Allgemeine Zeitung. Nr. 106. Augsburg, 15. April 1840.gefallen lassen! Uns will es umgekehrt scheinen, als ob der Styl der namentlich jüngeren Schule so ziemlich uniformirt sey und sich in eine gewisse schwächliche Allgemeinheit und Gleichförmigkeit verflache. Allerdings, hohe Fluth an Schriftstellern ist da, aber Ebbe, ziemliche Ebbe an eigenthümlichen Naturen! Mit wenigen Ausnahmen hat das letzte Jahrzehnt fast nur Geister zweiten Ranges gezeitigt, solche, die unvermögend sind, mit wahrhaft neuen originalen Gedanken an die Spitze der Bewegung zu treten, aber wunderbar geschickt, die laufende Scheidemünze der Zeit immer neu wieder auszuprägen - Krieger genug, aber wenig "Herzoge deutschen Geistes"! Dasselbe Verhältniß wiederholt sich in der Darstellung. Sie entbehrt in der Regel des reizenden Duftes einer geistigen Individualität, und eben der Styl wird an der Mehrzahl unserer Schriftsteller zum Verräther, daß sie eben nichts sind, als ein Ausdruck geschulter Mittelmäßigkeit, daß der Dilettantismus der Bildung aus ihnen spricht, aber nicht die Inspiration des Talents. Marmier tadelt ferner die schwerfällige Schulgelehrsamkeit und abstracte Unverständlichkeit der deutschen Philosophie; ja er scheint in seiner Spottlust nicht übel geneigt, ihr allen praktisch bildenden Werth abzusprechen, und sie mit der Scholastik des Mittelalters in einen Topf zu werfen. Diesen Spott vergeben wir dem Fremden gern, denn er entspringt im Grund aus Aerger; aber auch in Deutschland ertönt dieses Klagelied von Zeit zu Zeit, freilich zumeist aus dem Munde der klugen Leute, die gern der freien Aussicht von hohen Bergen genießen möchten, wenn nur nicht das Bergsteigen eine so beschwerliche Sache wäre! Es ist eine Krankheit unserer encyklopädischen Zeit, daß sie die Anstrengung eines ernsten nachhaltigen Denkens in ihrer Flüchtigkeit scheut, gleichwohl aber mit den Resultaten desselben äußerlich großthun möchte. Auf solche Zumuthungen ist die Philosophie, deren unsterbliches Verdienst um jede wahrhafte Emancipation des deutschen Geistes seit fünfzig Jahren kein Hellsehender verkennen wird, bisher nicht eingegangen und mit Recht. Philosophie ist nicht für Dilettanten. Wer ihrer Resultate sich erfreuen will, der bemächtige sich erst ihrer Methode. Gegründeter als jener Vorwurf aus dem Munde fauler Oberflächlichkeit dürfte vom deutschen Standpunkt aus die Bemerkung erscheinen, daß die Nation noch immer keinen würdigen geistigen Mittelstand zwischen eigentlichen Gelehrten und praktischen Geschäftsmännern besitzt, daß sich noch immer in den Individuen keine rechte Vermittlung zwischen Theorie und Praxis - diese in ihrer Wirkung auf die allgemeinen volksthümlichen Interessen betrachtet - vollziehen will. Schriften, die, wie zum Beispiel das von Ihnen mitgetheilte Memorandum Bremens an den deutschen Zollverein, mit der großen Auffassung eines Nationalinteresses und unterrichteter Sachkenntniß zugleich eine die Massen überzeugende und gewinnende Popularität des Wortes verbänden - solche Schriften gehören in Deutschland zu den seltensten Erscheinungen. Der Gelehrte, aus seiner ideellen Welt in die Wirklichkeit des Lebens hinüberschreitend, wird dunkel, weitschweifig, doctrinär, der Praktiker umgekehrt, aller ideellen Anschauungen entbehrend, engherzig und trostlos trivial. Wie wenig haben Presse und ständische Rednerbühne in Deutschland bisher, wir sagen nicht ihren Beruf, aber die Mittel ihres Berufs und die Form dieser Mittel verstanden! Wie selten erscheint unter Deutschen das freie Geschick, eine große Sache groß aufzunehmen, sie leicht