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Allgemeine Zeitung. Nr. 106. Augsburg, 15. April 1840.

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am höchsten Begabten! Hr. Marmier freilich denkt anders - nach ihm ist so ziemlich unsere ganze Litteratur traumselig über den Trophäen der Vergangenheit entschlummert und wir zehren nur noch in kümmerlichem Winterschlaf von dem Erntevorrath unserer Väter. Lasse der Fremde sich denn einfach ohne Spott und Zorn gesagen, daß er von diesen Dingen nichts verstehe. Wer die künftigen Entwickelungen des deutschen Volkes erkennen will, der muß sein Ohr an dessen Brust legen und durch alle Schnürbrüste hindurch den geheimen Schlag des deutschen Herzens verstehen, er muß mehr aus Schweigen und aus der Art dieses Schweigens, als aus lautem Reden, auguriren. Offenbar ist unsere Litteratur bis jetzt erst ein Bruchstück; nach vielen Seiten hin sind noch nicht einmal die Grundlagen eingesenkt, geschweige denn, daß wir schon daran wären, die letzten Pfeiler mit Zierrathen und Blumengewinden zu schmücken. Die Zeit seiner rechten Tragiker, Komöden, Geschichtschreiber, Redner, Publicisten soll für Deutschland erst kommen. Hätten wir augenblicklich einen Aristophanes, wer weiß, wir wiesen ihn außer Landes! Sie wird kommen jene Zeit, .... vielleicht erst, wenn schon das Gras über unsern Grabhügeln im Winde schwankt .... aber einmal gewiß, wenn sich das Bewußtseyn der Nation mit Thaten erfüllt und der Deutsche als Volk seine große Sendung und Stellung inmitten der Geschichte begriffen haben wird.

Wiener Briefe.

(Wegen Ueberdrangs politischen Stoffs um ein paar Wochen verspätet.)

Der Fasching ist zu Ende, die Klänge der Musik verstummen, die Lichter verlöschen, und der fröhliche Taumel macht wieder dem ruhigen Gange und der gewohnten Lebensweise Platz. Indeß würde man sich sehr irren, wollte man annehmen, nach der Zeit der Winterfreuden und der Aufregung sey gänzliche Aspannung und Monotonie eingetreten; dazu kommt es hier selten, dazu rollt das Blut in den Adern der Wiener zu leicht und fröhlich, und immer, auch im vollsten Drange der Beschäftigung und des Gewerbes, hat jeder Tag seinen Abend. Die letzten Wochen des Faschings sind immer die belebtesten, und die glänzendsten Feste werden gegen das Ende aufgespart. Ein solches war ein vom Fürsten Adolf Schwarzenberg gegebener Ball in seinem Gartenpalaste auf dem Rennwege. Das Gebäude selbst bietet an alterthümlicher Pracht, was der heutige Modegeschmack vergebens mit ungeheuren Summen herbeizuschaffen trachtet, und die majestätische Rotunda des Einganges mit ihrer Kuppel, ihren Fresken und Vergoldungen, die prächtige, die ganze Länge des Gebäudes hinablaufende Galerie, so wie die grandiose Dimension und der imposante Baustyl der übrigen Säle dürfte sich schwerlich so leicht wieder vorfinden, vermöchte auch ein gleich guter Geschmack und eine gleich splendide Gastlichkeit, wie die des Fürsten, diese Rotunda ebenfalls in einen lachenden Blumentempel voll blühender Bäume, Sträucher und sprudelnder Brunnen zu verwandeln, diese mit zehntausend Kerzen erleuchteten Säle mit eben solcher Mährchenpracht auszustatten und jene herrliche Galerie in einen eben so glänzenden Speisesaal umzuformen! - Und fände sich alles das glücklich zusammen, wo fände sich die anmuth- und schönheitstrahlende Fürstin, die in diesen Räumen mit wahrhaft bezaubernder Freundlichkeit und Grazie waltete? - Diesem Feste folgte ein prächtiger Ball bei Sr. königl. Hoheit dem Prinzen Wasa, und der sogenannte "Lange Tag;" ein Ball, der am Faschingdienstage um zwei Uhr Mittags bei Tageslichte anfängt und bis zum Aschermittwoch währt, und der sich seit vielen Jahren immer im Hause des russischen Botschafters v. Tatitscheff wiederholt, beschloß die Faschingsvergnügungen der großen Welt.

