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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettae Lebenslauff.
[Spaltenumbruch] oder man wird vielmehr auff der sänffte dahin
getragen. Die offentlichen sünder gehen auff den höl-
len-wege zu fusse/ mit mühe und arbeit: Aber diesel-
ben/ die noch einen guten vorsatz haben/ thun es
gemächlich und mit leisem tritte; Weil die Gelehr-
ten sie allda auff der sänffte tragen/ indem sie ihre
weise zu leben gut heissen/ und äusserliche andacht
loben/ ja was inwendig und vollkommen ist/ ta-
deln/ als solche/ derer blödes gesicht/ ein klärers
liecht/ als das ihrige ist/ nicht vertragen kan. Jhr
hochmut verhindert sie solches anzusehen/ und
lässet auch nicht zu/ daß ein anderer es ansehe; weil
sie alle die ehre dessen/ was schön und gut ist/ al-
lein haben/ und keinem andern davon etwas ü-
berlassen wollen. Daher sagt der HErr Chri-
stus/ ich wil die weißheit der weisen vernichti-
gen/ und die klugheit der klugen vereitelen: Und
solches wird er nun so viel mehr thun/ weil sich
ihre weißheit und klugheit dem rechte Gottes
widersetzt/ und ihm keines weges weichen wil.

6. Gottsendet sein liecht in die welt/ und die
weisen wollen es nicht annehmen/ in dem sie
ihre finsternüß mehrlieben als das liecht. Die
Heiligen selbst haben bekant/ daß sie in der fin-
sternüß lebeten/ und daß/ sie in der heiligen
schrifft dappten und tasteten/ wie die blinden.
Aber die heutigen lehrer leben in ihrem eygenen
urtheile/ sicher/ in dem sie andere durch eben
dieselbe finsternüß führen; und also verderben
alle: Weil niemand das liecht Gottes suchet
und ein jeder sich mit der menschlichen weißheit/
und klugheit vergnüget hält. Ja weil ein blin-
der den andern leitet/ werden sie beyde in die
grube fallen. Es ist ein grösses übel blind zu
seyn; aber es ist noch ein viel grösseres seine
blindheit nicht erkennen wollen; dieses ist ein
verzweiffeltes übel: weil man also auß einem
sturtzfalle zun andern fället/ und keinen zu ver-
meiden weiß.

7. Hier sehen wir den armseligen zuständ
der heutigen Christenheit. Man weiß nicht
mehr/ wo die warheit ist. Dieselben/ welche
vorgeben sie zu haben/ stecken voll irthümer; in
dem sie die warheit/ die uns der HErr Jesus
nachgelassen/ weder reden noch darnach thun/
ja welches noch schlimmer ist/ nicht einmahl
gestatten wollen/ daß ein ander ihr folge. Dann
sie haben handgriffe/ welche sie nach ihrer son-
derlichen weise/ selbst erfunden: Damit wol-
len sie die gantze welt leiten. Dieses verursa-
chet/ daß alle sinne verdorben seynd/ in dem ein je-
der seinen sonderlichen verstand hat. Und das
volck/ welches auff so unterschiedliche/ und wi-
derwärtige weise geführet wird/ lebet in eben
vielen verwirrungen-als man fick-fackereyen in
geiste ihrer lehrer findet. Auch ist es kein wun-
der/ daß die welt immer ärger und schlimmer
wird: Weil das böse/ wann man es nicht
kennet/ keines weges kan verbessert werden.
Ein jeder lebet so sicher/ als wann es mit ihm
sehr wohl stünde: Wiewohl man/ so lange die
welt gestanden/ niemahls so böse gelebet.
Man hat zwar darinnen allezeit böse Menschen
gefunden; aber jetzund ist das böse so allge-
mein/ daß auch dieselben die from und gut seyn
wollen/ so wohl böse sind als die andere. Ja
mich düncket selbst/ es sey viel grösser unter de-
nen/ die man für fromm hält/ als unter den übri-
gen/ welche beruffen seyn/ daß sie böse seynd/ weil
[Spaltenumbruch] unter ihnen mehr einbildung/ und weniger
busse zufinden.