und klar aus dem Hintergrunde der Zeit in ihrem eigensten Wesen hervorleuchten zu lassen und sie sodann kurz, keck, kraftvoll der Theilnahme des Volks zu empfehlen! Eine Fülle ernster Betrachtungen eröffnet sich auf diesem Punkte; sie läßt sich zusammenfassen in der einen Frage: wo sollen die Meister sich bilden, wenn man ihnen die Schule geschlossen hält? ... Marmier erwähnt ferner der Uebersetzungswuth der Deutschen; er findet unsere Demuth den Litteraturen des Auslandes gegenüber wunderlich, da wir doch die einheimischen Talente, selbst die größten, schonungslos beurtheilen, und bei ihnen vor lauter Skepsis der Kritik gar nicht zum vollen reinen Genuß kommen! Diese eiternde Pestbeule unserer Litteratur soll man nicht mit Schönrednereien überkleben; im Gegentheil man möchte eher noch Salz in die offene Wunde streuen, damit der Schmerz desto heftiger werde und die reagirende Natur sich des fremden Giftstoffs desto rascher entledige. Zwar ist dieß Uebel alt und eingewurzelt in Deutschland; aber so ohne Zucht und Wahl, so mit dreister Stirn, so schamlos ins Große hinein ist dieser litterarische Trödelhandel noch nie getrieben worden, wie in neuester Zeit. Wir übersetzen die Meisterwerke fremder Litteraturen, das ist löblich; wir übersetzen ihr Mittelgut, das möchte hingehen; aber wir übersetzen auch das Schlechteste und Gemeinste - Werke von aller sittlichen Gesinnung, wie von jedem höheren Schönheitsreiz entblößt - Werke, die jeder Gebildete des Volks, dem wir sie entnehmen, gelesen zu haben sich schämen würde - und wir übersetzen diese Misere in ganzen Quantitäten! Gegen diesen Unfug sollte sich die öffentliche Meinung in Deutschland mit stärkerer Energie als bisher aussprechen, und die Kritik sollte nicht müde werden, die Bänke dieser Wucherer im Tempel des deutschen Geistes immer wieder umzustürzen! Schlagen wir auch die Wirkung solcher litterarischen Manufacte auf die sittliche und ästhetische Bildung der Nation nicht hoch an, indem einestheils das Volk im Ganzen und Großen in Deutschland der Litteratur noch ziemlich fern steht, anderntheils der Adel ächter deutscher Bildung in sich selbst vor den Einflüssen solcher Erbärmlichkeiten gesichert ist, so ist es doch klar, daß der äußerliche Wirkungskreis der einheimischen Litteratur dadurch verengert, und das Ausland, das französische zumal, in seinen Vorurtheilen von der geistigen Armuth und Demuth der Deutschen bestärkt werden müsse. Eine solche Armuth und Demuth weisen wir denn freilich unsererseits aufs entschiedenste zurück. Wir achten unsere große Vergangenheit, aber wir glauben auch zutrauensvoll an eine große Zukunft unseres Volkes. Und insofern die Litteratur die geistige Spiegelung der Gegenwart ist, so wissen wir wohl, daß diese Gegenwart in schöpferischem Reichthum zurücksteht hinter der glorreichen Entfaltung deutschen Geistes zu Anfang des Jahrhunderts; wir wissen, daß wir weniger reich, aber darum noch nicht arm geworden sind, zum mindesten nicht arm im Vergleich mit dem Schriftenthum unserer Nachbarn. Welchen großen Dichter - Georges Sand ausgenommen, der ein solcher ist trotz aller Schwächen und Verirrungen - hätte denn etwa das letzte Jahrzehnt in Frankreich gezeitigt? Wo hätte die französische Litteratur in neuester Zeit einen Roman aufzuweisen, so durchhaucht von intuitiver Poesie, wie die hohe Braut oder Scipio Cicala, so voll granitener Charakeristik und verwegenen Humors, wie Immermanns Münchhausen? Noch werfen einzelne Spätlinge unserer großen Epoche einen weiten Schatten in die Gegenwart herüber; aber auch unter den Jüngern sproßt manches