Wirft man einen Blick in die Säle zum "Sperl" und zur "Birne" so überzeugt man sich, daß der Volkslust kein geringerer und kaum ein minder glänzender Antheil an Vergnügungen zugemessen ist. Dabei tritt wieder der vielfach gerühmte Volkscharakter zu seinem großen Vortheile hervor. Welch ein Unterschied zwischen einem Ball Musard oder Valentino in Paris, und einem Balle beim Sperl oder in der Birne zu Wien! - Schon der erste Anblick ist auffallend, und doch sind die gesellschaftlichen Kategorien beider ziemlich dieselben. Hier ein paar Tausend, nicht nur anständig, sondern wahrhaft elegant und ballmäßig gekleideter Menschen, fast alle aus dem gewerbtreibenden Mittelstande; ein Cotillon von mehr als hundertfünfzig Paaren, die in ihrer Haltung und äußeren Erscheinung durchaus keinen Mangel an Erziehung wahrnehmen lassen; nirgends die geringste Unanständigkeit. Und dennoch steigert sich die Fröhlichkeit zu ihrer möglichsten Höhe. Schreiber dieser Zeilen ist ein Feind jeder falschen Pruderie, die weit seltener ein Zeugniß für die Sittlichkeit als gegen dieselbe ist; ein bewegtes Leben hat ihn den Blick in manche Region menschlicher Schwächen und Thorheiten werfen lassen; wer aber eine Orgie, wie die genannten in Paris, ohne tiefsten moralischen und physischen Ekel ansehen kann, der muß mit stärkeren Organen ausgerüstet seyn als ich sie besitze. Schon der erste oberflächliche Anblick constatirt den Unterschied zwischen den Volksvergnügungen beider Städte. Welch ein Typus von Gemeinheit in der guten Hälfte der Besucher Musard's! Ein großer Theil, auch der Frauen, schlecht gekleidet; Leute in Menge, von denen man es dem zehnten Gesichte ansieht, daß dem Eigenthümer dieser interessanten Physiognomie das T. F. auf den Rücken gebrannt ist. Man begreift auf der Stelle, daß die Municipalgarden, die den Saal militärisch besetzt halten, hier nicht zum eigenen Vergnügen herumstehen. - So ist der Anblick der Gesellschaft zu Anfang des Balles; man kann nicht sagen, daß sie keine Bedenklichkeiten einflößte! Wenn aber diese Masse anfängt in selbstgesteigerter Tollheit zu rasen, die Musik schallt, die Tänzer wie ein von Bremsen gejagtes wildes Gestüt, wie ein anstürmendes Reiterregiment in einer windsbrautähnlichen Galoppe einher wüthen, bleich von wahnsinnigem Taumel, nicht roth von Fröhlichkeit und Lust; wenn sie sich überbietet an cynischer, jede Bezeichnung unmöglich machender Unfläthigkeit; wenn jeder Vorhang weggezogen wird von Laster und Verworfenheit; die Municipalgarde dort einen beim Kragen nimmt, da einen aus dem Tanzsaale führt, dann wird wohl Niemand in Zweifel seyn über den Standpunkt, den das Volk, als solches, in beiden Städten einnimmt, noch, wo die Cultur mehr in die Massen gedrungen sey, wie viel geistige Anlage die Franzosen auch sonst für sich in Anspruch nehmen können. -

Seit einigen Tagen bieten die Glashäuser unseres berühmten Reisenden, Baron Karl Hügel zu Hietzing, einen Anblick so eigenthümlichen Reizes dar, daß man wie in einer Procession nach diesen zaubervollen Blumenhallen wallfahrtet. Eine ungeheure Menge, zum Theil baumhoher Camellien in der üppigsten, farbigsten Blüthenpracht, nebst einem Hyacinthenflor, an Größe der Blumen und seltenen Farben gleichfalls nie so gesehen, bilden eine Ausstellung, die durch eine ganz auserlesenen Geschmack in der Anordnung zu einer in ihrer Art einzigen Schau einladet.

