Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 13. Augsburg, 13. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite


Entwurfs beigewohnt, würde die Ansicht der Adressecommission für eine beschränkte Occupation auf afrikanischem Boden seyn. Dieser Zweifel wird in den öffentlichen Verhandlung gehoben werden, wo weder Angriff noch Vertheidigung fehlen können. Unterdessen dauert der Krieg in Afrika mit großer Erbitterung fort; die französischen Truppen knirschen in ihren befestigten Lagern, daß sie sich nicht öfter mit den Arabern im freien Felde messen können, allein die Klugheit der Anführer, durch harten Verlust gereift, widersetzt sich vorerst noch diesem Beginnen. Der Angriff, den die Araber zur See auf französische Fahrzeuge gewagt, ist darum von Wichtigkeit, weil er ihre Verwegenheit und eine zu Allem entschlossene Tollkühnheit beurkundet. Auch hier war der erste Anfang den Franzosen ungünstig, und mußte den Feind in seinem Fanatismus bestärken; er berechnet nicht, daß die Vergeltung ihn etwas später um so gewisser und unvermeidlicher erreichen wird. - Die Rentenverminderung ist in dem Adreßentwurf der zweiten Kammer ausdrücklich berührt mit dem Wunsche, daß die Regierung in dieser Beziehung die Initiative ergreifen und einen Gesetzesvorschlag machen möge, dem der Beifall der Kammer im voraus gesichert sey. - Die spanischen Streitigkeiten sind in den Adressen der beiden Kammern mit jener entschiedenen Ruhe und Bestimmtheit behandelt, die in der Ueberzeugung begründet sind, daß der Hauptknoten der Schwierigkeit gelöst ist und fortan die Carlistische Sache ohne Hoffnung und Aussicht bleibt. Des Prätendenten Don Carlos wird nirgends besonders erwähnt; das gerade bringt die legitimistischen Redner der Pairskammer in Harnisch, aber ihre elegischen Phrasen über verletzte Majestät des "bourbonischen Prinzen" haben auf den Bänken der modernen Pairie wenig Anklang gefunden; die Thatsache ist unlängbar: das bürgerliche Element durchdringt mehr und mehr den sonst so aristokratischen Staatskörper, und Hr. v. Pasquier und Decazes, der Marquis de Dreur-Breze und der Herzog v. Noailles werden nächstens auf ihre eigenen Stimmen beschränkt seyn. Nicht bloß über Frankreich, auch über die andern europäischen Großmächte klagt Hr. v. Dreur-Breze, indem er ihnen vorwirft, daß sie die Ansprüche des Prätendenten verlassen, sobald das Glück ihm den Rücken gewandt hatte. Beachtenswerth scheint uns noch die Uebereinstimmung der beiden Kammeradressen in Betreff der englischen Allianz, die man durch unverhaltenes Lob ermuthigt, und als Grundlage des europäischen Friedens verkündet, daneben die unverkennbare Abneigung gegen eine Verbindung mit Rußland und endlich die erneuerte Protestation zu Gunsten Polens. In den wesentlichen Punkten der Adreßentwürfe, wie wir sie jetzt genannt haben, liegt zugleich das charakteristische Merkmal der französischen Politik im Jahr 1840. Alles wohl erwogen, muß man in den äußern wie in den innern Angelegenheiten einen Geist erkennen, der einer mächtigen Nation würdig ist und von dem stets rührigen Streben nach Fortschritt zeugt, das sie durchdringt.

