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Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840.

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gemacht. Jetzt aber hat er in seinen "Beiträgen zur Revision des Grundgesetzes in niederländischem Sinn" eine vollständige Schilderung und scharfe Kritik der niederländischen Zustände gegeben und schließlich für den Augenblick von jeder Veränderung abgerathen.

Zwischen allen diesen Oppositionen steht nun die Regierung. Der König, der nach dem Grundgesetz die zweite Kammer nicht auflösen kann, hat dagegen immer die Nichtverantwortlichkeit seiner Minister behauptet, und somit eine Regierung und Verwaltung auf eigenen Namen und Gefahr in Anspruch genommen. Er allein handhabt alle Regierungsrechte; er allein verwaltet die Finanzen als Haupt des Staats, als Haupt des Hauses Oranien; er selbst und allein ist der Schöpfer seines ganzen Regierungssystems. Doch haben nothwendig die Werkzeuge des königlichen Willens und Wirkens, wenn er gleich politische Charaktere von bestimmter Farbe und Bedeutung in seine Nähe zu ziehen vermieden hat, wenigstens ein gewisses Gepräge politischer Erziehung. Die meisten Staatsbeamten in höheren Stellen sind in der französischen Schule der Republik, des König- und Kaiserreichs gebildet. Diese doppelte Beschaffenheit in den höchsten Regionen erklärt hinreichend, wie auf solchen Grundlagen der Verwaltung - trotz Municipalfreiheiten, Provincialständen, Volksvertretung und allen Bürgschaften, die das Grundgesetz enthält - dennoch der gewöhnliche Geist der Centralisation und Bureaukratie Alles in sich hat aufnehmen können. Merkwürdig ist dabei, daß weder die fünfzehn Friedensjahre noch die letzten zehn Jahre des Kriegs und Provisoriums einen einzigen Staatsmann hervorgebracht haben, auf welchen in der gegenwärtigen Krisis alle Blicke und Hoffnungen gerichtet wären.

Die Dichter Oesterreichs.

In einer größeren Correspondenz aus Wien, die neulich das Morgenblatt mittheilte, fanden wir folgende Bemerkungen: "Die großen Güterbesitzer gefallen sich jetzt viel mehr im Sparen als im Glanz der äußern Erscheinung. Die Aristokratie wirft jetzt nicht mehr das Geld zum Fenster hinaus, wie in frühern Zeiten, wo der Bürger nur auf der Straße zu stehen brauchte, um es aufzufangen; man scheint einzusehen, daß es zwar eine schöne Sache um das Privilegium, aber eine eben so schöne um den Besitz ist. Die revolutionären Bewegungen des Geldes, wodurch viele hiesige Kaufleute ihr Haupt so hoch wie mancher grau bemooste Stammbaum erheben, scheint eine Reaction nöthig zu machen; man sucht den Feind durch seine eigenen Waffen zu schlagen, Geld durch Geld, Besitz durch Besitz; das Gewicht des historischen Rechts und des Privilegiums fällt dann um so schwerer in die Schale. Beispiele wie die des Grafen F. Palfy werden immer seltener, und wenn sie vorkommen, so ist es meist bei dem ungarischen Adel der Fall; der österreichische und böhmische kann als Muster von Sparsamkeit gelten. Es ist hier nicht der Ort, den Grund dieser Erscheinung zu erörtern, immerhin aber mag man es als eine Geburt der Zeit betrachten, die, wenn ihre Ideen auch nicht bei jedem zum klaren Bewußtseyn geworden sind, doch gewissermaßen ein Anempfinden, ein traumhaftes Ahnen hervorruft, welches instinctartig zu Präservativen greift. Und ist es nicht ein der Zeit dargebrachter Tribut, daß man unter dem österreichischen Adel so viele zählt, welche von dem hohen Balcon herabsteigen und sich unter die Schaar der Kämpfenden mischen, die um den Preis ringen, den die Dame Publicität ertheilt? Die Grafen Auersperg, Bouquoi, Mailath, Szecheny, Sternberg etc., die Fürsten Lichnowsky, Friedrich Schwarzenberg gehören zu den ersten Familien des Kaiserstaats, und nun erst die ganze Reihe von Namen aus den Geschlechtern zweiten und dritten Rangs, die Barone und Ritter Josika, Münch, Zedliz, Schlechta, Bodenfeld (Eduard Silesius), Prokesch, Nimbtsch (Lenau), Leitner, Nell, Lanoy u. s. w. Während man im übrigen Deutschland die Bemerkung gemacht hat, daß unter drei Schriftstellern immer ein Jude ist, so kann man hier bei einer ähnlichen Zählung finden, daß unter dreien immer ein Adeliger ist. Es ließe sich hier eine lange Reihe von Bemerkungen anknüpfen, und es wäre nicht schwer, nachzuweisen, daß diese Erscheinung keine zufällige ist, um so mehr, als die Reihen sich immer mehr und mehr füllen. So sahen wir unlängst im Burgtheater ein neues Trauerspiel von einem bisher unbekannten jungen Poeten: "Ein weibliches Herz", vom Grafen v. Heusenstamm. Trotz der verworrenen Handlung und der ebenso verworrenen Zeichnung der Charaktere gibt sich doch ein tüchtiges poetisches Talent, wenn auch nicht aus dem Ganzen, doch aus mannichfachen Einzelheiten kund. ...

