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Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840.

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seine fast sprüchwörtlich gewordenen Sophismen ergoß) den Umständen nach als befriedigend gelten könne." Die diplomatischen Actenstücke, worin Hr. Verstolck, gegen die Grundsatzlosigkeit der Zeiten protestirend, an das Urtheil der Nachwelt appellirte, wären im ältern Völkerrecht Meisterstücke gewesen. Aber Niemand wollte den Krieg. So mußte Holland endlich beim König auf Frieden andringen, und er ward im neunten Jahre geschlossen.

Nach dem Frieden würden politische Parteien seyn, das hatten Manche vorausgesehen. Sie haben sich zwar noch nicht so abgezeichnet, daß jede die Köpfe der Ihrigen zählen könnte; aber die geistigen und materiellen Eintheilungsgründe sind bereits zu erkennen, einzelne Namen tauchen auf als Vertreter bestimmter Tendenzen, Tagsblätter und Flugschriften messen ihre Kräfte. Die Einstimmigkeit, die sich gegen die ersten bloß formellen Revisionsvorschläge der Regierung vernehmen ließ, beweist, daß es einige Punkte allgemeiner Opposition oder vielmehr allgemeinen Verlangens gibt. Diese sind 1) Oeffentlichkeit der Finanzen, besser verbürgt als durch die jetzt vorgeschlagene Umsetzung des Amortisations-Syndicats; 2) Verantwortlichkeit der Minister, ein Ministerium mit bestimmten politischen Grundsätzen. Bei der weiteren Ausführung trennen sich aber die Ansichten; politische Schule und Religion, Provincialismus und persönliche Stellung lassen nach dem Gegenstand und Grad der Wünsche etwa folgende Parteien unterscheiden:

1. Die gemäßigte ständische Opposition. Die Mitglieder der zweiten Kammer sind jetzt fast sämmtlich, wo nicht aus Ueberzeugung, doch durch die öffentliche Stimmung und die drohende eigene Verantwortlichkeit, zur Opposition genöthigt. Ihre kräftigsten Vorstreiter, die jüngst die Initiative zu ergreifen drohten, können in mancher Beziehung doch noch als sehr gemäßigt gelten. Die meisten würden, wenn die Regierung nur im Finanzpunkt offen seyn wollte, sich gern mit einem Minimum der Revision begnügen (sie wollen z. B. keine Auflösbarkeit der Kammer, kein neues Wahlgesetz, keine directen Wahlen, sondern, wie bisher, durch die Provincialstände). Sie begrüßten neulich des Königs Verzicht auf die vielbesprochene Vermählung als eine bereits errungene Friedenspalme. Das Amsterdamer Handelsblatt steht am nächsten in Beziehung zu dieser Farbe, und die Vorschläge des Professors Thorbecke können im Ganzen als das Manifest derselben gelten. Von der ersten Kammer, die ohne alle Kategorien von Verdiensten (wie man sie jetzt in Frankreich hat) bloß aus einer "Anzahl Hofbeamten und Staatsdiener" zusammengesetzt ist, kann hier gar nicht die Rede seyn.

2. Die radicale Opposition will das schulgerechte Repräsentativsystem, wie es ohne erbliche Aristokratie ausfallen kann, directe Wahlen zur zweiten Kammer nach der Seelenzahl, zur ersten nach gewissen Kategorien, theils Ernennung des Königs, theils Vertretung der Universitäten, Gerichtshöfe u. s. w., wogegen der Staatsrath wegfallen soll. Dieß ist wenigstens der Vorschlag eines Haupts dieser Partei, des Advocaten D. Donker Curtius, in seiner "Probe eines neuen Grundgesetzes" und andern Flugschriften; übrigens ist er zu originell, um durchgängig als Ausdruck der Radicalen zu gelten; er behauptet sogar monarchischer zu seyn als Thorbecke in dessen "Probe einer Revision des Grundgesetzes." Die radicale Partei könnte leicht in den Generalstaaten viele Stimmen gewinnen, wenn es zu einer Berufung derselben in doppelter Anzahl kommen sollte; sie ist offenbar im Wachsen. Ihr Hauptorgan, die "Arnhem'sche Courant", griff die Vermählung des Königs als etwas Gleichgültiges, rein Persönliches durchaus nicht an (darin übereinstimmend mit der katholischen Opposition); desto heftiger sind die Artikel gegen die Finanzoperationen und die persönliche Regierung.

