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Allgemeine Zeitung. Nr. 80. Augsburg, 20. März 1840.

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Absichten und seine Allianzen zu geben hat. Dieß geht offenbar aus den Debatten der Bureaux, wie sie das ministerielle Abendjournal mittheilt, hervor."

Der Moniteur enthält ein Umlaufschreiben des neuen Ministers des Innern, Hrn. v. Remusat, an die Präfecten über die Grundsätze, welche das Cabinet befolgen will. Wir entlehnen folgende Hauptstelle: "Das Cabinet, woran ich Theil zu nehmen die Ehre habe, unternimmt eine schwierige Aufgabe: es möchte der beständig zunehmenden Zersplitterung der Parteien ein Ende machen, und ein gemeinschaftliches Band zwischen allen auf eine ehrenhafte Weise vereinbaren Meinungen bilden. Ueberzeugt, daß Frankreich, mit der Gesammtheit seiner Institutionen zufrieden, bereit ist, deren Integrität nöthigenfalls sowohl gegen gewaltsame Angriffe, als gegen chimärische Hoffnungen zu vertheidigen, glaubt es, daß der Augenblick gekommen sey, eine ernstliche und dauerhafte Annäherung zwischen den aufrichtigen Männern, welche gleichmäßig die Grundsätze unserer Regierung achten, zu Stande zu bringen, und die Gemüther aus der aufreizenden Beschäftigung mit der Vergangenheit zu den Ideen der Verbesserung, des innern Fortschritts der Nationalmacht hinzuleiten. Das Ministerium würde sich glücklich fühlen, auf die fruchtlosen Rivalitäten der Parteien die Nacheiferung für das öffentliche Wohl folgen zu sehen. Zur Erreichung dieses Zwecks muß die Staatsgewalt gemäßigt, aber thätig, emsig, einflußreich seyn. Frankreich will von seiner Regierung zugleich beruhigt und beschäftigt seyn. Seine Stimmen sind der Politik gesichert, welche ihm Sicherheit und Leben zugleich gewähren, und es verstehen wird, ohne seine Leidenschaften neu aufzuregen, den Muth für keine seiner großherzigen Hoffnungen zu entziehen."

Die gestrige Commissionswahl ist für das Ministerium befriedigend ausgefallen - sie gebar (wie bereits angeführt) fünf ministerielle Commissionsmitglieder gegen vier Conservative oder Ultras, wie man sie neuerlich zu nennen pflegt, weil sie weit monarchischer gesinnt sind, als der König. Im Ganzen stimmten 193 Ministerielle gegen 181 Conservative. Ueber die 70 bis 80 fehlenden Stimmen streiten sich, wie gewöhnlich, die Parteien. Die Ministeriellen behaupten, sie würden größtentheils ihnen zu gute kommen, weil sie Mitglieder der beiden äußersten Flügel angehörten, die sich gestern der Abstimmung enthalten hätten, und welche in allen Hauptfragen ohne Zweifel mit dem Ministerium stimmen würden, wie denn auch Berryer schon bei der gegenwärtigen Gelegenheit öffentlich zu Gunsten des Ministeriums sein Votum abgelegt habe. Das Journal des Debats dagegen sieht in ihnen nur saumselige oder schüchterne Conservative, welche im Verlauf der Debatten über die geheimen Fonds ermuthigt werden würden, sich ohne Scheu der heiligen Schaar der Camarilla anzuschließen, und so sanguinisch ist dieses Journal in seinen Hoffnungen, daß es den Conservativen eine Majorität von 44 prophezeit. Unbefangene theilen diese Ansicht keineswegs. Die Reunion Jacqueminot, die alte Garde des neuern Ultraismus, hat vorgestern ihre Stärke erprobt, und ungeachtet das Journal des Debats behaupten will, es seyen ihrer 185 versammelt gewesen, wollen doch andere nicht mehr als 130 Köpfe dort gesehen haben. Das Wahrscheinlichste ist auch in der That, daß bei der endlichen Abstimmung über die geheimen Fonds die conservative Opposition sich viel geringer herausstellen wird, als bei der gestrigen Commissionswahl. Die Ratten, sagt das Sprüchwort, verlassen ein sinkendes Schiff. Nachdem durch die gestrige Wahl vorläufig so viel außer Zweifel gestellt worden ist, daß