstand betrachtete zur Befestigung der Freundschaftsbande zwischen Frankreich und England, welche unter dem Ministerium des Marschalls Soult loser geworden waren. Was wäre auch Preußen, wenn durch die Allianz zwischen England und Rußland letztere Macht in den Besitz des Marmorameers käme, und mit ihren Besitzungen um Europa allmählich einen Kreis schlösse? Wenn Oesterreich als südliche Macht in commercieller, als Macht des Nordens in politischer Beziehung bei der Erhaltung des türkischen Reichs betheiligt ist, wenn es nach England am meisten nach Trapezunt ausführt, und wenn die Donauprovinzen, wie das Gleichgewicht Europa's, ihm zur Pflicht machen, daß es die russische Politik bei einigen ihrer Plane nicht unterstütze, so hat Preußen seinerseits nicht weniger dringende Interessen zu berücksichtigen. Seit neun Jahren befestigt diese Macht mehr und mehr ihr Uebergewicht im Norden Deutschlands, und es würde offen gegen den Zweck, den es verfolgt, handeln, wollte es sich zum bloßen Satelliten Rußlands machen. Um seinen Einfluß im Norden des deutschen Bundes zu befestigen, und dem Einfluß Oesterreichs im südlichen Deutschland die Wage zu halten, muß Preußen sich durchaus deutsch zeigen. Erinnert man sich, daß Preußen trotz seiner wechselnden Neigungen für Rußland und Oesterreich doch Beweise der Sympathie für die gegenwärtige Regierung Frankreichs gegeben hat, so oft deren Haltung es nicht beunruhigte, so wird man keineswegs über die gute Aufnahme erstaunt seyn, mit der man in Berlin ein Ministerium empfing, von dem man die Befestigung des europäischen Gleichgewichts hofft. - Was Rußland betrifft, so haben unsere Verhältnisse mit dieser Macht sich wenig gebessert; es ist darüber nur ein Wort zu sagen. Zwischen dem Marschall Soult und dem Grafen Medem war es hinsichtlich Polens zu einem Wortstreit gekommen, der mit dem Eintritt des Hrn. Thiers aufhört. Die Rückkehr des Hrn. v. Pahlen ist Beweis hiefür, und die Antwort der russischen Regierung auf die erste Mittheilung des jetzigen Ministeriums war, wenn wir recht unterrichtet sind, in versöhnlichen Ausdrücken abgefaßt. Wenn es wahr ist, daß darin gesagt wird, die kaiserliche Regierung werde eifrig zur Wiederherstellung des guten Einklangs zwischen den zwei großen constitutionellen Staaten beitragen, und sey weit entfernt aus deren Meinungsverschiedenheiten Nutzen ziehen zu wollen - wenn diese Erklärung wahr ist, so könnte man durch dieselbe eine etwas stolze Zufriedenheit über die Stellung, welche Rußland während des Ministeriums vom 12 Mai eingenommen, durchblicken sehen; man könnte dieß aber nicht dem gegenwärtigen Ministerium zum Vorwurf machen, denn nicht von ihm wäre zu einer solchen Erklärung Veranlassung gegeben worden. - Endlich haben auch die kleinern deutschen Cabinette an das gegenwärtige Ministerium freundliche Worte gerichtet. Zwar vermindern diese Manifestationen, an deren Aufrichtigkeit zu zweifeln man keine Ursache hat, die ernsten Verlegenheiten Frankreichs nach außen keineswegs, aber die Hauptfragen sind doch weniger compromittirt, als man denkt, und eine zugleich gewandte, kluge und feste Leitung kann in diesem Stand der Dinge große Veränderungen hervorbringen. Die großen Maaßregeln, die entscheidenden Entschlüsse werden unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Europa nicht so rasch gefaßt. Zwar unterhandelt man, rührt und bewegt sich ohne Aufhören; große und bedeutende Sprecher, genannt Frankreich, England, Rußland, Oesterreich, treten in London, Paris, Konstantinopel, Wien häufig zusammen, um dort zu berathschlagen. Aber nichts Entscheidendes wird stattfinden, so lange sich Frankreich und