"Lenau war mehrere Wochen von hier abwesend; wie es heißt, hat er in Begleitung seines Freundes, des Grafen Alexander von Würtemberg, eine Reise nach Stuttgart gemacht, um dort die Correctur der neuen Ausgabe seiner Gedichte persönlich zu besorgen; beide Herren sind jedoch bereits wieder hieher zurückgekehrt, da der Graf Alexander gesonnen ist, den ganzen Winter hier im Kreise seiner Familie - er ist ein Schwiegersohn des Grafen Festiticz - zuzubringen. Sonderbar genug sind sowohl seine Gedichte als seine "Lieder des Sturms" hier verboten. Ein dritter Band Gedichte soll nächstens erscheinen, und zwar unter dem Titel: "Lieder eines Friedenssoldaten." Die Erscheinung des Grafen Alexander, sein ritterliches Wesen imponirt in unsern Salons, seine hohe Gestalt, so wie jener Zug von Ernst und Schwermuth im Gesicht, den fast alle schwäbischen Dichter gewissermaßen als Familienzeichen haben, erwecken die Sympathie unserer Damen und machen ihn zu einem Hauptbestandtheil ihrer Conversation. Vergleiche mit dem Fürsten Pückler, so entfernt sie auch liegen, bleiben nicht aus, da beide als Gäste sich hier befinden. Eine unserer tonangebenden Damen meinte, Graf Alexander verhalte sich zum Fürsten Pückler comme le chevalier du moyen age a celui du siecle de Louis XIV.

"Weil wir gerade in dem Kreise der adeligen Litteratur uns befinden, so kann ich nicht umhin, jenes Gerücht Lügen zu strafen, welches ein norddeutsches Blatt (die Leipziger Allg. Ztg.) in Bezug auf Anastasius Grün verbreitete. Allerdings kommt Graf Auersperg durch seine Vermählung mit der Gräfin Atems in Verbindung mit einer Familie von den strengsten aristokratischen Grundsätzen. Allein liegt darin ein Grund, daß er der Poesie Valet sagen muß? Graf Auersperg kann mit keiner edlern und ältern Familie in Verbindung treten, als seine eigene ist. (In unsern Urkunden findet sich ein Adolf v. Auersperg bereits im Jahr 1060, während der erste Atems erst im Jahr 1086 nachzuweisen ist. Sechsundzwanzig Jahre später - welch ein Gewicht für so subtile Wage!) Bereits seit einem Jahr heißt es, Graf Auersperg werde sich um den Kammerherrnschlüssel bewerben. Gesetzt auch, es geschieht, schließt der Kammerherr den Poeten aus? Auersperg hat selbst in seinen liberalsten Gedichten nie ein Wort ausgesprochen, wodurch er consequenterweise die Nähe des Throns meiden müßte. Vielmehr ist sein Gedicht: "An den Kaiser" (in den Spaziergängen) von so warmer Loyalität und inniger Anhänglichkeit, daß wir uns den Dichter dieses Liedes sehr gut als einen der Treuesten im Gefolge seines Herrn denken können. Die Tories führen in England eine weit ärgere Sprache, als

gemacht. Jetzt aber hat er in seinen „Beiträgen zur Revision des Grundgesetzes in niederländischem Sinn“ eine vollständige Schilderung und scharfe Kritik der niederländischen Zustände gegeben und schließlich für den Augenblick von jeder Veränderung abgerathen.

