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Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840.

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statt, als die Königin Jahre zählt, also an je 21. Jedes empfing zwei Beutelchen, ein weißes mit 21 Silberpence, und ein rothes mit 1 Pf. St. 10 Sh. (statt der vormals üblichen Speisung), deßgleichen Schuhe und Strümpfe. Am Dienstag zuvor ward an 900 arme Greise das "kleinere königliche Oster-Almosen" von je 5 Sh. vertheilt.

Die gestern erwähnte neueste diplomatische Correspondenz zwischen dem nordamerikanischen Minister des Auswärtigen und dem brittischen Gesandten in Washington wird auch von mehreren der Londoner Hauptjournale in einem sehr ernsten Lichte betrachtet. Die Times sagt: "Wir beschränken uns fürs erste auf die Bemerkung, daß das letzte Schreiben von Hrn. Forsyth an Hrn. Fox in einem solchen Tone gehalten war, daß letzterer jede weitere briefliche Discussion der Sache ablehnte, bis er nähere Instructionen von Ihrer Maj. Regierung erhalten haben werde." Die neuesten canadischen Nachrichten, aus Montreal vom 28, aus Toronto vom 25 März, besagen, daß man zwar auf alles, was in den Vereinigten Staaten in Bezug auf die Gränzfrage vorging, ein wachsames Auge hatte, daß aber die längs der Gränzlinie stattfindenden militärischen Anordnungen rein defensiver Natur sind. Amerikanischerseits ist an sämmtliche Marinestationen die Ordre ergangen, Alles in Bereitschaft zu setzen, was man mit den sich kritischer gestaltenden Verhältnissen zu Großbritannien in Zusammenhang bringt.

Die Politik ist etwas ins Stocken gerathen, und jeder verlegt sich aufs Zuwarten. Lord Palmerston selbst, der sonst tüchtig projectirte und von einem Zweig zum andern sprang, fängt an inne zu halten, und weiß sich aus seinen vielen widersprechenden Ideen nicht mehr herauszufinden. Er kränkelt sichtbar an dem orientalischen Gebrechen und braucht vielleicht nicht minder Hülfe als die Pforte, mit der er auch das gemein hat, daß sich Niemand finden wird, um Hülfe zu bringen. Es könnte ihm willkommen seyn, mit Neapel ernste Auftritte zu haben, denn die Gefahr ist dabei nicht groß, und solch' ein Intermezzo kann benützt werden, um die Aufmerksamkeit von dem Orient abzuwenden und Entschuldigungen wegen des kläglichen Gangs der darauf abzielenden Politik zu haben. Er wird dergleichen stark brauchen, weil bald die Dinge beim Namen genannt werden müssen, und man nicht mehr mit ausweichenden Antworten auslangen kann. Lord Palmerston wird dieß nächstens erfahren; er weiß es auch so gut als Andere, und es wäre daher nicht so seltsam, wenn er in Neapel Materialien suchte, um seine Vertheidigung vor dem Parlamente bei den Debatten über den Orient besser zu führen. Was gibt es Seltsames, was mit den Ansichten Lo d Palmerstons unverträglich wäre? Seine Correspondenz mit Hrn. Temple zeigt, daß er die Schwefelfrage ausdeuten will, um die orientalische wo möglich damit zu ersticken. Dazu wird allerdings viel Schwefel nöthig seyn. Wenn das Monopol abgeschafft ist, wozu man sich in Neapel wohl verstehen wird, so können die Accessorien und Details benutzt werden, um den nöthigen Dunst zu verbreiten. Hierauf ist es abgesehen; darin besteht das hervorragende Talent des edlen Staatssecretärs. Es ist ein Talent wie jedes andere und hat daher auch seinen Werth, wenigstens für den übenden Theil. Welche Massen von Dunstsäulen sind unter der gegenwärtigen Administration nicht schon aufgeführt worden, und doch hat sich Niemand gefunden, der sie umzublasen wagte. Allein die Zeit scheint zu kommen, wo dergleichen nicht mehr ausreicht, und das erfüllt die Minister mit Unbehagen, vor allen Lord Palmerston. Er imaginirt allerlei Dinge, um sich zu halten, und hat neuerdings Projecte wieder hervorgesucht, die er unter modificirter Gestalt gangbar zu machen hoffte. Vergebens. Man hat ihm vom Continent geantwortet, daß sie recht schön, nur nicht ausführbar seyen; Mehemed Ali, gegen den das Kunststück gerichtet seyn soll, würde nicht verfehlen, die abgenutzte Seite davon zu nehmen, um eine gute Brustwehr daraus zu machen.