das Ministerium Thiers nicht so leicht - wenigstens nicht durch einen Coup de main - zu stürzen ist, so werden diejenigen, welchen die Gunst der gegenwärtigen Gewalthaber schätzbarer ist, als die noch ungewisse Hoffnung auf die Gunst derer, die da kommen sollen, nicht länger anstehen, sich der Versöhnungs- und Vermittlungstheorie des Hrn. Thiers zu ergeben, die so klug darauf berechnet ist, dieser Classe von Deputirten alle Skrupel zu benehmen. "Mein Ministerium, sagt Hr. Thiers, soll die Gemäßigten der Mitte mit den Gemäßigten der Linken zum Behuf aller zeitgemäßen und nationalen Fortschritte einerseits und der Erhaltung der Juliusregierung und der Ordnung andrerseits vereinigen." Es ist nicht abzusehen, wie der gewissenhafteste Anhänger der Regierung Bedenken tragen kann, einem so gemäßigten System beizutreten. Dem Journal des Debats dagegen ist dieß zu vag, zu revolutionär, es will, Hr. Thiers solle sich ausdrücklich verpflichten, nie eine Modification der Wahlordnung oder der Septembergesetze in Vorschlag zu bringen, d. h. sich ausdrücklich als Gegner des linken Centrums erklären, und der Reunion Jacqueminot ganz und gar in die Arme werfen. Die neuesten Blätter behaupten, dieses Journal beziehe immer noch monatlich seine 12,000 Fr. Subvention. Alle diejenigen Gelder nämlich, welche von dem geheimen Service-Fonds für die Beschützung der königl. Person bestimmt seyen, im Ganzen 600,000 Fr., würden dem Intendanten der Civilliste ausbezahlt, und von ihm verwendet; von dieser Summe nun lasse man dem Journal jenen Aufmunterungsbeitrag zufließen. Offenbar ist dieß nur eine Vermuthung.

Ob sich Thiers halten, ob nicht bald wieder eine neue Krise die Ansicht derer bestärken werde, die den ewigen Wechsel im Besitze der Regierung seit zehn Jahren dem unabweislichen Ausspruch eines verborgenen Schicksals zuschreiben, diese Fragen beantwortet jeder nach der Weise, wie er die Sprache der Journale über das neue Ministerium auslegt. Am meisten aber sieht man auf die Debats, sowohl wegen der Wichtigkeit dieses Journals durch Stellung und Geist, als wegen der scheinbar räthselhaften Haltung, die es seit Thiers' Emporkommen annimmt. Will es Krieg oder Frieden? Sind seine Angriffe nur harmlose Neckereien oder das Vorspiel eines geordneten Kampfs? - Ist die Rache, die es an den neuen Ministern nehmen will, Spiel oder Ernst? Die Fragen sind nicht so schwer zu beantworten. Die Fahne der offenen Empörung werden die Debats nicht aufstecken, kein Glaubensheer in der Rue des Pretres gebildet werden. Feindseliger kann das Haus Bertin den neuen Ministern sich zeigen, feindlich ist es nicht. Es sagt ihnen: wir können euch nicht leiden, aber wir dulden euch, wenn ihr brav seyd. Und brav im Sinne der Debats wird Thiers sicher seyn. Die Politik, die man seit zehn Jahren befolgte, mag im Einzelnen mancher Verbesserung fähig seyn; im Ganzen verträgt Frankreich keine andere. Warum hielten alle Verwaltungen, die seit den Juliustagen einander ablösen, sich immer an dasselbe System? Weil etwa Se. Maj. mit dem tyrannischen Zauber ihrer Persönlichkeit sie unterjochte und in die Irre führte? Da müßte der König ein ausgemachter Schwarzkünstler seyn. Aber ist es nicht vielmehr die richtige Einsicht in des Landes Lage, die den Zauber übt? Es sind oft zehn Leute in einem Zimmer, die beiläufig derselben Meinung sind, aber, weil sie sich verschieden ausdrücken, sich einbilden, sie seyen uneinig. So ergeht es auch unsern Staatsmännern. Jeder nennt das System anders, deßwegen glaubt er, daß er ein anderes hätte. Gestritten muß einmal werden; wenn es keinen großen Stoff gibt, so nimmt man Kleines, und gibt es für groß aus. Diese Sünde ist übrigens kein Monopol der Franzosen; in den lieben deutschen Landen hält man Reden über Worte, so gut