3. Die katholische Opposition hat der Mehrzahl nach eine ganz provincielle Stellung. Die Katholiken im eigentlichen Holland waren in der letzten Zeit zufrieden; sie verlangen nur bei einem neuen Grundgesetz nicht in Nachtheil zu kommen. Gegenüber der ehemals herrschenden reformirten Kirche sind sie, meistens noch jetzt den niedern Ständen angehörig, in Holland in einer moralischen Inferiorität. Das katholische Nordbrabant dagegen, der breite Strich Haideland, der die Festungslinie von Bergen-op-Zoom nahe der See, Breda, Herzogenbusch, Grave bis Nymwegen und zur deutschen Gränze hin umfaßt, und Holland von Belgien trennt - diese Provinz, dieses ehemalige Unterthanenland sammt dem wiedererhaltenen Limburg, ist noch fortwährend schlecht holländisch, blickt häufig nach Belgien hinüber und sucht eigentlich nur Vorwand zu Streit und Opposition gegen Holland. Das Hauptorgan, der "Nordbrabander", hat neuerlich eine drohende Stellung eingenommen; die heftigsten Artikel werden in kleinen Auszügen durch alle Provinzen hindurch umsonst vertheilt; sie tragen die Adresse "an die katholische Hälfte der niederländischen Nation", und melden unter Anderm - was in Holland sehr übel aufgenommen wird - daß dieselben Mittheilungen am selben Tag auch in Paris gedruckt werden sollen. Die katholische Partei fürchtet, daß die reformirte Kirche bei der Revision wieder das Uebergewicht erhalten möchte, wäre es auch nur durch den Ausspruch, "der König müsse dieser Kirche angehören." Beschwerden und Wünsche der Geistlichkeit, der übrigens keine Vorwürfe zu machen sind, beziehen sich jetzt nur auf das Unterrichtswesen. In diesem Punkt ist sie wiederum übereinstimmend, jedoch nicht verbunden mit der orthodoxen reformirten Geistlichkeit.

4. Die historische Opposition wird hier zuletzt angeführt, weil sie eigentlich keine Partei, sondern nur eine politische Schule ist (in Deutschland der Haller'schen am nächsten); ferner weil sie bis jetzt an Zahl und Einfluß die schwächste ist. Sie unterstützt die Regierung, wo sie es immer ihrer Ueberzeugung nach vermag; sie möchte ihr, wie der ganzen Nation, wieder mehr religiösen Geist einflößen, eine Staatskirche für das reformirte Holland wieder aufrichten, den Katholiken in Nordbrabant ihre erworbenen Rechte lassen, in ihrer Provinz sogar, unter getrennter Verwaltung, die katholische Kirche als herrschend anerkennen, für Holland aber den geschichtlichen Geist der Reformation wieder in Anspruch nehmen. Diese Meinung, welche durch den Anschluß der strenggläubigen Geistlichkeit sich leicht sehr verstärken könnte, wird in ihrem politischen Theil noch gar nicht verstanden, vielmehr fast von allen Seiten angefeindet. So freimüthig, redlich und geistvoll auch die verderblichen Wirkungen der Centralisation und des französischen Liberalismus bei Regierung, Generalstaaten und Nation nachgewiesen werden, bleibt es doch eine unüberwindliche Schwierigkeit für das Königreich der Niederlande einen historischen Maaßstab aus den alten vereinigten Niederlanden zu entnehmen; es kann nicht wohl ein Normaljahr der politischen Zustände, sondern höchstens ein Normaltypus des Nationalcharakters für eine solche Restauration angegeben werden. Der Name, der aus dieser Opposition, doch zugleich unter allen Schriftstellern Hollands hervorragt, ist der des frühern Cabinetssecretärs Groen van Prinsterer. Als Staatsrath aus dem Dienste getreten, hat er seine Grundsätze vor und nach der Juliusrevolution lange Zeit in dem periodischen Blatt "Niederländische Gedanken" ausgeführt; unter seinen kleineren politischen Schriften hat zuletzt noch die Schutzschrift für die Separatisten großes Aufsehen

seine fast sprüchwörtlich gewordenen Sophismen ergoß) den Umständen nach als befriedigend gelten könne.“ Die diplomatischen Actenstücke, worin Hr. Verstolck, gegen die Grundsatzlosigkeit der Zeiten protestirend, an das Urtheil der Nachwelt appellirte, wären im ältern Völkerrecht Meisterstücke gewesen. Aber Niemand wollte den Krieg. So mußte Holland endlich beim König auf Frieden andringen, und er ward im neunten Jahre geschlossen.

