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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettae Lebenslauff.
[Spaltenumbruch]

2. Wann es wahr wäre/ daß man nichts mehr
thun solte/ als zur messe gehen und etliche Vater
unser hersagen/ wann man selig werden wolte;
So ist es kein wunder/ daß die welt in allerley
greuel lebet/ und sich der verdammniß nicht be-
fahret. Dann was das messe gehen/ das her-
sagen des Vater unsers nach einer gewissen
zahl des Rosencrantzes/ und dergleichen dinge
betrifft/ das thut ein jeder gnug/ aber thut das
nicht das gesetz GOttes abschaffen? Wann
diese väter solches zu gelehrten sagten/ so könte
man meinen/ sie hätten darum nicht beyfügen
wollen/ daß man selig zu werden das gebote
GOttes halten müste/ weil ein gelehrter sol-
ches ohne das wüste. Aber sie redenzu den
kindern/ welche nöthig haben den grund unsers
glaubens zu lernen/ gleichwol zeigen sie ihnen
nichts als wenig nöthige mittel/ damit sie nur
immer mehr möchten zum ziele gelangen/ in dem
sie diese junge seelen mit ihren selbst erdichteten
lehren erfüllen/ und also ihren geist mit unnützen
dingen äffen/ sie unter der einbildung zu erhal-
ten/ daß sie ohne gute wercke selig werden kön-
ten; welches eine sünde wider den H. Geist ist.

3. Jch glaube nicht/ daß der teuffel selbst ge-
fährlichere dinge lehren könte/ die gantze welt
an sich zu ziehen: weil unter der stütze der gebo-
te und andacht einjeder seiner seligkeit versichert
zu seyn urtheilen würde/ wann es schon am
aller gefährlichsten um sie stünde/ dergestalt daß
er wenig fleisses anwendete/ die liebe gegen Gott
oder gegen dem nächsten zu erlangen/ in deme
er glaubete den weg der seligkeit zuwandeln/
und GOtt sehr wol zu dienen: dann Petrus und
die erfahrung lehret uns gnug daß diese verdamm-
liche lehre die gantze welt verblendet. Dann nie-
mand hat einige liebe mehr weder zu GOtt noch
zum nächsten/ und ein jeder lebet sicher dahin/ und
thut gantz keine mühe dahin zu gelangen. Wann
diese GOttesgelehrten solche lehre nicht einge-
führt hätten/ so würden viel fromme seelen sich
beeiffrigen/ gemeldte liebe gegen den nächsten zu
finden/ und zur liebe GOttes/ die so hoch nö-
thig ist/ zugelangen.

4. Aber weil sie den H. Geist selbst nicht ha-
ben/ so können sie ihn andern auch nicht geben.
Ehe der HErr JEsus den menschen die macht
gab/ die sünde zuvergeben/ sprach er zu ihnen
empfanget den H. Geist; als wolt er sagen/ sie
könten diese macht nicht haben/ als durch den
H. Geist. Aber itzund dringet sich ein jeder zum
lehren/ die sünde zu vergeben/ da er doch den
H. Geist nicht empfangen/ als nur durch äusser-
liche zeichen: Jndem ihre seelen von innen eben
viel/ ja zu weilen wol mehr mit der liebe zu irrdi-
schen dingen erfülletseynd/ als die welt-leute; und
dieses widerstrebet schnur stracks den wirckun-
gen der gaben und früchte des H. Geistes/ und
dem zur folge der macht ihn andern einzublasen.
Daher kommt es/ daß weder der eine noch der
andere die liebe GOttes hat; in dem der eine sich
vergnüget hält/ die äusserlichen Christlichen
pflicht- schuldigkeiten/ zu lehren und der ande-
re sie zu thun/ als da seynd das gehen nach der
messe/ das tragen des Rosenkrantzes/ das
beichten und empfangen des Nachtmals und
das verrichten etlicher gebete nach einander;
da sich unterdessen keiner befleißiget von der er-
de sein hertz abzuziehen/ noch sich selbsten zu ver-
leugnen/ damit er zur liebe GOttes gelangen
[Spaltenumbruch] möchte. Und also schicken sich sehr wol zu den
heutigen Christen diese worte: Dieses volck
betet mich mit seinen lippen an/ aber ihr hertz ist
ferne von mir. Hiesige worte sind mir offt in
den sinn gekommen/ wann ich in der Messe sin-
gen hörete: Hebet eure hertzen auff! in dem ich
glaubete/ daß die antwort: Herr/ wir haben sie
erhoben/ nicht wahr sey. Zumal weil das äus-
serliche wesen und die gebährden gnugsam be-
zeigten/ daß man zu GOtt sein hertz nicht auff-
gehoben/ sondern vielmehr von ihm hier und
dort hin abgewendet. Dieses ist eben/ das gros-
sen anlaß gibt zu so weniger andacht des volcks/
welches glaubet sehr wohl zu thun/ wann es
den Priestern und Hirten seiner seelen nachah-
met/ die verpflichtet seyn die vollkommenheit
zu haben/ ehe sie dieselbe denen/ welche sie su-
chen/ anzuweisen sich unterfangen.