8. Man sihet allda nicht mehr/ das die wahre
gerechtigkeit besitze. Alles ist verdorben/ auch
der gebrauch selbsten der sacramenten. Man
taufft die Kinder auß lauter gewohnheit.
Man bekräfftiget ohne andacht. Man gehet
zum abendmahl/ weil es von langer zeit her
ublich gewesen. Man beichtet ohne bereu-
ung seiner sünden. Man empfängt die letzte
einöhlung/ weil es also gebräuchlich ist. Man
giebet sich in den geistlichen stand ohne vorbe-
reitung. Man verehliget sich auß lauter liebe.
Man glaubet/ durch die äusserlichen Zeichen
allein/ die gnade Gottes zu empfangen:
und hiermit meynt man ein Christ zu seyn/
und in das Himmelreich einzugehen. Jst
das nicht eine grosse betriegerey/ ja eine ver-
achtung Gottes/ in dem man der heiligen dinge
solcher gestalt mißbrauchet? Wann wir glau-
ben/ daß alles dieses ein sacrament sey/ bege-
hen wir nicht eben so offt einen geistlichen
diebstahl/ als offtmahls wir es unwürdig
empfangen? Gleichwol nimmt alles dieses
niemand in acht/ weil sich jetzund überall so
viel falsche Propheten finden/ welche sagen/
friede und sicherheit/ und unsere äusserlichen
wercke preisen/ damit sie uns die sorge für un-
sere seligkeit entziehen möchten/ in dem sie uns
denselben durch solche mittel/ die uns weit
davon abführen/ versichern. Dann derselbe/
der nichts anders hat/ als äuserliche gute
wercke/ wandelt in der gerechtigkeit Gottes
nicht; sondern ist ein heuchler/ indem er an-
dächtig scheinet/ da er es nicht ist/ als nur
vor dem Menschen.

9. Man muß den worten und verheissun-
gen dieser betriegerey nicht glauben: weil sie
unser bürde nicht tragen werden. Wir allein wer-
den vor Gott mit unsern wercken erscheinen
müssen: Welche er also richten wird/ wie sie
vor ihm befunden werden/ und nicht/ wie die
Menschen davon urtheilen/ noch wie wir sie
selbst geschätzet. Alles wird alda so rechtmäs-
sig abgewogen werden/ daß nicht das gering-
ste wird fehlen dürffen. Wir müssen besser in
uns selbst gehen/ und den grund unsers gewis-
sens untersuchen/ zu sehen/ wie alles unser thun
geschehen sey. Ja wir müssen die fehler ver-
bessern/ und uns auff das geschwätze der Men-
schen/ oder ihr urtheil nicht verlassen; weil sie
uns zum öfftern schmeicheln/ und dasselbe für
gut achten/ welches vor Gott nur böse seyn
wird.

10. Sie werden uns so leichtlich auß der
hölle nicht ziehen können/ als sie uns hinein
geführet. Last uns unser bette machen/ wie
wir uns legen wollen: Und diese ermahnung/
die von Gott kommt/ wie ein jeder sehen kan
nicht verschmähen. Dann der teuffel reitzet
niemahl zur busse/ auch ist er ein Geist der fin-
sternüß/ der unser fehler nimmermehr an den
tag giebet/ in dem er sich befahret/ daß wir sie/
wann wir ihrer gewahr würden/ bereuen und
busse thun möchten.

11. Man überdencke die warheit ein we-
nig/ welche sich allhier befindet/ und urtheile auß
eigener Erfahrung/ ob wir nicht der heiligen
dinge/ sonderlich der sacramenten/ mißbrauchen.

Zu
C c c c c 3

Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettæ Lebenslauff.
[Spaltenumbruch] oder man wird vielmehr auff der ſaͤnffte dahin
getragen. Die offentlichẽ ſuͤnder gehẽ auff dẽ hoͤl-
len-wege zu fuſſe/ mit muͤhe und arbeit: Aber dieſel-
ben/ die noch einen guten vorſatz haben/ thun es
gemaͤchlich und mit leiſem tritte; Weil die Gelehr-
ten ſie allda auff der ſaͤnffte tragen/ indem ſie ihre
weiſe zu leben gut heiſſen/ und aͤuſſerliche andacht
loben/ ja was inwendig und vollkommen iſt/ ta-
deln/ als ſolche/ derer bloͤdes geſicht/ ein klaͤrers
liecht/ als das ihrige iſt/ nicht vertragen kan. Jhr
hochmut verhindert ſie ſolches anzuſehen/ und
laͤſſet auch nicht zu/ daß ein anderer es anſehe; weil
ſie alle die ehre deſſen/ was ſchoͤn und gut iſt/ al-
lein haben/ und keinem andern davon etwas uͤ-
berlaſſen wollen. Daher ſagt der HErꝛ Chri-
ſtus/ ich wil die weißheit der weiſen vernichti-
gen/ und die klugheit der klugen vereitelen: Und
ſolches wird er nun ſo viel mehr thun/ weil ſich
ihre weißheit und klugheit dem rechte Gottes
widerſetzt/ und ihm keines weges weichen wil.