Bei der unglaublichen Menschenmenge, die sich mit Neujahrsgeschenken in den letzten Tagen durch unsre Straßen drängte, sollte man nicht glauben, daß Lyon irgendwie Mangel litte. Und doch ruhen nach einem öffentlichen Zeugniß von etwa hundert Atelierchefs (Webermeistern) die Hälfte, wo nicht zwei Drittel sämmtlicher Webstühle. Man wird um Almosen, wenn man gut gekleidet ist, oft dringend und drohend angesprochen. In solchen Zeiten machen die geheimen Gesellschaften, auf welche Merilhou's Bericht ein Schlaglicht wirft, leider nur zu viel Proselyten. Da kommen denn die Legitimisten mit ihrem Minuit, le loup garou! mit ihrem Spuk von 1840; da verkünden die Napoleonisten eine neue Auflage von St. Simon und Fourrier, und die Republicaner werben mit Glück für die Wahlfähigkeit Aller. In der That ist die große Aufgabe, den Zustand der Fabrikarbeiter zu bessern, durch die beiden Lyoner Aufstände zu heftig angeregt, als daß sie sich durch Forts und Sparcassen lösen ließe. Das sind aber bis jetzt die beiden einzigen Mittel der Regierung. Man hat die Associationen verboten - die Zahl der Kaffeehäuser wächst; die geheimen Gesellschaften werden entlarvt - die Arbeiter bilden Lesecirkel, wodurch die demokratischen Blätter mehr Leser und Abnehmer finden. Kurz, wenn man die gutmüthige Kannegießerei deutscher Handwerker mit der doctrinirten Bitterkeit des niedern Volks großer Städte in Frankreich vergleicht, so hat man großes Unrecht, diese Gährungen belächelnd zu verachten. Man sollte ihnen vielmehr einen Ableitestoff geben in großen Arbeiten, Deich-, Straßen- und Eisenbahnanlagen. Algier kommt hier der Regierung willkommen; es beschäftigt die Massen, gibt dem Heere Aussicht auf Avancement, und bleibt eine praktische Kriegsschule, in welcher freilich auch bei Beduinenmetzeleien die Rohheit und Blutgier dem Volk eingeimpft wird. Alle diese moralischen Zustände Frankreichs sind furchtbare Keime, auf welche Europa zu wenig Acht hat; sie allein können inzwischen die größern Ereignisse erklären. So ist die Mittelmäßigkeit der jetzigen Kammer ein Resultat des Hasses der Vertretenen und Nichvertretenen, der Besitzenden und der Tagwerker; so kommt das Journal des Debats mit seiner Klage über die schlimme Stellung Frankreichs der Opposition gerade recht. "Wozu das Ministerium wechseln, sagt unser Censeur. Einen schlechten Weg bessert man durch Verstopfung der Untiefen, Abtragung der Hügel aus, aber man hält sich nicht bloß an Räder, Pferde und Fuhrmann. Wir sind auf einer schlimmen politischen Bahn; bessern wir sie. Nicht auf beide Prärogativen muß man den Stein werfen, sondern vielmehr auf die Charte, welche die Keime trauriger Conflicte trägt, die uns unmöglich machen zu handeln!" - Wir haben vorgestern die 500 sogenannten Vincenner Schützen gesehen, die nach Afrika gesendet werden, und gestern Morgen mit dem Dampfschiff abgingen. Ihre Tracht besteht in einem kurzen blauen Ueberrocke mit gelbem Vorstoß in einem verjüngt zulaufenden, mit Wachstuch überzogenen Tschako, einem über die Brust gehängten Wachstuchmantel, einem schwarzfelligen, mit einem breiten Riemen sehr fest geschnürten Tornister, einer kleinen unten breiteren ledernen, den Arbeitsbeuteln der Frauen gleichenden Patrontasche, die, auf der rechten Hüfte ruhend, doch an dem Gurte vor den Bauch geschoben werden kann. Die Gewehre sind zwar rund, wie die gewöhnlichen, doch kürzer, inwendig sechsrinnig gezogen, und für Pflasterkugeln bereitet; der für Zündhütchen bestimmte Hahn ist zwar an der Seite, schlägt aber auf das oben am Laufe befindliche Zündloch. Das Bajonnet von gewöhnlicher Länge wird auf gewöhnliche Weise befestigt, nur ist es eine einen Zoll breite Klinge mit einer Schneide vorn, einer Rinne in der Mitte und einem breiten