Nach dem Frieden würden politische Parteien seyn, das hatten Manche vorausgesehen. Sie haben sich zwar noch nicht so abgezeichnet, daß jede die Köpfe der Ihrigen zählen könnte; aber die geistigen und materiellen Eintheilungsgründe sind bereits zu erkennen, einzelne Namen tauchen auf als Vertreter bestimmter Tendenzen, Tagsblätter und Flugschriften messen ihre Kräfte. Die Einstimmigkeit, die sich gegen die ersten bloß formellen Revisionsvorschläge der Regierung vernehmen ließ, beweist, daß es einige Punkte allgemeiner Opposition oder vielmehr allgemeinen Verlangens gibt. Diese sind 1) Oeffentlichkeit der Finanzen, besser verbürgt als durch die jetzt vorgeschlagene Umsetzung des Amortisations-Syndicats; 2) Verantwortlichkeit der Minister, ein Ministerium mit bestimmten politischen Grundsätzen. Bei der weiteren Ausführung trennen sich aber die Ansichten; politische Schule und Religion, Provincialismus und persönliche Stellung lassen nach dem Gegenstand und Grad der Wünsche etwa folgende Parteien unterscheiden:

1. Die gemäßigte ständische Opposition. Die Mitglieder der zweiten Kammer sind jetzt fast sämmtlich, wo nicht aus Ueberzeugung, doch durch die öffentliche Stimmung und die drohende eigene Verantwortlichkeit, zur Opposition genöthigt. Ihre kräftigsten Vorstreiter, die jüngst die Initiative zu ergreifen drohten, können in mancher Beziehung doch noch als sehr gemäßigt gelten. Die meisten würden, wenn die Regierung nur im Finanzpunkt offen seyn wollte, sich gern mit einem Minimum der Revision begnügen (sie wollen z. B. keine Auflösbarkeit der Kammer, kein neues Wahlgesetz, keine directen Wahlen, sondern, wie bisher, durch die Provincialstände). Sie begrüßten neulich des Königs Verzicht auf die vielbesprochene Vermählung als eine bereits errungene Friedenspalme. Das Amsterdamer Handelsblatt steht am nächsten in Beziehung zu dieser Farbe, und die Vorschläge des Professors Thorbecke können im Ganzen als das Manifest derselben gelten. Von der ersten Kammer, die ohne alle Kategorien von Verdiensten (wie man sie jetzt in Frankreich hat) bloß aus einer „Anzahl Hofbeamten und Staatsdiener“ zusammengesetzt ist, kann hier gar nicht die Rede seyn.

2. Die radicale Opposition will das schulgerechte Repräsentativsystem, wie es ohne erbliche Aristokratie ausfallen kann, directe Wahlen zur zweiten Kammer nach der Seelenzahl, zur ersten nach gewissen Kategorien, theils Ernennung des Königs, theils Vertretung der Universitäten, Gerichtshöfe u. s. w., wogegen der Staatsrath wegfallen soll. Dieß ist wenigstens der Vorschlag eines Haupts dieser Partei, des Advocaten D. Donker Curtius, in seiner „Probe eines neuen Grundgesetzes“ und andern Flugschriften; übrigens ist er zu originell, um durchgängig als Ausdruck der Radicalen zu gelten; er behauptet sogar monarchischer zu seyn als Thorbecke in dessen „Probe einer Revision des Grundgesetzes.“ Die radicale Partei könnte leicht in den Generalstaaten viele Stimmen gewinnen, wenn es zu einer Berufung derselben in doppelter Anzahl kommen sollte; sie ist offenbar im Wachsen. Ihr Hauptorgan, die „Arnhem'sche Courant“, griff die Vermählung des Königs als etwas Gleichgültiges, rein Persönliches durchaus nicht an (darin übereinstimmend mit der katholischen Opposition); desto heftiger sind die Artikel gegen die Finanzoperationen und die persönliche Regierung.