6. Gottſendet ſein liecht in die welt/ und die
weiſen wollen es nicht annehmen/ in dem ſie
ihre finſternuͤß mehꝛlieben als das liecht. Die
Heiligen ſelbſt haben bekant/ daß ſie in der fin-
ſternuͤß lebeten/ und daß/ ſie in der heiligen
ſchrifft dappten und taſteten/ wie die blinden.
Aber die heutigen lehrer leben in ihrem eygenen
urtheile/ ſicher/ in dem ſie andere durch eben
dieſelbe finſternuͤß fuͤhren; und alſo verderben
alle: Weil niemand das liecht Gottes ſuchet
und ein jeder ſich mit der menſchlichen weißheit/
und klugheit vergnuͤget haͤlt. Ja weil ein blin-
der den andern leitet/ werden ſie beyde in die
grube fallen. Es iſt ein groͤſſes uͤbel blind zu
ſeyn; aber es iſt noch ein viel groͤſſeres ſeine
blindheit nicht erkennen wollen; dieſes iſt ein
verzweiffeltes uͤbel: weil man alſo auß einem
ſturtzfalle zun andern faͤllet/ und keinen zu ver-
meiden weiß.

7. Hier ſehen wir den armſeligen zuſtaͤnd
der heutigen Chriſtenheit. Man weiß nicht
mehr/ wo die warheit iſt. Dieſelben/ welche
vorgeben ſie zu haben/ ſtecken voll irthuͤmer; in
dem ſie die warheit/ die uns der HErꝛ Jeſus
nachgelaſſen/ weder reden noch darnach thun/
ja welches noch ſchlimmer iſt/ nicht einmahl
geſtatten wollen/ daß ein ander ihr folge. Dann
ſie haben handgriffe/ welche ſie nach ihrer ſon-
derlichen weiſe/ ſelbſt erfunden: Damit wol-
len ſie die gantze welt leiten. Dieſes verurſa-
chet/ daß alle ſinne verdorben ſeynd/ in dem ein je-
der ſeinen ſonderlichen verſtand hat. Und das
volck/ welches auff ſo unterſchiedliche/ und wi-
derwaͤrtige weiſe gefuͤhret wird/ lebet in eben
vielen verwirrungen-als man fick-fackereyen in
geiſte ihrer lehrer findet. Auch iſt es kein wun-
der/ daß die welt immer aͤrger und ſchlimmer
wird: Weil das boͤſe/ wann man es nicht
kennet/ keines weges kan verbeſſert werden.
Ein jeder lebet ſo ſicher/ als wann es mit ihm
ſehr wohl ſtuͤnde: Wiewohl man/ ſo lange die
welt geſtanden/ niemahls ſo boͤſe gelebet.
Man hat zwar darinnen allezeit boͤſe Menſchen
gefunden; aber jetzund iſt das boͤſe ſo allge-
mein/ daß auch dieſelben die from und gut ſeyn
wollen/ ſo wohl boͤſe ſind als die andere. Ja
mich duͤncket ſelbſt/ es ſey viel groͤſſer unter de-
nen/ die man fuͤr from̃ haͤlt/ als unter den uͤbri-
gen/ welche beruffen ſeyn/ daß ſie boͤſe ſeynd/ weil
[Spaltenumbruch] unter ihnen mehr einbildung/ und weniger
buſſe zufinden.