Seit kurzem erscheint hier eine neue Zeitschrift: "Der österreichische

am höchsten Begabten! Hr. Marmier freilich denkt anders – nach ihm ist so ziemlich unsere ganze Litteratur traumselig über den Trophäen der Vergangenheit entschlummert und wir zehren nur noch in kümmerlichem Winterschlaf von dem Erntevorrath unserer Väter. Lasse der Fremde sich denn einfach ohne Spott und Zorn gesagen, daß er von diesen Dingen nichts verstehe. Wer die künftigen Entwickelungen des deutschen Volkes erkennen will, der muß sein Ohr an dessen Brust legen und durch alle Schnürbrüste hindurch den geheimen Schlag des deutschen Herzens verstehen, er muß mehr aus Schweigen und aus der Art dieses Schweigens, als aus lautem Reden, auguriren. Offenbar ist unsere Litteratur bis jetzt erst ein Bruchstück; nach vielen Seiten hin sind noch nicht einmal die Grundlagen eingesenkt, geschweige denn, daß wir schon daran wären, die letzten Pfeiler mit Zierrathen und Blumengewinden zu schmücken. Die Zeit seiner rechten Tragiker, Komöden, Geschichtschreiber, Redner, Publicisten soll für Deutschland erst kommen. Hätten wir augenblicklich einen Aristophanes, wer weiß, wir wiesen ihn außer Landes! Sie wird kommen jene Zeit, .... vielleicht erst, wenn schon das Gras über unsern Grabhügeln im Winde schwankt .... aber einmal gewiß, wenn sich das Bewußtseyn der Nation mit Thaten erfüllt und der Deutsche als Volk seine große Sendung und Stellung inmitten der Geschichte begriffen haben wird.

Wiener Briefe.

(Wegen Ueberdrangs politischen Stoffs um ein paar Wochen verspätet.)

Der Fasching ist zu Ende, die Klänge der Musik verstummen, die Lichter verlöschen, und der fröhliche Taumel macht wieder dem ruhigen Gange und der gewohnten Lebensweise Platz. Indeß würde man sich sehr irren, wollte man annehmen, nach der Zeit der Winterfreuden und der Aufregung sey gänzliche Aspannung und Monotonie eingetreten; dazu kommt es hier selten, dazu rollt das Blut in den Adern der Wiener zu leicht und fröhlich, und immer, auch im vollsten Drange der Beschäftigung und des Gewerbes, hat jeder Tag seinen Abend. Die letzten Wochen des Faschings sind immer die belebtesten, und die glänzendsten Feste werden gegen das Ende aufgespart. Ein solches war ein vom Fürsten Adolf Schwarzenberg gegebener Ball in seinem Gartenpalaste auf dem Rennwege. Das Gebäude selbst bietet an alterthümlicher Pracht, was der heutige Modegeschmack vergebens mit ungeheuren Summen herbeizuschaffen trachtet, und die majestätische Rotunda des Einganges mit ihrer Kuppel, ihren Fresken und Vergoldungen, die prächtige, die ganze Länge des Gebäudes hinablaufende Galerie, so wie die grandiose Dimension und der imposante Baustyl der übrigen Säle dürfte sich schwerlich so leicht wieder vorfinden, vermöchte auch ein gleich guter Geschmack und eine gleich splendide Gastlichkeit, wie die des Fürsten, diese Rotunda ebenfalls in einen lachenden Blumentempel voll blühender Bäume, Sträucher und sprudelnder Brunnen zu verwandeln, diese mit zehntausend Kerzen erleuchteten Säle mit eben solcher Mährchenpracht auszustatten und jene herrliche Galerie in einen eben so glänzenden Speisesaal umzuformen! – Und fände sich alles das glücklich zusammen, wo fände sich die anmuth- und schönheitstrahlende Fürstin, die in diesen Räumen mit wahrhaft bezaubernder Freundlichkeit und Grazie waltete? – Diesem Feste folgte ein prächtiger Ball bei Sr. königl. Hoheit dem Prinzen Wasa, und der sogenannte „Lange Tag;“ ein Ball, der am Faschingdienstage um zwei Uhr Mittags bei Tageslichte anfängt und bis zum Aschermittwoch währt, und der sich seit vielen Jahren immer im Hause des russischen Botschafters v. Tatitscheff wiederholt, beschloß die Faschingsvergnügungen der großen Welt.