herrliche Talent, freilich nicht im gleichen Verhältniß zu der unmäßig anschwellenden Fluth der Schriftsteller und Bücher. Wir haben das Epigonengerede von Herzen satt und müde. War Goethe nach vielen Richtungen unserer geistigen Bewegung hin der Erste und der Größte - gut! - nach andern war er weder der Erste noch der Größte, und sicher wird er nicht der Letzte seyn. Der Geist eines Volkes lebt sich in einem Einzelnen nicht aus, selbst nicht in dem gefallen lassen! Uns will es umgekehrt scheinen, als ob der Styl der namentlich jüngeren Schule so ziemlich uniformirt sey und sich in eine gewisse schwächliche Allgemeinheit und Gleichförmigkeit verflache. Allerdings, hohe Fluth an Schriftstellern ist da, aber Ebbe, ziemliche Ebbe an eigenthümlichen Naturen! Mit wenigen Ausnahmen hat das letzte Jahrzehnt fast nur Geister zweiten Ranges gezeitigt, solche, die unvermögend sind, mit wahrhaft neuen originalen Gedanken an die Spitze der Bewegung zu treten, aber wunderbar geschickt, die laufende Scheidemünze der Zeit immer neu wieder auszuprägen – Krieger genug, aber wenig „Herzoge deutschen Geistes“! Dasselbe Verhältniß wiederholt sich in der Darstellung. Sie entbehrt in der Regel des reizenden Duftes einer geistigen Individualität, und eben der Styl wird an der Mehrzahl unserer Schriftsteller zum Verräther, daß sie eben nichts sind, als ein Ausdruck geschulter Mittelmäßigkeit, daß der Dilettantismus der Bildung aus ihnen spricht, aber nicht die Inspiration des Talents. Marmier tadelt ferner die schwerfällige Schulgelehrsamkeit und abstracte Unverständlichkeit der deutschen Philosophie; ja er scheint in seiner Spottlust nicht übel geneigt, ihr allen praktisch bildenden Werth abzusprechen, und sie mit der Scholastik des Mittelalters in einen Topf zu werfen. Diesen Spott vergeben wir dem Fremden gern, denn er entspringt im Grund aus Aerger; aber auch in Deutschland ertönt dieses Klagelied von Zeit zu Zeit, freilich zumeist aus dem Munde der klugen Leute, die gern der freien Aussicht von hohen Bergen genießen möchten, wenn nur nicht das Bergsteigen eine so beschwerliche Sache wäre! Es ist eine Krankheit unserer encyklopädischen Zeit, daß sie die Anstrengung eines ernsten nachhaltigen Denkens in ihrer Flüchtigkeit scheut, gleichwohl aber mit den Resultaten desselben äußerlich großthun möchte. Auf solche Zumuthungen ist die Philosophie, deren unsterbliches Verdienst um jede wahrhafte Emancipation des deutschen Geistes seit fünfzig Jahren kein Hellsehender verkennen wird, bisher nicht eingegangen und mit Recht. Philosophie ist nicht für Dilettanten. Wer ihrer Resultate sich erfreuen will, der bemächtige sich erst ihrer Methode. Gegründeter als jener Vorwurf aus dem Munde fauler Oberflächlichkeit dürfte vom deutschen Standpunkt aus die Bemerkung erscheinen, daß die Nation noch immer keinen würdigen geistigen Mittelstand zwischen eigentlichen Gelehrten und praktischen Geschäftsmännern besitzt, daß sich noch immer in den Individuen keine rechte Vermittlung zwischen Theorie und Praxis – diese in ihrer Wirkung auf die allgemeinen volksthümlichen Interessen betrachtet – vollziehen will. Schriften, die, wie zum Beispiel das von Ihnen mitgetheilte Memorandum Bremens an den deutschen Zollverein, mit der großen Auffassung eines Nationalinteresses und unterrichteter Sachkenntniß zugleich eine die Massen überzeugende und gewinnende Popularität des Wortes verbänden – solche Schriften gehören in Deutschland zu den seltensten Erscheinungen. Der Gelehrte, aus seiner ideellen Welt in die Wirklichkeit des Lebens hinüberschreitend, wird