die Klüfte, denk' nur, mit heißem Ruderschlag überfliege ich die Zeit, das Leben; ich jage sie hinter mich die Mi- nuten der Trennung, und nun, Ihr Inseln der Seligen, findet mein Anker keinen Grund. Wildes Gestad'! -- feindseliger Strand! -- Ihr lasset mich nicht landen, nicht nahen des Freundes Brust, der kennt die Geheim- nisse und den göttlichen Ursprung und meines Lebens Ziel. Er hat, daß ich ihn schauen lerne, des Lichtes unbefleckten Glanz mir im Geiste geweckt, er hat beglei- tend in raschen Liedern die Genüsse, die Leiden der Liebe, mich gelehrt zwischen beiden voranschreitend, den Schick- salsschwestern, mit leuchtender Fackel des Eros zu be- strahlen den Weg.
Heute ist ein andrer Tag: die böse Furcht ist ge- stillt, es tobt nicht, es braust nicht mehr im Herzen, die Klage unterbricht nicht mehr der Liebe glanzerfüllte Stille. -- Ach heute ist die Sonne nicht hinab, ihre letz- ten Strahlen breiten sich unter Deine Schritte; sie wan- delt die Sonne, sie steht nicht still, sie führt Dich ein bei mir, wo Dämmerung Dir winkt und der von Vio- len geflochtene Kranz. O liebster! -- dann steh' ich
die Klüfte, denk' nur, mit heißem Ruderſchlag überfliege ich die Zeit, das Leben; ich jage ſie hinter mich die Mi- nuten der Trennung, und nun, Ihr Inſeln der Seligen, findet mein Anker keinen Grund. Wildes Geſtad'! — feindſeliger Strand! — Ihr laſſet mich nicht landen, nicht nahen des Freundes Bruſt, der kennt die Geheim- niſſe und den göttlichen Urſprung und meines Lebens Ziel. Er hat, daß ich ihn ſchauen lerne, des Lichtes unbefleckten Glanz mir im Geiſte geweckt, er hat beglei- tend in raſchen Liedern die Genüſſe, die Leiden der Liebe, mich gelehrt zwiſchen beiden voranſchreitend, den Schick- ſalsſchweſtern, mit leuchtender Fackel des Eros zu be- ſtrahlen den Weg.
Heute iſt ein andrer Tag: die böſe Furcht iſt ge- ſtillt, es tobt nicht, es brauſt nicht mehr im Herzen, die Klage unterbricht nicht mehr der Liebe glanzerfüllte Stille. — Ach heute iſt die Sonne nicht hinab, ihre letz- ten Strahlen breiten ſich unter Deine Schritte; ſie wan- delt die Sonne, ſie ſteht nicht ſtill, ſie führt Dich ein bei mir, wo Dämmerung Dir winkt und der von Vio- len geflochtene Kranz. O liebſter! — dann ſteh' ich
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die Klüfte, denk' nur, mit heißem Ruderſchlag überfliege
ich die Zeit, das Leben; ich jage ſie hinter mich die Mi-
nuten der Trennung, und nun, Ihr Inſeln der Seligen,
findet mein Anker keinen Grund. Wildes Geſtad'! —
feindſeliger Strand! — Ihr laſſet mich nicht landen,
nicht nahen des Freundes Bruſt, der kennt die Geheim-
niſſe und den göttlichen Urſprung und meines Lebens
Ziel. Er hat, daß ich ihn ſchauen lerne, des Lichtes
unbefleckten Glanz mir im Geiſte geweckt, er hat beglei-
tend in raſchen Liedern die Genüſſe, die Leiden der Liebe,
mich gelehrt zwiſchen beiden voranſchreitend, den Schick-
ſalsſchweſtern, mit leuchtender Fackel des Eros zu be-
ſtrahlen den Weg.
Heute iſt ein andrer Tag: die böſe Furcht iſt ge-
ſtillt, es tobt nicht, es brauſt nicht mehr im Herzen, die
Klage unterbricht nicht mehr der Liebe glanzerfüllte
Stille. — Ach heute iſt die Sonne nicht hinab, ihre letz-
ten Strahlen breiten ſich unter Deine Schritte; ſie wan-
delt die Sonne, ſie ſteht nicht ſtill, ſie führt Dich ein
bei mir, wo Dämmerung Dir winkt und der von Vio-
len geflochtene Kranz. O liebſter! — dann ſteh' ich
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/98>, abgerufen am 16.02.2025.
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