Zwischen allen diesen Oppositionen steht nun die Regierung. Der König, der nach dem Grundgesetz die zweite Kammer nicht auflösen kann, hat dagegen immer die Nichtverantwortlichkeit seiner Minister behauptet, und somit eine Regierung und Verwaltung auf eigenen Namen und Gefahr in Anspruch genommen. Er allein handhabt alle Regierungsrechte; er allein verwaltet die Finanzen als Haupt des Staats, als Haupt des Hauses Oranien; er selbst und allein ist der Schöpfer seines ganzen Regierungssystems. Doch haben nothwendig die Werkzeuge des königlichen Willens und Wirkens, wenn er gleich politische Charaktere von bestimmter Farbe und Bedeutung in seine Nähe zu ziehen vermieden hat, wenigstens ein gewisses Gepräge politischer Erziehung. Die meisten Staatsbeamten in höheren Stellen sind in der französischen Schule der Republik, des König- und Kaiserreichs gebildet. Diese doppelte Beschaffenheit in den höchsten Regionen erklärt hinreichend, wie auf solchen Grundlagen der Verwaltung – trotz Municipalfreiheiten, Provincialständen, Volksvertretung und allen Bürgschaften, die das Grundgesetz enthält – dennoch der gewöhnliche Geist der Centralisation und Bureaukratie Alles in sich hat aufnehmen können. Merkwürdig ist dabei, daß weder die fünfzehn Friedensjahre noch die letzten zehn Jahre des Kriegs und Provisoriums einen einzigen Staatsmann hervorgebracht haben, auf welchen in der gegenwärtigen Krisis alle Blicke und Hoffnungen gerichtet wären.

Die Dichter Oesterreichs.

In einer größeren Correspondenz aus Wien, die neulich das Morgenblatt mittheilte, fanden wir folgende Bemerkungen: „Die großen Güterbesitzer gefallen sich jetzt viel mehr im Sparen als im Glanz der äußern Erscheinung. Die Aristokratie wirft jetzt nicht mehr das Geld zum Fenster hinaus, wie in frühern Zeiten, wo der Bürger nur auf der Straße zu stehen brauchte, um es aufzufangen; man scheint einzusehen, daß es zwar eine schöne Sache um das Privilegium, aber eine eben so schöne um den Besitz ist. Die revolutionären Bewegungen des Geldes, wodurch viele hiesige Kaufleute ihr Haupt so hoch wie mancher grau bemooste Stammbaum erheben, scheint eine Reaction nöthig zu machen; man sucht den Feind durch seine eigenen Waffen zu schlagen, Geld durch Geld, Besitz durch Besitz; das Gewicht des historischen Rechts und des Privilegiums fällt dann um so schwerer in die Schale. Beispiele wie die des Grafen F. Palfy werden immer seltener, und wenn sie vorkommen, so ist es meist bei dem ungarischen Adel der Fall; der österreichische und böhmische kann als Muster von Sparsamkeit gelten. Es ist hier nicht der Ort, den Grund dieser Erscheinung zu erörtern, immerhin aber mag man es als eine Geburt der Zeit betrachten, die, wenn ihre Ideen auch nicht bei jedem zum klaren Bewußtseyn geworden sind, doch gewissermaßen ein Anempfinden, ein traumhaftes Ahnen hervorruft, welches instinctartig zu Präservativen greift. Und ist es nicht ein der Zeit dargebrachter Tribut, daß man unter dem österreichischen Adel so viele zählt, welche von dem hohen Balcon herabsteigen und sich unter die Schaar der Kämpfenden mischen, die um den Preis ringen, den die Dame Publicität ertheilt? Die Grafen Auersperg, Bouquoi, Mailath, Szécheny, Sternberg etc., die Fürsten Lichnowsky, Friedrich Schwarzenberg gehören zu den ersten Familien des Kaiserstaats, und nun erst die ganze Reihe von Namen aus den Geschlechtern zweiten und dritten Rangs, die Barone und Ritter Josika, Münch, Zedliz, Schlechta, Bodenfeld (Eduard Silesius), Prokesch, Nimbtsch (Lenau), Leitner, Nell, Lanoy u. s. w. Während man im übrigen Deutschland die Bemerkung gemacht hat, daß unter drei Schriftstellern immer ein Jude ist, so kann man hier bei einer ähnlichen Zählung finden, daß unter dreien immer ein Adeliger ist. Es ließe sich hier eine lange Reihe von Bemerkungen anknüpfen, und es wäre nicht schwer, nachzuweisen, daß diese Erscheinung keine zufällige ist, um so mehr, als die Reihen sich immer mehr und mehr füllen. So sahen wir unlängst im Burgtheater ein neues Trauerspiel von einem bisher unbekannten jungen Poeten: „Ein weibliches Herz“, vom Grafen v. Heusenstamm. Trotz der verworrenen Handlung und der ebenso verworrenen Zeichnung der Charaktere gibt sich doch ein tüchtiges poetisches Talent, wenn auch nicht aus dem Ganzen, doch aus mannichfachen Einzelheiten kund. ...

