Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.deutlich gehört, guck, das fällt mir jetzt ein, das ist das Wahrzeichen, frohlockte der Vetter und rieb sich immer die linke Seite der Stirne, als weckte er ein Organ der Erinnerung. Diethelm lächelte in sich hinein, daß der Vetter gerade dessen sich erinnerte, was er erst vor Gericht zu seinem eigenen Schrecken noch hinzugesetzt, er fuhr aber leichthin fort: Dann wirst dich auch an alles Andere erinnern, und daß ich mein' Fränz hab' holen wollen, damit mein' Frau nicht so allein ist, wenn ihre Stieftochter stirbt, aber ich brauch' dir ja nichts sagen, du weißt Alles allein, und sag du's nur frei. So fuhr Diethelm fort und wußte nach und nach in der harmlosesten Weise dem Trompeter sein Stücklein auf Noten zu setzen, daß es eine Art hatte. Der junge Kübler drängte zur Trennung, da es Tag zu werden begann. Diethelm reichte Beiden wohlgemuth die Hand, und der Vetter entschuldigte sich noch, daß er sich nicht gleich auf Alles besonnen habe; der Schrecken beim Brand habe ihm Alles weggescheucht, aber jetzt wisse er jedes Wort. Diethelm sah dem Vetter scharf ins Gesicht, um zu erkunden, ob ihn der ausgefeimte Schelm nicht verhöhne, aber der Vetter sah in der That mitleidig und treuherzig drein. Als die Beiden fort waren, streckte Diethelm die Zunge hinter ihnen heraus und sprach dann in sich hinein: Neun Zehntel der Menschen sind nichts als Hunde und Papageien, sie reden und thun, wie man sie's anlernt, und schwören dann Stein und Bein, daß das aus ihnen selber käm'. Alle die oben dran sind und über Andere herrschen, verstehen nur die Kunst, die Menschen glauben zu machen, was ihnen gut dünkt, und je mehr das einer vermag, um so größer ist er und führt die Welt' am Narrenseil herum. Mit einem erhabenen Heldengefühle legte sich Diethelm abermals zum Morgenschlafe nieder. Als die Stadtzinkenisten wieder bliesen, suchte er sich zu bereden, daß das eine Musik deutlich gehört, guck, das fällt mir jetzt ein, das ist das Wahrzeichen, frohlockte der Vetter und rieb sich immer die linke Seite der Stirne, als weckte er ein Organ der Erinnerung. Diethelm lächelte in sich hinein, daß der Vetter gerade dessen sich erinnerte, was er erst vor Gericht zu seinem eigenen Schrecken noch hinzugesetzt, er fuhr aber leichthin fort: Dann wirst dich auch an alles Andere erinnern, und daß ich mein' Fränz hab' holen wollen, damit mein' Frau nicht so allein ist, wenn ihre Stieftochter stirbt, aber ich brauch' dir ja nichts sagen, du weißt Alles allein, und sag du's nur frei. So fuhr Diethelm fort und wußte nach und nach in der harmlosesten Weise dem Trompeter sein Stücklein auf Noten zu setzen, daß es eine Art hatte. Der junge Kübler drängte zur Trennung, da es Tag zu werden begann. Diethelm reichte Beiden wohlgemuth die Hand, und der Vetter entschuldigte sich noch, daß er sich nicht gleich auf Alles besonnen habe; der Schrecken beim Brand habe ihm Alles weggescheucht, aber jetzt wisse er jedes Wort. Diethelm sah dem Vetter scharf ins Gesicht, um zu erkunden, ob ihn der ausgefeimte Schelm nicht verhöhne, aber der Vetter sah in der That mitleidig und treuherzig drein. Als die Beiden fort waren, streckte Diethelm die Zunge hinter ihnen heraus und sprach dann in sich hinein: Neun Zehntel der Menschen sind nichts als Hunde und Papageien, sie reden und thun, wie man sie's anlernt, und schwören dann Stein und Bein, daß das aus ihnen selber käm'. Alle die oben dran sind und über Andere herrschen, verstehen nur die Kunst, die Menschen glauben zu machen, was ihnen gut dünkt, und je mehr das einer vermag, um so größer ist er und führt die Welt' am Narrenseil herum. Mit einem erhabenen Heldengefühle legte sich Diethelm abermals zum Morgenschlafe nieder. 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deutlich gehört, guck, das fällt mir jetzt ein, das ist das Wahrzeichen, frohlockte der Vetter und rieb sich immer die linke Seite der Stirne, als weckte er ein Organ der Erinnerung.
Diethelm lächelte in sich hinein, daß der Vetter gerade dessen sich erinnerte, was er erst vor Gericht zu seinem eigenen Schrecken noch hinzugesetzt, er fuhr aber leichthin fort:
Dann wirst dich auch an alles Andere erinnern, und daß ich mein' Fränz hab' holen wollen, damit mein' Frau nicht so allein ist, wenn ihre Stieftochter stirbt, aber ich brauch' dir ja nichts sagen, du weißt Alles allein, und sag du's nur frei.
So fuhr Diethelm fort und wußte nach und nach in der harmlosesten Weise dem Trompeter sein Stücklein auf Noten zu setzen, daß es eine Art hatte.
Der junge Kübler drängte zur Trennung, da es Tag zu werden begann. Diethelm reichte Beiden wohlgemuth die Hand, und der Vetter entschuldigte sich noch, daß er sich nicht gleich auf Alles besonnen habe; der Schrecken beim Brand habe ihm Alles weggescheucht, aber jetzt wisse er jedes Wort. Diethelm sah dem Vetter scharf ins Gesicht, um zu erkunden, ob ihn der ausgefeimte Schelm nicht verhöhne, aber der Vetter sah in der That mitleidig und treuherzig drein. Als die Beiden fort waren, streckte Diethelm die Zunge hinter ihnen heraus und sprach dann in sich hinein: Neun Zehntel der Menschen sind nichts als Hunde und Papageien, sie reden und thun, wie man sie's anlernt, und schwören dann Stein und Bein, daß das aus ihnen selber käm'. Alle die oben dran sind und über Andere herrschen, verstehen nur die Kunst, die Menschen glauben zu machen, was ihnen gut dünkt, und je mehr das einer vermag, um so größer ist er und führt die Welt' am Narrenseil herum.
Mit einem erhabenen Heldengefühle legte sich Diethelm abermals zum Morgenschlafe nieder. Als die Stadtzinkenisten wieder bliesen, suchte er sich zu bereden, daß das eine Musik
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Zitationshilfe: | Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/135>, abgerufen am 16.02.2025. |