Absichten und seine Allianzen zu geben hat. Dieß geht offenbar aus den Debatten der Bureaux, wie sie das ministerielle Abendjournal mittheilt, hervor.“

Der Moniteur enthält ein Umlaufschreiben des neuen Ministers des Innern, Hrn. v. Rémusat, an die Präfecten über die Grundsätze, welche das Cabinet befolgen will. Wir entlehnen folgende Hauptstelle: „Das Cabinet, woran ich Theil zu nehmen die Ehre habe, unternimmt eine schwierige Aufgabe: es möchte der beständig zunehmenden Zersplitterung der Parteien ein Ende machen, und ein gemeinschaftliches Band zwischen allen auf eine ehrenhafte Weise vereinbaren Meinungen bilden. Ueberzeugt, daß Frankreich, mit der Gesammtheit seiner Institutionen zufrieden, bereit ist, deren Integrität nöthigenfalls sowohl gegen gewaltsame Angriffe, als gegen chimärische Hoffnungen zu vertheidigen, glaubt es, daß der Augenblick gekommen sey, eine ernstliche und dauerhafte Annäherung zwischen den aufrichtigen Männern, welche gleichmäßig die Grundsätze unserer Regierung achten, zu Stande zu bringen, und die Gemüther aus der aufreizenden Beschäftigung mit der Vergangenheit zu den Ideen der Verbesserung, des innern Fortschritts der Nationalmacht hinzuleiten. Das Ministerium würde sich glücklich fühlen, auf die fruchtlosen Rivalitäten der Parteien die Nacheiferung für das öffentliche Wohl folgen zu sehen. Zur Erreichung dieses Zwecks muß die Staatsgewalt gemäßigt, aber thätig, emsig, einflußreich seyn. Frankreich will von seiner Regierung zugleich beruhigt und beschäftigt seyn. Seine Stimmen sind der Politik gesichert, welche ihm Sicherheit und Leben zugleich gewähren, und es verstehen wird, ohne seine Leidenschaften neu aufzuregen, den Muth für keine seiner großherzigen Hoffnungen zu entziehen.“

Die gestrige Commissionswahl ist für das Ministerium befriedigend ausgefallen – sie gebar (wie bereits angeführt) fünf ministerielle Commissionsmitglieder gegen vier Conservative oder Ultras, wie man sie neuerlich zu nennen pflegt, weil sie weit monarchischer gesinnt sind, als der König. Im Ganzen stimmten 193 Ministerielle gegen 181 Conservative. Ueber die 70 bis 80 fehlenden Stimmen streiten sich, wie gewöhnlich, die Parteien. Die Ministeriellen behaupten, sie würden größtentheils ihnen zu gute kommen, weil sie Mitglieder der beiden äußersten Flügel angehörten, die sich gestern der Abstimmung enthalten hätten, und welche in allen Hauptfragen ohne Zweifel mit dem Ministerium stimmen würden, wie denn auch Berryer schon bei der gegenwärtigen Gelegenheit öffentlich zu Gunsten des Ministeriums sein Votum abgelegt habe. Das Journal des Débats dagegen sieht in ihnen nur saumselige oder schüchterne Conservative, welche im Verlauf der Debatten über die geheimen Fonds ermuthigt werden würden, sich ohne Scheu der heiligen Schaar der Camarilla anzuschließen, und so sanguinisch ist dieses Journal in seinen Hoffnungen, daß es den Conservativen eine Majorität von 44 prophezeit. Unbefangene theilen diese Ansicht keineswegs. Die Reunion Jacqueminot, die alte Garde des neuern Ultraismus, hat vorgestern ihre Stärke erprobt, und ungeachtet das Journal des Débats behaupten will, es seyen ihrer 185 versammelt gewesen, wollen doch andere nicht mehr als 130 Köpfe dort gesehen haben. Das Wahrscheinlichste ist auch in der That, daß bei der endlichen Abstimmung über die geheimen Fonds die conservative Opposition sich viel geringer herausstellen wird, als bei der gestrigen Commissionswahl. Die Ratten, sagt das Sprüchwort, verlassen ein sinkendes Schiff. Nachdem durch die gestrige Wahl vorläufig so viel außer Zweifel gestellt worden ist, daß das Ministerium Thiers nicht so leicht – wenigstens nicht durch einen Coup de main – zu stürzen ist, so werden diejenigen, welchen die Gunst der gegenwärtigen Gewalthaber schätzbarer ist, als die noch ungewisse Hoffnung auf die Gunst derer, die da kommen sollen, nicht länger anstehen, sich der Versöhnungs- und Vermittlungstheorie des Hrn. Thiers zu ergeben, die so klug darauf berechnet ist, dieser Classe von Deputirten alle Skrupel zu benehmen. „Mein Ministerium, sagt Hr. Thiers, soll die Gemäßigten der Mitte mit den Gemäßigten der Linken zum Behuf aller zeitgemäßen und nationalen Fortschritte einerseits und der Erhaltung der Juliusregierung und der Ordnung andrerseits vereinigen.