3. Die katholische Opposition hat der Mehrzahl nach eine ganz provincielle Stellung. Die Katholiken im eigentlichen Holland waren in der letzten Zeit zufrieden; sie verlangen nur bei einem neuen Grundgesetz nicht in Nachtheil zu kommen. Gegenüber der ehemals herrschenden reformirten Kirche sind sie, meistens noch jetzt den niedern Ständen angehörig, in Holland in einer moralischen Inferiorität. Das katholische Nordbrabant dagegen, der breite Strich Haideland, der die Festungslinie von Bergen-op-Zoom nahe der See, Breda, Herzogenbusch, Grave bis Nymwegen und zur deutschen Gränze hin umfaßt, und Holland von Belgien trennt – diese Provinz, dieses ehemalige Unterthanenland sammt dem wiedererhaltenen Limburg, ist noch fortwährend schlecht holländisch, blickt häufig nach Belgien hinüber und sucht eigentlich nur Vorwand zu Streit und Opposition gegen Holland. Das Hauptorgan, der „Nordbrabander“, hat neuerlich eine drohende Stellung eingenommen; die heftigsten Artikel werden in kleinen Auszügen durch alle Provinzen hindurch umsonst vertheilt; sie tragen die Adresse „an die katholische Hälfte der niederländischen Nation“, und melden unter Anderm – was in Holland sehr übel aufgenommen wird – daß dieselben Mittheilungen am selben Tag auch in Paris gedruckt werden sollen. Die katholische Partei fürchtet, daß die reformirte Kirche bei der Revision wieder das Uebergewicht erhalten möchte, wäre es auch nur durch den Ausspruch, „der König müsse dieser Kirche angehören.“ Beschwerden und Wünsche der Geistlichkeit, der übrigens keine Vorwürfe zu machen sind, beziehen sich jetzt nur auf das Unterrichtswesen. In diesem Punkt ist sie wiederum übereinstimmend, jedoch nicht verbunden mit der orthodoxen reformirten Geistlichkeit.

4. Die historische Opposition wird hier zuletzt angeführt, weil sie eigentlich keine Partei, sondern nur eine politische Schule ist (in Deutschland der Haller'schen am nächsten); ferner weil sie bis jetzt an Zahl und Einfluß die schwächste ist. Sie unterstützt die Regierung, wo sie es immer ihrer Ueberzeugung nach vermag; sie möchte ihr, wie der ganzen Nation, wieder mehr religiösen Geist einflößen, eine Staatskirche für das reformirte Holland wieder aufrichten, den Katholiken in Nordbrabant ihre erworbenen Rechte lassen, in ihrer Provinz sogar, unter getrennter Verwaltung, die katholische Kirche als herrschend anerkennen, für Holland aber den geschichtlichen Geist der Reformation wieder in Anspruch nehmen. Diese Meinung, welche durch den Anschluß der strenggläubigen Geistlichkeit sich leicht sehr verstärken könnte, wird in ihrem politischen Theil noch gar nicht verstanden, vielmehr fast von allen Seiten angefeindet. So freimüthig, redlich und geistvoll auch die verderblichen Wirkungen der Centralisation und des französischen Liberalismus bei Regierung, Generalstaaten und Nation nachgewiesen werden, bleibt es doch eine unüberwindliche Schwierigkeit für das Königreich der Niederlande einen historischen Maaßstab aus den alten vereinigten Niederlanden zu entnehmen; es kann nicht wohl ein Normaljahr der politischen Zustände, sondern höchstens ein Normaltypus des Nationalcharakters für eine solche Restauration angegeben werden. Der Name, der aus dieser Opposition, doch zugleich unter allen Schriftstellern Hollands hervorragt, ist der des frühern Cabinetssecretärs Groen van Prinsterer. Als Staatsrath aus dem Dienste getreten, hat er seine Grundsätze vor und nach der Juliusrevolution lange Zeit in dem periodischen Blatt „Niederländische Gedanken“ ausgeführt; unter seinen kleineren politischen Schriften hat zuletzt noch die Schutzschrift für die Separatisten großes Aufsehen