6. Dann es wird von einem Pfarrherrn
oder Priester erfodert/ daß er vollkommen sey;
und von einem Pfarrkinde/ nach der vollkom-
menheit zu streben: darum fragte der HErr Je-
sus den H. Petrum dreymal ob er ihn lieb hätte/
eh er ihm befahl seine schafe zu weiden; damit
er sein gewissen wol untersuchen möchte/ zu wis-
sen/ ob er GOTT in seiner seelen warhaff-
tig liebete/ und ob er ihn noch als GOtte lie-
bete; ja er fraget ihn eben darum drey unter-
schiedliche mal/ damit er zeugniß von seinem ge-
wissen haben möchte/ zu wissen/ ob er geschickt
und vorbereitet gnug wäre/ zum hirten der schafe
des HErrn JEsu bestellet zu werden; welcher
zwar/ ohne ihn zu fragen/ seine geschicklichkeit
wol wuste/ weil er derselbe ist/ der die nieren
durchgründet/ und die gewissen kennet. Es
schiene unnöthig zu seyn/ daß er ihn dreymal
fragete/ ja so/ daß es dem H. Petro zu verdries-
sen begunte; aber es geschahe darum/ damit
er wissen möchte/ es sey nicht gnug/ daß nur
GOtt die liebe/ die er zu ihm trüge/ kennete; son-
dern er müsse sie auch selbst kennen/ und von sich
selbst richten und urtheilen/ ehe er zum urtheiler
und richter anderer gemacht würde. Dann
derselbe/ der die gerechtigkeitnur vor GOTT
hat/ ist noch nicht fähig gnug andere zu recht-
fertigen; er muß seine gerechtigkeit auch vor
den menschen sehen lassen/ aus furcht/ es möchte
derselben unwissenheit ihnen einiges ärgerniß
verursachen. Dann derselbe/ der sich auff das
zeugniß seines guten gewissens nicht gegründet
befindet/ ist eben als ein schilffrohr/ das der wind
hin und her wehet; indem er durch die geringste
bewegung etwan einer wiederwärtigkeit oder
verfolgung verändert wird.

7. Dieses seynd die eigenschafften/ die ein rech-
ter Pfarrherr haben soll/ ehe er für würdig mag
erkant werden/ daß man ihn zum Vater der
Christen/ oder einen richter und versorger ihrer
seelen bestelle. Aber ach leider! ein jeder strebet
und lauffet darnach/ ja dringet sich dazu ein/ ehe
man untersuchet hat/ ob er GOTT liebet/
und ob diese liebe aus seinen wercken erscheinet.
Daher kommt es/ daß sie blinde seyn/ welche
die blinde leiten/ und alle beyde in die grube fal-
len. Dann der meiste theil hat weder die liebe
GOttes noch des nächsten/ auch sucht er die
mittel nicht sie zu erlangen; indem er mit dem
zu frieden ist/ daß er den namen Pfarrherr füh-
ret/ und sein Pfarr-amt äusserlich verrichtet.
Ob es schon von der liebe/ die er zu Gott tragen

soll/
Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettæ Lebenslauff.
[Spaltenumbruch]

