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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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liche thun, um seinen Forschungen Genüge zu leisten,
und so hatte er bald heraus, daß Jupiter und Venus
die Regenten und Beschützer seiner Geschicke sein wür-
den; kein Spielwerk konnte ihn nun mehr fesseln, als
das Zahlbrett seines Vaters, auf dem er mit Zahlpfen-
nigen die Stellung der Gestirne nachmachte, wie er sie
gesehen hatte; er stellte dieses Zahlbrett an sein Bett
und glaubte sich dadurch dem Einfluß seiner günstigen
Sterne näher gerückt; er sagte auch oft zur Mutter sor-
genvoll: die Sterne werden mich doch nicht vergessen
und werden halten was sie bei meiner Wiege verspro-
chen haben? -- da sagte die Mutter: warum willst Du
denn mit Gewalt den Beistand der Sterne, da wir an-
dre doch ohne sie fertig werden müssen, da sagte er
ganz stolz: mit dem was andern Leuten genügt, kann
ich nicht fertig werden, damals war er sieben Jahr alt.

Sonderbar fiel es der Mutter auf, daß er bei dem
Tod seines jüngern Bruder Jacob, der sein Spielkam-
merad war, keine Thräne vergoß, er schien vielmehr
eine Art Ärger über die Klagen der Eltern und Ge-
schwister zu haben, da die Mutter nun später den
Trotzigen fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt
habe, lief er in seine Kammer, brachte unter dem Bett
hervor eine Menge Papiere, die mit Lectionen und Ge-

liche thun, um ſeinen Forſchungen Genüge zu leiſten,
und ſo hatte er bald heraus, daß Jupiter und Venus
die Regenten und Beſchützer ſeiner Geſchicke ſein wür-
den; kein Spielwerk konnte ihn nun mehr feſſeln, als
das Zahlbrett ſeines Vaters, auf dem er mit Zahlpfen-
nigen die Stellung der Geſtirne nachmachte, wie er ſie
geſehen hatte; er ſtellte dieſes Zahlbrett an ſein Bett
und glaubte ſich dadurch dem Einfluß ſeiner günſtigen
Sterne näher gerückt; er ſagte auch oft zur Mutter ſor-
genvoll: die Sterne werden mich doch nicht vergeſſen
und werden halten was ſie bei meiner Wiege verſpro-
chen haben? — da ſagte die Mutter: warum willſt Du
denn mit Gewalt den Beiſtand der Sterne, da wir an-
dre doch ohne ſie fertig werden müſſen, da ſagte er
ganz ſtolz: mit dem was andern Leuten genügt, kann
ich nicht fertig werden, damals war er ſieben Jahr alt.

Sonderbar fiel es der Mutter auf, daß er bei dem
Tod ſeines jüngern Bruder Jacob, der ſein Spielkam-
merad war, keine Thräne vergoß, er ſchien vielmehr
eine Art Ärger über die Klagen der Eltern und Ge-
ſchwiſter zu haben, da die Mutter nun ſpäter den
Trotzigen fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt
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[250/0260] liche thun, um ſeinen Forſchungen Genüge zu leiſten, und ſo hatte er bald heraus, daß Jupiter und Venus die Regenten und Beſchützer ſeiner Geſchicke ſein wür- den; kein Spielwerk konnte ihn nun mehr feſſeln, als das Zahlbrett ſeines Vaters, auf dem er mit Zahlpfen- nigen die Stellung der Geſtirne nachmachte, wie er ſie geſehen hatte; er ſtellte dieſes Zahlbrett an ſein Bett und glaubte ſich dadurch dem Einfluß ſeiner günſtigen Sterne näher gerückt; er ſagte auch oft zur Mutter ſor- genvoll: die Sterne werden mich doch nicht vergeſſen und werden halten was ſie bei meiner Wiege verſpro- chen haben? — da ſagte die Mutter: warum willſt Du denn mit Gewalt den Beiſtand der Sterne, da wir an- dre doch ohne ſie fertig werden müſſen, da ſagte er ganz ſtolz: mit dem was andern Leuten genügt, kann ich nicht fertig werden, damals war er ſieben Jahr alt. Sonderbar fiel es der Mutter auf, daß er bei dem Tod ſeines jüngern Bruder Jacob, der ſein Spielkam- merad war, keine Thräne vergoß, er ſchien vielmehr eine Art Ärger über die Klagen der Eltern und Ge- ſchwiſter zu haben, da die Mutter nun ſpäter den Trotzigen fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt habe, lief er in ſeine Kammer, brachte unter dem Bett hervor eine Menge Papiere, die mit Lectionen und Ge-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/260>, abgerufen am 25.11.2024.