dunkel, weitschweifig, doctrinär, der Praktiker umgekehrt, aller ideellen Anschauungen entbehrend, engherzig und trostlos trivial. Wie wenig haben Presse und ständische Rednerbühne in Deutschland bisher, wir sagen nicht ihren Beruf, aber die Mittel ihres Berufs und die Form dieser Mittel verstanden! Wie selten erscheint unter Deutschen das freie Geschick, eine große Sache groß aufzunehmen, sie leicht und klar aus dem Hintergrunde der Zeit in ihrem eigensten Wesen hervorleuchten zu lassen und sie sodann kurz, keck, kraftvoll der Theilnahme des Volks zu empfehlen! Eine Fülle ernster Betrachtungen eröffnet sich auf diesem Punkte; sie läßt sich zusammenfassen in der einen Frage: wo sollen die Meister sich bilden, wenn man ihnen die Schule geschlossen hält? ... Marmier erwähnt ferner der Uebersetzungswuth der Deutschen; er findet unsere Demuth den Litteraturen des Auslandes gegenüber wunderlich, da wir doch die einheimischen Talente, selbst die größten, schonungslos beurtheilen, und bei ihnen vor lauter Skepsis der Kritik gar nicht zum vollen reinen Genuß kommen! Diese eiternde Pestbeule unserer Litteratur soll man nicht mit Schönrednereien überkleben; im Gegentheil man möchte eher noch Salz in die offene Wunde streuen, damit der Schmerz desto heftiger werde und die reagirende Natur sich des fremden Giftstoffs desto rascher entledige. Zwar ist dieß Uebel alt und eingewurzelt in Deutschland; aber so ohne Zucht und Wahl, so mit dreister Stirn, so schamlos ins Große hinein ist dieser litterarische Trödelhandel noch nie getrieben worden, wie in neuester Zeit. Wir übersetzen die Meisterwerke fremder Litteraturen, das ist löblich; wir übersetzen ihr Mittelgut, das möchte hingehen; aber wir übersetzen auch das Schlechteste und Gemeinste – Werke von aller sittlichen Gesinnung, wie von jedem höheren Schönheitsreiz entblößt – Werke, die jeder Gebildete des Volks, dem wir sie entnehmen, gelesen zu haben sich schämen würde – und wir übersetzen diese Misere in ganzen Quantitäten! Gegen diesen Unfug sollte sich die öffentliche Meinung in Deutschland mit stärkerer Energie als bisher aussprechen, und die Kritik sollte nicht müde werden, die Bänke dieser Wucherer im Tempel des deutschen Geistes immer wieder umzustürzen! Schlagen wir auch die Wirkung solcher litterarischen Manufacte auf die sittliche und ästhetische Bildung der Nation nicht hoch an, indem einestheils das Volk im Ganzen und Großen in Deutschland der Litteratur noch ziemlich fern steht, anderntheils der Adel ächter deutscher Bildung in sich selbst vor den Einflüssen solcher Erbärmlichkeiten gesichert ist, so ist es doch klar, daß der äußerliche Wirkungskreis der einheimischen Litteratur dadurch verengert, und das Ausland, das französische zumal, in seinen Vorurtheilen von der geistigen Armuth und Demuth der Deutschen bestärkt werden müsse. Eine solche Armuth und Demuth weisen wir denn freilich unsererseits aufs entschiedenste zurück. Wir achten unsere große Vergangenheit, aber wir glauben auch zutrauensvoll an eine große Zukunft unseres Volkes. Und insofern die Litteratur die geistige Spiegelung der Gegenwart ist, so wissen wir wohl, daß diese Gegenwart in schöpferischem Reichthum zurücksteht hinter der glorreichen Entfaltung deutschen Geistes zu Anfang des Jahrhunderts; wir wissen, daß wir weniger reich, aber darum noch nicht arm geworden sind, zum mindesten nicht arm im Vergleich mit dem Schriftenthum unserer Nachbarn. Welchen großen Dichter – Georges Sand ausgenommen, der ein solcher ist trotz aller Schwächen und Verirrungen – hätte denn etwa das letzte Jahrzehnt in