2. Wañ es wahr waͤre/ daß man nichts mehr
thun ſolte/ als zur meſſe gehen und etliche Vater
unſer herſagen/ wann man ſelig werden wolte;
So iſt es kein wunder/ daß die welt in allerley
greuel lebet/ und ſich der verdam̃niß nicht be-
fahret. Dann was das meſſe gehen/ das her-
ſagen des Vater unſers nach einer gewiſſen
zahl des Roſencrantzes/ und dergleichen dinge
betrifft/ das thut ein jeder gnug/ aber thut das
nicht das geſetz GOttes abſchaffen? Wann
dieſe vaͤter ſolches zu gelehrten ſagten/ ſo koͤnte
man meinen/ ſie haͤtten darum nicht beyfuͤgen
wollen/ daß man ſelig zu werden das gebote
GOttes halten muͤſte/ weil ein gelehrter ſol-
ches ohne das wuͤſte. Aber ſie redenzu den
kindern/ welche noͤthig haben den grund unſers
glaubens zu lernen/ gleichwol zeigen ſie ihnen
nichts als wenig noͤthige mittel/ damit ſie nur
immeꝛ mehꝛ moͤchten zum ziele gelangen/ in dem
ſie dieſe junge ſeelen mit ihren ſelbſt erdichteten
lehren erfuͤllen/ und alſo ihren geiſt mit unnuͤtzen
dingen aͤffen/ ſie unter der einbildung zu erhal-
ten/ daß ſie ohne gute wercke ſelig werden koͤn-
ten; welches eine ſuͤnde wider den H. Geiſt iſt.

3. Jch glaube nicht/ daß der teuffel ſelbſt ge-
faͤhrlichere dinge lehren koͤnte/ die gantze welt
an ſich zu ziehen: weil unter der ſtuͤtze der gebo-
te und andacht einjeder ſeiner ſeligkeit verſichert
zu ſeyn urtheilen wuͤrde/ wann es ſchon am
aller gefaͤhrlichſten um ſie ſtuͤnde/ dergeſtalt daß
er wenig fleiſſes anwendete/ die liebe gegen Gott
oder gegen dem naͤchſten zu erlangen/ in deme
er glaubete den weg der ſeligkeit zuwandeln/
und GOtt ſehr wol zu dienen: dann Petrus und
die eꝛfahꝛung lehꝛet uns gnug daß dieſe verdam̃-
liche lehre die gantze welt verblendet. Dann nie-
mand hat einige liebe mehr weder zu GOtt noch
zum naͤchſten/ und ein jeder lebet ſicher dahin/ uñ
thut gantz keine muͤhe dahin zu gelangen. Wañ
dieſe GOttesgelehrten ſolche lehre nicht einge-
fuͤhrt haͤtten/ ſo wuͤrden viel fromme ſeelen ſich
beeiffrigen/ gemeldte liebe gegen den naͤchſten zu
finden/ und zur liebe GOttes/ die ſo hoch noͤ-
thig iſt/ zugelangen.

4. Aber weil ſie den H. Geiſt ſelbſt nicht ha-
ben/ ſo koͤnnen ſie ihn andern auch nicht geben.
Ehe der HErꝛ JEſus den menſchen die macht
gab/ die ſuͤnde zuvergeben/ ſprach er zu ihnen
empfanget den H. Geiſt; als wolt er ſagen/ ſie
koͤnten dieſe macht nicht haben/ als durch den
H. Geiſt. Aber itzund dringet ſich ein jeder zum
lehren/ die ſuͤnde zu vergeben/ da er doch den
H. Geiſt nicht empfangen/ als nur durch aͤuſſer-
liche zeichen: Jndem ihre ſeelen von innen eben
viel/ ja zu weilen wol mehr mit der liebe zu irꝛdi-
ſchen dingen erfuͤlletſeynd/ als die welt-leute; uñ
dieſes widerſtrebet ſchnur ſtracks den wirckun-
gen der gaben und fruͤchte des H. Geiſtes/ und
dem zur folge der macht ihn andern einzublaſen.
Daher kommt es/ daß weder der eine noch der
andere die liebe GOttes hat; in dem der eine ſich
vergnuͤget haͤlt/ die aͤuſſerlichen Chriſtlichen
pflicht- ſchuldigkeiten/ zu lehren und der ande-
re ſie zu thun/ als da ſeynd das gehen nach der
meſſe/ das tragen des Roſenkrantzes/ das
beichten und empfangen des Nachtmals und
das verrichten etlicher gebete nach einander;
da ſich unterdeſſen keiner befleißiget von der er-
de ſein hertz abzuziehen/ noch ſich ſelbſten zu ver-
leugnen/ damit er zur liebe GOttes gelangen
[Spaltenumbruch] moͤchte. Und alſo ſchicken ſich ſehr wol zu den
heutigen Chriſten dieſe worte: Dieſes volck
betet mich mit ſeinen lippen an/ aber ihr hertz iſt
ferne von mir. Hieſige worte ſind mir offt in
den ſinn gekommen/ wann ich in der Meſſe ſin-
gen hoͤrete: Hebet eure hertzen auff! in dem ich
glaubete/ daß die antwort: Herꝛ/ wir haben ſie
erhoben/ nicht wahr ſey. Zumal weil das aͤuſ-
ſerliche weſen und die gebaͤhrden gnugſam be-
zeigten/ daß man zu GOtt ſein hertz nicht auff-
gehoben/ ſondern vielmehr von ihm hier und
dort hin abgewendet. Dieſes iſt eben/ das groſ-
ſen anlaß gibt zu ſo weniger andacht des volcks/
welches glaubet ſehr wohl zu thun/ wann es
den Prieſtern und Hirten ſeiner ſeelen nachah-
met/ die verpflichtet ſeyn die vollkommenheit
zu haben/ ehe ſie dieſelbe denen/ welche ſie ſu-
chen/ anzuweiſen ſich unterfangen.