Rücken, der auch im obersten Drittel schneidet. Ein kurzer messingener reifiger Griff, an dem Bandelier in einer ledernen Oese steckend, kann, wie das Gewehr, an die Bajonnettülle befestigt werden, und schafft dasselbe zu einem Hirschfänger um. Diese Waffe erinnert uns an die weiland reitenden Jäger Schills, deren Pallasch gleichfalls als Bajonnet dienen konnte, und deren Mechanismus einfacher als der an den spätern Büchsen angebrachte war. Die Einführung dieser Waffe, aus den besten Schützen der Armee gewählt, ist von großer Wichtigkeit; sollte sie allgemeiner werden, so gäbe sie dem französischen Fußvolk eine besondere Stärke, die ihm bis jetzt mangelte. Merkwürdig ist, daß in den Unruhen 1834 die gezogenen Büchsen in den Händen


Entwurfs beigewohnt, würde die Ansicht der Adressecommission für eine beschränkte Occupation auf afrikanischem Boden seyn. Dieser Zweifel wird in den öffentlichen Verhandlung gehoben werden, wo weder Angriff noch Vertheidigung fehlen können. Unterdessen dauert der Krieg in Afrika mit großer Erbitterung fort; die französischen Truppen knirschen in ihren befestigten Lagern, daß sie sich nicht öfter mit den Arabern im freien Felde messen können, allein die Klugheit der Anführer, durch harten Verlust gereift, widersetzt sich vorerst noch diesem Beginnen. Der Angriff, den die Araber zur See auf französische Fahrzeuge gewagt, ist darum von Wichtigkeit, weil er ihre Verwegenheit und eine zu Allem entschlossene Tollkühnheit beurkundet. Auch hier war der erste Anfang den Franzosen ungünstig, und mußte den Feind in seinem Fanatismus bestärken; er berechnet nicht, daß die Vergeltung ihn etwas später um so gewisser und unvermeidlicher erreichen wird. – Die Rentenverminderung ist in dem Adreßentwurf der zweiten Kammer ausdrücklich berührt mit dem Wunsche, daß die Regierung in dieser Beziehung die Initiative ergreifen und einen Gesetzesvorschlag machen möge, dem der Beifall der Kammer im voraus gesichert sey. – Die spanischen Streitigkeiten sind in den Adressen der beiden Kammern mit jener entschiedenen Ruhe und Bestimmtheit behandelt, die in der Ueberzeugung begründet sind, daß der Hauptknoten der Schwierigkeit gelöst ist und fortan die Carlistische Sache ohne Hoffnung und Aussicht bleibt. Des Prätendenten Don Carlos wird nirgends besonders erwähnt; das gerade bringt die legitimistischen Redner der Pairskammer in Harnisch, aber ihre elegischen Phrasen über verletzte Majestät des „bourbonischen Prinzen“ haben auf den Bänken der modernen Pairie wenig Anklang gefunden; die Thatsache ist unlängbar: das bürgerliche Element durchdringt mehr und mehr den sonst so aristokratischen Staatskörper, und Hr. v. Pasquier und Decazes, der Marquis de Dreur-Brézé und der Herzog v. Noailles werden nächstens auf ihre eigenen Stimmen beschränkt seyn. Nicht bloß über Frankreich, auch über die andern europäischen Großmächte klagt Hr. v. Dreur-Brézé, indem er ihnen vorwirft, daß sie die Ansprüche des Prätendenten verlassen, sobald das Glück ihm den Rücken gewandt hatte. Beachtenswerth scheint uns noch die Uebereinstimmung der beiden Kammeradressen in Betreff der englischen Allianz, die man durch unverhaltenes Lob ermuthigt, und als Grundlage des europäischen Friedens verkündet, daneben die unverkennbare Abneigung gegen eine Verbindung mit Rußland und endlich die erneuerte Protestation zu Gunsten Polens. In den wesentlichen Punkten der Adreßentwürfe, wie wir sie jetzt genannt haben, liegt zugleich das charakteristische Merkmal der französischen Politik im Jahr 1840. Alles wohl erwogen, muß man in den äußern wie in den innern Angelegenheiten einen Geist erkennen, der einer mächtigen Nation würdig ist und von dem stets rührigen Streben nach Fortschritt zeugt, das sie durchdringt.