Frankreich gezeitigt? Wo hätte die französische Litteratur in neuester Zeit einen Roman aufzuweisen, so durchhaucht von intuitiver Poesie, wie die hohe Braut oder Scipio Cicala, so voll granitener Charakeristik und verwegenen Humors, wie Immermanns Münchhausen? Noch werfen einzelne Spätlinge unserer großen Epoche einen weiten Schatten in die Gegenwart herüber; aber auch unter den Jüngern sproßt manches herrliche Talent, freilich nicht im gleichen Verhältniß zu der unmäßig anschwellenden Fluth der Schriftsteller und Bücher. Wir haben das Epigonengerede von Herzen satt und müde. War Goethe nach vielen Richtungen unserer geistigen Bewegung hin der Erste und der Größte – gut! – nach andern war er weder der Erste noch der Größte, und sicher wird er nicht der Letzte seyn. Der Geist eines Volkes lebt sich in einem Einzelnen nicht aus, selbst nicht in dem <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="0842"/> gefallen lassen! Uns will es umgekehrt scheinen, als ob der Styl der namentlich jüngeren Schule so ziemlich uniformirt sey und sich in eine gewisse schwächliche Allgemeinheit und Gleichförmigkeit verflache. 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Sie entbehrt in der Regel des reizenden Duftes einer geistigen Individualität, und eben der Styl wird an der Mehrzahl unserer Schriftsteller zum Verräther, daß sie eben nichts sind, als ein Ausdruck geschulter Mittelmäßigkeit, daß der Dilettantismus der Bildung aus ihnen spricht, aber nicht die Inspiration des Talents.</p><lb/> <p>Marmier tadelt ferner die schwerfällige Schulgelehrsamkeit und abstracte Unverständlichkeit der deutschen Philosophie; ja er scheint in seiner Spottlust nicht übel geneigt, ihr allen praktisch bildenden Werth abzusprechen, und sie mit der Scholastik des Mittelalters in einen Topf zu werfen. Diesen Spott vergeben wir dem Fremden gern, denn er entspringt im Grund aus Aerger; aber auch in Deutschland ertönt dieses Klagelied von Zeit zu Zeit, freilich zumeist aus dem Munde der klugen Leute, die gern der freien Aussicht von hohen Bergen genießen möchten, wenn nur nicht das Bergsteigen eine so beschwerliche Sache wäre! Es ist eine Krankheit unserer encyklopädischen Zeit, daß sie die Anstrengung eines ernsten nachhaltigen Denkens in ihrer Flüchtigkeit scheut, gleichwohl aber mit den Resultaten desselben äußerlich großthun möchte. Auf solche Zumuthungen ist die Philosophie, deren unsterbliches Verdienst um jede wahrhafte Emancipation des deutschen Geistes seit fünfzig Jahren kein Hellsehender verkennen wird, bisher nicht eingegangen und mit Recht. Philosophie ist nicht für Dilettanten. Wer ihrer Resultate sich erfreuen will, der bemächtige sich erst ihrer Methode. Gegründeter als jener Vorwurf aus dem Munde fauler Oberflächlichkeit dürfte vom deutschen Standpunkt aus die Bemerkung erscheinen, daß die Nation noch immer keinen würdigen geistigen Mittelstand zwischen eigentlichen Gelehrten und praktischen Geschäftsmännern besitzt, daß sich noch immer in den Individuen keine rechte Vermittlung zwischen Theorie und Praxis – diese in ihrer Wirkung auf die allgemeinen volksthümlichen Interessen betrachtet – vollziehen will. Schriften, die, wie zum Beispiel das von Ihnen mitgetheilte Memorandum Bremens an den deutschen Zollverein, mit der großen Auffassung eines Nationalinteresses und unterrichteter Sachkenntniß zugleich eine die Massen überzeugende und gewinnende Popularität des Wortes verbänden – solche Schriften gehören in Deutschland zu den seltensten Erscheinungen. Der Gelehrte, aus seiner ideellen Welt in die Wirklichkeit des Lebens