Frankreich.

(Sonntag.)

Der neapolitanische Botschafter, Herzog von Serra Capriola, überreichte am 18 April dem König sein Beglaubigungsschreiben, und ward alsdann auch von der Königin und den Prinzen und Prinzessinnen der k. Familie empfangen.

Die ministerielle Revue des deux Mondes enthält unter der Aufschrift: "politische Reflexionen" einen merkwürdigen Artikel, eine Art Denkschrift zur Vertheidigung des gegenwärtigen, zur Anklage des letzten Ministeriums. Drei Viertheile davon beleuchten die innere Politik; wir wählen heute nur die letzte Abtheilung, die Stellung nach außen betreffend, da, die Angaben darin mögen genau oder ungenau seyn, jedenfalls die Ansicht des Ministeriums Thiers daraus ziemlich klar hervorzublicken scheint: "Das monarchische Europa, bei seinem Wunsche, den allgemeinen Frieden zu erhalten, und die Natur der Debatten berücksichtigend, die in Frankreich seit einem Jahre statthatten, und in welchen der Name eines Souveräns, in den es sein gerechtes Vertrauen gesetzt, in so befremdender Weise mit eingemischt wurde, das monarchische Europa sieht mit günstigem Auge ein Ministerium, dessen Entstehung jenen gefährlichen Discussionen ein Ende machte. Man erlaube uns, mit Europa das Verschwinden des königlichen Namens aus den politischen Debatten, so wie die Ernennung fähiger und specieller Minister in den verschiedenen Zweigen der Verwaltung als ein glückliches Ereigniß zu betrachten. Das Ministerium hat - wir glauben dieß versichern zu können - von mehreren auswärtigen Cabinetten Mittheilungen empfangen, welche bedeutendes Erstaunen hervorbringen möchten unter den etwas exaltirten Männern der Rechten, namentlich unter jenen, die glaubten, Europa werde seine Armeen vermehren, um dem Ereigniß des 1 März das Gegengewicht zu halten. Als das österreichische Cabinet sah, welchen unklugen Weg das letzte Ministerium eingeschlagen, hielt es den Augenblick für gekommen, in Paris und London die Grundlagen der englisch-französischen Allianz zu lockern, und es wurde hierin namentlich in Paris von dem Repräsentanten Oesterreichs nur zu gut unterstützt. Man konnte demnach glauben, daß die Ernennung eines Mannes, der die Räumung Ancona's laut mißbilligt hatte, zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten und zum Präsidenten des Conseils, jene Richtung des österreichischen Cabinets nur noch mehr bestärken würde. Aber gleichwie jenes Cabinet gezaudert hatte, als eine Art stillschweigender Billigung der Politik Frankreichs im Orient lebhafte Vorstellungen von Seite Rußlands hervorrief, that es in weiser Vorsicht einen Schritt zurück, als es sah, welche Aufregung in Europa der bloße Anschein eines Bruches zwischen Frankreich und England hervorbrachte. Seit fünfundzwanzig Jahren hält Fürst v. Metternich den europäischen Status quo aufrecht, und wird nicht müde, die sich davon ablösenden Theile wieder zusammen zu nieten. Man kann nicht umhin, die Gewandtheit zu bewundern, mit welcher er sich im Gleichgewicht erhält auf der schmalen Linie, die er zwischen der Besorgniß vor dem Umsichgreifen Rußlands und dem Abscheu vor dem Geiste der französischen Revolution sich vorgezeichnet hat. Die Zerstörung der englisch-französischen Allianz würde Alles wieder in Frage stellen, und Europa wäre genöthigt, auf neuen Grundlagen sich zu constituiren, um die durch diese Allianz seit neun Jahren gezogenen Spuren zu verwischen.

statt, als die Königin Jahre zählt, also an je 21. Jedes empfing zwei Beutelchen, ein weißes mit 21 Silberpence, und ein rothes mit 1 Pf. St. 10 Sh. (statt der vormals üblichen Speisung), deßgleichen Schuhe und Strümpfe. Am Dienstag zuvor ward an 900 arme Greise das „kleinere königliche Oster-Almosen“ von je 5 Sh. vertheilt.