8. Man ſihet allda nicht mehr/ das die wahre
gerechtigkeit beſitze. Alles iſt verdorben/ auch
der gebrauch ſelbſten der ſacramenten. Man
taufft die Kinder auß lauter gewohnheit.
Man bekraͤfftiget ohne andacht. Man gehet
zum abendmahl/ weil es von langer zeit her
ublich geweſen. Man beichtet ohne bereu-
ung ſeiner ſuͤnden. Man empfaͤngt die letzte
einoͤhlung/ weil es alſo gebraͤuchlich iſt. Man
giebet ſich in den geiſtlichen ſtand ohne vorbe-
reitung. Man verehliget ſich auß lauter liebe.
Man glaubet/ durch die aͤuſſerlichen Zeichen
allein/ die gnade Gottes zu empfangen:
und hiermit meynt man ein Chriſt zu ſeyn/
und in das Himmelreich einzugehen. Jſt
das nicht eine groſſe betriegerey/ ja eine ver-
achtung Gottes/ in dem man der heiligen dinge
ſolcher geſtalt mißbrauchet? Wann wir glau-
ben/ daß alles dieſes ein ſacrament ſey/ bege-
hen wir nicht eben ſo offt einen geiſtlichen
diebſtahl/ als offtmahls wir es unwuͤrdig
empfangen? Gleichwol nimmt alles dieſes
niemand in acht/ weil ſich jetzund uͤberall ſo
viel falſche Propheten finden/ welche ſagen/
friede und ſicherheit/ und unſere aͤuſſerlichen
wercke preiſen/ damit ſie uns die ſorge fuͤr un-
ſere ſeligkeit entziehen moͤchten/ in dem ſie uns
denſelben durch ſolche mittel/ die uns weit
davon abfuͤhren/ verſichern. Dann derſelbe/
der nichts anders hat/ als aͤuſerliche gute
wercke/ wandelt in der gerechtigkeit Gottes
nicht; ſondern iſt ein heuchler/ indem er an-
daͤchtig ſcheinet/ da er es nicht iſt/ als nur
vor dem Menſchen.

9. Man muß den worten und verheiſſun-
gen dieſer betriegerey nicht glauben: weil ſie
unſer buͤrde nicht tragẽ werdẽ. Wir allein wer-
den vor Gott mit unſern wercken erſcheinen
muͤſſen: Welche er alſo richten wird/ wie ſie
vor ihm befunden werden/ und nicht/ wie die
Menſchen davon urtheilen/ noch wie wir ſie
ſelbſt geſchaͤtzet. Alles wird alda ſo rechtmaͤſ-
ſig abgewogen werden/ daß nicht das gering-
ſte wird fehlen duͤrffen. Wir muͤſſen beſſer in
uns ſelbſt gehen/ und den grund unſers gewiſ-
ſens unterſuchen/ zu ſehen/ wie alles unſer thun
geſchehen ſey. Ja wir muͤſſen die fehler ver-
beſſern/ und uns auff das geſchwaͤtze der Men-
ſchen/ oder ihr urtheil nicht verlaſſen; weil ſie
uns zum oͤfftern ſchmeicheln/ und daſſelbe fuͤr
gut achten/ welches vor Gott nur boͤſe ſeyn
wird.

10. Sie werden uns ſo leichtlich auß der
hoͤlle nicht ziehen koͤnnen/ als ſie uns hinein
gefuͤhret. Laſt uns unſer bette machen/ wie
wir uns legen wollen: Und dieſe ermahnung/
die von Gott kommt/ wie ein jeder ſehen kan
nicht verſchmaͤhen. Dann der teuffel reitzet
niemahl zur buſſe/ auch iſt er ein Geiſt der fin-
ſternuͤß/ der unſer fehler nimmermehr an den
tag giebet/ in dem er ſich befahret/ daß wir ſie/
wann wir ihrer gewahr wuͤrden/ bereuen und
buſſe thun moͤchten.

11. Man uͤberdencke die warheit ein we-
nig/ welche ſich allhier befindet/ und urtheile auß
eigener Erfahrung/ ob wir nicht der heiligen
dinge/ ſondeꝛlich deꝛ ſacramenten/ mißbrauchen.