Bei der unglaublichen Menschenmenge, die sich mit Neujahrsgeschenken in den letzten Tagen durch unsre Straßen drängte, sollte man nicht glauben, daß Lyon irgendwie Mangel litte. Und doch ruhen nach einem öffentlichen Zeugniß von etwa hundert Atelierchefs (Webermeistern) die Hälfte, wo nicht zwei Drittel sämmtlicher Webstühle. Man wird um Almosen, wenn man gut gekleidet ist, oft dringend und drohend angesprochen. In solchen Zeiten machen die geheimen Gesellschaften, auf welche Merilhou's Bericht ein Schlaglicht wirft, leider nur zu viel Proselyten. Da kommen denn die Legitimisten mit ihrem Minuit, le loup garou! mit ihrem Spuk von 1840; da verkünden die Napoleonisten eine neue Auflage von St. Simon und Fourrier, und die Republicaner werben mit Glück für die Wahlfähigkeit Aller. In der That ist die große Aufgabe, den Zustand der Fabrikarbeiter zu bessern, durch die beiden Lyoner Aufstände zu heftig angeregt, als daß sie sich durch Forts und Sparcassen lösen ließe. Das sind aber bis jetzt die beiden einzigen Mittel der Regierung. Man hat die Associationen verboten – die Zahl der Kaffeehäuser wächst; die geheimen Gesellschaften werden entlarvt – die Arbeiter bilden Lesecirkel, wodurch die demokratischen Blätter mehr Leser und Abnehmer finden. Kurz, wenn man die gutmüthige Kannegießerei deutscher Handwerker mit der doctrinirten Bitterkeit des niedern Volks großer Städte in Frankreich vergleicht, so hat man großes Unrecht, diese Gährungen belächelnd zu verachten. Man sollte ihnen vielmehr einen Ableitestoff geben in großen Arbeiten, Deich-, Straßen- und Eisenbahnanlagen. Algier kommt hier der Regierung willkommen; es beschäftigt die Massen, gibt dem Heere Aussicht auf Avancement, und bleibt eine praktische Kriegsschule, in welcher freilich auch bei Beduinenmetzeleien die Rohheit und Blutgier dem Volk eingeimpft wird. Alle diese moralischen Zustände Frankreichs sind furchtbare Keime, auf welche Europa zu wenig Acht hat; sie allein können inzwischen die größern Ereignisse erklären. So ist die Mittelmäßigkeit der jetzigen Kammer ein Resultat des Hasses der Vertretenen und Nichvertretenen, der Besitzenden und der Tagwerker; so kommt das Journal des Débats mit seiner Klage über die schlimme Stellung Frankreichs der Opposition gerade recht. „Wozu das Ministerium wechseln, sagt unser Censeur. Einen schlechten Weg bessert man durch Verstopfung der Untiefen, Abtragung der Hügel aus, aber man hält sich nicht bloß an Räder, Pferde und Fuhrmann. Wir sind auf einer schlimmen politischen Bahn; bessern wir sie. Nicht auf beide Prärogativen muß man den Stein werfen, sondern vielmehr auf die Charte, welche die Keime trauriger Conflicte trägt, die uns unmöglich machen zu handeln!“ – Wir haben vorgestern die 500 sogenannten Vincenner Schützen gesehen, die nach Afrika gesendet werden, und gestern Morgen mit dem Dampfschiff abgingen. Ihre Tracht besteht in einem kurzen blauen Ueberrocke mit gelbem Vorstoß in einem verjüngt zulaufenden, mit Wachstuch überzogenen Tschako, einem über die Brust gehängten Wachstuchmantel, einem schwarzfelligen, mit einem breiten Riemen sehr fest geschnürten Tornister, einer kleinen unten breiteren ledernen, den Arbeitsbeuteln der Frauen gleichenden Patrontasche, die, auf der rechten Hüfte ruhend, doch an dem Gurte vor den Bauch geschoben werden kann. Die Gewehre sind zwar rund, wie die gewöhnlichen, doch kürzer, inwendig sechsrinnig gezogen, und für Pflasterkugeln bereitet; der für Zündhütchen bestimmte Hahn ist zwar an der Seite, schlägt aber auf das oben am Laufe befindliche Zündloch. Das Bajonnet von gewöhnlicher Länge wird auf gewöhnliche Weise befestigt, nur ist es eine einen Zoll breite Klinge mit einer Schneide vorn, einer Rinne in der Mitte und einem breiten Rücken, der auch im obersten Drittel schneidet. Ein kurzer messingener reifiger Griff, an dem Bandelier in einer ledernen Oese steckend, kann, wie das Gewehr, an die Bajonnettülle befestigt werden, und schafft dasselbe zu einem Hirschfänger um. Diese Waffe erinnert uns an die weiland reitenden Jäger Schills, deren Pallasch gleichfalls als Bajonnet dienen konnte, und deren Mechanismus einfacher als der an den spätern Büchsen angebrachte war. Die Einführung dieser Waffe, aus den besten Schützen der Armee gewählt, ist von großer Wichtigkeit; sollte sie allgemeiner werden, so gäbe sie dem französischen Fußvolk eine besondere Stärke, die ihm bis jetzt mangelte. Merkwürdig ist, daß in den Unruhen 1834 die gezogenen Büchsen in den Händen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="0100"/><lb/>