England nicht offen getrennt haben über eine europäische Lebensfrage; eine solche Trennung - man darf sich dieß nicht verbergen - wäre der Krieg, und zwar der allgemeine Krieg in Europa wie in Asien. Wer aber würde aus einem solchen Bruche Vortheil ziehen? Offenbar nur Rußland. Das Resultat wäre für Rußland der Besitz Konstantinopels. Will dieß das englische Cabinet? Es bedurfte der ganzen Unentschlossenheit, der ganzen Unerfahrenheit des Ministeriums Soult, um die Sachen bis auf den Punkt zu treiben, wo sie sind. Nach der denkwürdigen Discussion über die Angelegenheiten des Orients, wo die Kammer sich so bereit zeigte, alles zu thun, was die Ehre und Würde des Landes geböten, wiederholte das Ministerium jeden Tag im Conseil die Worte, welche seitdem so berühmt geworden, weil einer der Minister sie auf der Tribune ausgesprochen: "man muß etwas thun." Die verschiedensten Beschlüsse wurden vorgeschlagen. Nach manchen Berathungen kam man auf die Idee eines Congresses - eine Idee, die von Oesterreich ausgegangen und sorgfältig genährt wurde. Man schmeichelte dem Ministerium dabei mit der Hoffnung, daß der Kaiser Nikolaus in Person dabei erscheinen würde. Es wäre dieß in der That nach den feierlichen Erklärungen Rußlands, welches so oft sich geweigert hatte, fremde Schiedsrichter in seinen Angelegenheiten mit dem Orient zuzulassen, ein großer Triumph gewesen. Aber bald mußte das Ministerium Soult auf diesen Ruhm, den es sich versprochen, verzichten, und da man sich um jeden Preis für die nächste Session populär machen mußte, schickte man fünfzehn Linienschiffe ab, um am Eingang der Dardanellen zu kreuzen, und reizte die öffentliche Aufmerksamkeit dadurch, daß man viel Geräusch mit den Seerüstungen in Toulon machte. Die Flotte schickte man ab, ohne eigentlich zu wissen, was man damit machen wollte; ihr Commandant stach in die See, ohne irgend eine bestimmte Instruction mitzunehmen, und die des Admirals Roussin beschränkte sich - wird man es glauben? - auf Folgendes: im Fall einer russischen Intervention die türkische Regierung um die Erlaubniß zu bitten, unsere Kriegsschiffe in das Marmorameer einlaufen zu lassen. In den Depeschen stand nicht mehr. Man erwähnte darin nicht einmal des Namens der Dardanellen; es schien, als ob bei diesem Wort ganz Europa zusammenbrechen sollte. Auf die Anfragen, die von Zeit zu Zeit die Gesandten wegen der Rüstungen in Toulon stellten, antwortete man, das Benehmen Marokko's erfordere Rüstungen, oder es sey nothwendig, unsere Mannschaften zu üben. Gegenüber von England war man eben so unentschlossen. Bald hatte man Vertrauen auf dasselbe, und

Und wie leicht möglich wäre es, daß bei diesem Versuch der Status quo von 1815 vernichtet würde, der zwar nicht mehr unangetastet besteht, aber durch die Ereignisse doch nur unmerklich und allmählich modificirt wurde! Eine Spaltung zwischen Frankreich und England hieße so viel, als Konstantinopel den Russen öffnen, den Abschluß eines Tractats zwischen England und Rußland herbeiführen, Oesterreichs Einfluß im Orient lähmen, und dagegen den Einfluß Rußlands auf Oesterreichs slavische Provinzen vermehren. Diese Betrachtungen machten, wie es scheint, in Wien den Eindruck, der sich erwarten ließ; man erkannte diesen Eindruck an der Art, wie das Wiener Cabinet die Nachricht von der Bildung eines Ministeriums aufnahm, dessen Chef sich so lebhaft für die englische Allianz ausgesprochen hatte. – Preußen, noch stiller, noch vorsichtiger als Oesterreich, obwohl es von Seite Frankreichs wie von Seite Rußlands mehr zu fürchten hätte, hat nie aufgehört, im Interesse Europa's und in seinem eigenen die Erhaltung der