Zu
C c c c c 3
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[757/1065] Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettæ Lebenslauff. oder man wird vielmehr auff der ſaͤnffte dahin getragen. Die offentlichẽ ſuͤnder gehẽ auff dẽ hoͤl- len-wege zu fuſſe/ mit muͤhe und arbeit: Aber dieſel- ben/ die noch einen guten vorſatz haben/ thun es gemaͤchlich und mit leiſem tritte; Weil die Gelehr- ten ſie allda auff der ſaͤnffte tragen/ indem ſie ihre weiſe zu leben gut heiſſen/ und aͤuſſerliche andacht loben/ ja was inwendig und vollkommen iſt/ ta- deln/ als ſolche/ derer bloͤdes geſicht/ ein klaͤrers liecht/ als das ihrige iſt/ nicht vertragen kan. Jhr hochmut verhindert ſie ſolches anzuſehen/ und laͤſſet auch nicht zu/ daß ein anderer es anſehe; weil ſie alle die ehre deſſen/ was ſchoͤn und gut iſt/ al- lein haben/ und keinem andern davon etwas uͤ- berlaſſen wollen. Daher ſagt der HErꝛ Chri- ſtus/ ich wil die weißheit der weiſen vernichti- gen/ und die klugheit der klugen vereitelen: Und ſolches wird er nun ſo viel mehr thun/ weil ſich ihre weißheit und klugheit dem rechte Gottes widerſetzt/ und ihm keines weges weichen wil. 6. Gottſendet ſein liecht in die welt/ und die weiſen wollen es nicht annehmen/ in dem ſie ihre finſternuͤß mehꝛlieben als das liecht. Die Heiligen ſelbſt haben bekant/ daß ſie in der fin- ſternuͤß lebeten/ und daß/ ſie in der heiligen ſchrifft dappten und taſteten/ wie die blinden. Aber die heutigen lehrer leben in ihrem eygenen urtheile/ ſicher/ in dem ſie andere durch eben dieſelbe finſternuͤß fuͤhren; und alſo verderben alle: Weil niemand das liecht Gottes ſuchet und ein jeder ſich mit der menſchlichen weißheit/ und klugheit vergnuͤget haͤlt. Ja weil ein blin- der den andern leitet/ werden ſie beyde in die grube fallen. Es iſt ein groͤſſes uͤbel blind zu ſeyn; aber es iſt noch ein viel groͤſſeres ſeine blindheit nicht erkennen wollen; dieſes iſt ein verzweiffeltes uͤbel: weil man alſo auß einem ſturtzfalle zun andern faͤllet/ und keinen zu ver- meiden weiß. 7. Hier ſehen wir den armſeligen zuſtaͤnd der heutigen Chriſtenheit. Man weiß nicht mehr/ wo die warheit iſt. Dieſelben/ welche vorgeben ſie zu haben/ ſtecken voll irthuͤmer; in dem ſie die warheit/ die uns der HErꝛ Jeſus nachgelaſſen/ weder reden noch darnach thun/ ja welches noch ſchlimmer iſt/ nicht einmahl geſtatten wollen/ daß ein ander ihr folge. Dann ſie haben handgriffe/ welche ſie nach ihrer ſon- derlichen weiſe/ ſelbſt erfunden: Damit wol- len ſie die gantze welt leiten. Dieſes verurſa- chet/ daß alle ſinne verdorben ſeynd/ in dem ein je- der ſeinen ſonderlichen verſtand hat. Und das volck/ welches auff ſo unterſchiedliche/ und wi- derwaͤrtige weiſe gefuͤhret wird/ lebet in eben vielen verwirrungen-als man fick-fackereyen in geiſte ihrer lehrer findet. Auch iſt es kein wun- der/ daß die welt immer aͤrger und ſchlimmer wird: Weil das boͤſe/ wann man es nicht kennet/ keines weges kan verbeſſert werden. Ein jeder lebet ſo ſicher/ als wann es mit ihm ſehr wohl ſtuͤnde: Wiewohl man/ ſo lange die welt geſtanden/ niemahls ſo boͤſe gelebet. Man hat zwar darinnen allezeit boͤſe Menſchen gefunden; aber jetzund iſt das boͤſe ſo allge- mein/ daß auch dieſelben die from und gut ſeyn wollen/ ſo wohl boͤſe ſind als die andere. Ja mich duͤncket ſelbſt/ es ſey viel groͤſſer unter de- nen/ die man fuͤr from̃ haͤlt/ als unter den uͤbri- gen/ welche beruffen ſeyn/ daß ſie boͤſe ſeynd/ weil unter ihnen mehr einbildung/ und weniger buſſe zufinden. 