Entwurfs beigewohnt, würde die Ansicht der Adressecommission für eine beschränkte Occupation auf afrikanischem Boden seyn. Dieser Zweifel wird in den öffentlichen Verhandlung gehoben werden, wo weder Angriff noch Vertheidigung fehlen können. Unterdessen dauert der Krieg in Afrika mit großer Erbitterung fort; die französischen Truppen knirschen in ihren befestigten Lagern, daß sie sich nicht öfter mit den Arabern im freien Felde messen können, allein die Klugheit der Anführer, durch harten Verlust gereift, widersetzt sich vorerst noch diesem Beginnen. Der Angriff, den die Araber zur See auf französische Fahrzeuge gewagt, ist darum von Wichtigkeit, weil er ihre Verwegenheit und eine zu Allem entschlossene Tollkühnheit beurkundet. Auch hier war der erste Anfang den Franzosen ungünstig, und mußte den Feind in seinem Fanatismus bestärken; er berechnet nicht, daß die Vergeltung ihn etwas später um so gewisser und unvermeidlicher erreichen wird. &#x2013; Die Rentenverminderung ist in dem Adreßentwurf der zweiten Kammer ausdrücklich berührt mit dem Wunsche, daß die Regierung in dieser Beziehung die Initiative ergreifen und einen Gesetzesvorschlag machen möge, dem der Beifall der Kammer im voraus gesichert sey. &#x2013; Die spanischen Streitigkeiten sind in den Adressen der beiden Kammern mit jener entschiedenen Ruhe und Bestimmtheit behandelt, die in der Ueberzeugung begründet sind, daß der Hauptknoten der Schwierigkeit gelöst ist und fortan die Carlistische Sache ohne Hoffnung und Aussicht bleibt. Des Prätendenten Don Carlos wird nirgends besonders erwähnt; das gerade bringt die legitimistischen Redner der Pairskammer in Harnisch, aber ihre elegischen Phrasen über verletzte Majestät des &#x201E;bourbonischen Prinzen&#x201C; haben auf den Bänken der modernen Pairie wenig Anklang gefunden; die Thatsache ist unlängbar: das bürgerliche Element durchdringt mehr und mehr den sonst so aristokratischen Staatskörper, und Hr. v. Pasquier und Decazes, der Marquis de Dreur-Brézé und der Herzog v. Noailles werden nächstens auf ihre eigenen Stimmen beschränkt seyn. Nicht bloß über Frankreich, auch über die andern europäischen Großmächte klagt Hr. v. Dreur-Brézé, indem er ihnen vorwirft, daß sie die Ansprüche des Prätendenten verlassen, sobald das Glück ihm den Rücken gewandt hatte. Beachtenswerth scheint uns noch die Uebereinstimmung der beiden Kammeradressen in Betreff der englischen Allianz, die man durch unverhaltenes Lob ermuthigt, und als Grundlage des europäischen Friedens verkündet, daneben die unverkennbare Abneigung gegen eine Verbindung mit Rußland und endlich die erneuerte Protestation zu Gunsten Polens. In den wesentlichen Punkten der Adreßentwürfe, wie wir sie jetzt genannt haben, liegt zugleich das charakteristische Merkmal der französischen Politik im Jahr 1840. Alles wohl erwogen, muß man in den äußern wie in den innern Angelegenheiten einen Geist erkennen, der einer mächtigen Nation würdig ist und von dem stets rührigen Streben nach Fortschritt zeugt, das sie durchdringt.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>*</byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Lyon</hi>, 4 Jan.</dateline>