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        <p>1. Die gemäßigte ständische Opposition. Die Mitglieder der zweiten Kammer sind jetzt fast sämmtlich, wo nicht aus Ueberzeugung, doch durch die öffentliche Stimmung und die drohende eigene Verantwortlichkeit, zur Opposition genöthigt. Ihre kräftigsten Vorstreiter, die jüngst die Initiative zu ergreifen drohten, können in mancher Beziehung doch noch als sehr gemäßigt gelten. Die meisten würden, wenn die Regierung nur im Finanzpunkt offen seyn wollte, sich gern mit einem Minimum der Revision begnügen (sie wollen z. B. keine Auflösbarkeit der Kammer, kein neues Wahlgesetz, keine directen Wahlen, sondern, wie bisher, durch die Provincialstände). Sie begrüßten neulich des Königs Verzicht auf die vielbesprochene Vermählung als eine bereits errungene Friedenspalme. Das Amsterdamer Handelsblatt steht am nächsten in Beziehung zu dieser Farbe, und die Vorschläge des Professors Thorbecke können im Ganzen als das Manifest derselben gelten. Von der ersten Kammer, die ohne alle Kategorien von Verdiensten (wie man sie jetzt in Frankreich hat) bloß aus einer &#x201E;Anzahl Hofbeamten und Staatsdiener&#x201C; zusammengesetzt ist, kann hier gar nicht die Rede seyn.</p><lb/>
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[0914/0010] seine fast sprüchwörtlich gewordenen Sophismen ergoß) den Umständen nach als befriedigend gelten könne.“ Die diplomatischen Actenstücke, worin Hr. Verstolck, gegen die Grundsatzlosigkeit der Zeiten protestirend, an das Urtheil der Nachwelt appellirte, wären im ältern Völkerrecht Meisterstücke gewesen. Aber Niemand wollte den Krieg. So mußte Holland endlich beim König auf Frieden andringen, und er ward im neunten Jahre geschlossen. Nach dem Frieden würden politische Parteien seyn, das hatten Manche vorausgesehen. Sie haben sich zwar noch nicht so abgezeichnet, daß jede die Köpfe der Ihrigen zählen könnte; aber die geistigen und materiellen Eintheilungsgründe sind bereits zu erkennen, einzelne Namen tauchen auf als Vertreter bestimmter Tendenzen, Tagsblätter und Flugschriften messen ihre Kräfte. Die Einstimmigkeit, die sich gegen die ersten bloß formellen Revisionsvorschläge der Regierung vernehmen ließ, beweist, daß es einige Punkte allgemeiner Opposition oder vielmehr allgemeinen Verlangens gibt. Diese sind 1) Oeffentlichkeit der Finanzen, besser verbürgt als durch die jetzt vorgeschlagene Umsetzung des Amortisations-Syndicats; 2) Verantwortlichkeit der Minister, ein Ministerium mit bestimmten politischen Grundsätzen. Bei der weiteren Ausführung trennen sich aber die Ansichten; politische Schule und Religion, Provincialismus und persönliche Stellung lassen nach dem Gegenstand und Grad der Wünsche etwa folgende Parteien unterscheiden: 1. Die gemäßigte ständische Opposition. Die Mitglieder der zweiten Kammer sind jetzt fast sämmtlich, wo nicht aus Ueberzeugung, doch durch die öffentliche Stimmung und die drohende eigene Verantwortlichkeit, zur Opposition genöthigt. Ihre kräftigsten Vorstreiter, die jüngst die Initiative zu ergreifen drohten, können in mancher Beziehung doch noch als sehr gemäßigt gelten. Die meisten würden, wenn die Regierung nur im Finanzpunkt offen seyn wollte, sich gern mit einem Minimum der Revision begnügen (sie wollen z. B. keine Auflösbarkeit der Kammer, kein neues Wahlgesetz, keine directen Wahlen, sondern, wie bisher, durch die Provincialstände). Sie begrüßten neulich des Königs Verzicht auf die vielbesprochene Vermählung als eine bereits errungene Friedenspalme. Das Amsterdamer Handelsblatt steht am nächsten in Beziehung zu dieser Farbe, und die Vorschläge des Professors Thorbecke können im Ganzen als das Manifest derselben gelten. Von der ersten Kammer, die ohne alle Kategorien von Verdiensten (wie man sie jetzt in Frankreich hat) bloß aus einer „Anzahl Hofbeamten und Staatsdiener“ zusammengesetzt ist, kann hier gar nicht die Rede seyn. 2. Die radicale Opposition will das schulgerechte Repräsentativsystem, wie es ohne erbliche Aristokratie ausfallen kann, directe Wahlen zur zweiten Kammer nach der Seelenzahl, zur ersten nach gewissen Kategorien, theils Ernennung des Königs, theils Vertretung der Universitäten, Gerichtshöfe u. s. w., wogegen der Staatsrath wegfallen soll. Dieß ist wenigstens der Vorschlag eines Haupts dieser Partei, des Advocaten D. Donker Curtius, in seiner „Probe eines neuen Grundgesetzes“ und andern Flugschriften; übrigens ist er zu originell, um durchgängig als Ausdruck der Radicalen zu gelten; er behauptet sogar monarchischer zu seyn als Thorbecke in dessen „Probe einer Revision des Grundgesetzes.