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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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hörte es wieder auf zu läuten, eine Glocke nach der an-
dern schwieg, bis der Dom so wie er angefangen hatte
zu klagen auch die allerletzten Töne in die Nachtdämme-
rung seufzte; damals war die Narbe über meinem Knie
noch ganz frisch, ich betrachtete sie jeden Tag und er-
innerte mich dabei an alles.

Deine Mutter zeigte mir ihr Knie über dem das
Mahl in Form eines sehr deutlichen regelmäßigen Ster-
nes ausgebildet war, sie reichte mir die Hand zum Ab-
schied und sagte mir noch in der Thür, sie habe niemals
hiervon mit jemand gesprochen als nur mit mir; wie
ich kaum im Rheingau war schrieb ich mir aus der Er-
innerung so viel wie möglich mit ihren eignen Worten
alles auf, denn ich dachte gleich daß Dich dies gewiß
einmal interessiren müsse, nun hat aber der Mutter Tod
dieser kindlichen Liebesgeschichte, von der ich mir denken
kann daß sie kein edles männliches Herz viel weniger
den Kaiser würde haben ungerührt gelassen, eine herr-
liche Krone aufgesetzt und sie zu etwas vollendet Schö-
nem gestempelt. -- Im September wurde mir in's Rhein-
gau geschrieben die Mutter sei nicht wohl, ich beeilte
meine Rückkehr, mein erster Gang war zu ihr, der Arzt
war grade bei ihr, sie sah sehr ernst aus, als er weg
war reichte sie mir lächelnd das Rezept hin, und sagte

hörte es wieder auf zu läuten, eine Glocke nach der an-
dern ſchwieg, bis der Dom ſo wie er angefangen hatte
zu klagen auch die allerletzten Töne in die Nachtdämme-
rung ſeufzte; damals war die Narbe über meinem Knie
noch ganz friſch, ich betrachtete ſie jeden Tag und er-
innerte mich dabei an alles.

Deine Mutter zeigte mir ihr Knie über dem das
Mahl in Form eines ſehr deutlichen regelmäßigen Ster-
nes ausgebildet war, ſie reichte mir die Hand zum Ab-
ſchied und ſagte mir noch in der Thür, ſie habe niemals
hiervon mit jemand geſprochen als nur mit mir; wie
ich kaum im Rheingau war ſchrieb ich mir aus der Er-
innerung ſo viel wie möglich mit ihren eignen Worten
alles auf, denn ich dachte gleich daß Dich dies gewiß
einmal intereſſiren müſſe, nun hat aber der Mutter Tod
dieſer kindlichen Liebesgeſchichte, von der ich mir denken
kann daß ſie kein edles männliches Herz viel weniger
den Kaiſer würde haben ungerührt gelaſſen, eine herr-
liche Krone aufgeſetzt und ſie zu etwas vollendet Schö-
nem geſtempelt. — Im September wurde mir in's Rhein-
gau geſchrieben die Mutter ſei nicht wohl, ich beeilte
meine Rückkehr, mein erſter Gang war zu ihr, der Arzt
war grade bei ihr, ſie ſah ſehr ernſt aus, als er weg
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[277/0287] hörte es wieder auf zu läuten, eine Glocke nach der an- dern ſchwieg, bis der Dom ſo wie er angefangen hatte zu klagen auch die allerletzten Töne in die Nachtdämme- rung ſeufzte; damals war die Narbe über meinem Knie noch ganz friſch, ich betrachtete ſie jeden Tag und er- innerte mich dabei an alles. Deine Mutter zeigte mir ihr Knie über dem das Mahl in Form eines ſehr deutlichen regelmäßigen Ster- nes ausgebildet war, ſie reichte mir die Hand zum Ab- ſchied und ſagte mir noch in der Thür, ſie habe niemals hiervon mit jemand geſprochen als nur mit mir; wie ich kaum im Rheingau war ſchrieb ich mir aus der Er- innerung ſo viel wie möglich mit ihren eignen Worten alles auf, denn ich dachte gleich daß Dich dies gewiß einmal intereſſiren müſſe, nun hat aber der Mutter Tod dieſer kindlichen Liebesgeſchichte, von der ich mir denken kann daß ſie kein edles männliches Herz viel weniger den Kaiſer würde haben ungerührt gelaſſen, eine herr- liche Krone aufgeſetzt und ſie zu etwas vollendet Schö- nem geſtempelt. — Im September wurde mir in's Rhein- gau geſchrieben die Mutter ſei nicht wohl, ich beeilte meine Rückkehr, mein erſter Gang war zu ihr, der Arzt war grade bei ihr, ſie ſah ſehr ernſt aus, als er weg war reichte ſie mir lächelnd das Rezept hin, und ſagte

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/287>, abgerufen am 24.11.2024.