Die gestern erwähnte neueste diplomatische Correspondenz zwischen dem nordamerikanischen Minister des Auswärtigen und dem brittischen Gesandten in Washington wird auch von mehreren der Londoner Hauptjournale in einem sehr ernsten Lichte betrachtet. Die Times sagt: „Wir beschränken uns fürs erste auf die Bemerkung, daß das letzte Schreiben von Hrn. Forsyth an Hrn. Fox in einem solchen Tone gehalten war, daß letzterer jede weitere briefliche Discussion der Sache ablehnte, bis er nähere Instructionen von Ihrer Maj. Regierung erhalten haben werde.“ Die neuesten canadischen Nachrichten, aus Montreal vom 28, aus Toronto vom 25 März, besagen, daß man zwar auf alles, was in den Vereinigten Staaten in Bezug auf die Gränzfrage vorging, ein wachsames Auge hatte, daß aber die längs der Gränzlinie stattfindenden militärischen Anordnungen rein defensiver Natur sind. Amerikanischerseits ist an sämmtliche Marinestationen die Ordre ergangen, Alles in Bereitschaft zu setzen, was man mit den sich kritischer gestaltenden Verhältnissen zu Großbritannien in Zusammenhang bringt.

Die Politik ist etwas ins Stocken gerathen, und jeder verlegt sich aufs Zuwarten. Lord Palmerston selbst, der sonst tüchtig projectirte und von einem Zweig zum andern sprang, fängt an inne zu halten, und weiß sich aus seinen vielen widersprechenden Ideen nicht mehr herauszufinden. Er kränkelt sichtbar an dem orientalischen Gebrechen und braucht vielleicht nicht minder Hülfe als die Pforte, mit der er auch das gemein hat, daß sich Niemand finden wird, um Hülfe zu bringen. Es könnte ihm willkommen seyn, mit Neapel ernste Auftritte zu haben, denn die Gefahr ist dabei nicht groß, und solch' ein Intermezzo kann benützt werden, um die Aufmerksamkeit von dem Orient abzuwenden und Entschuldigungen wegen des kläglichen Gangs der darauf abzielenden Politik zu haben. Er wird dergleichen stark brauchen, weil bald die Dinge beim Namen genannt werden müssen, und man nicht mehr mit ausweichenden Antworten auslangen kann. Lord Palmerston wird dieß nächstens erfahren; er weiß es auch so gut als Andere, und es wäre daher nicht so seltsam, wenn er in Neapel Materialien suchte, um seine Vertheidigung vor dem Parlamente bei den Debatten über den Orient besser zu führen. Was gibt es Seltsames, was mit den Ansichten Lo d Palmerstons unverträglich wäre? Seine Correspondenz mit Hrn. Temple zeigt, daß er die Schwefelfrage ausdeuten will, um die orientalische wo möglich damit zu ersticken. Dazu wird allerdings viel Schwefel nöthig seyn. Wenn das Monopol abgeschafft ist, wozu man sich in Neapel wohl verstehen wird, so können die Accessorien und Details benutzt werden, um den nöthigen Dunst zu verbreiten. Hierauf ist es abgesehen; darin besteht das hervorragende Talent des edlen Staatssecretärs. Es ist ein Talent wie jedes andere und hat daher auch seinen Werth, wenigstens für den übenden Theil. Welche Massen von Dunstsäulen sind unter der gegenwärtigen Administration nicht schon aufgeführt worden, und doch hat sich Niemand gefunden, der sie umzublasen wagte. Allein die Zeit scheint zu kommen, wo dergleichen nicht mehr ausreicht, und das erfüllt die Minister mit Unbehagen, vor allen Lord Palmerston. Er imaginirt allerlei Dinge, um sich zu halten, und hat neuerdings Projecte wieder hervorgesucht, die er unter modificirter Gestalt gangbar zu machen hoffte. Vergebens. Man hat ihm vom Continent geantwortet, daß sie recht schön, nur nicht ausführbar seyen; Mehemed Ali, gegen den das Kunststück gerichtet seyn soll, würde nicht verfehlen, die abgenutzte Seite davon zu nehmen, um eine gute Brustwehr daraus zu machen.