“ Es ist nicht abzusehen, wie der gewissenhafteste Anhänger der Regierung Bedenken tragen kann, einem so gemäßigten System beizutreten. Dem Journal des Débats dagegen ist dieß zu vag, zu revolutionär, es will, Hr. Thiers solle sich ausdrücklich verpflichten, nie eine Modification der Wahlordnung oder der Septembergesetze in Vorschlag zu bringen, d. h. sich ausdrücklich als Gegner des linken Centrums erklären, und der Reunion Jacqueminot ganz und gar in die Arme werfen. Die neuesten Blätter behaupten, dieses Journal beziehe immer noch monatlich seine 12,000 Fr. Subvention. Alle diejenigen Gelder nämlich, welche von dem geheimen Service-Fonds für die Beschützung der königl. Person bestimmt seyen, im Ganzen 600,000 Fr., würden dem Intendanten der Civilliste ausbezahlt, und von ihm verwendet; von dieser Summe nun lasse man dem Journal jenen Aufmunterungsbeitrag zufließen. Offenbar ist dieß nur eine Vermuthung.

Ob sich Thiers halten, ob nicht bald wieder eine neue Krise die Ansicht derer bestärken werde, die den ewigen Wechsel im Besitze der Regierung seit zehn Jahren dem unabweislichen Ausspruch eines verborgenen Schicksals zuschreiben, diese Fragen beantwortet jeder nach der Weise, wie er die Sprache der Journale über das neue Ministerium auslegt. Am meisten aber sieht man auf die Débats, sowohl wegen der Wichtigkeit dieses Journals durch Stellung und Geist, als wegen der scheinbar räthselhaften Haltung, die es seit Thiers' Emporkommen annimmt. Will es Krieg oder Frieden? Sind seine Angriffe nur harmlose Neckereien oder das Vorspiel eines geordneten Kampfs? – Ist die Rache, die es an den neuen Ministern nehmen will, Spiel oder Ernst? Die Fragen sind nicht so schwer zu beantworten. Die Fahne der offenen Empörung werden die Débats nicht aufstecken, kein Glaubensheer in der Rue des Prêtres gebildet werden. Feindseliger kann das Haus Bertin den neuen Ministern sich zeigen, feindlich ist es nicht. Es sagt ihnen: wir können euch nicht leiden, aber wir dulden euch, wenn ihr brav seyd. Und brav im Sinne der Débats wird Thiers sicher seyn. Die Politik, die man seit zehn Jahren befolgte, mag im Einzelnen mancher Verbesserung fähig seyn; im Ganzen verträgt Frankreich keine andere. Warum hielten alle Verwaltungen, die seit den Juliustagen einander ablösen, sich immer an dasselbe System? Weil etwa Se. Maj. mit dem tyrannischen Zauber ihrer Persönlichkeit sie unterjochte und in die Irre führte? Da müßte der König ein ausgemachter Schwarzkünstler seyn. Aber ist es nicht vielmehr die richtige Einsicht in des Landes Lage, die den Zauber übt? Es sind oft zehn Leute in einem Zimmer, die beiläufig derselben Meinung sind, aber, weil sie sich verschieden ausdrücken, sich einbilden, sie seyen uneinig. So ergeht es auch unsern Staatsmännern. Jeder nennt das System anders, deßwegen glaubt er, daß er ein anderes hätte. Gestritten muß einmal werden; wenn es keinen großen Stoff gibt, so nimmt man Kleines, und gibt es für groß aus. Diese Sünde ist übrigens kein Monopol der Franzosen; in den lieben deutschen Landen hält man Reden über Worte, so gut