französisch-englischen Allianz zu wünschen. Der tägliche Verkehr zwischen Hrn. v. Werther und Graf Bresson erlaubt keinen Zweifel mehr, daß das Berliner Cabinet die Bildung des gegenwärtigen Ministeriums als einen günstigen Umstand betrachtete zur Befestigung der Freundschaftsbande zwischen Frankreich und England, welche unter dem Ministerium des Marschalls Soult loser geworden waren. Was wäre auch Preußen, wenn durch die Allianz zwischen England und Rußland letztere Macht in den Besitz des Marmorameers käme, und mit ihren Besitzungen um Europa allmählich einen Kreis schlösse? Wenn Oesterreich als südliche Macht in commercieller, als Macht des Nordens in politischer Beziehung bei der Erhaltung des türkischen Reichs betheiligt ist, wenn es nach England am meisten nach Trapezunt ausführt, und wenn die Donauprovinzen, wie das Gleichgewicht Europa's, ihm zur Pflicht machen, daß es die russische Politik bei einigen ihrer Plane nicht unterstütze, so hat Preußen seinerseits nicht weniger dringende Interessen zu berücksichtigen. Seit neun Jahren befestigt diese Macht mehr und mehr ihr Uebergewicht im Norden Deutschlands, und es würde offen gegen den Zweck, den es verfolgt, handeln, wollte es sich zum bloßen Satelliten Rußlands machen. Um seinen Einfluß im Norden des deutschen Bundes zu befestigen, und dem Einfluß Oesterreichs im südlichen Deutschland die Wage zu halten, muß Preußen sich durchaus deutsch zeigen. Erinnert man sich, daß Preußen trotz seiner wechselnden Neigungen für Rußland und Oesterreich doch Beweise der Sympathie für die gegenwärtige Regierung Frankreichs gegeben hat, so oft deren Haltung es nicht beunruhigte, so wird man keineswegs über die gute Aufnahme erstaunt seyn, mit der man in Berlin ein Ministerium empfing, von dem man die Befestigung des europäischen Gleichgewichts hofft. – Was Rußland betrifft, so haben unsere Verhältnisse mit dieser Macht sich wenig gebessert; es ist darüber nur ein Wort zu sagen. Zwischen dem Marschall Soult und dem Grafen Medem war es hinsichtlich Polens zu einem Wortstreit gekommen, der mit dem Eintritt des Hrn. Thiers aufhört. Die Rückkehr des Hrn. v. Pahlen ist Beweis hiefür, und die Antwort der russischen Regierung auf die erste Mittheilung des jetzigen Ministeriums war, wenn wir recht unterrichtet sind, in versöhnlichen Ausdrücken abgefaßt. Wenn es wahr ist, daß darin gesagt wird, die kaiserliche Regierung werde eifrig zur Wiederherstellung des guten Einklangs zwischen den zwei großen constitutionellen Staaten beitragen, und sey weit entfernt aus deren Meinungsverschiedenheiten Nutzen ziehen zu wollen – wenn diese Erklärung wahr ist, so könnte man durch dieselbe eine etwas stolze Zufriedenheit über die Stellung, welche Rußland während des Ministeriums vom 12 Mai eingenommen, durchblicken sehen; man könnte dieß aber nicht dem gegenwärtigen Ministerium zum Vorwurf machen, denn nicht von ihm wäre zu einer solchen Erklärung Veranlassung gegeben worden. – Endlich haben auch die kleinern deutschen Cabinette an das gegenwärtige Ministerium freundliche Worte gerichtet. Zwar vermindern diese Manifestationen, an deren Aufrichtigkeit zu zweifeln man keine Ursache hat, die ernsten Verlegenheiten Frankreichs nach außen keineswegs, aber die Hauptfragen sind doch weniger compromittirt, als man denkt, und eine zugleich gewandte, kluge und feste Leitung kann in diesem Stand der Dinge große Veränderungen hervorbringen. Die großen Maaßregeln, die entscheidenden Entschlüsse werden unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Europa nicht so rasch gefaßt. Zwar unterhandelt man, rührt und bewegt sich ohne Aufhören; große und bedeutende