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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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hen, sie wollte auch nach dem ich am Röhrbrunnen
Wasser getrunken, versuchen wieder hinein zu kommen,
aber eine geheime Stimme sagte mir, daß ich an dem
was mir heute bescheert geworden mir solle genügen
lassen und ging nicht wieder mit, nein ich suchte meine
einsame Schlafkammer auf und setzte mich auf den
Stuhl am Bett und weinte dem Kaiser schmerzlich süße
Thränen der heißesten Liebe, am andern Tag reiste er ab,
ich lag früh Morgens um vier Uhr in meinem Bett,
der Tag fing eben an zu grauen, es war am 17. April,
da hörte ich fünf Posthörner blasen, das war er, ich
sprang aus dem Bett, vor übergroßer Eile fiel ich in
die Mitte der Stube und that mir weh, ich achtete es
nicht und sprang an's Fenster, in dem Augenblick fuhr
der Kaiser vorbei, er sah schon nach meinem Fenster
noch eh ich es aufgerissen hatte, er warf mir Kußhände
zu und winkte mir mit dem Schnupftuch bis er die
Gasse hinaus war. Von der Zeit an hab ich kein
Posthorn blasen hören ohne dieses Abschieds zu ge-
denken und bis auf den heutigen Tag wo ich den
Lebensstrom seiner ganzen Länge nach durchschifft habe
und eben im Begriff bin zu landen, greift mich sein
weitschallender Ton noch schmerzlich an, und wo so
vieles worauf die Menschen werth legen rund um

hen, ſie wollte auch nach dem ich am Röhrbrunnen
Waſſer getrunken, verſuchen wieder hinein zu kommen,
aber eine geheime Stimme ſagte mir, daß ich an dem
was mir heute beſcheert geworden mir ſolle genügen
laſſen und ging nicht wieder mit, nein ich ſuchte meine
einſame Schlafkammer auf und ſetzte mich auf den
Stuhl am Bett und weinte dem Kaiſer ſchmerzlich ſüße
Thränen der heißeſten Liebe, am andern Tag reiſte er ab,
ich lag früh Morgens um vier Uhr in meinem Bett,
der Tag fing eben an zu grauen, es war am 17. April,
da hörte ich fünf Poſthörner blaſen, das war er, ich
ſprang aus dem Bett, vor übergroßer Eile fiel ich in
die Mitte der Stube und that mir weh, ich achtete es
nicht und ſprang an's Fenſter, in dem Augenblick fuhr
der Kaiſer vorbei, er ſah ſchon nach meinem Fenſter
noch eh ich es aufgeriſſen hatte, er warf mir Kußhände
zu und winkte mir mit dem Schnupftuch bis er die
Gaſſe hinaus war. Von der Zeit an hab ich kein
Poſthorn blaſen hören ohne dieſes Abſchieds zu ge-
denken und bis auf den heutigen Tag wo ich den
Lebensſtrom ſeiner ganzen Länge nach durchſchifft habe
und eben im Begriff bin zu landen, greift mich ſein
weitſchallender Ton noch ſchmerzlich an, und wo ſo
vieles worauf die Menſchen werth legen rund um

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[275/0285] hen, ſie wollte auch nach dem ich am Röhrbrunnen Waſſer getrunken, verſuchen wieder hinein zu kommen, aber eine geheime Stimme ſagte mir, daß ich an dem was mir heute beſcheert geworden mir ſolle genügen laſſen und ging nicht wieder mit, nein ich ſuchte meine einſame Schlafkammer auf und ſetzte mich auf den Stuhl am Bett und weinte dem Kaiſer ſchmerzlich ſüße Thränen der heißeſten Liebe, am andern Tag reiſte er ab, ich lag früh Morgens um vier Uhr in meinem Bett, der Tag fing eben an zu grauen, es war am 17. April, da hörte ich fünf Poſthörner blaſen, das war er, ich ſprang aus dem Bett, vor übergroßer Eile fiel ich in die Mitte der Stube und that mir weh, ich achtete es nicht und ſprang an's Fenſter, in dem Augenblick fuhr der Kaiſer vorbei, er ſah ſchon nach meinem Fenſter noch eh ich es aufgeriſſen hatte, er warf mir Kußhände zu und winkte mir mit dem Schnupftuch bis er die Gaſſe hinaus war. Von der Zeit an hab ich kein Poſthorn blaſen hören ohne dieſes Abſchieds zu ge- denken und bis auf den heutigen Tag wo ich den Lebensſtrom ſeiner ganzen Länge nach durchſchifft habe und eben im Begriff bin zu landen, greift mich ſein weitſchallender Ton noch ſchmerzlich an, und wo ſo vieles worauf die Menſchen werth legen rund um

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/285>, abgerufen am 24.11.2024.