Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

gehe ich, statt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel-
leicht bete ich dann, statt zu lieben! Ach, wie werd'
ich's dem Lieben gleichthun im Beten? -- ich weiß nicht,
Küssen ausdrücken. -- Hab' ich je Andacht empfunden,
so war's an Deiner Brust, Freund! -- Tempelduft, den
Deine Lippen hauchen, Geist Gottes, den Deine Augen
predigen, es strömt von Dir aus eine begeisternde Macht,
Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geist, alles strömt
eine Heiligung aus. O Du! -- Deine Kniee fest an
meine Brust drückend, frag' ich nicht mehr, was das für
eine Seligkeit sein möge, die im Himmel dem Frommen
bereitet ist. -- Gott von Angesicht zu Angesicht schauen?
-- wie oft hab' ich mit geschlossnen Augen Deiner Nähe
mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb-
ten in unser Herz, -- ja Geliebter! -- was haben wir
im Herzen, als nur Gott? -- Und wenn wir ihn da
nicht empfänden, wie und wo sollten wir seine Spur
suchen? --


Was fasle ich vom Frühling, was spreche ich
von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? -- Du!
-- das Bewußtsein von Dir verzehrt mir jede Re-

gehe ich, ſtatt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel-
leicht bete ich dann, ſtatt zu lieben! Ach, wie werd'
ich's dem Lieben gleichthun im Beten? — ich weiß nicht,
Küſſen ausdrücken. — Hab' ich je Andacht empfunden,
ſo war's an Deiner Bruſt, Freund! — Tempelduft, den
Deine Lippen hauchen, Geiſt Gottes, den Deine Augen
predigen, es ſtrömt von Dir aus eine begeiſternde Macht,
Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geiſt, alles ſtrömt
eine Heiligung aus. O Du! — Deine Kniee feſt an
meine Bruſt drückend, frag' ich nicht mehr, was das für
eine Seligkeit ſein möge, die im Himmel dem Frommen
bereitet iſt. — Gott von Angeſicht zu Angeſicht ſchauen?
— wie oft hab' ich mit geſchloſſnen Augen Deiner Nähe
mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb-
ten in unſer Herz, — ja Geliebter! — was haben wir
im Herzen, als nur Gott? — Und wenn wir ihn da
nicht empfänden, wie und wo ſollten wir ſeine Spur
ſuchen? —


Was fasle ich vom Frühling, was ſpreche ich
von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? — Du!
— das Bewußtſein von Dir verzehrt mir jede Re-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="86"/>
gehe ich, &#x017F;tatt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel-<lb/>
leicht bete ich dann, &#x017F;tatt zu lieben! Ach, wie werd'<lb/>
ich's dem Lieben gleichthun im Beten? &#x2014; ich weiß nicht,<lb/>&#x017F;&#x017F;en ausdrücken. &#x2014; Hab' ich je Andacht empfunden,<lb/>
&#x017F;o war's an Deiner Bru&#x017F;t, Freund! &#x2014; Tempelduft, den<lb/>
Deine Lippen hauchen, Gei&#x017F;t Gottes, den Deine Augen<lb/>
predigen, es &#x017F;trömt von Dir aus eine begei&#x017F;ternde Macht,<lb/>
Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Gei&#x017F;t, alles &#x017F;trömt<lb/>
eine Heiligung aus. O Du! &#x2014; Deine Kniee fe&#x017F;t an<lb/>
meine Bru&#x017F;t drückend, frag' ich nicht mehr, was das für<lb/>
eine Seligkeit &#x017F;ein möge, die im Himmel dem Frommen<lb/>
bereitet i&#x017F;t. &#x2014; Gott von Ange&#x017F;icht zu Ange&#x017F;icht &#x017F;chauen?<lb/>
&#x2014; wie oft hab' ich mit ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;nen Augen Deiner Nähe<lb/>
mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb-<lb/>
ten in un&#x017F;er Herz, &#x2014; ja Geliebter! &#x2014; was haben wir<lb/>
im Herzen, als nur Gott? &#x2014; Und wenn wir ihn da<lb/>
nicht empfänden, wie und wo &#x017F;ollten wir &#x017F;eine Spur<lb/>
&#x017F;uchen? &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Was fasle ich vom Frühling, was &#x017F;preche ich<lb/>
von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? &#x2014; Du!<lb/>
&#x2014; das Bewußt&#x017F;ein von Dir verzehrt mir jede Re-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0096] gehe ich, ſtatt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel- leicht bete ich dann, ſtatt zu lieben! Ach, wie werd' ich's dem Lieben gleichthun im Beten? — ich weiß nicht, Küſſen ausdrücken. — Hab' ich je Andacht empfunden, ſo war's an Deiner Bruſt, Freund! — Tempelduft, den Deine Lippen hauchen, Geiſt Gottes, den Deine Augen predigen, es ſtrömt von Dir aus eine begeiſternde Macht, Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geiſt, alles ſtrömt eine Heiligung aus. O Du! — Deine Kniee feſt an meine Bruſt drückend, frag' ich nicht mehr, was das für eine Seligkeit ſein möge, die im Himmel dem Frommen bereitet iſt. — Gott von Angeſicht zu Angeſicht ſchauen? — wie oft hab' ich mit geſchloſſnen Augen Deiner Nähe mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb- ten in unſer Herz, — ja Geliebter! — was haben wir im Herzen, als nur Gott? — Und wenn wir ihn da nicht empfänden, wie und wo ſollten wir ſeine Spur ſuchen? — Was fasle ich vom Frühling, was ſpreche ich von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? — Du! — das Bewußtſein von Dir verzehrt mir jede Re-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/96
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/96>, abgerufen am 09.11.2024.