„Lenau war mehrere Wochen von hier abwesend; wie es heißt, hat er in Begleitung seines Freundes, des Grafen Alexander von Würtemberg, eine Reise nach Stuttgart gemacht, um dort die Correctur der neuen Ausgabe seiner Gedichte persönlich zu besorgen; beide Herren sind jedoch bereits wieder hieher zurückgekehrt, da der Graf Alexander gesonnen ist, den ganzen Winter hier im Kreise seiner Familie – er ist ein Schwiegersohn des Grafen Festiticz – zuzubringen. Sonderbar genug sind sowohl seine Gedichte als seine „Lieder des Sturms“ hier verboten. Ein dritter Band Gedichte soll nächstens erscheinen, und zwar unter dem Titel: „Lieder eines Friedenssoldaten.“ Die Erscheinung des Grafen Alexander, sein ritterliches Wesen imponirt in unsern Salons, seine hohe Gestalt, so wie jener Zug von Ernst und Schwermuth im Gesicht, den fast alle schwäbischen Dichter gewissermaßen als Familienzeichen haben, erwecken die Sympathie unserer Damen und machen ihn zu einem Hauptbestandtheil ihrer Conversation. Vergleiche mit dem Fürsten Pückler, so entfernt sie auch liegen, bleiben nicht aus, da beide als Gäste sich hier befinden. Eine unserer tonangebenden Damen meinte, Graf Alexander verhalte sich zum Fürsten Pückler comme le chevalier du moyen age á celui du siècle de Louis XIV.

„Weil wir gerade in dem Kreise der adeligen Litteratur uns befinden, so kann ich nicht umhin, jenes Gerücht Lügen zu strafen, welches ein norddeutsches Blatt (die Leipziger Allg. Ztg.) in Bezug auf Anastasius Grün verbreitete. Allerdings kommt Graf Auersperg durch seine Vermählung mit der Gräfin Atems in Verbindung mit einer Familie von den strengsten aristokratischen Grundsätzen. Allein liegt darin ein Grund, daß er der Poesie Valet sagen muß? Graf Auersperg kann mit keiner edlern und ältern Familie in Verbindung treten, als seine eigene ist. (In unsern Urkunden findet sich ein Adolf v. Auersperg bereits im Jahr 1060, während der erste Atems erst im Jahr 1086 nachzuweisen ist. Sechsundzwanzig Jahre später – welch ein Gewicht für so subtile Wage!) Bereits seit einem Jahr heißt es, Graf Auersperg werde sich um den Kammerherrnschlüssel bewerben. Gesetzt auch, es geschieht, schließt der Kammerherr den Poeten aus? Auersperg hat selbst in seinen liberalsten Gedichten nie ein Wort ausgesprochen, wodurch er consequenterweise die Nähe des Throns meiden müßte. Vielmehr ist sein Gedicht: „An den Kaiser“ (in den Spaziergängen) von so warmer Loyalität und inniger Anhänglichkeit, daß wir uns den Dichter dieses Liedes sehr gut als einen der Treuesten im Gefolge seines Herrn denken können. Die Tories führen in England eine weit ärgere Sprache, als