hinüberschreitend, wird dunkel, weitschweifig, doctrinär, der Praktiker umgekehrt, aller ideellen Anschauungen entbehrend, engherzig und trostlos trivial. Wie wenig haben Presse und ständische Rednerbühne in Deutschland bisher, wir sagen nicht ihren Beruf, aber die Mittel ihres Berufs und die Form dieser Mittel verstanden! Wie selten erscheint unter Deutschen das freie Geschick, eine große Sache groß aufzunehmen, sie leicht und klar aus dem Hintergrunde der Zeit in ihrem eigensten Wesen hervorleuchten zu lassen und sie sodann kurz, keck, kraftvoll der Theilnahme des Volks zu empfehlen! 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Zwar ist dieß Uebel alt und eingewurzelt in Deutschland; aber so ohne Zucht und Wahl, so mit dreister Stirn, so schamlos ins Große hinein ist dieser litterarische Trödelhandel noch nie getrieben worden, wie in neuester Zeit. Wir übersetzen die Meisterwerke fremder Litteraturen, das ist löblich; wir übersetzen ihr Mittelgut, das möchte hingehen; aber wir übersetzen auch das Schlechteste und Gemeinste – Werke von aller sittlichen Gesinnung, wie von jedem höheren Schönheitsreiz entblößt – Werke, die jeder Gebildete des Volks, dem wir sie entnehmen, gelesen zu haben sich schämen würde – und wir übersetzen diese Misere in ganzen Quantitäten! Gegen diesen Unfug sollte sich die öffentliche Meinung in Deutschland mit stärkerer Energie als bisher aussprechen, und die Kritik sollte nicht müde werden, die Bänke dieser Wucherer im Tempel des deutschen Geistes immer wieder umzustürzen! Schlagen wir auch die Wirkung solcher litterarischen Manufacte auf die sittliche und ästhetische Bildung der Nation nicht hoch an, indem einestheils das Volk im Ganzen und Großen in Deutschland der Litteratur noch ziemlich fern steht, anderntheils der Adel ächter deutscher Bildung in sich selbst vor den Einflüssen solcher Erbärmlichkeiten gesichert ist, so ist es doch klar, daß der äußerliche Wirkungskreis der einheimischen Litteratur dadurch verengert, und das Ausland, das französische zumal, in seinen Vorurtheilen von der geistigen Armuth und Demuth der Deutschen bestärkt werden müsse.</p><lb/> <p>Eine solche Armuth und Demuth weisen wir denn freilich unsererseits aufs entschiedenste zurück. Wir achten unsere große Vergangenheit, aber wir glauben auch zutrauensvoll an eine große Zukunft unseres Volkes. 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Noch werfen einzelne Spätlinge unserer großen Epoche einen weiten Schatten in die Gegenwart herüber; aber auch unter den Jüngern sproßt manches herrliche Talent, freilich nicht im gleichen Verhältniß zu der unmäßig anschwellenden Fluth der Schriftsteller und Bücher. Wir haben das Epigonengerede von Herzen satt und müde. War Goethe nach vielen Richtungen unserer geistigen Bewegung hin der Erste und der Größte – gut! – nach andern war er weder der Erste noch der Größte, und sicher wird er nicht der Letzte seyn. Der Geist eines Volkes lebt sich in einem Einzelnen nicht aus, selbst nicht in dem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0842/0010]