Frankreich.

(Sonntag.)

Der neapolitanische Botschafter, Herzog von Serra Capriola, überreichte am 18 April dem König sein Beglaubigungsschreiben, und ward alsdann auch von der Königin und den Prinzen und Prinzessinnen der k. Familie empfangen.

Die ministerielle Revue des deux Mondes enthält unter der Aufschrift: „politische Reflexionen“ einen merkwürdigen Artikel, eine Art Denkschrift zur Vertheidigung des gegenwärtigen, zur Anklage des letzten Ministeriums. Drei Viertheile davon beleuchten die innere Politik; wir wählen heute nur die letzte Abtheilung, die Stellung nach außen betreffend, da, die Angaben darin mögen genau oder ungenau seyn, jedenfalls die Ansicht des Ministeriums Thiers daraus ziemlich klar hervorzublicken scheint: „Das monarchische Europa, bei seinem Wunsche, den allgemeinen Frieden zu erhalten, und die Natur der Debatten berücksichtigend, die in Frankreich seit einem Jahre statthatten, und in welchen der Name eines Souveräns, in den es sein gerechtes Vertrauen gesetzt, in so befremdender Weise mit eingemischt wurde, das monarchische Europa sieht mit günstigem Auge ein Ministerium, dessen Entstehung jenen gefährlichen Discussionen ein Ende machte. Man erlaube uns, mit Europa das Verschwinden des königlichen Namens aus den politischen Debatten, so wie die Ernennung fähiger und specieller Minister in den verschiedenen Zweigen der Verwaltung als ein glückliches Ereigniß zu betrachten. Das Ministerium hat – wir glauben dieß versichern zu können – von mehreren auswärtigen Cabinetten Mittheilungen empfangen, welche bedeutendes Erstaunen hervorbringen möchten unter den etwas exaltirten Männern der Rechten, namentlich unter jenen, die glaubten, Europa werde seine Armeen vermehren, um dem Ereigniß des 1 März das Gegengewicht zu halten. Als das österreichische Cabinet sah, welchen unklugen Weg das letzte Ministerium eingeschlagen, hielt es den Augenblick für gekommen, in Paris und London die Grundlagen der englisch-französischen Allianz zu lockern, und es wurde hierin namentlich in Paris von dem Repräsentanten Oesterreichs nur zu gut unterstützt. Man konnte demnach glauben, daß die Ernennung eines Mannes, der die Räumung Ancona's laut mißbilligt hatte, zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten und zum Präsidenten des Conseils, jene Richtung des österreichischen Cabinets nur noch mehr bestärken würde. Aber gleichwie jenes Cabinet gezaudert hatte, als eine Art stillschweigender Billigung der Politik Frankreichs im Orient lebhafte Vorstellungen von Seite Rußlands hervorrief, that es in weiser Vorsicht einen Schritt zurück, als es sah, welche Aufregung in Europa der bloße Anschein eines Bruches zwischen Frankreich und England hervorbrachte. Seit fünfundzwanzig Jahren hält Fürst v. Metternich den europäischen Status quo aufrecht, und wird nicht müde, die sich davon ablösenden Theile wieder zusammen zu nieten. Man kann nicht umhin, die Gewandtheit zu bewundern, mit welcher er sich im Gleichgewicht erhält auf der schmalen Linie, die er zwischen der Besorgniß vor dem Umsichgreifen Rußlands und dem Abscheu vor dem Geiste der französischen Revolution sich vorgezeichnet hat. Die Zerstörung der englisch-französischen Allianz würde Alles wieder in Frage stellen, und Europa wäre genöthigt, auf neuen Grundlagen sich zu constituiren, um die durch diese Allianz seit neun Jahren gezogenen Spuren zu verwischen.

