Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu seiner Unterhaltung sei, und pfiff unausgesetzt ihre Melodieen nach. Diethelm glaubte schon am heutigen Tag freigelassen zu werden, aber vergebens. Er wurde Nachmittags noch einmal zum Verhöre geführt, der Trompeter hatte richtig sein Stücklein getreu abgespielt, aber es war doch ein Ton darin, der Diethelm noch viel zu schaffen machte, nämlich die Kunde von seinem heftigen Weinen bei der Nachricht von dem Tode der Stieftochter und seine rasche, unmotivirte Umkehr. Diethelm hatte hieran wohl gedacht und hätte dem Vetter gerne Weisung gegeben, aber er wußte nicht, wie er das verdachtlos bewerkstelligen sollte, und hoffte auch, daß davon gar keine Rede sein würde. Anfangs schwankend, dann aber immer sicherer erklärte Diethelm, daß er den Tod seiner Stieftochter nicht so bald erwartet habe und nun heimgeeilt sei, um seine Frau nicht ganz allein zu lassen und die Fränz später holen zu lassen. Befragt, warum er dann nicht nach dem Kohlenhof gefahren sei, erklärte er zuerst, er habe sich das nicht so klar gemacht, er sei vom Schreck zu sehr ergriffen gewesen; dann aber setzte er hinzu, er habe erwartet, seine Frau sei gleich nach dem Tode heimgekehrt, und er habe sie dort trösten wollen. Weiter befragt, wie es komme, daß der Tod seiner Stieftochter ihn so furchtbar ergreife, sah er eine Weile scheu vor sich nieder, dann erhob er sein Antlitz und sagte: Ich hätt' nicht geglaubt, daß man mich das fragen darf, aber ich seh' schon, wer einmal, und sei er noch so unschuldig, in Verdacht steht, muß auf Alles antworten. Nun denn, so sei's -- er athmete tief auf und fuhr dann fort: so wisset denn, ich hab' vor zwei und zwanzig Jahren mein' Stieftochter gern gehabt und hab' sie heirathen wollen, aber mein' Frau hat's nicht zugeben und hat mich lieber selbst genommen. Eine Pause entstand, der Actuar schrieb und der Richter, betroffen von dem schmerzvollen Tone Diethelm's, hielt eine Weile mit Fragen inne. Diethelm aber fühlte einen innern Schreck, als ob man ihm ein Stück aus dem Herzen reiße, zu seiner Unterhaltung sei, und pfiff unausgesetzt ihre Melodieen nach. Diethelm glaubte schon am heutigen Tag freigelassen zu werden, aber vergebens. Er wurde Nachmittags noch einmal zum Verhöre geführt, der Trompeter hatte richtig sein Stücklein getreu abgespielt, aber es war doch ein Ton darin, der Diethelm noch viel zu schaffen machte, nämlich die Kunde von seinem heftigen Weinen bei der Nachricht von dem Tode der Stieftochter und seine rasche, unmotivirte Umkehr. Diethelm hatte hieran wohl gedacht und hätte dem Vetter gerne Weisung gegeben, aber er wußte nicht, wie er das verdachtlos bewerkstelligen sollte, und hoffte auch, daß davon gar keine Rede sein würde. Anfangs schwankend, dann aber immer sicherer erklärte Diethelm, daß er den Tod seiner Stieftochter nicht so bald erwartet habe und nun heimgeeilt sei, um seine Frau nicht ganz allein zu lassen und die Fränz später holen zu lassen. Befragt, warum er dann nicht nach dem Kohlenhof gefahren sei, erklärte er zuerst, er habe sich das nicht so klar gemacht, er sei vom Schreck zu sehr ergriffen gewesen; dann aber setzte er hinzu, er habe erwartet, seine Frau sei gleich nach dem Tode heimgekehrt, und er habe sie dort trösten wollen. Weiter befragt, wie es komme, daß der Tod seiner Stieftochter ihn so furchtbar ergreife, sah er eine Weile scheu vor sich nieder, dann erhob er sein Antlitz und sagte: Ich hätt' nicht geglaubt, daß man mich das fragen darf, aber ich seh' schon, wer einmal, und sei er noch so unschuldig, in Verdacht steht, muß auf Alles antworten. Nun denn, so sei's — er athmete tief auf und fuhr dann fort: so wisset denn, ich hab' vor zwei und zwanzig Jahren mein' Stieftochter gern gehabt und hab' sie heirathen wollen, aber mein' Frau hat's nicht zugeben und hat mich lieber selbst genommen. Eine Pause entstand, der Actuar schrieb und der Richter, betroffen von dem schmerzvollen Tone Diethelm's, hielt eine Weile mit Fragen inne. 