          <p> Bei der unglaublichen Menschenmenge, die sich mit Neujahrsgeschenken in den letzten Tagen durch unsre Straßen drängte, sollte man nicht glauben, daß Lyon irgendwie Mangel litte. Und doch ruhen nach einem öffentlichen Zeugniß von etwa hundert Atelierchefs (Webermeistern) die Hälfte, wo nicht zwei Drittel sämmtlicher Webstühle. Man wird um Almosen, wenn man gut gekleidet ist, oft dringend und drohend angesprochen. In solchen Zeiten machen die geheimen Gesellschaften, auf welche Merilhou's Bericht ein Schlaglicht wirft, leider nur zu viel Proselyten. Da kommen denn die Legitimisten mit ihrem Minuit, le loup garou! mit ihrem Spuk von 1840; da verkünden die Napoleonisten eine neue Auflage von St. Simon und Fourrier, und die Republicaner werben mit Glück für die Wahlfähigkeit Aller. In der That ist die große Aufgabe, den Zustand der Fabrikarbeiter zu bessern, durch die beiden Lyoner Aufstände zu heftig angeregt, als daß sie sich durch Forts und Sparcassen lösen ließe. Das sind aber bis jetzt die beiden einzigen Mittel der Regierung. Man hat die Associationen verboten &#x2013; die Zahl der Kaffeehäuser wächst; die geheimen Gesellschaften werden entlarvt &#x2013; die Arbeiter bilden Lesecirkel, wodurch die demokratischen Blätter mehr Leser und Abnehmer finden. Kurz, wenn man die gutmüthige Kannegießerei deutscher Handwerker mit der doctrinirten Bitterkeit des niedern Volks großer Städte in Frankreich vergleicht, so hat man großes Unrecht, diese Gährungen belächelnd zu verachten. Man sollte ihnen vielmehr einen Ableitestoff geben in großen Arbeiten, Deich-, Straßen- und Eisenbahnanlagen. Algier kommt hier der Regierung willkommen; es beschäftigt die Massen, gibt dem Heere Aussicht auf Avancement, und bleibt eine praktische Kriegsschule, in welcher freilich auch bei Beduinenmetzeleien die Rohheit und Blutgier dem Volk eingeimpft wird. Alle diese moralischen Zustände Frankreichs sind furchtbare Keime, auf welche Europa zu wenig Acht hat; sie allein können inzwischen die größern Ereignisse erklären. So ist die Mittelmäßigkeit der jetzigen Kammer ein Resultat des Hasses der Vertretenen und Nichvertretenen, der Besitzenden und der Tagwerker; so kommt das Journal des Débats mit seiner Klage über die schlimme Stellung Frankreichs der Opposition gerade recht. &#x201E;Wozu das Ministerium wechseln, sagt unser Censeur. Einen schlechten Weg bessert man durch Verstopfung der Untiefen, Abtragung der Hügel aus, aber man hält sich nicht bloß an Räder, Pferde und Fuhrmann. Wir sind auf einer schlimmen politischen Bahn; bessern wir sie. Nicht auf beide Prärogativen muß man den Stein werfen, sondern vielmehr auf die <hi rendition="#g">Charte</hi>, welche die Keime trauriger Conflicte trägt, die uns unmöglich machen zu handeln!&#x201C; &#x2013; Wir haben vorgestern die 500 sogenannten Vincenner Schützen gesehen, die nach Afrika gesendet werden, und gestern Morgen mit dem Dampfschiff abgingen. Ihre Tracht besteht in einem kurzen blauen Ueberrocke mit gelbem Vorstoß in einem verjüngt zulaufenden, mit Wachstuch überzogenen Tschako, einem über die Brust gehängten Wachstuchmantel, einem schwarzfelligen, mit einem breiten Riemen sehr fest geschnürten Tornister, einer kleinen unten breiteren ledernen, den Arbeitsbeuteln der Frauen gleichenden Patrontasche, die, auf der rechten Hüfte ruhend, doch an dem Gurte vor den Bauch geschoben werden kann. Die Gewehre sind zwar rund, wie die gewöhnlichen, doch kürzer, inwendig sechsrinnig gezogen, und für Pflasterkugeln bereitet; der für Zündhütchen bestimmte Hahn ist zwar an der Seite, schlägt aber auf das oben am Laufe befindliche Zündloch. Das Bajonnet von gewöhnlicher Länge wird auf gewöhnliche Weise befestigt, nur ist es eine einen Zoll breite Klinge mit einer Schneide vorn, einer Rinne in der Mitte und einem breiten Rücken, der auch im obersten Drittel schneidet. Ein kurzer messingener reifiger Griff, an dem Bandelier in einer ledernen Oese steckend, kann, wie das Gewehr, an die Bajonnettülle befestigt werden, und schafft dasselbe zu einem Hirschfänger um. Diese Waffe erinnert uns an die weiland reitenden Jäger Schills, deren Pallasch gleichfalls als Bajonnet dienen konnte, und deren Mechanismus einfacher als der an den spätern Büchsen angebrachte war. Die Einführung dieser Waffe, aus den besten Schützen der Armee gewählt, ist von großer Wichtigkeit; sollte sie