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Doch haben nothwendig die Werkzeuge des königlichen Willens und Wirkens, wenn er gleich politische Charaktere von bestimmter Farbe und Bedeutung in seine Nähe zu ziehen vermieden hat, wenigstens ein gewisses Gepräge politischer Erziehung. Die meisten Staatsbeamten in höheren Stellen sind in der französischen Schule der Republik, des König- und Kaiserreichs gebildet. Diese doppelte Beschaffenheit in den höchsten Regionen erklärt hinreichend, wie auf solchen Grundlagen der Verwaltung – trotz Municipalfreiheiten, Provincialständen, Volksvertretung und allen Bürgschaften, die das Grundgesetz enthält – dennoch der gewöhnliche Geist der Centralisation und Bureaukratie Alles in sich hat aufnehmen können. Merkwürdig ist dabei, daß weder die fünfzehn Friedensjahre noch die letzten zehn Jahre des Kriegs und Provisoriums einen einzigen Staatsmann hervorgebracht haben, auf welchen in der gegenwärtigen Krisis alle Blicke und Hoffnungen gerichtet wären. Die Dichter Oesterreichs. In einer größeren Correspondenz aus Wien, die neulich das Morgenblatt mittheilte, fanden wir folgende Bemerkungen: „Die großen Güterbesitzer gefallen sich jetzt viel mehr im Sparen als im Glanz der äußern Erscheinung. Die Aristokratie wirft jetzt nicht mehr das Geld zum Fenster hinaus, wie in frühern Zeiten, wo der Bürger nur auf der Straße zu stehen brauchte, um es aufzufangen; man scheint einzusehen, daß es zwar eine schöne Sache um das Privilegium, aber eine eben so schöne um den Besitz ist. Die revolutionären Bewegungen des Geldes, wodurch viele hiesige Kaufleute ihr Haupt so hoch wie mancher grau bemooste Stammbaum erheben, scheint eine Reaction nöthig zu machen; man sucht den Feind durch seine eigenen Waffen zu schlagen, Geld durch Geld, Besitz durch Besitz; das Gewicht des historischen Rechts und des Privilegiums fällt dann um so schwerer in die Schale. Beispiele wie die des Grafen F. Palfy werden immer seltener, und wenn sie vorkommen, so ist es meist bei dem ungarischen Adel der Fall; der österreichische und böhmische kann als Muster von Sparsamkeit gelten. Es ist hier nicht der Ort, den Grund dieser Erscheinung zu erörtern, immerhin aber mag man es als eine Geburt der Zeit betrachten, die, wenn ihre Ideen auch nicht bei jedem zum klaren Bewußtseyn geworden sind, doch gewissermaßen ein Anempfinden, ein traumhaftes Ahnen hervorruft, welches instinctartig zu Präservativen greift. Und ist es nicht ein der Zeit dargebrachter Tribut, daß man unter dem österreichischen Adel so viele zählt, welche von dem hohen Balcon herabsteigen und sich unter die Schaar der Kämpfenden mischen, die um den Preis ringen, den die Dame Publicität ertheilt? Die Grafen Auersperg, Bouquoi, Mailath, Szécheny, Sternberg etc., die Fürsten Lichnowsky, Friedrich Schwarzenberg gehören zu den ersten Familien des Kaiserstaats, und nun erst die ganze Reihe von Namen aus den Geschlechtern zweiten und dritten Rangs, die Barone und Ritter Josika, Münch, Zedliz, Schlechta, Bodenfeld (Eduard Silesius), Prokesch, Nimbtsch (Lenau), Leitner, Nell, Lanoy u. s. w. Während man im übrigen Deutschland die Bemerkung gemacht hat, daß unter drei Schriftstellern immer ein Jude ist, so kann man hier bei einer ähnlichen Zählung finden, daß unter dreien immer ein Adeliger ist. Es ließe sich hier eine lange