Sprecher, genannt Frankreich, England, Rußland, Oesterreich, treten in London, Paris, Konstantinopel, Wien häufig zusammen, um dort zu berathschlagen. Aber nichts Entscheidendes wird stattfinden, so lange sich Frankreich und England nicht offen getrennt haben über eine europäische Lebensfrage; eine solche Trennung – man darf sich dieß nicht verbergen – wäre der Krieg, und zwar der allgemeine Krieg in Europa wie in Asien. Wer aber würde aus einem solchen Bruche Vortheil ziehen? Offenbar nur Rußland. Das Resultat wäre für Rußland der Besitz Konstantinopels. Will dieß das englische Cabinet? Es bedurfte der ganzen Unentschlossenheit, der ganzen Unerfahrenheit des Ministeriums Soult, um die Sachen bis auf den Punkt zu treiben, wo sie sind. Nach der denkwürdigen Discussion über die Angelegenheiten des Orients, wo die Kammer sich so bereit zeigte, alles zu thun, was die Ehre und Würde des Landes geböten, wiederholte das Ministerium jeden Tag im Conseil die Worte, welche seitdem so berühmt geworden, weil einer der Minister sie auf der Tribune ausgesprochen: „man muß etwas thun.“ Die verschiedensten Beschlüsse wurden vorgeschlagen. Nach manchen Berathungen kam man auf die Idee eines Congresses – eine Idee, die von Oesterreich ausgegangen und sorgfältig genährt wurde. Man schmeichelte dem Ministerium dabei mit der Hoffnung, daß der Kaiser Nikolaus in Person dabei erscheinen würde. Es wäre dieß in der That nach den feierlichen Erklärungen Rußlands, welches so oft sich geweigert hatte, fremde Schiedsrichter in seinen Angelegenheiten mit dem Orient zuzulassen, ein großer Triumph gewesen. Aber bald mußte das Ministerium Soult auf diesen Ruhm, den es sich versprochen, verzichten, und da man sich um jeden Preis für die nächste Session populär machen mußte, schickte man fünfzehn Linienschiffe ab, um am Eingang der Dardanellen zu kreuzen, und reizte die öffentliche Aufmerksamkeit dadurch, daß man viel Geräusch mit den Seerüstungen in Toulon machte. Die Flotte schickte man ab, ohne eigentlich zu wissen, was man damit machen wollte; ihr Commandant stach in die See, ohne irgend eine bestimmte Instruction mitzunehmen, und die des Admirals Roussin beschränkte sich – wird man es glauben? – auf Folgendes: im Fall einer russischen Intervention die türkische Regierung um die Erlaubniß zu bitten, unsere Kriegsschiffe in das Marmorameer einlaufen zu lassen. In den Depeschen stand nicht mehr. Man erwähnte darin nicht einmal des Namens der Dardanellen; es schien, als ob bei diesem Wort ganz Europa zusammenbrechen sollte. Auf die Anfragen, die von Zeit zu Zeit die Gesandten wegen der Rüstungen in Toulon stellten, antwortete man, das Benehmen Marokko's erfordere Rüstungen, oder es sey nothwendig, unsere Mannschaften zu üben. Gegenüber von England war man eben so unentschlossen. Bald hatte man Vertrauen auf dasselbe, und

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Und wie leicht möglich wäre es, daß bei diesem Versuch der Status quo von 1815 vernichtet würde, der zwar nicht mehr unangetastet besteht, aber durch die Ereignisse doch nur unmerklich und allmählich modificirt wurde! Eine Spaltung zwischen Frankreich und England hieße so viel, als Konstantinopel den Russen öffnen, den Abschluß eines Tractats zwischen England und Rußland herbeiführen, Oesterreichs Einfluß im Orient lähmen, und dagegen den Einfluß Rußlands auf Oesterreichs slavische Provinzen vermehren. Diese Betrachtungen machten, wie es scheint, in Wien den Eindruck, der sich erwarten ließ; man erkannte diesen Eindruck an der Art, wie das Wiener Cabinet die Nachricht von der Bildung eines Ministeriums aufnahm, dessen Chef sich so lebhaft