allgemeiner werden, so gäbe sie dem französischen Fußvolk eine besondere Stärke, die ihm bis jetzt mangelte. Merkwürdig ist, daß in den Unruhen 1834 die gezogenen Büchsen in den Händen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100/0004] Entwurfs beigewohnt, würde die Ansicht der Adressecommission für eine beschränkte Occupation auf afrikanischem Boden seyn. Dieser Zweifel wird in den öffentlichen Verhandlung gehoben werden, wo weder Angriff noch Vertheidigung fehlen können. Unterdessen dauert der Krieg in Afrika mit großer Erbitterung fort; die französischen Truppen knirschen in ihren befestigten Lagern, daß sie sich nicht öfter mit den Arabern im freien Felde messen können, allein die Klugheit der Anführer, durch harten Verlust gereift, widersetzt sich vorerst noch diesem Beginnen. Der Angriff, den die Araber zur See auf französische Fahrzeuge gewagt, ist darum von Wichtigkeit, weil er ihre Verwegenheit und eine zu Allem entschlossene Tollkühnheit beurkundet. Auch hier war der erste Anfang den Franzosen ungünstig, und mußte den Feind in seinem Fanatismus bestärken; er berechnet nicht, daß die Vergeltung ihn etwas später um so gewisser und unvermeidlicher erreichen wird. – Die Rentenverminderung ist in dem Adreßentwurf der zweiten Kammer ausdrücklich berührt mit dem Wunsche, daß die Regierung in dieser Beziehung die Initiative ergreifen und einen Gesetzesvorschlag machen möge, dem der Beifall der Kammer im voraus gesichert sey. – Die spanischen Streitigkeiten sind in den Adressen der beiden Kammern mit jener entschiedenen Ruhe und Bestimmtheit behandelt, die in der Ueberzeugung begründet sind, daß der Hauptknoten der Schwierigkeit gelöst ist und fortan die Carlistische Sache ohne Hoffnung und Aussicht bleibt. Des Prätendenten Don Carlos wird nirgends besonders erwähnt; das gerade bringt die legitimistischen Redner der Pairskammer in Harnisch, aber ihre elegischen Phrasen über verletzte Majestät des „bourbonischen Prinzen“ haben auf den Bänken der modernen Pairie wenig Anklang gefunden; die Thatsache ist unlängbar: das bürgerliche Element durchdringt mehr und mehr den sonst so aristokratischen Staatskörper, und Hr. v. Pasquier und Decazes, der Marquis de Dreur-Brézé und der Herzog v. Noailles werden nächstens auf ihre eigenen Stimmen beschränkt seyn. Nicht bloß über Frankreich, auch über die andern europäischen Großmächte klagt Hr. v. Dreur-Brézé, indem er ihnen vorwirft, daß sie die Ansprüche des Prätendenten verlassen, sobald das Glück ihm den Rücken gewandt hatte. Beachtenswerth scheint uns noch die Uebereinstimmung der beiden Kammeradressen in Betreff der englischen Allianz, die man durch unverhaltenes Lob ermuthigt, und als Grundlage des europäischen Friedens verkündet, daneben die unverkennbare Abneigung gegen eine Verbindung mit Rußland und endlich die erneuerte Protestation zu Gunsten Polens. In den wesentlichen Punkten der Adreßentwürfe, wie wir sie jetzt genannt haben, liegt zugleich das charakteristische Merkmal der französischen Politik im Jahr 1840. Alles wohl erwogen, muß man in den äußern wie in den innern Angelegenheiten einen Geist erkennen, der einer mächtigen Nation würdig ist und von dem stets rührigen Streben nach Fortschritt zeugt, das sie durchdringt. * Lyon, 4 Jan. Bei der unglaublichen Menschenmenge, die sich mit Neujahrsgeschenken in den letzten Tagen durch unsre Straßen drängte, sollte man nicht glauben, daß Lyon irgendwie Mangel litte. Und doch ruhen nach einem öffentlichen Zeugniß von etwa hundert Atelierchefs (Webermeistern) die Hälfte, wo nicht zwei Drittel sämmtlicher Webstühle. Man wird um Almosen, wenn man gut gekleidet ist, oft dringend und drohend angesprochen. In solchen Zeiten machen die geheimen Gesellschaften, auf welche Merilhou's Bericht ein Schlaglicht wirft, leider nur zu viel Proselyten. Da kommen denn die Legitimisten mit ihrem Minuit, le loup garou! mit ihrem Spuk von 1840; da verkünden die Napoleonisten eine neue Auflage von St. Simon und Fourrier, und die Republicaner werben mit Glück für die