Heute las ich in diesen Blättern; lauter Seufzen und Sehnen.
Wie würde ich beschämt vor Dir stehen, wenn Du in diesem Buch läsest! so bleibt es denn verborgen, und nur zu eigener Schmach geschrieben? -- Nein, ich muß an Dich denken und glauben, daß dies alles einmal an Deinem Geist vorüberzieht; wenn es auch manchmal in mir ist, als wollt' ich Dich fliehen; Dich und diese selt- same Laune der Sehnsucht; Laune muß ich sie nennen, denn sie will alles und begehrt nichts. Aber dieses Ab- wenden von Dir, wird doppelter Reiz; da sprengt mich's hinaus, die Berge hinan, noch im ersten Frühroth, als könnt' ich Dich erjagen, und was ist das Ende? daß ich mich wieder zum Buch wende. Nun was hat's denn auf sich? die Tage gehen vorüber so oder so, und was könnt' ich versäumen, wenn ich in diesen Blättern mich sammle?
Heute war ich früh draußen, ich ging den ersten Feldweg, die Feldhühner schreckten vor mir auf, so früh war's noch; die Wiesen lagen da im Morgenglanz,
Heute las ich in dieſen Blättern; lauter Seufzen und Sehnen.
Wie würde ich beſchämt vor Dir ſtehen, wenn Du in dieſem Buch läſeſt! ſo bleibt es denn verborgen, und nur zu eigener Schmach geſchrieben? — Nein, ich muß an Dich denken und glauben, daß dies alles einmal an Deinem Geiſt vorüberzieht; wenn es auch manchmal in mir iſt, als wollt' ich Dich fliehen; Dich und dieſe ſelt- ſame Laune der Sehnſucht; Laune muß ich ſie nennen, denn ſie will alles und begehrt nichts. Aber dieſes Ab- wenden von Dir, wird doppelter Reiz; da ſprengt mich's hinaus, die Berge hinan, noch im erſten Frühroth, als könnt' ich Dich erjagen, und was iſt das Ende? daß ich mich wieder zum Buch wende. Nun was hat's denn auf ſich? die Tage gehen vorüber ſo oder ſo, und was könnt' ich verſäumen, wenn ich in dieſen Blättern mich ſammle?
Heute war ich früh draußen, ich ging den erſten Feldweg, die Feldhühner ſchreckten vor mir auf, ſo früh war's noch; die Wieſen lagen da im Morgenglanz,
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Heute las ich in dieſen Blättern; lauter Seufzen
und Sehnen.
Wie würde ich beſchämt vor Dir ſtehen, wenn Du
in dieſem Buch läſeſt! ſo bleibt es denn verborgen, und
nur zu eigener Schmach geſchrieben? — Nein, ich muß
an Dich denken und glauben, daß dies alles einmal an
Deinem Geiſt vorüberzieht; wenn es auch manchmal in
mir iſt, als wollt' ich Dich fliehen; Dich und dieſe ſelt-
ſame Laune der Sehnſucht; Laune muß ich ſie nennen,
denn ſie will alles und begehrt nichts. Aber dieſes Ab-
wenden von Dir, wird doppelter Reiz; da ſprengt mich's
hinaus, die Berge hinan, noch im erſten Frühroth, als
könnt' ich Dich erjagen, und was iſt das Ende? daß
ich mich wieder zum Buch wende. Nun was hat's denn
auf ſich? die Tage gehen vorüber ſo oder ſo, und was
könnt' ich verſäumen, wenn ich in dieſen Blättern mich
ſammle?
Heute war ich früh draußen, ich ging den erſten
Feldweg, die Feldhühner ſchreckten vor mir auf, ſo früh
war's noch; die Wieſen lagen da im Morgenglanz,
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/40>, abgerufen am 27.07.2024.
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