für die englische Allianz ausgesprochen hatte. &#x2013; Preußen, noch stiller, noch vorsichtiger als Oesterreich, obwohl es von Seite Frankreichs wie von Seite Rußlands mehr zu fürchten hätte, hat nie aufgehört, im Interesse Europa's und in seinem eigenen die Erhaltung der französisch-englischen Allianz zu wünschen. Der tägliche Verkehr zwischen Hrn. v. Werther und Graf Bresson erlaubt keinen Zweifel mehr, daß das Berliner Cabinet die Bildung des gegenwärtigen Ministeriums als einen günstigen Umstand betrachtete zur Befestigung der Freundschaftsbande zwischen Frankreich und England, welche unter dem Ministerium des Marschalls Soult loser geworden waren. Was wäre auch Preußen, wenn durch die Allianz zwischen England und Rußland letztere Macht in den Besitz des Marmorameers käme, und mit ihren Besitzungen um Europa allmählich einen Kreis schlösse? Wenn Oesterreich als südliche Macht in commercieller, als Macht des Nordens in politischer Beziehung bei der Erhaltung des türkischen Reichs betheiligt ist, wenn es nach England am meisten nach Trapezunt ausführt, und wenn die Donauprovinzen, wie das Gleichgewicht Europa's, ihm zur Pflicht machen, daß es die russische Politik bei einigen ihrer Plane nicht unterstütze, so hat Preußen seinerseits nicht weniger dringende Interessen zu berücksichtigen. Seit neun Jahren befestigt diese Macht mehr und mehr ihr Uebergewicht im Norden Deutschlands, und es würde offen gegen den Zweck, den es verfolgt, handeln, wollte es sich zum bloßen Satelliten Rußlands machen. Um seinen Einfluß im Norden des deutschen Bundes zu befestigen, und dem Einfluß Oesterreichs im südlichen Deutschland die Wage zu halten, muß Preußen sich durchaus deutsch zeigen. Erinnert man sich, daß Preußen trotz seiner wechselnden Neigungen für Rußland und Oesterreich doch Beweise der Sympathie für die gegenwärtige Regierung Frankreichs gegeben hat, so oft deren Haltung es nicht beunruhigte, so wird man keineswegs über die gute Aufnahme erstaunt seyn, mit der man in Berlin ein Ministerium empfing, von dem man die Befestigung des europäischen Gleichgewichts hofft. &#x2013; Was Rußland betrifft, so haben unsere Verhältnisse mit dieser Macht sich wenig gebessert; es ist darüber nur ein Wort zu sagen. Zwischen dem Marschall Soult und dem Grafen Medem war es hinsichtlich Polens zu einem Wortstreit gekommen, der mit dem Eintritt des Hrn. Thiers aufhört. Die Rückkehr des Hrn. v. Pahlen ist Beweis hiefür, und die Antwort der russischen Regierung auf die erste Mittheilung des jetzigen Ministeriums war, wenn wir recht unterrichtet sind, in versöhnlichen Ausdrücken abgefaßt. Wenn es wahr ist, daß darin gesagt wird, die kaiserliche Regierung werde eifrig zur Wiederherstellung des guten Einklangs zwischen den zwei großen constitutionellen Staaten beitragen, und sey weit entfernt aus deren Meinungsverschiedenheiten Nutzen ziehen zu wollen &#x2013; wenn diese Erklärung wahr ist, so könnte man durch dieselbe eine etwas stolze Zufriedenheit über die Stellung, welche Rußland während des Ministeriums vom 12 Mai eingenommen, durchblicken sehen; man könnte dieß aber nicht dem gegenwärtigen Ministerium zum Vorwurf machen, denn nicht von ihm wäre zu einer solchen Erklärung Veranlassung gegeben worden. &#x2013; Endlich haben auch die kleinern deutschen Cabinette an das gegenwärtige Ministerium freundliche Worte gerichtet. Zwar vermindern diese Manifestationen, an deren Aufrichtigkeit zu zweifeln man keine Ursache hat, die ernsten Verlegenheiten Frankreichs nach außen keineswegs, aber die Hauptfragen sind doch weniger compromittirt, als man denkt, und eine zugleich gewandte, kluge und feste Leitung