Wirft man einen Blick in die Säle zum „Sperl“ und zur „Birne“ so überzeugt man sich, daß der Volkslust kein geringerer und kaum ein minder glänzender Antheil an Vergnügungen zugemessen ist. Dabei tritt wieder der vielfach gerühmte Volkscharakter zu seinem großen Vortheile hervor. Welch ein Unterschied zwischen einem Ball Musard oder Valentino in Paris, und einem Balle beim Sperl oder in der Birne zu Wien! – Schon der erste Anblick ist auffallend, und doch sind die gesellschaftlichen Kategorien beider ziemlich dieselben. Hier ein paar Tausend, nicht nur anständig, sondern wahrhaft elegant und ballmäßig gekleideter Menschen, fast alle aus dem gewerbtreibenden Mittelstande; ein Cotillon von mehr als hundertfünfzig Paaren, die in ihrer Haltung und äußeren Erscheinung durchaus keinen Mangel an Erziehung wahrnehmen lassen; nirgends die geringste Unanständigkeit. Und dennoch steigert sich die Fröhlichkeit zu ihrer möglichsten Höhe. Schreiber dieser Zeilen ist ein Feind jeder falschen Pruderie, die weit seltener ein Zeugniß für die Sittlichkeit als gegen dieselbe ist; ein bewegtes Leben hat ihn den Blick in manche Region menschlicher Schwächen und Thorheiten werfen lassen; wer aber eine Orgie, wie die genannten in Paris, ohne tiefsten moralischen und physischen Ekel ansehen kann, der muß mit stärkeren Organen ausgerüstet seyn als ich sie besitze. Schon der erste oberflächliche Anblick constatirt den Unterschied zwischen den Volksvergnügungen beider Städte. Welch ein Typus von Gemeinheit in der guten Hälfte der Besucher Musard's! Ein großer Theil, auch der Frauen, schlecht gekleidet; Leute in Menge, von denen man es dem zehnten Gesichte ansieht, daß dem Eigenthümer dieser interessanten Physiognomie das T. F. auf den Rücken gebrannt ist. Man begreift auf der Stelle, daß die Municipalgarden, die den Saal militärisch besetzt halten, hier nicht zum eigenen Vergnügen herumstehen. – So ist der Anblick der Gesellschaft zu Anfang des Balles; man kann nicht sagen, daß sie keine Bedenklichkeiten einflößte! Wenn aber diese Masse anfängt in selbstgesteigerter Tollheit zu rasen, die Musik schallt, die Tänzer wie ein von Bremsen gejagtes wildes Gestüt, wie ein anstürmendes Reiterregiment in einer windsbrautähnlichen Galoppe einher wüthen, bleich von wahnsinnigem Taumel, nicht roth von Fröhlichkeit und Lust; wenn sie sich überbietet an cynischer, jede Bezeichnung unmöglich machender Unfläthigkeit; wenn jeder Vorhang weggezogen wird von Laster und Verworfenheit; die Municipalgarde dort einen beim Kragen nimmt, da einen aus dem Tanzsaale führt, dann wird wohl Niemand in Zweifel seyn über den Standpunkt, den das Volk, als solches, in beiden Städten einnimmt, noch, wo die Cultur mehr in die Massen gedrungen sey, wie viel geistige Anlage die Franzosen auch sonst für sich in Anspruch nehmen können. –

Seit einigen Tagen bieten die Glashäuser unseres berühmten Reisenden, Baron Karl Hügel zu Hietzing, einen Anblick so eigenthümlichen Reizes dar, daß man wie in einer Procession nach diesen zaubervollen Blumenhallen wallfahrtet. Eine ungeheure Menge, zum Theil baumhoher Camellien in der üppigsten, farbigsten Blüthenpracht, nebst einem Hyacinthenflor, an Größe der Blumen und seltenen Farben gleichfalls nie so gesehen, bilden eine Ausstellung, die durch eine ganz auserlesenen Geschmack in der Anordnung zu einer in ihrer Art einzigen Schau einladet.