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[0914/0002] statt, als die Königin Jahre zählt, also an je 21. Jedes empfing zwei Beutelchen, ein weißes mit 21 Silberpence, und ein rothes mit 1 Pf. St. 10 Sh. (statt der vormals üblichen Speisung), deßgleichen Schuhe und Strümpfe. Am Dienstag zuvor ward an 900 arme Greise das „kleinere königliche Oster-Almosen“ von je 5 Sh. vertheilt. Die gestern erwähnte neueste diplomatische Correspondenz zwischen dem nordamerikanischen Minister des Auswärtigen und dem brittischen Gesandten in Washington wird auch von mehreren der Londoner Hauptjournale in einem sehr ernsten Lichte betrachtet. Die Times sagt: „Wir beschränken uns fürs erste auf die Bemerkung, daß das letzte Schreiben von Hrn. Forsyth an Hrn. Fox in einem solchen Tone gehalten war, daß letzterer jede weitere briefliche Discussion der Sache ablehnte, bis er nähere Instructionen von Ihrer Maj. Regierung erhalten haben werde.“ Die neuesten canadischen Nachrichten, aus Montreal vom 28, aus Toronto vom 25 März, besagen, daß man zwar auf alles, was in den Vereinigten Staaten in Bezug auf die Gränzfrage vorging, ein wachsames Auge hatte, daß aber die längs der Gränzlinie stattfindenden militärischen Anordnungen rein defensiver Natur sind. Amerikanischerseits ist an sämmtliche Marinestationen die Ordre ergangen, Alles in Bereitschaft zu setzen, was man mit den sich kritischer gestaltenden Verhältnissen zu Großbritannien in Zusammenhang bringt. _ London, 7 April. Die Politik ist etwas ins Stocken gerathen, und jeder verlegt sich aufs Zuwarten. Lord Palmerston selbst, der sonst tüchtig projectirte und von einem Zweig zum andern sprang, fängt an inne zu halten, und weiß sich aus seinen vielen widersprechenden Ideen nicht mehr herauszufinden. Er kränkelt sichtbar an dem orientalischen Gebrechen und braucht vielleicht nicht minder Hülfe als die Pforte, mit der er auch das gemein hat, daß sich Niemand finden wird, um Hülfe zu bringen. Es könnte ihm willkommen seyn, mit Neapel ernste Auftritte zu haben, denn die Gefahr ist dabei nicht groß, und solch' ein Intermezzo kann benützt werden, um die Aufmerksamkeit von dem Orient abzuwenden und Entschuldigungen wegen des kläglichen Gangs der darauf abzielenden Politik zu haben. Er wird dergleichen stark brauchen, weil bald die Dinge beim Namen genannt werden müssen, und man nicht mehr mit ausweichenden Antworten auslangen kann. Lord Palmerston wird dieß nächstens erfahren; er weiß es auch so gut als Andere, und es wäre daher nicht so seltsam, wenn er in Neapel Materialien suchte, um seine Vertheidigung vor dem Parlamente bei den Debatten über den Orient besser zu führen. Was gibt es Seltsames, was mit den Ansichten Lo d Palmerstons unverträglich wäre? Seine Correspondenz mit Hrn. Temple zeigt, daß er die Schwefelfrage ausdeuten will, um die orientalische wo möglich damit zu ersticken. Dazu wird allerdings viel Schwefel nöthig seyn. Wenn das Monopol abgeschafft ist, wozu man sich in Neapel wohl verstehen wird, so können die Accessorien und Details benutzt werden, um den nöthigen Dunst zu verbreiten. Hierauf ist es abgesehen; darin besteht das hervorragende Talent des edlen Staatssecretärs. Es ist ein Talent wie jedes andere und hat daher auch seinen Werth, wenigstens für den übenden Theil. Welche Massen von Dunstsäulen sind unter der gegenwärtigen Administration nicht schon aufgeführt worden, und doch hat sich Niemand gefunden, der sie umzublasen wagte. Allein die Zeit scheint zu kommen, wo dergleichen nicht mehr ausreicht, und das erfüllt die Minister mit Unbehagen, vor allen Lord Palmerston. Er imaginirt allerlei Dinge, um sich zu halten, und hat neuerdings Projecte wieder hervorgesucht, die er unter modificirter Gestalt gangbar zu machen hoffte. Vergebens. Man hat ihm vom Continent