6. Dann es wird von einem Pfarrherꝛn
oder Prieſter erfodert/ daß er vollkommen ſey;
und von einem Pfarrkinde/ nach der vollkom-
menheit zu ſtreben: darum fragte der HErr Je-
ſus den H. Petrum dreymal ob er ihn lieb haͤtte/
eh er ihm befahl ſeine ſchafe zu weiden; damit
er ſein gewiſſen wol unterſuchen moͤchte/ zu wiſ-
ſen/ ob er GOTT in ſeiner ſeelen warhaff-
tig liebete/ und ob er ihn noch als GOtte lie-
bete; ja er fraget ihn eben darum drey unter-
ſchiedliche mal/ damit er zeugniß von ſeinem ge-
wiſſen haben moͤchte/ zu wiſſen/ ob er geſchickt
und voꝛbereitet gnug waͤre/ zum hirten der ſchafe
des HErꝛn JEſu beſtellet zu werden; welcher
zwar/ ohne ihn zu fragen/ ſeine geſchicklichkeit
wol wuſte/ weil er derſelbe iſt/ der die nieren
durchgruͤndet/ und die gewiſſen kennet. Es
ſchiene unnoͤthig zu ſeyn/ daß er ihn dreymal
fragete/ ja ſo/ daß es dem H. Petro zu verdrieſ-
ſen begunte; aber es geſchahe darum/ damit
er wiſſen moͤchte/ es ſey nicht gnug/ daß nur
GOtt die liebe/ die er zu ihm truͤge/ kennete; ſon-
dern er muͤſſe ſie auch ſelbſt kennen/ und von ſich
ſelbſt richten und urtheilen/ ehe er zum urtheiler
und richter anderer gemacht wuͤrde. Dann
derſelbe/ der die gerechtigkeitnur vor GOTT
hat/ iſt noch nicht faͤhig gnug andere zu recht-
fertigen; er muß ſeine gerechtigkeit auch vor
den menſchen ſehen laſſen/ aus furcht/ es moͤchte
derſelben unwiſſenheit ihnen einiges aͤrgerniß
verurſachen. Dann derſelbe/ der ſich auff das
zeugniß ſeines guten gewiſſens nicht gegruͤndet
befindet/ iſt eben als ein ſchilffrohr/ das der wind
hin und her wehet; indem er durch die geringſte
bewegung etwan einer wiederwaͤrtigkeit oder
verfolgung veraͤndert wird.

7. Dieſes ſeynd die eigenſchafften/ die ein rech-
ter Pfarrherꝛ haben ſoll/ ehe er fuͤr wuͤrdig mag
erkant werden/ daß man ihn zum Vater der
Chriſten/ oder einen richter und verſorger ihrer
ſeelen beſtelle. Aber ach leider! ein jeder ſtrebet
und lauffet darnach/ ja dringet ſich dazu ein/ ehe
man unterſuchet hat/ ob er GOTT liebet/
und ob dieſe liebe aus ſeinen wercken erſcheinet.
Daher kommt es/ daß ſie blinde ſeyn/ welche
die blinde leiten/ und alle beyde in die grube fal-
len. Dann der meiſte theil hat weder die liebe
GOttes noch des naͤchſten/ auch ſucht er die
mittel nicht ſie zu erlangen; indem er mit dem
zu frieden iſt/ daß er den namen Pfarꝛherꝛ fuͤh-
ret/ und ſein Pfarꝛ-amt aͤuſſerlich verrichtet.
Ob es ſchon von der liebe/ die er zu Gott tragen