8. Man ſihet allda nicht mehr/ das die wahre gerechtigkeit beſitze. Alles iſt verdorben/ auch der gebrauch ſelbſten der ſacramenten. Man taufft die Kinder auß lauter gewohnheit. Man bekraͤfftiget ohne andacht. Man gehet zum abendmahl/ weil es von langer zeit her ublich geweſen. Man beichtet ohne bereu- ung ſeiner ſuͤnden. Man empfaͤngt die letzte einoͤhlung/ weil es alſo gebraͤuchlich iſt. Man giebet ſich in den geiſtlichen ſtand ohne vorbe- reitung. Man verehliget ſich auß lauter liebe. Man glaubet/ durch die aͤuſſerlichen Zeichen allein/ die gnade Gottes zu empfangen: und hiermit meynt man ein Chriſt zu ſeyn/ und in das Himmelreich einzugehen. Jſt das nicht eine groſſe betriegerey/ ja eine ver- achtung Gottes/ in dem man der heiligen dinge ſolcher geſtalt mißbrauchet? Wann wir glau- ben/ daß alles dieſes ein ſacrament ſey/ bege- hen wir nicht eben ſo offt einen geiſtlichen diebſtahl/ als offtmahls wir es unwuͤrdig empfangen? Gleichwol nimmt alles dieſes niemand in acht/ weil ſich jetzund uͤberall ſo viel falſche Propheten finden/ welche ſagen/ friede und ſicherheit/ und unſere aͤuſſerlichen wercke preiſen/ damit ſie uns die ſorge fuͤr un- ſere ſeligkeit entziehen moͤchten/ in dem ſie uns denſelben durch ſolche mittel/ die uns weit davon abfuͤhren/ verſichern. Dann derſelbe/ der nichts anders hat/ als aͤuſerliche gute wercke/ wandelt in der gerechtigkeit Gottes nicht; ſondern iſt ein heuchler/ indem er an- daͤchtig ſcheinet/ da er es nicht iſt/ als nur vor dem Menſchen. 9. Man muß den worten und verheiſſun- gen dieſer betriegerey nicht glauben: weil ſie unſer buͤrde nicht tragẽ werdẽ. Wir allein wer- den vor Gott mit unſern wercken erſcheinen muͤſſen: Welche er alſo richten wird/ wie ſie vor ihm befunden werden/ und nicht/ wie die Menſchen davon urtheilen/ noch wie wir ſie ſelbſt geſchaͤtzet. Alles wird alda ſo rechtmaͤſ- ſig abgewogen werden/ daß nicht das gering- ſte wird fehlen duͤrffen. Wir muͤſſen beſſer in uns ſelbſt gehen/ und den grund unſers gewiſ- ſens unterſuchen/ zu ſehen/ wie alles unſer thun geſchehen ſey. Ja wir muͤſſen die fehler ver- beſſern/ und uns auff das geſchwaͤtze der Men- ſchen/ oder ihr urtheil nicht verlaſſen; weil ſie uns zum oͤfftern ſchmeicheln/ und daſſelbe fuͤr gut achten/ welches vor Gott nur boͤſe ſeyn wird. 10. Sie werden uns ſo leichtlich auß der hoͤlle nicht ziehen koͤnnen/ als ſie uns hinein gefuͤhret. Laſt uns unſer bette machen/ wie wir uns legen wollen: Und dieſe ermahnung/ die von Gott kommt/ wie ein jeder ſehen kan nicht verſchmaͤhen. Dann der teuffel reitzet niemahl zur buſſe/ auch iſt er ein Geiſt der fin- ſternuͤß/ der unſer fehler nimmermehr an den tag giebet/ in dem er ſich befahret/ daß wir ſie/ wann wir ihrer gewahr wuͤrden/ bereuen und buſſe thun moͤchten. 11. Man uͤberdencke die warheit ein we- nig/ welche ſich allhier befindet/ und urtheile auß eigener Erfahrung/ ob wir nicht der heiligen dinge/ ſondeꝛlich deꝛ ſacramenten/ mißbrauchen. Zu C c c c c 3

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/1065>, abgerufen am 21.12.2024.