Wahlfähigkeit Aller. In der That ist die große Aufgabe, den Zustand der Fabrikarbeiter zu bessern, durch die beiden Lyoner Aufstände zu heftig angeregt, als daß sie sich durch Forts und Sparcassen lösen ließe. Das sind aber bis jetzt die beiden einzigen Mittel der Regierung. Man hat die Associationen verboten – die Zahl der Kaffeehäuser wächst; die geheimen Gesellschaften werden entlarvt – die Arbeiter bilden Lesecirkel, wodurch die demokratischen Blätter mehr Leser und Abnehmer finden. Kurz, wenn man die gutmüthige Kannegießerei deutscher Handwerker mit der doctrinirten Bitterkeit des niedern Volks großer Städte in Frankreich vergleicht, so hat man großes Unrecht, diese Gährungen belächelnd zu verachten. Man sollte ihnen vielmehr einen Ableitestoff geben in großen Arbeiten, Deich-, Straßen- und Eisenbahnanlagen. Algier kommt hier der Regierung willkommen; es beschäftigt die Massen, gibt dem Heere Aussicht auf Avancement, und bleibt eine praktische Kriegsschule, in welcher freilich auch bei Beduinenmetzeleien die Rohheit und Blutgier dem Volk eingeimpft wird. Alle diese moralischen Zustände Frankreichs sind furchtbare Keime, auf welche Europa zu wenig Acht hat; sie allein können inzwischen die größern Ereignisse erklären. So ist die Mittelmäßigkeit der jetzigen Kammer ein Resultat des Hasses der Vertretenen und Nichvertretenen, der Besitzenden und der Tagwerker; so kommt das Journal des Débats mit seiner Klage über die schlimme Stellung Frankreichs der Opposition gerade recht. „Wozu das Ministerium wechseln, sagt unser Censeur. Einen schlechten Weg bessert man durch Verstopfung der Untiefen, Abtragung der Hügel aus, aber man hält sich nicht bloß an Räder, Pferde und Fuhrmann. Wir sind auf einer schlimmen politischen Bahn; bessern wir sie. Nicht auf beide Prärogativen muß man den Stein werfen, sondern vielmehr auf die Charte, welche die Keime trauriger Conflicte trägt, die uns unmöglich machen zu handeln!“ – Wir haben vorgestern die 500 sogenannten Vincenner Schützen gesehen, die nach Afrika gesendet werden, und gestern Morgen mit dem Dampfschiff abgingen. Ihre Tracht besteht in einem kurzen blauen Ueberrocke mit gelbem Vorstoß in einem verjüngt zulaufenden, mit Wachstuch überzogenen Tschako, einem über die Brust gehängten Wachstuchmantel, einem schwarzfelligen, mit einem breiten Riemen sehr fest geschnürten Tornister, einer kleinen unten breiteren ledernen, den Arbeitsbeuteln der Frauen gleichenden Patrontasche, die, auf der rechten Hüfte ruhend, doch an dem Gurte vor den Bauch geschoben werden kann. Die Gewehre sind zwar rund, wie die gewöhnlichen, doch kürzer, inwendig sechsrinnig gezogen, und für Pflasterkugeln bereitet; der für Zündhütchen bestimmte Hahn ist zwar an der Seite, schlägt aber auf das oben am Laufe befindliche Zündloch. Das Bajonnet von gewöhnlicher Länge wird auf gewöhnliche Weise befestigt, nur ist es eine einen Zoll breite Klinge mit einer Schneide vorn, einer Rinne in der Mitte und einem breiten Rücken, der auch im obersten Drittel schneidet. Ein kurzer messingener reifiger Griff, an dem Bandelier in einer ledernen Oese steckend, kann, wie das Gewehr, an die Bajonnettülle befestigt werden, und schafft dasselbe zu einem Hirschfänger um. Diese Waffe erinnert uns an die weiland reitenden Jäger Schills, deren Pallasch gleichfalls als Bajonnet dienen konnte, und deren Mechanismus einfacher als der an den spätern Büchsen angebrachte war. Die Einführung dieser Waffe, aus den besten Schützen der Armee gewählt, ist von großer Wichtigkeit; sollte sie allgemeiner werden, so gäbe sie dem französischen Fußvolk eine besondere Stärke, die ihm bis jetzt mangelte. Merkwürdig ist, daß in den Unruhen 1834 die gezogenen Büchsen in den Händen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_013_18400113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_013_18400113/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 13. Augsburg, 13. Januar 1840, S. 0100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_013_18400113/4>, abgerufen am 04.05.2024.