kann in diesem Stand der Dinge große Veränderungen hervorbringen. Die großen Maaßregeln, die entscheidenden Entschlüsse werden unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Europa nicht so rasch gefaßt. Zwar unterhandelt man, rührt und bewegt sich ohne Aufhören; große und bedeutende Sprecher, genannt Frankreich, England, Rußland, Oesterreich, treten in London, Paris, Konstantinopel, Wien häufig zusammen, um dort zu berathschlagen. Aber nichts Entscheidendes wird stattfinden, so lange sich Frankreich und England nicht offen getrennt haben über eine europäische Lebensfrage; eine solche Trennung &#x2013; man darf sich dieß nicht verbergen &#x2013; wäre der Krieg, und zwar der allgemeine Krieg in Europa wie in Asien. Wer aber würde aus einem solchen Bruche Vortheil ziehen? Offenbar nur Rußland. Das Resultat wäre für Rußland der Besitz Konstantinopels. Will dieß das englische Cabinet? Es bedurfte der ganzen Unentschlossenheit, der ganzen Unerfahrenheit des Ministeriums Soult, um die Sachen bis auf den Punkt zu treiben, wo sie sind. Nach der denkwürdigen Discussion über die Angelegenheiten des Orients, wo die Kammer sich so bereit zeigte, alles zu thun, was die Ehre und Würde des Landes geböten, wiederholte das Ministerium jeden Tag im Conseil die Worte, welche seitdem so berühmt geworden, weil einer der Minister sie auf der Tribune ausgesprochen: &#x201E;man muß etwas thun.&#x201C; Die verschiedensten Beschlüsse wurden vorgeschlagen. Nach manchen Berathungen kam man auf die Idee eines Congresses &#x2013; eine Idee, die von Oesterreich ausgegangen und sorgfältig genährt wurde. Man schmeichelte dem Ministerium dabei mit der Hoffnung, daß der Kaiser Nikolaus in Person dabei erscheinen würde. Es wäre dieß in der That nach den feierlichen Erklärungen Rußlands, welches so oft sich geweigert hatte, fremde Schiedsrichter in seinen Angelegenheiten mit dem Orient zuzulassen, ein großer Triumph gewesen. Aber bald mußte das Ministerium Soult auf diesen Ruhm, den es sich versprochen, verzichten, und da man sich um jeden Preis für die nächste Session populär machen mußte, schickte man fünfzehn Linienschiffe ab, um am Eingang der Dardanellen zu kreuzen, und reizte die öffentliche Aufmerksamkeit dadurch, daß man viel Geräusch mit den Seerüstungen in Toulon machte. Die Flotte schickte man ab, ohne eigentlich zu wissen, was man damit machen wollte; ihr Commandant stach in die See, ohne irgend eine bestimmte Instruction mitzunehmen, und die des Admirals Roussin beschränkte sich &#x2013; wird man es glauben? &#x2013; auf Folgendes: im Fall einer russischen Intervention die türkische Regierung um die Erlaubniß zu bitten, unsere Kriegsschiffe in das Marmorameer einlaufen zu lassen. In den Depeschen stand nicht mehr. Man erwähnte darin nicht einmal des Namens der Dardanellen; es schien, als ob bei diesem Wort ganz Europa zusammenbrechen sollte. Auf die Anfragen, die von Zeit zu Zeit die Gesandten wegen der Rüstungen in Toulon stellten, antwortete man, das Benehmen Marokko's erfordere Rüstungen, oder es sey nothwendig, unsere Mannschaften zu üben. Gegenüber von England war man eben so unentschlossen. Bald hatte man Vertrauen auf dasselbe, und<lb/></p>