Reihe von Bemerkungen anknüpfen, und es wäre nicht schwer, nachzuweisen, daß diese Erscheinung keine zufällige ist, um so mehr, als die Reihen sich immer mehr und mehr füllen. So sahen wir unlängst im Burgtheater ein neues Trauerspiel von einem bisher unbekannten jungen Poeten: „Ein weibliches Herz“, vom Grafen v. Heusenstamm. Trotz der verworrenen Handlung und der ebenso verworrenen Zeichnung der Charaktere gibt sich doch ein tüchtiges poetisches Talent, wenn auch nicht aus dem Ganzen, doch aus mannichfachen Einzelheiten kund. ... „Lenau war mehrere Wochen von hier abwesend; wie es heißt, hat er in Begleitung seines Freundes, des Grafen Alexander von Würtemberg, eine Reise nach Stuttgart gemacht, um dort die Correctur der neuen Ausgabe seiner Gedichte persönlich zu besorgen; beide Herren sind jedoch bereits wieder hieher zurückgekehrt, da der Graf Alexander gesonnen ist, den ganzen Winter hier im Kreise seiner Familie – er ist ein Schwiegersohn des Grafen Festiticz – zuzubringen. Sonderbar genug sind sowohl seine Gedichte als seine „Lieder des Sturms“ hier verboten. Ein dritter Band Gedichte soll nächstens erscheinen, und zwar unter dem Titel: „Lieder eines Friedenssoldaten.“ Die Erscheinung des Grafen Alexander, sein ritterliches Wesen imponirt in unsern Salons, seine hohe Gestalt, so wie jener Zug von Ernst und Schwermuth im Gesicht, den fast alle schwäbischen Dichter gewissermaßen als Familienzeichen haben, erwecken die Sympathie unserer Damen und machen ihn zu einem Hauptbestandtheil ihrer Conversation. Vergleiche mit dem Fürsten Pückler, so entfernt sie auch liegen, bleiben nicht aus, da beide als Gäste sich hier befinden. Eine unserer tonangebenden Damen meinte, Graf Alexander verhalte sich zum Fürsten Pückler comme le chevalier du moyen age á celui du siècle de Louis XIV. „Weil wir gerade in dem Kreise der adeligen Litteratur uns befinden, so kann ich nicht umhin, jenes Gerücht Lügen zu strafen, welches ein norddeutsches Blatt (die Leipziger Allg. Ztg.) in Bezug auf Anastasius Grün verbreitete. Allerdings kommt Graf Auersperg durch seine Vermählung mit der Gräfin Atems in Verbindung mit einer Familie von den strengsten aristokratischen Grundsätzen. Allein liegt darin ein Grund, daß er der Poesie Valet sagen muß? Graf Auersperg kann mit keiner edlern und ältern Familie in Verbindung treten, als seine eigene ist. (In unsern Urkunden findet sich ein Adolf v. Auersperg bereits im Jahr 1060, während der erste Atems erst im Jahr 1086 nachzuweisen ist. Sechsundzwanzig Jahre später – welch ein Gewicht für so subtile Wage!) Bereits seit einem Jahr heißt es, Graf Auersperg werde sich um den Kammerherrnschlüssel bewerben. Gesetzt auch, es geschieht, schließt der Kammerherr den Poeten aus? Auersperg hat selbst in seinen liberalsten Gedichten nie ein Wort ausgesprochen, wodurch er consequenterweise die Nähe des Throns meiden müßte. Vielmehr ist sein Gedicht: „An den Kaiser“ (in den Spaziergängen) von so warmer Loyalität und inniger Anhänglichkeit, daß wir uns den Dichter dieses Liedes sehr gut als einen der Treuesten im Gefolge seines Herrn denken können. Die Tories führen in England eine weit ärgere Sprache, als

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840, S. 0915. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_115_18400424/11>, abgerufen am 09.11.2024.