“ Die radicale Partei könnte leicht in den Generalstaaten viele Stimmen gewinnen, wenn es zu einer Berufung derselben in doppelter Anzahl kommen sollte; sie ist offenbar im Wachsen. Ihr Hauptorgan, die „Arnhem'sche Courant“, griff die Vermählung des Königs als etwas Gleichgültiges, rein Persönliches durchaus nicht an (darin übereinstimmend mit der katholischen Opposition); desto heftiger sind die Artikel gegen die Finanzoperationen und die persönliche Regierung. 3. Die katholische Opposition hat der Mehrzahl nach eine ganz provincielle Stellung. Die Katholiken im eigentlichen Holland waren in der letzten Zeit zufrieden; sie verlangen nur bei einem neuen Grundgesetz nicht in Nachtheil zu kommen. Gegenüber der ehemals herrschenden reformirten Kirche sind sie, meistens noch jetzt den niedern Ständen angehörig, in Holland in einer moralischen Inferiorität. Das katholische Nordbrabant dagegen, der breite Strich Haideland, der die Festungslinie von Bergen-op-Zoom nahe der See, Breda, Herzogenbusch, Grave bis Nymwegen und zur deutschen Gränze hin umfaßt, und Holland von Belgien trennt – diese Provinz, dieses ehemalige Unterthanenland sammt dem wiedererhaltenen Limburg, ist noch fortwährend schlecht holländisch, blickt häufig nach Belgien hinüber und sucht eigentlich nur Vorwand zu Streit und Opposition gegen Holland. Das Hauptorgan, der „Nordbrabander“, hat neuerlich eine drohende Stellung eingenommen; die heftigsten Artikel werden in kleinen Auszügen durch alle Provinzen hindurch umsonst vertheilt; sie tragen die Adresse „an die katholische Hälfte der niederländischen Nation“, und melden unter Anderm – was in Holland sehr übel aufgenommen wird – daß dieselben Mittheilungen am selben Tag auch in Paris gedruckt werden sollen. Die katholische Partei fürchtet, daß die reformirte Kirche bei der Revision wieder das Uebergewicht erhalten möchte, wäre es auch nur durch den Ausspruch, „der König müsse dieser Kirche angehören.“ Beschwerden und Wünsche der Geistlichkeit, der übrigens keine Vorwürfe zu machen sind, beziehen sich jetzt nur auf das Unterrichtswesen. In diesem Punkt ist sie wiederum übereinstimmend, jedoch nicht verbunden mit der orthodoxen reformirten Geistlichkeit. 4. Die historische Opposition wird hier zuletzt angeführt, weil sie eigentlich keine Partei, sondern nur eine politische Schule ist (in Deutschland der Haller'schen am nächsten); ferner weil sie bis jetzt an Zahl und Einfluß die schwächste ist. Sie unterstützt die Regierung, wo sie es immer ihrer Ueberzeugung nach vermag; sie möchte ihr, wie der ganzen Nation, wieder mehr religiösen Geist einflößen, eine Staatskirche für das reformirte Holland wieder aufrichten, den Katholiken in Nordbrabant ihre erworbenen Rechte lassen, in ihrer Provinz sogar, unter getrennter Verwaltung, die katholische Kirche als herrschend anerkennen, für Holland aber den geschichtlichen Geist der Reformation wieder in Anspruch nehmen. Diese Meinung, welche durch den Anschluß der strenggläubigen Geistlichkeit sich leicht sehr verstärken könnte, wird in ihrem politischen Theil noch gar nicht verstanden, vielmehr fast von allen Seiten angefeindet. So freimüthig, redlich und geistvoll auch die verderblichen Wirkungen der Centralisation und des französischen Liberalismus bei Regierung, Generalstaaten und Nation nachgewiesen werden, bleibt es doch eine unüberwindliche Schwierigkeit für das Königreich der Niederlande einen historischen Maaßstab aus den alten vereinigten Niederlanden zu entnehmen; es kann nicht wohl ein Normaljahr der politischen Zustände, sondern höchstens ein Normaltypus des Nationalcharakters für eine solche Restauration angegeben werden. Der Name, der aus dieser Opposition, doch zugleich unter allen Schriftstellern Hollands hervorragt, ist der des frühern Cabinetssecretärs Groen van Prinsterer. Als Staatsrath aus dem Dienste getreten, hat er seine Grundsätze vor und nach der Juliusrevolution lange Zeit in dem periodischen Blatt „Niederländische Gedanken“ ausgeführt; unter seinen kleineren politischen Schriften hat zuletzt noch die Schutzschrift für die Separatisten großes Aufsehen

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 115. Augsburg, 24. April 1840, S. 0914. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_115_18400424/10>, abgerufen am 30.04.2024.