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[0915/0003] Und wie leicht möglich wäre es, daß bei diesem Versuch der Status quo von 1815 vernichtet würde, der zwar nicht mehr unangetastet besteht, aber durch die Ereignisse doch nur unmerklich und allmählich modificirt wurde! Eine Spaltung zwischen Frankreich und England hieße so viel, als Konstantinopel den Russen öffnen, den Abschluß eines Tractats zwischen England und Rußland herbeiführen, Oesterreichs Einfluß im Orient lähmen, und dagegen den Einfluß Rußlands auf Oesterreichs slavische Provinzen vermehren. Diese Betrachtungen machten, wie es scheint, in Wien den Eindruck, der sich erwarten ließ; man erkannte diesen Eindruck an der Art, wie das Wiener Cabinet die Nachricht von der Bildung eines Ministeriums aufnahm, dessen Chef sich so lebhaft für die englische Allianz ausgesprochen hatte. – Preußen, noch stiller, noch vorsichtiger als Oesterreich, obwohl es von Seite Frankreichs wie von Seite Rußlands mehr zu fürchten hätte, hat nie aufgehört, im Interesse Europa's und in seinem eigenen die Erhaltung der französisch-englischen Allianz zu wünschen. Der tägliche Verkehr zwischen Hrn. v. Werther und Graf Bresson erlaubt keinen Zweifel mehr, daß das Berliner Cabinet die Bildung des gegenwärtigen Ministeriums als einen günstigen Umstand betrachtete zur Befestigung der Freundschaftsbande zwischen Frankreich und England, welche unter dem Ministerium des Marschalls Soult loser geworden waren. Was wäre auch Preußen, wenn durch die Allianz zwischen England und Rußland letztere Macht in den Besitz des Marmorameers käme, und mit ihren Besitzungen um Europa allmählich einen Kreis schlösse? Wenn Oesterreich als südliche Macht in commercieller, als Macht des Nordens in politischer Beziehung bei der Erhaltung des türkischen Reichs betheiligt ist, wenn es nach England am meisten nach Trapezunt ausführt, und wenn die Donauprovinzen, wie das Gleichgewicht Europa's, ihm zur Pflicht machen, daß es die russische Politik bei einigen ihrer Plane nicht unterstütze, so hat Preußen seinerseits nicht weniger dringende Interessen zu berücksichtigen. Seit neun Jahren befestigt diese Macht mehr und mehr ihr Uebergewicht im Norden Deutschlands, und es würde offen gegen den Zweck, den es verfolgt, handeln, wollte es sich zum bloßen Satelliten Rußlands machen. Um seinen Einfluß im Norden des deutschen Bundes zu befestigen, und dem Einfluß Oesterreichs im südlichen Deutschland die Wage zu halten, muß Preußen sich durchaus deutsch zeigen. Erinnert man sich, daß Preußen trotz seiner wechselnden Neigungen für Rußland und Oesterreich doch Beweise der Sympathie für die gegenwärtige Regierung Frankreichs gegeben hat, so oft deren Haltung es nicht beunruhigte, so wird man keineswegs über die gute Aufnahme erstaunt seyn, mit der man in Berlin ein Ministerium empfing, von dem man die Befestigung des europäischen Gleichgewichts hofft. – Was Rußland betrifft, so haben unsere Verhältnisse mit dieser Macht sich wenig gebessert; es ist darüber nur ein Wort zu sagen. Zwischen dem Marschall Soult und dem Grafen Medem war es hinsichtlich Polens zu einem Wortstreit gekommen, der mit dem Eintritt des Hrn. Thiers aufhört. Die Rückkehr des Hrn. v. Pahlen ist Beweis hiefür, und die Antwort der russischen Regierung auf die erste Mittheilung des jetzigen Ministeriums war, wenn wir recht unterrichtet sind, in versöhnlichen Ausdrücken abgefaßt. Wenn es wahr ist, daß darin gesagt wird, die kaiserliche Regierung werde eifrig zur Wiederherstellung des guten Einklangs zwischen den zwei großen constitutionellen Staaten beitragen, und sey weit entfernt aus deren Meinungsverschiedenheiten Nutzen ziehen zu wollen – wenn diese Erklärung wahr ist, so könnte man durch dieselbe eine etwas stolze Zufriedenheit über die Stellung, welche Rußland während des Ministeriums vom 12 Mai eingenommen, durchblicken sehen; man könnte dieß aber nicht dem gegenwärtigen Ministerium zum Vorwurf machen, denn nicht von ihm wäre zu einer solchen Erklärung Veranlassung gegeben worden. – Endlich haben auch die kleinern deutschen Cabinette