gefallen lassen! Uns will es umgekehrt scheinen, als ob der Styl der namentlich jüngeren Schule so ziemlich uniformirt sey und sich in eine gewisse schwächliche Allgemeinheit und Gleichförmigkeit verflache. Allerdings, hohe Fluth an Schriftstellern ist da, aber Ebbe, ziemliche Ebbe an eigenthümlichen Naturen! Mit wenigen Ausnahmen hat das letzte Jahrzehnt fast nur Geister zweiten Ranges gezeitigt, solche, die unvermögend sind, mit wahrhaft neuen originalen Gedanken an die Spitze der Bewegung zu treten, aber wunderbar geschickt, die laufende Scheidemünze der Zeit immer neu wieder auszuprägen – Krieger genug, aber wenig „Herzoge deutschen Geistes“! Dasselbe Verhältniß wiederholt sich in der Darstellung. Sie entbehrt in der Regel des reizenden Duftes einer geistigen Individualität, und eben der Styl wird an der Mehrzahl unserer Schriftsteller zum Verräther, daß sie eben nichts sind, als ein Ausdruck geschulter Mittelmäßigkeit, daß der Dilettantismus der Bildung aus ihnen spricht, aber nicht die Inspiration des Talents.
Marmier tadelt ferner die schwerfällige Schulgelehrsamkeit und abstracte Unverständlichkeit der deutschen Philosophie; ja er scheint in seiner Spottlust nicht übel geneigt, ihr allen praktisch bildenden Werth abzusprechen, und sie mit der Scholastik des Mittelalters in einen Topf zu werfen. Diesen Spott vergeben wir dem Fremden gern, denn er entspringt im Grund aus Aerger; aber auch in Deutschland ertönt dieses Klagelied von Zeit zu Zeit, freilich zumeist aus dem Munde der klugen Leute, die gern der freien Aussicht von hohen Bergen genießen möchten, wenn nur nicht das Bergsteigen eine so beschwerliche Sache wäre! Es ist eine Krankheit unserer encyklopädischen Zeit, daß sie die Anstrengung eines ernsten nachhaltigen Denkens in ihrer Flüchtigkeit scheut, gleichwohl aber mit den Resultaten desselben äußerlich großthun möchte. Auf solche Zumuthungen ist die Philosophie, deren unsterbliches Verdienst um jede wahrhafte Emancipation des deutschen Geistes seit fünfzig Jahren kein Hellsehender verkennen wird, bisher nicht eingegangen und mit Recht. Philosophie ist nicht für Dilettanten. Wer ihrer Resultate sich erfreuen will, der bemächtige sich erst ihrer Methode. Gegründeter als jener Vorwurf aus dem Munde fauler Oberflächlichkeit dürfte vom deutschen Standpunkt aus die Bemerkung erscheinen, daß die Nation noch immer keinen würdigen geistigen Mittelstand zwischen eigentlichen Gelehrten und praktischen Geschäftsmännern besitzt, daß sich noch immer in den Individuen keine rechte Vermittlung zwischen Theorie und Praxis – diese in ihrer Wirkung auf die allgemeinen volksthümlichen Interessen betrachtet – vollziehen will. Schriften, die, wie zum Beispiel das von Ihnen mitgetheilte Memorandum Bremens an den deutschen Zollverein, mit der großen Auffassung eines Nationalinteresses und unterrichteter Sachkenntniß zugleich eine die Massen überzeugende und gewinnende Popularität des Wortes verbänden – solche Schriften gehören in Deutschland zu den seltensten Erscheinungen. Der Gelehrte, aus seiner ideellen Welt in die Wirklichkeit des Lebens hinüberschreitend, wird dunkel, weitschweifig, doctrinär, der Praktiker umgekehrt, aller ideellen Anschauungen entbehrend, engherzig und trostlos trivial. Wie wenig haben Presse und ständische Rednerbühne in Deutschland bisher, wir sagen nicht ihren Beruf, aber die Mittel ihres Berufs und die Form dieser Mittel verstanden! Wie selten erscheint unter Deutschen das freie Geschick, eine große Sache groß aufzunehmen, sie leicht und klar aus dem Hintergrunde der Zeit in ihrem eigensten Wesen hervorleuchten zu lassen und sie sodann kurz, keck, kraftvoll der Theilnahme des Volks zu empfehlen! Eine Fülle ernster Betrachtungen eröffnet sich auf diesem Punkte; sie läßt sich zusammenfassen in der einen Frage: wo sollen die Meister sich bilden, wenn man ihnen die Schule geschlossen hält? ...