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[0636/0004] Absichten und seine Allianzen zu geben hat. Dieß geht offenbar aus den Debatten der Bureaux, wie sie das ministerielle Abendjournal mittheilt, hervor.“ Der Moniteur enthält ein Umlaufschreiben des neuen Ministers des Innern, Hrn. v. Rémusat, an die Präfecten über die Grundsätze, welche das Cabinet befolgen will. Wir entlehnen folgende Hauptstelle: „Das Cabinet, woran ich Theil zu nehmen die Ehre habe, unternimmt eine schwierige Aufgabe: es möchte der beständig zunehmenden Zersplitterung der Parteien ein Ende machen, und ein gemeinschaftliches Band zwischen allen auf eine ehrenhafte Weise vereinbaren Meinungen bilden. Ueberzeugt, daß Frankreich, mit der Gesammtheit seiner Institutionen zufrieden, bereit ist, deren Integrität nöthigenfalls sowohl gegen gewaltsame Angriffe, als gegen chimärische Hoffnungen zu vertheidigen, glaubt es, daß der Augenblick gekommen sey, eine ernstliche und dauerhafte Annäherung zwischen den aufrichtigen Männern, welche gleichmäßig die Grundsätze unserer Regierung achten, zu Stande zu bringen, und die Gemüther aus der aufreizenden Beschäftigung mit der Vergangenheit zu den Ideen der Verbesserung, des innern Fortschritts der Nationalmacht hinzuleiten. Das Ministerium würde sich glücklich fühlen, auf die fruchtlosen Rivalitäten der Parteien die Nacheiferung für das öffentliche Wohl folgen zu sehen. Zur Erreichung dieses Zwecks muß die Staatsgewalt gemäßigt, aber thätig, emsig, einflußreich seyn. Frankreich will von seiner Regierung zugleich beruhigt und beschäftigt seyn. Seine Stimmen sind der Politik gesichert, welche ihm Sicherheit und Leben zugleich gewähren, und es verstehen wird, ohne seine Leidenschaften neu aufzuregen, den Muth für keine seiner großherzigen Hoffnungen zu entziehen.“ _ Paris, 15 März. Die gestrige Commissionswahl ist für das Ministerium befriedigend ausgefallen – sie gebar (wie bereits angeführt) fünf ministerielle Commissionsmitglieder gegen vier Conservative oder Ultras, wie man sie neuerlich zu nennen pflegt, weil sie weit monarchischer gesinnt sind, als der König. Im Ganzen stimmten 193 Ministerielle gegen 181 Conservative. Ueber die 70 bis 80 fehlenden Stimmen streiten sich, wie gewöhnlich, die Parteien. Die Ministeriellen behaupten, sie würden größtentheils ihnen zu gute kommen, weil sie Mitglieder der beiden äußersten Flügel angehörten, die sich gestern der Abstimmung enthalten hätten, und welche in allen Hauptfragen ohne Zweifel mit dem Ministerium stimmen würden, wie denn auch Berryer schon bei der gegenwärtigen Gelegenheit öffentlich zu Gunsten des Ministeriums sein Votum abgelegt habe. Das Journal des Débats dagegen sieht in ihnen nur saumselige oder schüchterne Conservative, welche im Verlauf der Debatten über die geheimen Fonds ermuthigt werden würden, sich ohne Scheu der heiligen Schaar der Camarilla anzuschließen, und so sanguinisch ist dieses Journal in seinen Hoffnungen, daß es den Conservativen eine Majorität von 44 prophezeit. Unbefangene theilen diese Ansicht keineswegs. Die Reunion Jacqueminot, die alte Garde des neuern Ultraismus, hat vorgestern ihre Stärke erprobt, und ungeachtet das Journal des Débats behaupten will, es seyen ihrer 185 versammelt gewesen, wollen doch andere nicht mehr als 130 Köpfe dort gesehen haben. Das Wahrscheinlichste ist auch in der That, daß bei der endlichen Abstimmung über die geheimen Fonds die conservative Opposition sich viel geringer herausstellen wird, als bei der gestrigen Commissionswahl. Die Ratten, sagt das Sprüchwort, verlassen ein sinkendes Schiff. Nachdem durch die gestrige Wahl vorläufig so viel außer Zweifel gestellt worden ist, daß das Ministerium Thiers nicht so leicht – wenigstens nicht durch einen Coup de main – zu stürzen ist, so werden diejenigen, welchen die Gunst der gegenwärtigen Gewalthaber schätzbarer ist, als die noch ungewisse Hoffnung auf die Gunst derer, die da kommen sollen, nicht länger anstehen, sich der Versöhnungs- und Vermittlungstheorie des Hrn. Thiers zu ergeben, die so klug darauf berechnet ist, dieser Classe von Deputirten alle Skrupel zu benehmen. „Mein Ministerium, sagt Hr. Thiers, soll die Gemäßigten der Mitte mit den Gemäßigten der Linken zum Behuf aller zeitgemäßen und nationalen Fortschritte einerseits und der Erhaltung der Juliusregierung und der Ordnung andrerseits vereinigen.