Seit kurzem erscheint hier eine neue Zeitschrift: „Der österreichische

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[0843/0011] am höchsten Begabten! Hr. Marmier freilich denkt anders – nach ihm ist so ziemlich unsere ganze Litteratur traumselig über den Trophäen der Vergangenheit entschlummert und wir zehren nur noch in kümmerlichem Winterschlaf von dem Erntevorrath unserer Väter. Lasse der Fremde sich denn einfach ohne Spott und Zorn gesagen, daß er von diesen Dingen nichts verstehe. Wer die künftigen Entwickelungen des deutschen Volkes erkennen will, der muß sein Ohr an dessen Brust legen und durch alle Schnürbrüste hindurch den geheimen Schlag des deutschen Herzens verstehen, er muß mehr aus Schweigen und aus der Art dieses Schweigens, als aus lautem Reden, auguriren. Offenbar ist unsere Litteratur bis jetzt erst ein Bruchstück; nach vielen Seiten hin sind noch nicht einmal die Grundlagen eingesenkt, geschweige denn, daß wir schon daran wären, die letzten Pfeiler mit Zierrathen und Blumengewinden zu schmücken. Die Zeit seiner rechten Tragiker, Komöden, Geschichtschreiber, Redner, Publicisten soll für Deutschland erst kommen. Hätten wir augenblicklich einen Aristophanes, wer weiß, wir wiesen ihn außer Landes! Sie wird kommen jene Zeit, .... vielleicht erst, wenn schon das Gras über unsern Grabhügeln im Winde schwankt .... aber einmal gewiß, wenn sich das Bewußtseyn der Nation mit Thaten erfüllt und der Deutsche als Volk seine große Sendung und Stellung inmitten der Geschichte begriffen haben wird. Wiener Briefe. (Wegen Ueberdrangs politischen Stoffs um ein paar Wochen verspätet.) Der Fasching ist zu Ende, die Klänge der Musik verstummen, die Lichter verlöschen, und der fröhliche Taumel macht wieder dem ruhigen Gange und der gewohnten Lebensweise Platz. Indeß würde man sich sehr irren, wollte man annehmen, nach der Zeit der Winterfreuden und der Aufregung sey gänzliche Aspannung und Monotonie eingetreten; dazu kommt es hier selten, dazu rollt das Blut in den Adern der Wiener zu leicht und fröhlich, und immer, auch im vollsten Drange der Beschäftigung und des Gewerbes, hat jeder Tag seinen Abend. Die letzten Wochen des Faschings sind immer die belebtesten, und die glänzendsten Feste werden gegen das Ende aufgespart. Ein solches war ein vom Fürsten Adolf Schwarzenberg gegebener Ball in seinem Gartenpalaste auf dem Rennwege. Das Gebäude selbst bietet an alterthümlicher Pracht, was der heutige Modegeschmack vergebens mit ungeheuren Summen herbeizuschaffen trachtet, und die majestätische Rotunda des Einganges mit ihrer Kuppel, ihren Fresken und Vergoldungen, die prächtige, die ganze Länge des Gebäudes hinablaufende Galerie, so wie die grandiose Dimension und der imposante Baustyl der übrigen Säle dürfte sich schwerlich so leicht wieder vorfinden, vermöchte auch ein gleich guter Geschmack und eine gleich splendide Gastlichkeit, wie die des Fürsten, diese Rotunda ebenfalls in einen lachenden Blumentempel voll blühender Bäume, Sträucher und sprudelnder Brunnen zu verwandeln, diese mit zehntausend Kerzen erleuchteten Säle mit eben solcher Mährchenpracht auszustatten und jene herrliche Galerie in einen eben so glänzenden Speisesaal umzuformen! – Und fände sich alles das glücklich zusammen, wo fände sich die anmuth- und schönheitstrahlende Fürstin, die in diesen Räumen mit wahrhaft bezaubernder Freundlichkeit und Grazie waltete? – Diesem Feste folgte ein prächtiger Ball bei Sr. königl. Hoheit dem Prinzen Wasa, und der sogenannte „Lange Tag;“ ein Ball, der am Faschingdienstage um zwei Uhr Mittags bei Tageslichte anfängt und bis zum Aschermittwoch währt, und der sich seit vielen Jahren immer im Hause des russischen Botschafters v. Tatitscheff