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Anfangs schwankend, dann aber immer sicherer erklärte Diethelm, daß er den Tod seiner Stieftochter nicht so bald erwartet habe und nun heimgeeilt sei, um seine Frau nicht ganz allein zu lassen und die Fränz später holen zu lassen. Befragt, warum er dann nicht nach dem Kohlenhof gefahren sei, erklärte er zuerst, er habe sich das nicht so klar gemacht, er sei vom Schreck zu sehr ergriffen gewesen; dann aber setzte er hinzu, er habe erwartet, seine Frau sei gleich nach dem Tode heimgekehrt, und er habe sie dort trösten wollen. Weiter befragt, wie es komme, daß der Tod seiner Stieftochter ihn so furchtbar ergreife, sah er eine Weile scheu vor sich nieder, dann erhob er sein Antlitz und sagte:</p><lb/> <p>Ich hätt' nicht geglaubt, daß man mich das fragen darf, aber ich seh' schon, wer einmal, und sei er noch so unschuldig, in Verdacht steht, muß auf Alles antworten. 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zu seiner Unterhaltung sei, und pfiff unausgesetzt ihre Melodieen nach.
Diethelm glaubte schon am heutigen Tag freigelassen zu werden, aber vergebens. Er wurde Nachmittags noch einmal zum Verhöre geführt, der Trompeter hatte richtig sein Stücklein getreu abgespielt, aber es war doch ein Ton darin, der Diethelm noch viel zu schaffen machte, nämlich die Kunde von seinem heftigen Weinen bei der Nachricht von dem Tode der Stieftochter und seine rasche, unmotivirte Umkehr. Diethelm hatte hieran wohl gedacht und hätte dem Vetter gerne Weisung gegeben, aber er wußte nicht, wie er das verdachtlos bewerkstelligen sollte, und hoffte auch, daß davon gar keine Rede sein würde. Anfangs schwankend, dann aber immer sicherer erklärte Diethelm, daß er den Tod seiner Stieftochter nicht so bald erwartet habe und nun heimgeeilt sei, um seine Frau nicht ganz allein zu lassen und die Fränz später holen zu lassen. Befragt, warum er dann nicht nach dem Kohlenhof gefahren sei, erklärte er zuerst, er habe sich das nicht so klar gemacht, er sei vom Schreck zu sehr ergriffen gewesen; dann aber setzte er hinzu, er habe erwartet, seine Frau sei gleich nach dem Tode heimgekehrt, und er habe sie dort trösten wollen. Weiter befragt, wie es komme, daß der Tod seiner Stieftochter ihn so furchtbar ergreife, sah er eine Weile scheu vor sich nieder, dann erhob er sein Antlitz und sagte:
Ich hätt' nicht geglaubt, daß man mich das fragen darf, aber ich seh' schon, wer einmal, und sei er noch so unschuldig, in Verdacht steht, muß auf Alles antworten. Nun denn, so sei's — er athmete tief auf und fuhr dann fort: so wisset denn, ich hab' vor zwei und zwanzig Jahren mein' Stieftochter gern gehabt und hab' sie heirathen wollen, aber mein' Frau hat's nicht zugeben und hat mich lieber selbst genommen.
Eine Pause entstand, der Actuar schrieb und der Richter, betroffen von dem schmerzvollen Tone Diethelm's, hielt eine Weile mit Fragen inne. Diethelm aber fühlte einen innern Schreck, als ob man ihm ein Stück aus dem Herzen reiße,
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