“ Es ist nicht abzusehen, wie der gewissenhafteste Anhänger der Regierung Bedenken tragen kann, einem so gemäßigten System beizutreten. Dem Journal des Débats dagegen ist dieß zu vag, zu revolutionär, es will, Hr. Thiers solle sich ausdrücklich verpflichten, nie eine Modification der Wahlordnung oder der Septembergesetze in Vorschlag zu bringen, d. h. sich ausdrücklich als Gegner des linken Centrums erklären, und der Reunion Jacqueminot ganz und gar in die Arme werfen. Die neuesten Blätter behaupten, dieses Journal beziehe immer noch monatlich seine 12,000 Fr. Subvention. Alle diejenigen Gelder nämlich, welche von dem geheimen Service-Fonds für die Beschützung der königl. Person bestimmt seyen, im Ganzen 600,000 Fr., würden dem Intendanten der Civilliste ausbezahlt, und von ihm verwendet; von dieser Summe nun lasse man dem Journal jenen Aufmunterungsbeitrag zufließen. Offenbar ist dieß nur eine Vermuthung. _ Paris, 7 März. Ob sich Thiers halten, ob nicht bald wieder eine neue Krise die Ansicht derer bestärken werde, die den ewigen Wechsel im Besitze der Regierung seit zehn Jahren dem unabweislichen Ausspruch eines verborgenen Schicksals zuschreiben, diese Fragen beantwortet jeder nach der Weise, wie er die Sprache der Journale über das neue Ministerium auslegt. Am meisten aber sieht man auf die Débats, sowohl wegen der Wichtigkeit dieses Journals durch Stellung und Geist, als wegen der scheinbar räthselhaften Haltung, die es seit Thiers' Emporkommen annimmt. Will es Krieg oder Frieden? Sind seine Angriffe nur harmlose Neckereien oder das Vorspiel eines geordneten Kampfs? – Ist die Rache, die es an den neuen Ministern nehmen will, Spiel oder Ernst? Die Fragen sind nicht so schwer zu beantworten. Die Fahne der offenen Empörung werden die Débats nicht aufstecken, kein Glaubensheer in der Rue des Prêtres gebildet werden. Feindseliger kann das Haus Bertin den neuen Ministern sich zeigen, feindlich ist es nicht. Es sagt ihnen: wir können euch nicht leiden, aber wir dulden euch, wenn ihr brav seyd. Und brav im Sinne der Débats wird Thiers sicher seyn. Die Politik, die man seit zehn Jahren befolgte, mag im Einzelnen mancher Verbesserung fähig seyn; im Ganzen verträgt Frankreich keine andere. Warum hielten alle Verwaltungen, die seit den Juliustagen einander ablösen, sich immer an dasselbe System? Weil etwa Se. Maj. mit dem tyrannischen Zauber ihrer Persönlichkeit sie unterjochte und in die Irre führte? Da müßte der König ein ausgemachter Schwarzkünstler seyn. Aber ist es nicht vielmehr die richtige Einsicht in des Landes Lage, die den Zauber übt? Es sind oft zehn Leute in einem Zimmer, die beiläufig derselben Meinung sind, aber, weil sie sich verschieden ausdrücken, sich einbilden, sie seyen uneinig. So ergeht es auch unsern Staatsmännern. Jeder nennt das System anders, deßwegen glaubt er, daß er ein anderes hätte. Gestritten muß einmal werden; wenn es keinen großen Stoff gibt, so nimmt man Kleines, und gibt es für groß aus. Diese Sünde ist übrigens kein Monopol der Franzosen; in den lieben deutschen Landen hält man Reden über Worte, so gut

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 80. Augsburg, 20. März 1840, S. 0636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_080_18400320/4>, abgerufen am 28.03.2024.