wiederholt, beschloß die Faschingsvergnügungen der großen Welt. Wirft man einen Blick in die Säle zum „Sperl“ und zur „Birne“ so überzeugt man sich, daß der Volkslust kein geringerer und kaum ein minder glänzender Antheil an Vergnügungen zugemessen ist. Dabei tritt wieder der vielfach gerühmte Volkscharakter zu seinem großen Vortheile hervor. Welch ein Unterschied zwischen einem Ball Musard oder Valentino in Paris, und einem Balle beim Sperl oder in der Birne zu Wien! – Schon der erste Anblick ist auffallend, und doch sind die gesellschaftlichen Kategorien beider ziemlich dieselben. Hier ein paar Tausend, nicht nur anständig, sondern wahrhaft elegant und ballmäßig gekleideter Menschen, fast alle aus dem gewerbtreibenden Mittelstande; ein Cotillon von mehr als hundertfünfzig Paaren, die in ihrer Haltung und äußeren Erscheinung durchaus keinen Mangel an Erziehung wahrnehmen lassen; nirgends die geringste Unanständigkeit. Und dennoch steigert sich die Fröhlichkeit zu ihrer möglichsten Höhe. Schreiber dieser Zeilen ist ein Feind jeder falschen Pruderie, die weit seltener ein Zeugniß für die Sittlichkeit als gegen dieselbe ist; ein bewegtes Leben hat ihn den Blick in manche Region menschlicher Schwächen und Thorheiten werfen lassen; wer aber eine Orgie, wie die genannten in Paris, ohne tiefsten moralischen und physischen Ekel ansehen kann, der muß mit stärkeren Organen ausgerüstet seyn als ich sie besitze. Schon der erste oberflächliche Anblick constatirt den Unterschied zwischen den Volksvergnügungen beider Städte. Welch ein Typus von Gemeinheit in der guten Hälfte der Besucher Musard's! Ein großer Theil, auch der Frauen, schlecht gekleidet; Leute in Menge, von denen man es dem zehnten Gesichte ansieht, daß dem Eigenthümer dieser interessanten Physiognomie das T. F. auf den Rücken gebrannt ist. Man begreift auf der Stelle, daß die Municipalgarden, die den Saal militärisch besetzt halten, hier nicht zum eigenen Vergnügen herumstehen. – So ist der Anblick der Gesellschaft zu Anfang des Balles; man kann nicht sagen, daß sie keine Bedenklichkeiten einflößte! Wenn aber diese Masse anfängt in selbstgesteigerter Tollheit zu rasen, die Musik schallt, die Tänzer wie ein von Bremsen gejagtes wildes Gestüt, wie ein anstürmendes Reiterregiment in einer windsbrautähnlichen Galoppe einher wüthen, bleich von wahnsinnigem Taumel, nicht roth von Fröhlichkeit und Lust; wenn sie sich überbietet an cynischer, jede Bezeichnung unmöglich machender Unfläthigkeit; wenn jeder Vorhang weggezogen wird von Laster und Verworfenheit; die Municipalgarde dort einen beim Kragen nimmt, da einen aus dem Tanzsaale führt, dann wird wohl Niemand in Zweifel seyn über den Standpunkt, den das Volk, als solches, in beiden Städten einnimmt, noch, wo die Cultur mehr in die Massen gedrungen sey, wie viel geistige Anlage die Franzosen auch sonst für sich in Anspruch nehmen können. – Seit einigen Tagen bieten die Glashäuser unseres berühmten Reisenden, Baron Karl Hügel zu Hietzing, einen Anblick so eigenthümlichen Reizes dar, daß man wie in einer Procession nach diesen zaubervollen Blumenhallen wallfahrtet. Eine ungeheure Menge, zum Theil baumhoher Camellien in der üppigsten, farbigsten Blüthenpracht, nebst einem Hyacinthenflor, an Größe der Blumen und seltenen Farben gleichfalls nie so gesehen, bilden eine Ausstellung, die durch eine ganz auserlesenen Geschmack in der Anordnung zu einer in ihrer Art einzigen Schau einladet. Seit kurzem erscheint hier eine neue Zeitschrift: „Der österreichische

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 106. Augsburg, 15. April 1840, S. 0843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_106_18400415/11>, abgerufen am 01.05.2024.