ſoll/
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[743/1051] Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettæ Lebenslauff. 2. Wañ es wahr waͤre/ daß man nichts mehr thun ſolte/ als zur meſſe gehen und etliche Vater unſer herſagen/ wann man ſelig werden wolte; So iſt es kein wunder/ daß die welt in allerley greuel lebet/ und ſich der verdam̃niß nicht be- fahret. Dann was das meſſe gehen/ das her- ſagen des Vater unſers nach einer gewiſſen zahl des Roſencrantzes/ und dergleichen dinge betrifft/ das thut ein jeder gnug/ aber thut das nicht das geſetz GOttes abſchaffen? Wann dieſe vaͤter ſolches zu gelehrten ſagten/ ſo koͤnte man meinen/ ſie haͤtten darum nicht beyfuͤgen wollen/ daß man ſelig zu werden das gebote GOttes halten muͤſte/ weil ein gelehrter ſol- ches ohne das wuͤſte. Aber ſie redenzu den kindern/ welche noͤthig haben den grund unſers glaubens zu lernen/ gleichwol zeigen ſie ihnen nichts als wenig noͤthige mittel/ damit ſie nur immeꝛ mehꝛ moͤchten zum ziele gelangen/ in dem ſie dieſe junge ſeelen mit ihren ſelbſt erdichteten lehren erfuͤllen/ und alſo ihren geiſt mit unnuͤtzen dingen aͤffen/ ſie unter der einbildung zu erhal- ten/ daß ſie ohne gute wercke ſelig werden koͤn- ten; welches eine ſuͤnde wider den H. Geiſt iſt. 3. Jch glaube nicht/ daß der teuffel ſelbſt ge- faͤhrlichere dinge lehren koͤnte/ die gantze welt an ſich zu ziehen: weil unter der ſtuͤtze der gebo- te und andacht einjeder ſeiner ſeligkeit verſichert zu ſeyn urtheilen wuͤrde/ wann es ſchon am aller gefaͤhrlichſten um ſie ſtuͤnde/ dergeſtalt daß er wenig fleiſſes anwendete/ die liebe gegen Gott oder gegen dem naͤchſten zu erlangen/ in deme er glaubete den weg der ſeligkeit zuwandeln/ und GOtt ſehr wol zu dienen: dann Petrus und die eꝛfahꝛung lehꝛet uns gnug daß dieſe verdam̃- liche lehre die gantze welt verblendet. Dann nie- mand hat einige liebe mehr weder zu GOtt noch zum naͤchſten/ und ein jeder lebet ſicher dahin/ uñ thut gantz keine muͤhe dahin zu gelangen. Wañ dieſe GOttesgelehrten ſolche lehre nicht einge- fuͤhrt haͤtten/ ſo wuͤrden viel fromme ſeelen ſich beeiffrigen/ gemeldte liebe gegen den naͤchſten zu finden/ und zur liebe GOttes/ die ſo hoch noͤ- thig iſt/ zugelangen. 4. Aber weil ſie den H. Geiſt ſelbſt nicht ha- ben/ ſo koͤnnen ſie ihn andern auch nicht geben. Ehe der HErꝛ JEſus den menſchen die macht gab/ die ſuͤnde zuvergeben/ ſprach er zu ihnen empfanget den H. Geiſt; als wolt er ſagen/ ſie koͤnten dieſe macht nicht haben/ als durch den H. Geiſt. Aber itzund dringet ſich ein jeder zum lehren/ die ſuͤnde zu vergeben/ da er doch den H. Geiſt nicht empfangen/ als nur durch aͤuſſer- liche zeichen: Jndem ihre ſeelen von innen eben viel/ ja zu weilen wol mehr mit der liebe zu irꝛdi- ſchen dingen erfuͤlletſeynd/ als die welt-leute; uñ dieſes widerſtrebet ſchnur ſtracks den wirckun- gen der gaben und fruͤchte des H. Geiſtes/ und dem zur folge der macht ihn andern einzublaſen. Daher kommt es/ daß weder der eine noch der andere die liebe GOttes hat; in dem der eine ſich vergnuͤget haͤlt/ die aͤuſſerlichen Chriſtlichen pflicht- ſchuldigkeiten/ zu lehren und der ande- re ſie zu thun/ als da ſeynd das gehen nach der meſſe/ das tragen des Roſenkrantzes/ das beichten und empfangen des Nachtmals und das verrichten etlicher gebete nach einander; da ſich unterdeſſen keiner befleißiget von der er- de ſein hertz abzuziehen/ noch ſich ſelbſten zu ver- leugnen/ damit er zur liebe