Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

mich versunken ist ohne daß ich Kummer drum habe.
Soll man da nicht wunderliche Glossen machen wenn
man erleben muß, daß eine Leidenschaft die gleich im
Entstehen eine chimäre war, alles wirkliche überdauert
und sich in einem Herzen behauptet dem längst solche
Ansprüche als Narrheit verpöhnt sind. Ich hab auch
nie Lust gehabt davon zu sprechen es ist heute das er-
stemal, bei dem Fall den ich damals vor übergroßer
Eile that, hatte ich mir das Knie verwundet, an einem
großen Brettnagel der etwas hoch aus den Diehlen her-
vor stand, hatte ich mir eine tiefe Wunde über dem rech-
ten Knie geschlagen, der scharfgeschlagne Kopf des Na-
gels bildete die Narbe als einen sehr feinen regelmäßi-
gen Stern, den ich oft drauf ansah während den vier
Wochen in denen bald darauf der Tod des Kaisers mit
allen Glocken jeden Nachmittag eine ganze Stunde ein-
geläutet wurde, ach was hab ich da für schmerzliche
Stunden gehabt wenn der Dom anfing zu läuten mit
der großen Glocke und es kamen erst so einzelne mäch-
tige Schläge als wanke er trostlos hin und her, nach
und nach klang das Geläut der kleinern Glocken und
der ferneren Kirchen mit, es war als ob alle über den
Trauerfall seufzten und weinten; und die Luft war so
schauerlich und es war gleich bei Sonnenuntergang, da

mich verſunken iſt ohne daß ich Kummer drum habe.
Soll man da nicht wunderliche Gloſſen machen wenn
man erleben muß, daß eine Leidenſchaft die gleich im
Entſtehen eine chimäre war, alles wirkliche überdauert
und ſich in einem Herzen behauptet dem längſt ſolche
Anſprüche als Narrheit verpöhnt ſind. Ich hab auch
nie Luſt gehabt davon zu ſprechen es iſt heute das er-
ſtemal, bei dem Fall den ich damals vor übergroßer
Eile that, hatte ich mir das Knie verwundet, an einem
großen Brettnagel der etwas hoch aus den Diehlen her-
vor ſtand, hatte ich mir eine tiefe Wunde über dem rech-
ten Knie geſchlagen, der ſcharfgeſchlagne Kopf des Na-
gels bildete die Narbe als einen ſehr feinen regelmäßi-
gen Stern, den ich oft drauf anſah während den vier
Wochen in denen bald darauf der Tod des Kaiſers mit
allen Glocken jeden Nachmittag eine ganze Stunde ein-
geläutet wurde, ach was hab ich da für ſchmerzliche
Stunden gehabt wenn der Dom anfing zu läuten mit
der großen Glocke und es kamen erſt ſo einzelne mäch-
tige Schläge als wanke er troſtlos hin und her, nach
und nach klang das Geläut der kleinern Glocken und
der ferneren Kirchen mit, es war als ob alle über den
Trauerfall ſeufzten und weinten; und die Luft war ſo
ſchauerlich und es war gleich bei Sonnenuntergang, da

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="276"/>
mich ver&#x017F;unken i&#x017F;t ohne daß ich Kummer drum habe.<lb/>
Soll man da nicht wunderliche Glo&#x017F;&#x017F;en machen wenn<lb/>
man erleben muß, daß eine Leiden&#x017F;chaft die gleich im<lb/>
Ent&#x017F;tehen eine chimäre war, alles wirkliche überdauert<lb/>
und &#x017F;ich in einem Herzen behauptet dem läng&#x017F;t &#x017F;olche<lb/>
An&#x017F;prüche als Narrheit verpöhnt &#x017F;ind. Ich hab auch<lb/>
nie Lu&#x017F;t gehabt davon zu &#x017F;prechen es i&#x017F;t heute das er-<lb/>
&#x017F;temal, bei dem Fall den ich damals vor übergroßer<lb/>
Eile that, hatte ich mir das Knie verwundet, an einem<lb/>
großen Brettnagel der etwas hoch aus den Diehlen her-<lb/>
vor &#x017F;tand, hatte ich mir eine tiefe Wunde über dem rech-<lb/>
ten Knie ge&#x017F;chlagen, der &#x017F;charfge&#x017F;chlagne Kopf des Na-<lb/>
gels bildete die Narbe als einen &#x017F;ehr feinen regelmäßi-<lb/>
gen Stern, den ich oft drauf an&#x017F;ah während den vier<lb/>
Wochen in denen bald darauf der Tod des Kai&#x017F;ers mit<lb/>
allen Glocken jeden Nachmittag eine ganze Stunde ein-<lb/>
geläutet wurde, ach was hab ich da für &#x017F;chmerzliche<lb/>
Stunden gehabt wenn der Dom anfing zu läuten mit<lb/>
der großen Glocke und es kamen er&#x017F;t &#x017F;o einzelne mäch-<lb/>
tige Schläge als wanke er tro&#x017F;tlos hin und her, nach<lb/>
und nach klang das Geläut der kleinern Glocken und<lb/>
der ferneren Kirchen mit, es war als ob alle über den<lb/>
Trauerfall &#x017F;eufzten und weinten; und die Luft war &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chauerlich und es war gleich bei Sonnenuntergang, da<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0286] mich verſunken iſt ohne daß ich Kummer drum habe. Soll man da nicht wunderliche Gloſſen machen wenn man erleben muß, daß eine Leidenſchaft die gleich im Entſtehen eine chimäre war, alles wirkliche überdauert und ſich in einem Herzen behauptet dem längſt ſolche Anſprüche als Narrheit verpöhnt ſind. Ich hab auch nie Luſt gehabt davon zu ſprechen es iſt heute das er- ſtemal, bei dem Fall den ich damals vor übergroßer Eile that, hatte ich mir das Knie verwundet, an einem großen Brettnagel der etwas hoch aus den Diehlen her- vor ſtand, hatte ich mir eine tiefe Wunde über dem rech- ten Knie geſchlagen, der ſcharfgeſchlagne Kopf des Na- gels bildete die Narbe als einen ſehr feinen regelmäßi- gen Stern, den ich oft drauf anſah während den vier Wochen in denen bald darauf der Tod des Kaiſers mit allen Glocken jeden Nachmittag eine ganze Stunde ein- geläutet wurde, ach was hab ich da für ſchmerzliche Stunden gehabt wenn der Dom anfing zu läuten mit der großen Glocke und es kamen erſt ſo einzelne mäch- tige Schläge als wanke er troſtlos hin und her, nach und nach klang das Geläut der kleinern Glocken und der ferneren Kirchen mit, es war als ob alle über den Trauerfall ſeufzten und weinten; und die Luft war ſo ſchauerlich und es war gleich bei Sonnenuntergang, da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/286
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/286>, abgerufen am 07.06.2024.