Marmier erwähnt ferner der Uebersetzungswuth der Deutschen; er findet unsere Demuth den Litteraturen des Auslandes gegenüber wunderlich, da wir doch die einheimischen Talente, selbst die größten, schonungslos beurtheilen, und bei ihnen vor lauter Skepsis der Kritik gar nicht zum vollen reinen Genuß kommen! Diese eiternde Pestbeule unserer Litteratur soll man nicht mit Schönrednereien überkleben; im Gegentheil man möchte eher noch Salz in die offene Wunde streuen, damit der Schmerz desto heftiger werde und die reagirende Natur sich des fremden Giftstoffs desto rascher entledige. Zwar ist dieß Uebel alt und eingewurzelt in Deutschland; aber so ohne Zucht und Wahl, so mit dreister Stirn, so schamlos ins Große hinein ist dieser litterarische Trödelhandel noch nie getrieben worden, wie in neuester Zeit. Wir übersetzen die Meisterwerke fremder Litteraturen, das ist löblich; wir übersetzen ihr Mittelgut, das möchte hingehen; aber wir übersetzen auch das Schlechteste und Gemeinste – Werke von aller sittlichen Gesinnung, wie von jedem höheren Schönheitsreiz entblößt – Werke, die jeder Gebildete des Volks, dem wir sie entnehmen, gelesen zu haben sich schämen würde – und wir übersetzen diese Misere in ganzen Quantitäten! Gegen diesen Unfug sollte sich die öffentliche Meinung in Deutschland mit stärkerer Energie als bisher aussprechen, und die Kritik sollte nicht müde werden, die Bänke dieser Wucherer im Tempel des deutschen Geistes immer wieder umzustürzen! Schlagen wir auch die Wirkung solcher litterarischen Manufacte auf die sittliche und ästhetische Bildung der Nation nicht hoch an, indem einestheils das Volk im Ganzen und Großen in Deutschland der Litteratur noch ziemlich fern steht, anderntheils der Adel ächter deutscher Bildung in sich selbst vor den Einflüssen solcher Erbärmlichkeiten gesichert ist, so ist es doch klar, daß der äußerliche Wirkungskreis der einheimischen Litteratur dadurch verengert, und das Ausland, das französische zumal, in seinen Vorurtheilen von der geistigen Armuth und Demuth der Deutschen bestärkt werden müsse.
Eine solche Armuth und Demuth weisen wir denn freilich unsererseits aufs entschiedenste zurück. Wir achten unsere große Vergangenheit, aber wir glauben auch zutrauensvoll an eine große Zukunft unseres Volkes. Und insofern die Litteratur die geistige Spiegelung der Gegenwart ist, so wissen wir wohl, daß diese Gegenwart in schöpferischem Reichthum zurücksteht hinter der glorreichen Entfaltung deutschen Geistes zu Anfang des Jahrhunderts; wir wissen, daß wir weniger reich, aber darum noch nicht arm geworden sind, zum mindesten nicht arm im Vergleich mit dem Schriftenthum unserer Nachbarn. Welchen großen Dichter – Georges Sand ausgenommen, der ein solcher ist trotz aller Schwächen und Verirrungen – hätte denn etwa das letzte Jahrzehnt in Frankreich gezeitigt? Wo hätte die französische Litteratur in neuester Zeit einen Roman aufzuweisen, so durchhaucht von intuitiver Poesie, wie die hohe Braut oder Scipio Cicala, so voll granitener Charakeristik und verwegenen Humors, wie Immermanns Münchhausen? Noch werfen einzelne Spätlinge unserer großen Epoche einen weiten Schatten in die Gegenwart herüber; aber auch unter den Jüngern sproßt manches herrliche Talent, freilich nicht im gleichen Verhältniß zu der unmäßig anschwellenden Fluth der Schriftsteller und Bücher. Wir haben das Epigonengerede von Herzen satt und müde. War Goethe nach vielen Richtungen unserer geistigen Bewegung hin der Erste und der Größte – gut! – nach andern war er weder der Erste noch der Größte, und sicher wird er nicht der Letzte seyn. Der Geist eines Volkes lebt sich in einem Einzelnen nicht aus, selbst nicht in dem
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
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