an das gegenwärtige Ministerium freundliche Worte gerichtet. Zwar vermindern diese Manifestationen, an deren Aufrichtigkeit zu zweifeln man keine Ursache hat, die ernsten Verlegenheiten Frankreichs nach außen keineswegs, aber die Hauptfragen sind doch weniger compromittirt, als man denkt, und eine zugleich gewandte, kluge und feste Leitung kann in diesem Stand der Dinge große Veränderungen hervorbringen. Die großen Maaßregeln, die entscheidenden Entschlüsse werden unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Europa nicht so rasch gefaßt. Zwar unterhandelt man, rührt und bewegt sich ohne Aufhören; große und bedeutende Sprecher, genannt Frankreich, England, Rußland, Oesterreich, treten in London, Paris, Konstantinopel, Wien häufig zusammen, um dort zu berathschlagen. Aber nichts Entscheidendes wird stattfinden, so lange sich Frankreich und England nicht offen getrennt haben über eine europäische Lebensfrage; eine solche Trennung – man darf sich dieß nicht verbergen – wäre der Krieg, und zwar der allgemeine Krieg in Europa wie in Asien. Wer aber würde aus einem solchen Bruche Vortheil ziehen? Offenbar nur Rußland. Das Resultat wäre für Rußland der Besitz Konstantinopels. Will dieß das englische Cabinet? Es bedurfte der ganzen Unentschlossenheit, der ganzen Unerfahrenheit des Ministeriums Soult, um die Sachen bis auf den Punkt zu treiben, wo sie sind. Nach der denkwürdigen Discussion über die Angelegenheiten des Orients, wo die Kammer sich so bereit zeigte, alles zu thun, was die Ehre und Würde des Landes geböten, wiederholte das Ministerium jeden Tag im Conseil die Worte, welche seitdem so berühmt geworden, weil einer der Minister sie auf der Tribune ausgesprochen: „man muß etwas thun.“ Die verschiedensten Beschlüsse wurden vorgeschlagen. Nach manchen Berathungen kam man auf die Idee eines Congresses – eine Idee, die von Oesterreich ausgegangen und sorgfältig genährt wurde. Man schmeichelte dem Ministerium dabei mit der Hoffnung, daß der Kaiser Nikolaus in Person dabei erscheinen würde. Es wäre dieß in der That nach den feierlichen Erklärungen Rußlands, welches so oft sich geweigert hatte, fremde Schiedsrichter in seinen Angelegenheiten mit dem Orient zuzulassen, ein großer Triumph gewesen. Aber bald mußte das Ministerium Soult auf diesen Ruhm, den es sich versprochen, verzichten, und da man sich um jeden Preis für die nächste Session populär machen mußte, schickte man fünfzehn Linienschiffe ab, um am Eingang der Dardanellen zu kreuzen, und reizte die öffentliche Aufmerksamkeit dadurch, daß man viel Geräusch mit den Seerüstungen in Toulon machte. Die Flotte schickte man ab, ohne eigentlich zu wissen, was man damit machen wollte; ihr Commandant stach in die See, ohne irgend eine bestimmte Instruction mitzunehmen, und die des Admirals Roussin beschränkte sich – wird man es glauben? – auf Folgendes: im Fall einer russischen Intervention die türkische Regierung um die Erlaubniß zu bitten, unsere Kriegsschiffe in das Marmorameer einlaufen zu lassen. In den Depeschen stand nicht mehr. Man erwähnte darin nicht einmal des Namens der Dardanellen; es schien, als ob bei diesem Wort ganz Europa zusammenbrechen sollte. Auf die Anfragen, die von Zeit zu Zeit die Gesandten wegen der Rüstungen in Toulon stellten, antwortete man, das Benehmen Marokko's erfordere Rüstungen, oder es sey nothwendig, unsere Mannschaften zu üben. Gegenüber von England war man eben so unentschlossen. Bald hatte man Vertrauen auf dasselbe, und

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840, S. 0915. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_115_18400424/3>, abgerufen am 24.11.2024.