GOttes gelangen moͤchte. Und alſo ſchicken ſich ſehr wol zu den heutigen Chriſten dieſe worte: Dieſes volck betet mich mit ſeinen lippen an/ aber ihr hertz iſt ferne von mir. Hieſige worte ſind mir offt in den ſinn gekommen/ wann ich in der Meſſe ſin- gen hoͤrete: Hebet eure hertzen auff! in dem ich glaubete/ daß die antwort: Herꝛ/ wir haben ſie erhoben/ nicht wahr ſey. Zumal weil das aͤuſ- ſerliche weſen und die gebaͤhrden gnugſam be- zeigten/ daß man zu GOtt ſein hertz nicht auff- gehoben/ ſondern vielmehr von ihm hier und dort hin abgewendet. Dieſes iſt eben/ das groſ- ſen anlaß gibt zu ſo weniger andacht des volcks/ welches glaubet ſehr wohl zu thun/ wann es den Prieſtern und Hirten ſeiner ſeelen nachah- met/ die verpflichtet ſeyn die vollkommenheit zu haben/ ehe ſie dieſelbe denen/ welche ſie ſu- chen/ anzuweiſen ſich unterfangen. 6. Dann es wird von einem Pfarrherꝛn oder Prieſter erfodert/ daß er vollkommen ſey; und von einem Pfarrkinde/ nach der vollkom- menheit zu ſtreben: darum fragte der HErr Je- ſus den H. Petrum dreymal ob er ihn lieb haͤtte/ eh er ihm befahl ſeine ſchafe zu weiden; damit er ſein gewiſſen wol unterſuchen moͤchte/ zu wiſ- ſen/ ob er GOTT in ſeiner ſeelen warhaff- tig liebete/ und ob er ihn noch als GOtte lie- bete; ja er fraget ihn eben darum drey unter- ſchiedliche mal/ damit er zeugniß von ſeinem ge- wiſſen haben moͤchte/ zu wiſſen/ ob er geſchickt und voꝛbereitet gnug waͤre/ zum hirten der ſchafe des HErꝛn JEſu beſtellet zu werden; welcher zwar/ ohne ihn zu fragen/ ſeine geſchicklichkeit wol wuſte/ weil er derſelbe iſt/ der die nieren durchgruͤndet/ und die gewiſſen kennet. Es ſchiene unnoͤthig zu ſeyn/ daß er ihn dreymal fragete/ ja ſo/ daß es dem H. Petro zu verdrieſ- ſen begunte; aber es geſchahe darum/ damit er wiſſen moͤchte/ es ſey nicht gnug/ daß nur GOtt die liebe/ die er zu ihm truͤge/ kennete; ſon- dern er muͤſſe ſie auch ſelbſt kennen/ und von ſich ſelbſt richten und urtheilen/ ehe er zum urtheiler und richter anderer gemacht wuͤrde. Dann derſelbe/ der die gerechtigkeitnur vor GOTT hat/ iſt noch nicht faͤhig gnug andere zu recht- fertigen; er muß ſeine gerechtigkeit auch vor den menſchen ſehen laſſen/ aus furcht/ es moͤchte derſelben unwiſſenheit ihnen einiges aͤrgerniß verurſachen. Dann derſelbe/ der ſich auff das zeugniß ſeines guten gewiſſens nicht gegruͤndet befindet/ iſt eben als ein ſchilffrohr/ das der wind hin und her wehet; indem er durch die geringſte bewegung etwan einer wiederwaͤrtigkeit oder verfolgung veraͤndert wird. 7. Dieſes ſeynd die eigenſchafften/ die ein rech- ter Pfarrherꝛ haben ſoll/ ehe er fuͤr wuͤrdig mag erkant werden/ daß man ihn zum Vater der Chriſten/ oder einen richter und verſorger ihrer ſeelen beſtelle. Aber ach leider! ein jeder ſtrebet und lauffet darnach/ ja dringet ſich dazu ein/ ehe man unterſuchet hat/ ob er GOTT liebet/ und ob dieſe liebe aus ſeinen wercken erſcheinet. Daher kommt es/ daß ſie blinde ſeyn/ welche die blinde leiten/ und alle beyde in die grube fal- len. Dann der meiſte theil hat weder die liebe GOttes noch des naͤchſten/ auch ſucht er die mittel nicht ſie zu erlangen; indem er mit dem zu frieden iſt/ daß er den namen Pfarꝛherꝛ fuͤh- ret/ und ſein Pfarꝛ-amt aͤuſſerlich verrichtet. Ob es ſchon von der liebe/ die er zu Gott tragen ſoll/

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 743. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/1051>, abgerufen am 02.05.2024.