geantwortet, daß sie recht schön, nur nicht ausführbar seyen; Mehemed Ali, gegen den das Kunststück gerichtet seyn soll, würde nicht verfehlen, die abgenutzte Seite davon zu nehmen, um eine gute Brustwehr daraus zu machen. Frankreich. _ Paris, 19 April. (Sonntag.) Der neapolitanische Botschafter, Herzog von Serra Capriola, überreichte am 18 April dem König sein Beglaubigungsschreiben, und ward alsdann auch von der Königin und den Prinzen und Prinzessinnen der k. Familie empfangen. Die ministerielle Revue des deux Mondes enthält unter der Aufschrift: „politische Reflexionen“ einen merkwürdigen Artikel, eine Art Denkschrift zur Vertheidigung des gegenwärtigen, zur Anklage des letzten Ministeriums. Drei Viertheile davon beleuchten die innere Politik; wir wählen heute nur die letzte Abtheilung, die Stellung nach außen betreffend, da, die Angaben darin mögen genau oder ungenau seyn, jedenfalls die Ansicht des Ministeriums Thiers daraus ziemlich klar hervorzublicken scheint: „Das monarchische Europa, bei seinem Wunsche, den allgemeinen Frieden zu erhalten, und die Natur der Debatten berücksichtigend, die in Frankreich seit einem Jahre statthatten, und in welchen der Name eines Souveräns, in den es sein gerechtes Vertrauen gesetzt, in so befremdender Weise mit eingemischt wurde, das monarchische Europa sieht mit günstigem Auge ein Ministerium, dessen Entstehung jenen gefährlichen Discussionen ein Ende machte. Man erlaube uns, mit Europa das Verschwinden des königlichen Namens aus den politischen Debatten, so wie die Ernennung fähiger und specieller Minister in den verschiedenen Zweigen der Verwaltung als ein glückliches Ereigniß zu betrachten. Das Ministerium hat – wir glauben dieß versichern zu können – von mehreren auswärtigen Cabinetten Mittheilungen empfangen, welche bedeutendes Erstaunen hervorbringen möchten unter den etwas exaltirten Männern der Rechten, namentlich unter jenen, die glaubten, Europa werde seine Armeen vermehren, um dem Ereigniß des 1 März das Gegengewicht zu halten. Als das österreichische Cabinet sah, welchen unklugen Weg das letzte Ministerium eingeschlagen, hielt es den Augenblick für gekommen, in Paris und London die Grundlagen der englisch-französischen Allianz zu lockern, und es wurde hierin namentlich in Paris von dem Repräsentanten Oesterreichs nur zu gut unterstützt. Man konnte demnach glauben, daß die Ernennung eines Mannes, der die Räumung Ancona's laut mißbilligt hatte, zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten und zum Präsidenten des Conseils, jene Richtung des österreichischen Cabinets nur noch mehr bestärken würde. Aber gleichwie jenes Cabinet gezaudert hatte, als eine Art stillschweigender Billigung der Politik Frankreichs im Orient lebhafte Vorstellungen von Seite Rußlands hervorrief, that es in weiser Vorsicht einen Schritt zurück, als es sah, welche Aufregung in Europa der bloße Anschein eines Bruches zwischen Frankreich und England hervorbrachte. Seit fünfundzwanzig Jahren hält Fürst v. Metternich den europäischen Status quo aufrecht, und wird nicht müde, die sich davon ablösenden Theile wieder zusammen zu nieten. Man kann nicht umhin, die Gewandtheit zu bewundern, mit welcher er sich im Gleichgewicht erhält auf der schmalen Linie, die er zwischen der Besorgniß vor dem Umsichgreifen Rußlands und dem Abscheu vor dem Geiste der französischen Revolution sich vorgezeichnet hat. Die Zerstörung der englisch-französischen Allianz würde Alles wieder in Frage stellen, und Europa wäre genöthigt, auf neuen Grundlagen sich zu constituiren, um die durch diese Allianz seit neun Jahren gezogenen Spuren zu verwischen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840, S. 0914. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_115_18400424/2>, abgerufen am 30.04.2024.